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Was machte ich hier? Wie konnte ich mich von meiner besten Freundin zu etwas überreden lassen, was ich überhaupt nicht wollte? Ich wusste die Antwort. Ich hatte ihr, der einzigen Person in meinem Umfeld der ich wirklich vertraute, einen Gefallen tuen wollen. Seufzend warf ich einen Blick zur Seite. Lynn amüsierte sich scheinbar prächtig, denn sie unterhielt sich mit ein paar der 'coolen' Jugendlichen aus unserer Schule. An unserer Schule war es genauso wie an jeder anderen auch. Es gab die Coolen, die Nerds, die die einfach nur da waren und akzeptiert wurden, die Schüchternen und so weiter. Lynn hing gerne mit den Coolen ab. Ich hingegen hatte in diesem Gebäude am liebsten einfach meine Ruhe. Es war nicht so, dass ich die Schule nicht mochte. Ich mied sie einfach meistens nur gerne. Nicht weil ich schüchtern war, ganz im Gegenteil - okay, vielleicht ein bisschen. Sondern einfach aus dem Grund, dass ich mit diesen Leuten nichts weiter zu tun haben wollte. Ich brauchte keine 'Freunde' die mich ausnutzten, hintergingen und zu Sachen überredeten mit denen ich lieber nichts zu tun haben wollte. Und trotzdem war ich nun hier. Auf dieser dämlichen Schuljahresanfangsparty, die eigentlich insgeheim den älteren Schülern vorbehalten war, die sich zu benehmen wussten. Mir war jetzt schon klar, dass diese blöde Veranstaltung am Ende eskalieren würde. So wie jedes Jahr. Mit einer Prügelei, einem lauten Streit oder mit betrunkenen Schülern, obwohl es eigentlich strengstens verboten war Alkohol auszuschenken. Ich quetschte mich durch die Schülermasse hindurch und ging in Richtung Bar. Lynn würde mich mit Sicherheit nicht vermissen, wenn ich mich ein wenig entfernte. Gehen wollte ich allerdings auch nicht. Meine beste Freundin hatte es schließlich nur gut gemeint mit mir, damit ich mal raus kam und mich unter die Leute in meinem Alter mischte. Ich würde mich nur schuldig fühlen, wenn ich jetzt schon ging. Also holte ich mir ein Glas Cola und drehte mich nach rechts. Dort standen, wie jedes Jahr, jede Menge gemütliche Sofas auf denen bunte Kissen lagen. Dazu gab es kleine Tische. Kaum jemand setzte sich dahin, wenn überhaupt dann nicht allzu lange und trotzdem bestand irgendjemand jedes Jahr wieder auf Ihre Anwesenheit. Was mich im übrigen nur allzu glücklich machte. Woher ich das alles wusste? Die Antwort war ganz einfach: Ich leistete den Sofas jedes Jahr Gesellschaft, damit Sie nicht die ganze Zeit alleine waren. Das war doch nur verständlich. Seufzend ließ ich mich auf einem der Sofas nieder. Es stand ganz hinten in der Ecke und lag vollkommen in der Dunkelheit. Ich zog mein Handy aus der pinken Clutch, die Lynn mir aufgedrängt hatte, und las ein E-Book. Es war genauso wie jedes Jahr. Es war genauso wie immer. Noch.
Ich war so versunken in mein Buch, dass ich den Typen nicht bemerkte, der sich neben mich auf mein Sofa fallen ließ. Erst das einsinken dieses ließ mich aufblicken. Neben mir saß ein Junge in meinem Alter, wenn ich das richtig einschätzte. Allerdings kannte ich ihn nicht, zumindest soweit ich das im dunkeln erkennen konnte. Entweder er war neu an der Schule oder irgendjemand hatte ihn mitgebracht. Ich persönlich tippte auf letzteres.
Was zum Teufel machte dieser Idiot hier? Ich hatte mich schließlich nicht umsonst in die Ecke gesetzt. Ich wollte meine Ruhe haben. Warum suchte er sich kein anderes Sofa. Es waren nämlich sonst alle frei. Genervt wandte ich mich wieder meinem Buch zu.
