Kapitel 18
Evil stand aufrecht in seinem Schlafzimmer. Das Gesicht überzogen von Müdigkeit. In der Luft wirbelte Staub und unter seinen nackten Füßen fühlte er den weichen schwarzen Teppich. Sein Herz schlug schnell und unregelmäßig vor Aufregung in seiner Brust, während er langsam auf das metallene Kästchen auf seinem Nachttisch zu ging.
Inzwischen war es schwärzeste Nacht. Nur ein paar silberne Lichtstrahlen des Mondes bahnten sich vereinzelt ihren Weg durch die zugezogenen Vorhänge in den kalten Raum. Mit zittrigen Händen öffnete Evil das Kästchen. Vorsichtig nahm er den Inhalt heraus und hielt ihn sich vor die Augen.
Da war sie.
In seiner Hand.
Heiß und hell leuchtend.
Eine Phönixfeder.
Das Einzige auf was er jetzt unter anderem noch seine letzten Hoffnungen setzte. Phönixe waren unglaubliche magische Wesen. Tiere aus Feuer und Licht. Unsterblich genau wie er und einfach wundervoll. Evil hatte diese Vögel und diesen Satz über sie schon immer geliebt: Wie der Phönix aus der Asche.
Für ihn schmeckte dieser Satz nach Hoffnung, nach Kraft. Denn was gab schon mehr Zuversicht, als das Wissen, dass selbst aus so etwas Verbranntem und Leblosem, wie Asche neues Leben werden konnte? Wenn selbst schwarzer Staub Hoffnung bedeuten konnte, weshalb dann nicht auch, der durch einen Basiliskenbiss vergiftete Körper? Waren sich die beiden Sachen nicht so ähnlich? Beides wirkte dunkel und verloren, doch ein Funken konnte ein Inferno auslösen. Und genau das hatte er vor.
Evil wollte die Asche brennen sehen. Er wollte seine Asche, seinen Körper, brennen und zu neuem Leben erwachsen sehn.
Die Phönixfeder war der Schlüssel dazu. Sie sollte das Gift aus seinem Körper brennen. Es war eine sehr schmerzhafte Methode, die nicht oft auf Erfolg stieß, aber wenn, dann selbst bei dem Gift eines dreiköpfigen Drachen und dessen Gift war, nach dem des Basilisken, das Gefährlichste von allen. Es bestand also Hoffnung. Hoffnung und die Gewissheit auf Niederlage. Es war ein Spiel. Ein Glücksspiel und er konnte nur hoffen, dass ihm nicht der Tod, sondern das Leben wohl gesonnen war.
Bevor Evil es sich anders überlegen konnte, steckte er sich die Phönixfeder in den Mund und schluckte sie hinunter. Schon nach wenigen Sekunden stöhnte er auf und krallte sich an der Bettkante fest, als er die Hitze in seinem Inneren spürte, die langsam immer tiefer sank, wie ein schwerer Stein. Die Glut wurde stärker, als wollte sie dort alles zu Staub werden lassen, begann sich als Tier langsam zu regen. Öffnete die roten Augen. Machte erste Schritte. Immer mehr, immer sicherer. Immer tiefer in ihn hinein. So tief, dass die Dunkelheit das Licht und die Wärme eigentlich verschlucken sollte, wie sie es so oft tat. Doch nicht dieses Mal. Dieses Mal nicht.
"Verflucht!", presste Evil zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und stolperte über seine Füße in sein Himmelbett. Dort zog er die Beine dicht an seinen schwitzenden Körper und versuchte die ersten Schmerzen zu ignorieren, die langsam, wie Übelkeit in ihm aufstiegen.
Hattest du heute nicht eigentlich schon genug von Schmerzen, Evil!
"Verdammt!" Er zuckte heftig zusammen und krallte seine Finger in die Matratze. Das Tier in seinem Inneren wurde wilder. Zeigte Krallen und benutze sie. Es wuchs. Weiter und weiter, bis es sich den Kopf stieß. Wütend fauchend fuhr es die Krallen aus und hinterließ Kratzspuren überall, wohin es ging.
Evil schrie. Sein Sichtfeld verschwamm, so als wäre er Unterwasser. Eine heiße Träne tropfte aus seinem Augenwinkel auf die Decke. Schnell verbarg er die Stelle mit seinem Körper. Evil hasste es zu weinen. Fast so sehr, wie er es hasste, wie die Sterblichen zu sein. Weinen war für ihn nicht nur ein Zeichen von Schwäche, sondern auch dafür, dass ein Teil von ihm, Dinge immer so empfinden würde wie alle Anderen auch. Egal ob Schmerz, Trauer oder Freude...
Evil krümmte sich unter den Qualen. Wimmerte wie ein hilfloses kleines Kind und immer mehr Tränen flossen haltlos über seine Wangen. Anfangs versuchte er sie fortzuwischen, doch es wurden immer mehr und mehr, bis sie schließlich zu einem Fluss aus Schmerz, Kummer und Verzweiflung wurden.
Da wuchs das feurige Tier in seinem Inneren noch weiter an. Es wurde gigantisch. Zerbarst mit dem Kopf die Decke, als wäre sie aus hauchdünnem Glas. Evil glaubte sein Blut fließen zu spüren. Er schrie. So laut und schmerzvoll, wie noch nie zuvor. Sein Schrei brach aus ihm hervor, wie ein Schwarm schwarzer Vögel. Kreischend und übermächtig.
Sein Aufschrei hallte von den steinernen Wänden seines Zimmers wider, kehrte wie ein dunkler Schatten zu ihm zurück und verschwand in seinem Inneren. Wieder schrie Evil. Der Raum schien mit ihm zu erzittern und zu beben.
Das flammende Tier tobte. Fuhr die Krallen und Zähne noch weiter aus. Kämpfte blindwütig gegen einen unsichtbaren Feind. Legte alles in Trümmer.
"NEIN!" Evil spürte, wie sein Bewusstsein sich zurückzog. Es versteckte sich. Verkroch sich vor dem Kampf... Elender Feigling! Schreiend presste er sich die Hände gegen die Schläfen und versuchte den Schmerz unter Kontrolle zu kriegen, aber er verlor. Fiel wie ein Soldat im Krieg. Wie ein Blatt im Herbst...
Die Umgebung fing an sich vor seinen Augen zu drehen. Immer schneller. Bis er nur noch Streifen aus Licht und Dunkelheit sah. Sein Körper begann langsam zu schwanken. Immer stärker. Seine Augen huschten unruhig hin und her und dann kippte er vom Bett. Evil hatte das Gefühl, dass sich alles in Zeitlupe abspielte, doch er wusste, dass es in Wahrheit bloß wenige Sekunden waren.
Sein Kopf schlug hart auf dem Steinboden auf. Genau in dem Moment, als der Schmerz seinen Höhepunkt erreichte. Das Letzte was er sah, war wie sich seine Hände schmutzig grau verfärbten und zu Asche wurden. Ein Windstoß trieb sie fort, wie ein Schwarm Fische im Meer. Der schwarze Staub verschmolz mit der Luft, als wäre das schon immer seine Bestimmung gewesen. Nichts zu sein...
Aber vielleicht, vielleicht waren das bereits Wahnvorstellungen eines Fiebertraumes...
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