Seit ich klein bin, wurde mir eingebläut, dass ich sein konnte, wer ich will. Wenn ich zum Mond reisen will, fein. Wenn ich mich entscheiden würde, das Schreiben zur Berufung zu machen, auch okay. Meine Eltern sorgten stets dafür, dass alle Steine, die in meinem Weg lagen, fortgetragen wurden. Als ich mit 16 entschied, dass ich Pädagogik studieren möchte, feierten sie mich.

»Endlich will eines unserer Kinder etwas aus sich machen!«, rief meine Mutter aus und hatte ein Lächeln in ihrem Gesicht. Damals schon ging sie einmal im Monat zu Vater in die Schönheitsklinik. Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt noch weiß, wie meine Mutter aussieht. Meine echte, nicht operierte.

Und dann bemerkte ich, dass ich doch nicht das Vorzeigekind bin, das sie sich wünschten. Ich hatte eine rebellische Teenager-Phase. Wie sie jedes Kind hat. Doch für meine Eltern war es ein Schock. Ihnen war alles egal, ich hätte mir die Haare abrasieren und fünfzig Tattoos stechen lassen können – Das ließ sich reparieren.

Aber eine Verhaftung? Nein. Das konnte nicht einfach aus der Welt getilgt werden. Zumindest nicht sofort. Auch das Herumreisen während der Ferien ließ mich in ihren Augen schwach wirken.

Also wollten sie mich fortschicken.

Internat, nannten sie es.

Erziehungsheim, nannte ich es.

Und dann gab es meinen Bruder Jan, der sich für mich einsetzte.

»Irgendwie muss man sich ja ausleben!«, sagte er und war noch so jung mit seinen 18 Jahren. So jung und so erwachsen. Er war der große Bruder, zu dem jeder aufsehen konnte. Immer mutig. Immer klug. Immer stark. »Und gerade ihr, die sich noch nie an Konventionen gehalten haben, wollt uns Kindern vorschreiben, wie wir zu leben haben?«

Und ab diesem Augenblick waren meine Eltern still. Sie schrien mich nach wie vor an, sie nahmen mir meine Zigaretten weg – wofür ich ihnen dankbar bin – und sie kontrollierten mich strenger. Aber vom Internat in der Schweiz wurde nie mehr gesprochen.

Wir waren die perfekte Familie.

Bis Jan krank wurde. Und alles anders wurde.

Oh, Jan.