#13
Tatsächlich lässt die erste Sinneskrise nicht lange auf sich warten. Was ich koche, steht außer Frage. Es wird Bestelltes geben. Sam kennt mich lange genug, um zu wissen, dass ich nicht kochen kann und auch nicht vorhabe, mich je sonderlich großartig in der Kochkunst zu betätigen. Das ist seine Leidenschaft. Solange ich in einer Großstadt lebe, in der es mehr Lieferdienste als Banken gibt, fahre ich gut mit meiner Koch-Weigerung.
Die wichtigere Frage besteht in der Wahl meines Outfits. Es soll nicht allzu offensichtlich werden, was ich mit diesem Abendessen beabsichtige, aber gleichzeitig muss ich auch zeigen, was ich habe.
Sind zumindest Dianas Worte.
Schlussendlich entscheide ich mich für eine dunkelblaue Bluse und einfache Jeans. Schmuck lege ich keinen an, bis auf die Kette mit dem Sichelmondanhänger. Sam hat sie mir zu unserem ersten Weihnachten als Mitbewohner geschenkt, um meinen Namen auf die Schippe zu nehmen. Oft trage ich sie nicht, ich will es ja nicht übertreiben. Doch heute erscheint es mir passend.
»Beim Chinesen und beim Italiener?«, kommentiert Sam meine Essensbestellung, als er nach Hause kommt. »Ich werde ja richtig verwöhnt.«
»Um die bösen Kommentare von vorhin wieder gut zu machen.« Ich grinse. Was ich selten tue. Ein Lächeln, ein Schmunzeln, das schon. Grinser sind meistens nur für Sam vorgesehen.
Er schnalzt mit der Zunge, verschwindet im Bad und bleibt anschließend mit gerunzelter Stirn vor dem Esstisch stehen, auf dem ich Besteck platziert habe. Auch der Wein ist schon eingeschenkt. Er hat seine Jeans gegen eine Jogginghose getauscht, was an normalen Abenden vollkommen okay ist, nur heute ...
Verdammt. Hätte ich doch offensichtlicher sein müssen? Hätte ich Sam klarere Ansprachen machen müssen? Wieso fällt es allen so leicht, nur mir nicht? Es ist ja nicht so, dass ich eine vereinsamte Jungfer bin. Es gab Jungs in meinem Leben. Nicht so viele, aber es gab sie.
»Seit wann essen wir nicht mehr vorm Bildschirm?«, bestätigt Sam meine Vermutung, dass er heute für einen Abend wie jeden anderen hält.
»Seitdem ich ein bisschen Stil hier reinbekommen möchte?« Ich versuche ein ernstes Gesicht zu machen. Bloß nicht verraten, wie enttäuscht ich bin. Von mir selbst. »Immerhin bin ich in wenigen Tagen eine gefeierte Autorin.«
Hoffe ich zumindest. Einen Tag vor Start der Lesung geht das Taschenbuch auf den Markt. Ich finde das Timing ein wenig unpassend, ich hätte die Tour weiter nach hinten verschoben, wenn mich ein paar Menschen schon kennen und Interesse haben. So begegnen sie einer für sie Fremden mit einer für sie fremden Geschichte. Bis auf die wenigen Menschen, die es bisher als ebook gelesen haben, zumindest.
Aber gut, das ist Sache des Verlags. Sie haben da die Erfahrung.
»Du willst also unser Niveau steigern, verstehe.«
»Zumindest von mir, stimmt.«
Sam schüttelt lächelnd den Kopf. »Du machst schon wieder weiter. Wenn ich es nicht besser wü- Moment, das tue ich. Kann es sein, dass du auf mich sauer bist?«
»Wieso sollte ich das sein?«, frage ich, als mein Handy zu klingeln anfängt. Gerade als ich es aus meiner Hosentasche fischen will, legt Sam mir eine Hand auf den Arm. Mir war nicht bewusst, wie nah wir uns tatsächlich stehen. Also rein physisch jetzt. Gerade. In diesem Augenblick.
»Lass das dumme Ding«, sagt er, eine Spur zu bissig für meinen Geschmack. Wie konnte die Stimmung so schnell kippen? Gerade war es noch ein netter Spaß zwischen Freunden ... »Rede mit mir. Wieso bist du wütend auf mich?«
Weil mir keine andere Wahl bleibt, lüge ich: »Bin ich nicht.«
Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihm nicht die Wahrheit sage, doch das erste Mal, dass es um etwas Wichtiges geht. Doch wie soll ich ihm klarmachen, dass –
Meine Gedanken werden von dem Klingeln des Haustelefons unterbrochen.
»Das funktioniert noch?«, fragt Sam verwundert und spricht damit genau meine Gedanken aus. Mir war nicht bewusst, dass es noch funktionsfähig und angeschlossen ist. Geschweige denn dass wir eine Nummer haben. Das sind Dinge, die für Menschen unserer Generation keine Rolle spielen.
Kurz darauf verstummt es wieder, doch aus irgendeinem Grund hat es eine Barriere errichtet. Oder so. Ich kann es nicht besser beschrieben, es fühlt sich nur seltsam an, davon unterbrochen worden zu sein. Im selben Moment greift Sam sich an seine Hosentasche und zieht sein Handy hervor, das lautlos vibriert.
»Dein Paps«, sagt er nüchtern, auch wenn er nicht glücklich über die Unterbrechungen sein kann, und hält es mir hin. »Ist vermutlich für dich.«
Gerade will ich zu einer Begrüßung ansetzen, da werde ich schon unterbrochen, kaum dass die Verbindung steht.
Er spricht viel, zu viele Worte kommen aus seinem Mund, bilden Sätze, die ich nicht verstehe. Papa ist nie so aufgebracht. Er redet nie so schnell. Das einzige, das sicher in meinem Bewusstsein wirklich ankommt, sind drei kleine Worte.
»Sie ist tot.«
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