Kapitel 2
Evil stürmte die Treppe in sein Büro hinunter. Seine Arm schmerzte und hatte bereits begonnen sich leicht blau zu verfärben. Verdammt, verdammt, verdammt! Dummer Basilisk! Dummer Turm! Den Drachen hatte er an der Dachluke wieder in Gold verwandelt und der Sack mit nun allen sechs Basilisken hing um seinen Hals. Evil erreichte mit klopfendem Herzen sein Arbeitszimmer. Es war ein großer, heller Raum, vor einem riesigen Panoramafenster stand ein gigantischer, aus dunklem Holz gefertigter Schreibtisch und dahinter platziert, befand sich ein roter Samtsessel, an den Wänden reihten sich bis zur Decke hohe Regale, die alle ausnahmslos mit Büchern gefüllt waren und am anderen Ende des Zimmers brannte ein Feuer in einem Kamin. In der Mitte des Raumes stand ein wunderschöner, kostbar aussehender Globus und auf dem Boden lag ein runder, blutroter Teppich. Eilig zog Evil eine der Schubladen an seinem Schreibtisch auf und holte daraus Verbandzeug und eine Trank, der bis jetzt gegen jegliche Schmerzen geholfen hatte. Noch während er den Trank hinunter kippte und seinen Arm verband, zog er die ersten Bücher aus den Regalen und breitete sie auf den Schreibtisch aus. Es musste ein Heilmittel gegen den Biss eines Basilisken geben! Irgendwo! Irgendwo in seinen vielen Büchern musste etwas Brauchbares zu finden sein!
Seite für Seite sah er jedes Buch durch, dass etwas mit dem Thema Heilen, Basilisken und Gift zu tun hatte. Er las jede noch so kleine Randbemerkung und wurde schließlich im elften Buch fündig. Gegen das Gift eines Basilisken hilft nur eines: Das Blut eines roten Einhorns. Zusammen mit drei weiteren seltenen Zutaten ergibt es einen Trank, dass das Basiliskengift im Körper auslöscht. Evil überflog die weiteren Kräuter, die für den Zaubertrank notwendig waren. Moos aus den giftigen Sümpfen, die Wurzel eines menschenfressenden Baumes und die beeren aus dem Nest eines Phönix.
Die letzten drei Zutaten hatte er da, aber das Blut eines roten Einhorns? Soweit er wusste waren diese extrem selten. Fahrig ging er in seinem Kopf alle Pflanzen, Blüten, Tierorgane und magischen Gegenstände durch, die er besaß, aber er konnte sich nicht erinnern das Blut eines roten Einhorn zu besitzen. Evil griff sich das Buch in dem das Rezept für den Heiltrank stand und rannte zu seinem Labor. Eine Treppe hinunter, einen langen Korridor entlang und wieder eine Treppe hinauf, dann stand er endlich in dem dunklen Zimmer durch das merkwürdige Gerüche waberten und die seltsamsten Dinge in Einmachgläsern, Flaschen und Tuben enthielt. In der Mitte des kleinen Raumes stand ein langer Tisch, in der Ecke befand sich auch hier ein Kamin und an den Wänden hingen eigenartige Gerätschaften. Das einzige Licht im Raum, kam von einem Kronleuchter mit Kerzen, die auf Evils Fingerschnippen hin erstrahlten. Vorsichtig legte er das Buch auf einem Lesepult in der Decke ab, bevor er seine Schränke und Regale nach den gesuchten Blut durchwühlte.