"Du bist ganz schön unhöflich", seine Stimme war dunkel und samtig, fast schon sanft. Ich hätte sie fast mögen können, aber in seinem Unterton lag so viel Arroganz und Selbstbewusstsein, wie bei den Typen von denen ich mich gewöhnlich lieber fernhielt. Ich versuchte ihn einfach zu ignorieren. Vielleicht ging er dann ja wieder?
"Wie heißt du?". Stille. "Du wirst mir eh nicht antworten oder? Egal, ich krieg deinen Namen sowieso raus. Und bis dahin gebe ich dir einfach einen Spitznamen...". Scheiße. Ich musste ihn irgendwie loswerden. Ich spürte, wie er mich musterte und ich bekam eine Gänsehaut. Die Situation war nicht direkt unheimlich oder angsterregend sondern einfach... anders. Komisch. Sonderbar. Eigenartig. Er atmete laut aus. Er wollte etwas sagen. Ich wusste es. "Wie wäre es mit... Elfe oder Elfchen?!". Wollte er mich provozieren? Ich sprang auf. "Auf keinen Fall! Und jetzt verschwinde und lass mich in Ruhe! Das ist es nämlich was ich jetzt möchte: meine Ruhe. Warum sonst sollte ich mich hier hin setzten?".
"Da hat aber jemand Temperament. Und du kannst ja sogar reden!", er lachte. Moment, was? Hatte ich mich verhört? Nein. Er lachte wirklich. Und die Arroganz in seiner Stimme war wieder unüberhörbar. Dieser verdammte Idiot!
Ohne noch weiter darüber nachzudenken schnappte ich mir mein immernoch volles Colaglas. Der konnte was erleben! Ich schüttete es über seinen Kopf. Seine Haare würden später definitiv ekelhaft kleben! Genugtuung kam in mir hoch.
Ich nahm seinen geschockten, wütenden Blick in mich auf und speicherte ihn tief in mir drin ab. Diesen Moment wollte ich nie vergessen. Meine Lippen bogen sich zu einem boshaften Grinsen nach oben. Ich stellte das leere Glas auf den Tisch, schnappte mir meine Clutch mitsamt meines Handys und machte auf dem Absatz kehrt um einen spektakulären Abgang hinzulegen.
Soweit mir das mit meinen Stiefeletten und deren halbhohen Absätzen eben möglich war. Nämlich gar nicht. Ich stolperte, konnte mich aber gerade noch fangen. Shit, jetzt wäre ich auch noch beinahe auf die Nase geflogen. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und ging in Richtung Ausgang. Ich spürte seinen Blick auf meinem Hintern, also ließ ich die Hüften provozierend schwingen. Leider rutschte daraufhin der Rock des grauen, sowieso schon kurzen Kleides, welches mir im übrigen Lynn geliehen hatte, noch weiter nach oben.
Also musste ich aufhören. Ich wollte ja nicht, dass die ganze Schule und alle Lehrer meinen halbnackten Hintern zu sehen bekamen. Endlich erreichte ich den Ausgang. Die kühle Luft empfing mich und ich genoss den leichten Wind auf meiner Haut. Ein erleichtertes Seufzen entfuhr mir. Ich hatte es hinter mich gebracht. Langsam zog ich meinen Rock wieder nach unten.
Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir. Dann tippte mir jemand auf die Schulter. Ich drehte mich herum. Lynn. Sie sah alles andere als glücklich aus, scheinbar hatte sie meinen Abgang mitbekommen. Ihre gesamte Körperhaltung verlangte nach einer vernünftigen Erklärung. Warum war sie nur so aufgebracht? Immerhin wollte sie doch, das ich mal was riskantes machte und nicht immer auf die Regeln achtete. Ein Blick in ihre Augen genügte. Sie funkelten ein wenig amsüsiert, aber mir wurde sofort eines bewusst: Ich hatte irgendetwas gründlich verkackt. Warum nur musste heute alles schieflaufen?
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