#12
Schon seit längerem habe ich das Gefühl, dass mein Leben nicht auf den Punkt gebracht ist. Ich dümple so vor mich hin, voller unerfülltem Ehrgeiz, der in mir brodelt und nur einfach keinen Ausweg aus meiner zugeklebten Seele hat. Oder so. Darin, poetische Worte zu finden, war ich noch nie gut. Aber genau das ist es ja. Mir fehlt die Poesie meines Lebens. Ein jeder hat eine Aufgabe, ein Ziel. Etwas, auf das sie zustreben. Zumindest alle außer Diana und mir.
Mein Studium habe ich bis auf unbestimmte Zeit unterbrochen, viel genutzt hat es mir auch nichts bisher. Was will ich schon mit Sprachen anfangen, wenn ich sie nicht beruflich nutze? Der Traum von einem Beruf, in dem ich schreiben kann, hat sich schon lange erledigt. Journalistin ist nicht meine Berufung, das weiß ich. Werbetexterin noch weniger. Das Leben als Autorin teste ich zwar gerade aus, aber zum einen kann ich davon (noch) nicht leben und zum anderen bin ich mir über das »wollen« auch noch nicht so klar.
»Du hast eine Quarter-Life-Crisis«, lautet Sams vernichtendes Urteil, als ich ihn nach meinem überraschenden Friedhofsbesuch anrufe. »Kommt in den besten Familien vor«, scherzt er weiter.
»Eine was?« Ohne dass ich es aktiv steuere, bringen meine Füße mich zu einem der anderen MoonHour Cafés, die es in unserer Stadt gibt. Es sind nur zwei, aber das ist das Schöne an unserer Kette. Sie sind so rar gesät, dass man kaum glaubt, dass sie einer Kette angehören. Das Hauptmerkmal der Cafés ist die Familiarität.
Sam lacht, was sich durchs Telefon leicht blechern anhört. Er ist auf der Arbeit, um seine Kündigung zu besprechen.
Vielleicht klingt es trotz der neusten Technik unserer Handys so blechern. Vielleicht ist das aber auch nur mein Trotz und der Unglaube, dass er innerhalb einer Sekunde sein ganzes Leben auf den Kopf werfen konnte, ohne nochmal drüber nachzudenken.
Wieso sind alle Erwachsenen um mich herum viel erwachsener als ich?
»Du bist jetzt Mitte Zwanzig, Kas. Dir wird bewusst, dass du langsam ein Alter erreichst, in dem man etwas erreichen sollte. Einen Ehemann, Kinder, einen Beruf und und und.«
»Und?«
Ich sagte ja, sprachliche Karrieren sind vermutlich doch nicht meins.
Wieder lacht Sam, während ich das mittelgroße Café betrete und hinter der Theke Celine entdecke, die auch schon halb zum Inventar gehört, wie es mir scheint. Sie war Verkäuferin hier, da war ich noch ein Baby und wahrscheinlich wird sie es noch sein, wenn ich Kinder bekomme. Dabei ist sie nicht allzu viel älter als ich und definitiv jünger als Papa.
»Du fragst dich, was du mit deinem Leben anstellen sollst, nicht?«
»Tut das nicht jeder?«, kontere ich umgehend. »Fragen wir uns nicht alle, was aus uns werden soll?«
»Du hinterfragst aber sowieso schon alles.«
»Und du bist doof.«
»Ist das dein letztes Argument oder kommt da noch etwas?«
»Ich würde jetzt ‚Fick dich' sagen, aber das ist nicht gerade jugendfrei, neuer Daddy.«
Kurz stockt es in der Leitung, doch für keinen Moment habe ich das Gefühl, zu weit gegangen zu sein. Worin ich auch bestätigt werde, als ich Sams Prusten höre.
»Mir fehlen unsere Schlagabtäusche. Sollten wir wieder öfter machen.«
»Dafür müsstest du öfter Zuhause sein. In unserem.«
»Der saß jetzt unter der Gürtellinie.«
»Wenn du sonst nichts da unten hast.«
Sams Stimme wird leiser, doch noch immer lacht er. Auch auf meinem Gesicht hat sich ein breites Grinsen ausgebreitet.
»Herrje, Kas. Du bist heute sehr gut in Form. Einen Mann zu treten, der schon am Boden liegt.«
»Nun«, fange ich an und winke Celine zu, während ich einen Moment schweigend innehalte. Alles für die Dramaturgie. Gespräche mit Sam haben oft etwas von einem improvisiertem Theaterstück, in dem die Schauspieler perfekt aufeinander eingestellt sind. »Wir können das gerne bei einem Abendessen besprechen.«
»Nur wenn du versprichst, meine Männlichkeit nicht mehr zu zerstören und Witze darüber zu reißen.«
»Versprechen kann ich nichts«, entgegne ich und lege auf, bevor ein Protest auftauchen kann.
»Du siehst glücklicher aus, als ich nach einem Orgasmus«, herrscht Celine mich an, was wohl einer Begrüßung gleichkommen soll.
