#25
[A/N: Ihr merkt, dass ich häufig update ❤ Ich bin aber so gespannt, was ihr davon haltet. Und ich freu mich auf den kommenden Teil und es ist kurz vor Weihnachten und wah. ❤]
»Was machen wir jetzt?«
Ellas Haare stehen zu Berge. Wirklich, keine schriftstellerische Freiheit. Nach vier Fahrten im Kettenkarussell würde ich vermutlich ähnlich aussehen.
»Ich habe zwar Hunger, aber ich habe Angst, dich in die Nähe von Lebensmitteln zu lassen«, erkläre ich und ducke mich rechtzeitig, bevor sie mich erwischen kann.
Wir haben in den vergangenen Tagen eine ganz eigene Dynamik entwickelt, was vermutlich normal ist, wenn man auf engstem Raum 24 Stunden miteinander verbringt.
Es sind nur noch sechs Tage und gerade ist Dippemess, wie es bei uns heißt. Kirmes heißt es wohl für den Rest der Welt. Jonas hat es zu seiner neusten Aufgabe erklärt, jedes Fahrgeschäft auszutesten und Ella begleitet ihn, soweit es ihr möglich ist. Auch sie scheint Grenzen zu haben, was sie mir zumindest für den Moment menschlicher erscheinen lässt.
Ja, ich gebe es zu. Ich bin eifersüchtig und neidisch, was nur vom Prinzip her dieselben Dinge sind. Ella ist hübsch, klug, selbstbewusst, spontan und Jonas vergöttert sie. Sie ist die perfekte Romanheldin, von der ich früher immer geschrieben habe und von der ich wusste, dass ich niemals so sein könnte.
Scheiße, solche Gedanken stehen mir nicht. Sie lassen mich noch mieser dastehen als ohnehin schon. Immerhin darf ich nicht vergessen, dass Ella auch unter Dämonen zu kämpfen hat. Und ich nicht andauernd an sie denken sollte.
»Ihr könnt ja weiter tun, was auch immer ihr zu erreichen versucht«, erkläre ich nach einer Runde Riesenrad für die beiden und beiße vorsichtig von meinem Crêpe ab.
»Und du?« Jonas schwankt leicht, als er vor mir zum Stehen kommt und seine sonst so ordentliche Frisur hat einiges erleiden müssen. Seine Sonnenbrille hat er endlich weggelassen, was vermutlich nur an dem verschwindenden blauen Auge liegt, das nur noch bei genauster Betrachtung zu erkennen ist. Je mehr Zeit ich mit ihm verbringe, desto schöner wird seine Gegenwart. Was für mich als Ablenkung von meinen Gedanken anfing, ist zu einer Art Freundschaft geworden. Es gibt mir das Gefühl, jemand zu sein. Ich zu sein, kein gewolltes Püppchen, so wie alle es von mir zu verlangen scheinen.
Wer hätte je vermuten können, dass ich erst weglaufen musste, um anzukommen?
»Ich arbeite meine Liste ab. Außerdem will ich früher ins Hotel zurück. Schreiben.«
»Weißt du, es bringt -«, beginnt Ella, doch Jonas boxt ihr in die Seite, woraufhin sie sofort verstummt.
»Viel Spaß, Sandy.«
Allmählich gewöhne ich mich sogar an seinen blöden Spitznamen für mich.
»Ich kann nicht fassen, dass du zu mir gefahren bist.«
War auch nicht mein Plan, was ich ihr aber kaum erzählen kann. Großtante Penelope gehört zu dem engsten Familienkreis und somit ist sie ursprünglich ein rotes Tuch gewesen. Sie steht Papa zu nah, ist sie immerhin seine Mutter und somit biologisch gesehen meine Großmutter.
»Ich bin auf der Durchreise hier gelandet und dachte, wieso nicht«, schwindle ich und lasse mich auf ihrem schwarzen Sofa nieder.
Skye musste ich besuchen, ich wollte sie noch einmal sehen. Großtante Penelope aufzusuchen war eine spontane Aktion, die ich jetzt hoffentlich nicht bereuen werde. Eigentlich wollte ich wirklich schreiben, wie ich es Jonas und Ella erzählt habe. Ich hinke damit hinterher und das ist ein Projekt, das ich nicht irgendwann einmal beenden kann, das wissen wir.
»Da dich vermutlich alle auf dein Verschwinden ansprechen, schweige ich darüber.« Sie lehnt sich im Sessel vor, runzelt die Stirn und fragt: »Aber wieso warst du bei Lucian?«
»Ihr beide habt also noch Kontakt?«, stelle ich die Gegenfrage und grinse breit. »So ist das also?«
Sie öffnet den Mund und schließt ihn sofort wieder. Seitdem auch sie von uns fortgezogen ist, verbringt sie ihre Zeit wieder mehr mit der Fotografie. Großtante Penelope hat wohl schon ziemlich jeden Job ausprobiert, den es gibt. Papa nennt sie verträumt und hatte wohl lange Zeit Angst, dass Elisa das von ihr übernimmt. Oder noch schlimmer: Ich. Dabei sehe ich in Penelope das, was er zu übersehen scheint. Sie ist ein bisschen blauäugig, ja. Auch ein wenig unverbesserlich. Aber sie ist genauso ehrgeizig und entschlossen. Es gibt halt nur wenige Dinge, die ihre Aufmerksamkeit länger für sich beanspruchen.
»Du bist ganz schön frech geworden, Liebes.«
Und wieder. Nicht mein Name.
