#16
[A/N: Oben angehängtes Bild ist ... eigentlich selbst-erklärend 😊❤]
Irgendwann am Abend schmerzen mir so die Füße, dass ich mich in Tante Fias Schlafzimmer verkrieche. Sie ist Papas adoptierte Schwester, aber statt ihm hat sie dieses Haus bekommen und führt das weiter, was Skye vor etlichen Jahren anfing. Nämlich verängstigten Kindern ein Zuhause zu bieten, wenn auch nur befristet. Aus diesem Grund sehe ich Fia nicht sehr oft, da sie meist alle Hände voll zu tun hat, ihren Job als Pflegemutter gerecht zu werden.
Erst als ich in ihrem Bett liege und den dunkelblauen Baldachin anstarre, kommt mir die Frage, wo Sam hin verschwunden ist. Seit Stunden habe ich ihn nicht mehr gesehen. Es wäre ungewöhnlich für ihn, einfach ohne eine Verabschiedung zugehen. Andererseits ist es auch ungewöhnlich für ihn, ein Geheimnis vor mir zu haben und wie wir wissen, ist das auch geschehen.
Obwohl ich es nicht will, wandern meine Gedanken zu einem meiner verhassten Orte. Oder eher Zeiten. Zu der Zukunft.
Es wird blöd klingen, aber ich bin kein Mensch, der eine Zukunft sehen kann. Während alle anderen eine ungefähre Ahnung haben, wo sie sich selbst in fünf Jahren stehen sehen wollen, bin ich froh, wenn ich weiß, was ich am Ende der Woche mache. Sam hat mich da bisher immer verstanden, vermutlich mehr als ihm lieb war.
Meine Zukunft, wie ich sie mir gerade ausmale, sieht alles andere als rosig aus. Ich muss mir einen Jobsuchen, einen richtigen. Da das Studium mich nicht erfüllt hat, wird es Zeit, der Tatsachen ins Auge zu sehen. Eine Ausbildung muss her. Ohne etwas Handfestes sieht meine berufliche Zukunft nämlich scheiße aus.
Ein Klopfen an der Tür lässt mich aufsehen.
»Hey Kassy, Diana ist hier, um dich abzuholen.« Tante Elisa steckt den Kopf zur Tür herein, ganz die Businessfrau, als die ich sie kenne. Ihre Haare trägt sie in einem ordentlichen Dutt frisiert, der Hosenanzug ist in einem matten schwarz und ihre Füße stecken in High Heels, die länger sind als meine Handfläche.
»Und Sam ist betrunken. Das solltest du vielleicht noch wissen«, sagt sie beim Verlassen des Zimmers in einem Tonfall, den ich fast als Sing-Sang bezeichnen würde. Wenn ich sie nicht besser kennen würde.
Es ist nicht leicht, Sam ausfindig zumachen. Selbst als ich Diana bitte, mir bei der Suche zu helfen, brauchen wir einige Minuten, um ihn in dem riesigen Haus und den zigtausend Zimmern zu finden.
»Er sieht gar nicht betrunken aus«, murmelt Diana an meiner Seite und zieht erneut an ihrem Rock. Sie muss sich komisch fühlen, unter all den Schwarzgekleideten mit ihrem Blümchenrock. Da sie jedoch nicht erwartet hatte, aus dem Auto aussteigen zu müssen, war ihr die Farbwahl egal, was ich gut verstehen kann. Auch ich werde mehr als froh sein, aus dem Kleid raus zu können. Zum einen, weil ich Kleider nach wie vor verabscheue, zum anderen, weil ich schwarz für eine Zeit nicht mehr sehen kann.
»Können wir ihn nicht einfach hier lassen? Verdient hätte er es.«
Mit einem schiefen Blick bringe ich Diana zum Schweigen. Sie macht Scherze, das weiß ich. Wie schon erwähnt, ist Sam ihr nicht unbedingt geheuer, auch wenn sie erstaunlich viel gemeinsam haben. Wir könnten ein prima Dreiergespann sein, wenn nicht Dianas Argwohn wäre. Der vielleicht nicht unangebracht war.
Mit einem weiteren aufgesetzten Lächeln nähere ich mich Sam, der in ein Gespräch mit einem grauhaarigen Mann vertieft ist, den ich nicht kenne.
»Wir würden gehen wollen«, bringe ich möglichst fröhlich hervor und frage mich im selben Augenblick, wieso. Aus welchem Grund ich noch immer diese Maskerade aufrechterhalte. Niemand hier wird mich für meine wahre Stimmung verurteilen.
»Dann geh doch«, erwidert Sam umgehend, ohne mich direkt anzusehen. Stattdessen scheint er einen imaginären Fleck auf meinem Arm anzustarren. Eins der wenigen verräterischen Zeichen, dass er getrunken hat.
Sam ist kein übermäßiger Genuss-Trinker. Wenn er trinkt, dann weil er bewusst zu viel trinken will. Was nicht immer gut, aber seine Angelegenheit ist. Er ist alt genug, um seine Grenzen zu kennen. Normalerweise. Doch schon an seiner Wortwahl erkenne ich, dass der Punkt für ihn erreicht ist und dass das kleine halbvolle Glas in seiner Hand das nur verschlimmert.
»Wir wollen dich mitnehmen. Mein letzter Abend daheim, weißt du doch.« Klinge ich flehend? Vielleicht. Sehr wahrscheinlich. Wenn es um Sam geht, verliere ich meine Selbsterhaltung, weil er zur Familie gehört. In diesem Umfeld bin ich noch immer die verschüchterte Siebzehnjährige ohne Plan vom Leben.
Na ja. Das bin ich so oder so. Alter ist auch nur eine Zahl.