Er fand Drachenblut, Riesenblut, Feenblut, Gestaltwandlerblut und sogar das Blut eines weißen Einhorns, aber das Blut eines roten Einhorns besaß er nicht. Wütend fegte er mit einer Handbewegung sämtliche Flaschen von einem Regal, die daraufhin laut auf dem Steinboden zerschellten. Er griff sich ein paar nutzlose Bücher, die auf den Tisch lagen und warf sie mit voller Wucht in die Flammen des Kamins. Schwer atmend stand Evil in der Mitte des Raumes und starrte die Decke an. Er hörte sein Blut in den Ohren rauschen und spürte sein Herz in seiner Brust zitternd. All die Jahre umsonst gelebt, nur um jetzt von dem Biss eines kleinen schlangenartigen Vogels getötet zu werden. All die Jahre die seltensten Dinge gesammelt, nur um dann festzustellen, dass ihm das Seltenste fehlte. Umsonst. Alles umsonst. Da riss ihn eine laute, unfreundliche Stimme in seinem Kopf aus seinen schwarzen Gedanken. Evil? Wo steckst du?! Ich friere mir hier draußen meine Schwanzfedern ab und meine schönen Federn sind voll von Eis und Schnee! Hol mich verdammt nochmal rein!
Da stand er wieder. Auf dem Wehrgang. Umgeben von Schnee und Eis und blickte mit ausdruckslosem Gesicht auf den großen Geier vor sich, der auf einer der Zinne saß und ihn missbilligend anschaute. "Warum hat das denn so lange gedauert?", krächzte der Geier ungehalten mit der Stimme einer alten Frau. "Ich hatte zu tun." Evil band sich das lange schwarze Haar zu einem Pferdeschwanz zurück. Hier draußen peitschte es ihm unerbittlich ins Gesicht. Warum hatte er das vorhin nicht bemerkt? "Zu tun, zu tun! Was glaubst du, habe ich die ganze Zeit getan! Spioniert habe ich! Und für wen?! Für dich! Undankbarer Elf!" Es gab vermutlich kein Wesen außer Grimma, die sich solche Worte gegenüber ihm erlauben durfte. Jeder andere wäre dafür gestorben, aber bei dem Geier war es etwas Anderes. Evil kannte sie seit er in den Turm gezogen war und die Nebelwand errichtete hatte. Vögel waren die einzigen Wesen außer ihm, die hinter der Nebelwand lebten. Denn nur Vögel konnten über den Nebel einfach hinweg fliegen. Anfangs hatte er diese Sicherheitslücke nicht dulden wollen, doch als er erkannt hatte, dass er sonst wirklich und wahrhaftig völlig allein gewesen wäre, hatte er sie bestehen lassen. Grimma war damals der Erste Vogel, der mit ihm gesprochen hatte und hatte damit ein Stück der unendlichen Einsamkeit vertrieben, die ihn sein ganzes Leben begleitet hatte. Beschimpft hatte sie die, die ihn davongejagt hatten und zum Dank hatte er ihr das gleiche unsterbliche Leben verliehen wie ihm und konnte ihr deshalb auch jetzt all die unverschämten Worte verzeihen. Ihr Umgangston hatte sich auch nach fünfhundert Jahren nicht verändert. Der Geier war immer noch genauso unfreundlich und schlecht gelaunt, wie früher.
Manchmal war es ihm ein Rätsel, dass Grimma ihn damals überhaupt getröstet hatte. Das war das einzige Mal gewesen, wo sie nicht unfreundlich, sondern sehr nett gewesen war. Wirklich nett, was gerade schwer zu glauben war. Außerdem hatte sie auch irgendwann in den fünfhundert Jahren gelernt sich telepathisch mit ihm zu unterhalten. Grimma hatte nie erzählt wo, aber in diesem Moment war es ihm egal. Alles war umsonst gewesen. Umsonst.
"So still Evil? Hast du eine Kröte verschluckt?" Der Geier flatterte ein paar Mal mit ihren Flügeln. Sie hatte ein pechschwarzes Federkleid und nur ihr Kopf war weiß, wie der Schnee, der vom Himmel fiel. "Lass mich endlich verdammt nochmal rein! Ich habe dir etwas zu berichten! Wofür spioniere ich denn das ganze Jahr, wenn ich dann bei dir bin und nichts erzählen darf, hm?!" Evils Mundwinkel zuckten leicht, doch er hatte sich sofort wieder unter Kontrolle. "Tu mir leid ich hatte vergessen, wie empfindlich zu reagierst, wenn man dich ignoriert." "Frechheit!", schimpfte der Grimma, segelte aber mit ausgebreiteten Flügeln durch die Dachluke ins innere des Turmes, als Evil sie öffnete.
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