Der Kunde, der gerade mit Bestellen dran ist, schaut irritiert Celine an, ehe sein Blick auf mich fällt, als wolle er sich selbst davon ein Bild machen. Was ist nur mit den Leuten los?
Haben sie alle keinen Humor mehr?
»Könnten wir hier wieder etwas jugendfreier werden?«, kommt eine Stimme aus der Küche, die ich sehr gut kenne. Ich sagte ja, dass das MoonHour Imperium aus familiären Verhältnissen besteht. Natürlich haben wir auch Aushilfen und Mitarbeiter, die nicht so lange bleiben, aber zumindest hier, im Herzen unserer Kette, haben wir die längsten Mitarbeiter vor Ort. Und die Herzlichsten. Was ich erst zu schätzen wusste, als ich alt genug war, um unser Unternehmen überhaupt richtig wahrzunehmen.
»Jannik«, begrüße ich den besten Konditor, den die Welt je gesehen hat. Er steht in seinem Reich, der riesigen Küche hinter dem Café und ist am Summen, während er ... was auch immer tut. Vom Backen hatte ich noch nie eine groß Ahnung. Mehr von dem Verzehren der Backwaren.
»Kassandra.« Er wirft mir einen belustigten Blick zu. »Oder sollte ich Frau Moon sagen? Jetzt, da du reich und berühmt wirst und unser bescheidenes Etablissement dennoch aufsuchst?«
»Ich muss ja nachschauen, was meine Millionen so machen«, spaße ich weiter und ziehe mich zum Sitzen auf eine Anrichte hoch. Die Beine lässig in der Luft baumelnd beobachte ich Jannik, wie er einige Schritte von mir entfernt Teig ausrollt. Oder Fondant. Oder Marzipan, wenn man das denn ausrollen kann. Ich sag ja – ich habe keine Ahnung von sowas.
»Hast du keine wichtigen Pressetermine?«
Ein Kopfschütteln.
»Keine heißen, nicht jugendfreien Dates?«
Noch ein Kopfschütteln.
»Du bist ja noch genauso langweilig wie früher, Kass.«
»Kann ja nicht jeder ein so aufregendes Leben führen wie du.«
Was nicht untertrieben ist. Jannik ist erst 29, hat die Konditorreilehre erst vor drei Jahren abgeschlossen, die Ausbildung aber bei uns, im anderen MoonHour der Stadt, absolviert. Jap, wir bilden sogar die nächste Generation aus, was mir gar nicht so bewusst war. Mir war nicht einmal klar, dass das überhaupt geht, bis ich Jannik vor drei Jahren kennenlernte. Seither gehört er zu meinem Freundeskreis. So irgendwie. Ich bin froh, dass er mich nicht als das ansieht, was ich eigentlich bin. Die Tochter seines Chefs.
»Dein Paps war heute morgen auch schon hier.«
»Lass mich raten, noch vor Sonnenaufgang?« Würde zumindest sein frühes Auftauchen auf dem Friedhof erklären.
»Du kennst deinen Vater am Besten.«
Ja, das tue ich.
Einen Moment verharre ich in der Küche, die mir in den vergangenen Jahren sehr vertraut geworden ist. Nach meiner Entlassung aus der Klinik war ich ein wenig orientierungslos. Immerhin hatte ich das Abitur in der Tasche, mich an der Uni eingeschrieben, aber mein Sozialleben bestand nur noch aus Diana und Sam. Weg waren die »Freunde« aus der Schulzeit, die sich nie nach mir erkundigt hatten und die mir auch herzlich egal waren. Eine Beschäftigung musste her. Ein Ort, an dem ich mich sicher fühlte und der nicht Zuhause war.
So wuchs mir dieses Café ans Herz.
Jannik und ich sprechen eine Zeitlang über die Tour, bevor ich nach vorne gehe, um mir Frühstück zu holen. So langsam sollte ich mich auf den Weg machen, um einkaufen zu gehen. Und die Wohnung aufzuräumen. Und zu kochen. Zu duschen, mich herzurichten und eine Krise zu bekommen, weil ich nicht weiß, was ch anziehen soll. Typischer Mädchenkram eben.
Vorne jedoch bekomme ich direkt die nächste Ansprache gehalten. »Typisch, dass du wieder nur hinten warst.«
»Wir sehen uns doch viel häufiger«, verteidige ich mich halbherzig und klaube einen Cupcake von dem Präsentierteller, den Celine gerade auffüllt. Daran zu denken, dass hiermit alles angefangen hat. Mt einem kleinen Cupcake.
»Die Jugend.« Natürlich scherzt Celine, doch ich drücke ihr dennoch einen Kuss auf die Wange, auch wenn das das erste Mal ist, dass ich so herzlich zu ihr bin.
Gibt wohl für alles ein erstes Mal und aus irgendeinem Grund bin ich heute Morgen beflügelt, obwohl das skurrile Gespräch mit meinem Vater noch immer sticht.
Doch jetzt ist keime Zeit, darüber nachzudenken. Stattdessen muss ich Panik bekommen, denn ich habe kostbare Momente damit verbracht, mit Jannik über Belanglosigkeiten zu sprechen, statt mir Gedanken über heute Abend zu machen.
Herrje, ich.
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