»Es ist dein letzter Abend in deinem Zuhause, was hab ich dabei zu suchen?«
»Sam, komm schon«, mischt Diana sich stöhnend ein und erscheint direkt hinter mir, »wir wollen alle nach Hause und das ist noch immer eine Trauerfeier. Kein Grund, dich abzuschießen.«
Sein Blick richtet sich direkt auf Diana und zum ersten Mal überhaupt scheint er wirklich sauer auf sie zu sein. Alkohol macht das aus Menschen.
»Misch dich nicht in eine Unterhaltung zwischen Kas und mir ein.«
Diana scheint überrascht über seine klare Aussprache, jedenfalls stockt sie einen Augenblick, bevor sie eiskalt zurück pfeffert: »Es ist eine Trauerfeier für ihre Familie. Zu der ich praktisch gehöre, seitdem ich ein Kleinkind bin.«
»Aber trotzdem war ich heute an ihrer Seite.«
»Das sieht man ja.«
Es ist wie ein Autounfall. Anders kann ich es schon wieder nicht beschreiben. Ich will nicht hinschauen, will nicht weiter mit anhören, wie sie sich angiften und stehe doch nur tatenlos daneben. Ich bin ein Feigling. Der seine besten Freunde liebt und nicht versteht, was für ein Problem Sam gerade hat.
»Immerhin verlasse ich sie nicht, um einer verpassten Chance als Vater nachzurennen.«
Diana besitzt eine laute Stimme. Sie kann Lieder trällern, die fernab meiner Stimmkapazität liegen. Sie kann einen ganzen Saal zum Verstummen bringen, wenn sie sich bemüht. Nur dass es jetzt kein Saal ist, sondern der Wintergarten unseres Familienhauses. Oder des Rain-Familienhauses.
»Diana«, stoße ich hervor, doch sie hört nicht auf. Sie hört einfach nicht auf zu reden.
»Du bist ihr bester Freund und auch wenn ich nie verstanden habe, wieso das so ist, habe ich es akzeptiert. Ich habe akzeptiert, dass sie dich durchfüttert, wenn du mal wieder scheiße bezahlt wirst. Ich habe akzeptiert, dass sie dich keine Miete bezahlen lässt, obwohl das ihr verdammtes Recht wäre. Ich habe nie etwas gesagt, als sie wie ein blindes Hündchen alles getan hat, was du wolltest und noch so viel mehr! Denn ich weiß, dass sie dich liebt und als beste Freundin unterstützt man einander, egal wie bescheuert der auserwählte Traumkerl auch sein mag.« Sie stoppt, für eine Sekunde vielleicht, um Luft zu holen und ich will dazwischen gehen. Wirble bereits herum, um sie zu packen und zu schütteln und zu fragen, was das soll, wieso sie hier gerade so eine Szene macht und mich blamiert und Papa in Gelegenheit bringt und die Feier zu Skyes Ehren unterbricht und –
Sie quatscht einfach weiter.
»Du bist ein verwöhnter Idiot, was deine Mutter nur bestätigen konnte. Du bist mit goldener Bettwäsche aufgewachsen und hast keine Ahnung vom wahren Leben, weil für dich immer alles einfach war. Bäh-bäh, du warst zu blöd, um zu verhüten und hast es dir leicht gemacht, indem Mami das für dich geregelt hat. Nur weil du jetzt scheinbar die letzten Jahre Versuchs-Papi gespielt hast, bist du noch lange kein Vater.«
»Diana!«, falle ich ihr endlich ins Wort. Meine Stimme ist so hart wie sonst nie und in meinen Adern lodert das Blut vor sich hin. Ich koche. Ich verbrenne. Ich verglühe. Auch wenn alles wahr war, was sie gesagt hat. Und ich sie dafür hasse.
»Du hast keine Ahnung, wer ich bin«, bringt Sam erstaunlich ruhig hervor, schaut dabei aber nicht Diana an. Sondern mich. Mit einem derart kalten Blick, dass ich mich gerne bei ihm abkühlen würde. Jetzt. Sofort. »Du bist nicht da, wenn Kassandra nachts weint oder nicht schlafen kann oder an sich selbst zweifelt. Du bist für all die Sonnenschein-Zeiten in ihrem Leben da, doch wenn es ernst wird, fliehst du.«
»Das soll kein Konkurrenzkampf werden!«, fahre ich dazwischen. Erneut fruchtet mein Versuch nicht. Diese Idioten hören mir nicht zu! Stattdessen taxiert Diana Sam und der wiederum mich.
Der grauhaarige Mann hat sich zwischenzeitlich aus dem Staub gemacht, wie ich erleichtert feststelle. Auch die anderen Gäste kümmern sich wieder um ihre Sachen. Gut so. Das hier muss wirklich nicht jeder mitbekommen, zumal ich nicht weiß, woher es kommt. Dieses Angefeinde. Natürlich waren meine besten Freunde sich nicht grün, aus den eben genannten Gründen. Sam fand schon immer, dass Diana mehr für mich tun könnte und Diana fand, dass er sich zu sehr in mein Leben einmischte, was ihrer Meinung nach nicht sein Recht war. Doch angeschrien hatten sie sich bisher noch nicht und schon gar nicht auf meine Kosten.
»Das könnte es auch nie werden«, spuckt Sam geradezu aus. »Du wirst dich immer für Diana entscheiden, immer sie verteidigen. Sie ist Familie, sie hat recht.« Was ...? »Aber Leo ist meine Familie. Wenn du nicht akzeptieren kannst, dass ich für sie einstehe, kennst du mich nicht. Und ich dich nicht.«
Was
Zur
Verdammten
Hölle
War
Das
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