Ich nippe an meinem Kaffee und fahre den Tassenrand mit meinem Daumen nach. »Darf ich dich was fragen?«, murmle ich dabei. »Erzählst du mir etwas von Kassandra?«
Sie zögert keine Sekunde und ein kleines Lächeln erscheint in ihrem Gesicht. »Was willst du wissen? Bist du nicht schon vollgestopft mit Wissen über sie?«
Als ich mit »alles« antworte, lehnt sie sich in ihrem Sessel zurück, der ebenso schwarz ist wie die Couch. Großtante Penelope bevorzugt wohl einfaches Design, was im Gegensatz zu dem steht, was Papa immer erzählt hat.
Doch sie fängt an zu erzählen. Stunde um Stunde, bis die Sonne endgültig verschwindet und die Sterne auftauchen und weit darüber hinaus.
Ich erfahre von der schwierigen Kindheit im Hause Moon. Von Penelopes abwesendem Vater und der aggressiven Mutter, die Kassandra für ihre Homosexualität stets verachtet hatte. Von dem Kampf, das Café zu eröffnen und den tausend Überstunden, die Kassandra deswegen machen musste. Von all dem Schweiß und den Tränen, die es mit sich brachte, allein zu sein.
Zum ersten Mal höre ich, dass Kassandra Penelope zum größten Teil großgezogen und bemuttert hat, bis zum Schluss. Nicht zum ersten Mal jedoch höre ich von der Geschichte, wie Skye Nacht um Nacht ins MoonHour kam und sich meine Großmütter verliebten. Bis eines Tages Papa auf der Bildfläche erschien und das chaotische Leben der Moons noch mehr durcheinander brachte.
Unsere Familiengeschichte ist ... beeindruckend. Eigentlich höre ich sie gerne. Lausche gerne den Geschichten, wie es überhaupt dazu kam, dass ich geboren werden konnte. Welche Umwege alle Familienmitglieder nehmen mussten, welche Steine beiseite geräumt werden mussten.
Ich bin ein Teil davon, von dieser Geschichte. Es wird sie nicht beenden, das weiß ich. Das Moon-Andenken wird weitergetragen, es stirbt nicht mit mir aus. Das ist der einzige Trost, den ich aus diesen Geschichten entnehmen kann. Meine Familie wird mit meinem Ableben zurecht kommen, denn sie haben sich. Sie haben einander. Sie haben mehr, als ich jemals besitzen werde.
Penelope endet irgendwann abrupt und schweigt mich an, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Was sie nicht kann. Denke ich. Hoffe ich. Es wäre schräg, eine Gedankenleserin in der Familie zu haben.
»Du weißt, dass niemand von dir erwartet, dass du bist wie sie.«
Okay, noch grusliger.
»Ich habe mit deiner Mutter gesprochen. Ich weiß von eurem Streit und dass ihr seitdem kaum noch miteinander sprecht. Da werde ich dir nicht reinreden, du bist fast volljährig und wirst wissen, was du tust. Oder auch nicht.«
»Großtante Penelope, es ist alles in Ordnung. Mama und ich -«, falle ich ihr in den Satz, nur um wiederum von ihr unterbrochen zu werden.
»Lüg mich nicht an, das hast du nicht so gut drauf, wie du denkst.« Ihre Stirn ist in Falten geworfen. Ihre ganze Körperhaltung wirkt mit einem Mal viel zu angespannt.
Was wenn sie etwas ahnt? Was wenn sie mich nicht mehr gehen lässt? Was wenn ... Ich kann das nicht. Ich kann nicht mehr mit meiner Familie reden. Es tut mir zu sehr weh. Es wird ihnen wehtun, das weiß ich. Genau wie ich weiß, dass sie mich lieben, daran habe ich nie gezweifelt. Doch ich kann mich nicht mehr zusammenreißen. Ich kann nicht mehr funktionieren. Das Abitur zu machen, war anstrengend genug, mir jetzt einen Job zu suchen, ein Studienfach zu überlegen, einfach zu funktionieren ... Während die Dämonen in meinem Kopf mir sagen, dass ich es sowieso nicht schaffe. Dass ich nicht gut genug bin. Dass ich es nicht wert bin. Dass es kein Wunder ist, dass ich keine Beziehung führe, weil ich sowieso zu hässlich und zu nutzlos und zu dumm bin. Dass meine Mutter recht hatte, als sie Papa anschrie, dass ich ein seltsames Kind bin.
Dass ich einfach nicht auf diese Welt gehöre.
Ohne darauf zu hören, was Großtante Penelope mir noch sagt, stehe ich zu schnell von der Couch auf und verschütte den Kaffee. Was mich gerade herzlich wenig kümmert. Es hat sich ja auch nie jemand um mich gekümmert, nicht so wie es nötig gewesen wäre.
Manchmal glaube ich, brauchen die Leute ein Ventil. Um alles rauszulassen. Meins besteht darin, den Weg zum Hotel zu laufen, statt die öffentlichen Verkehrsmittel zu nehmen.
Frische Luft tat schon immer gut, um den Gedanken Einhalt zu gebieten und um meine Atmung zu regulieren.
Nachdem ich bei Penelope raus bin, muss ich erst einmal in einer Seitengasse stehen bleiben. Panikattacken sind und bleiben scheißige Arschlöcher und ich hasse es, dass sie mich nach wie vor im Griff haben. Dass sie mich überfallen.
Ein viel schlimmerer Gedanke erreicht mich. Ich drehe durch. Wegen nichts. Während Ella aus wer weiß schon welchen Gründen kämpft.
Ich bin erbärmlich.
Leicht außer Atem, aber mit ruhigem Kopf, betrete ich die kleine Hotelhalle, um meinen Schlüssel abzuholen. Da ich meistens ohne Handtasche herumlaufe, hinterlasse ich den Schlüssel stets an der Rezeption, besonders wenn Jonas alleine weiterzieht.
»Zimmer 132«, begrüße ich den jungen Mann und versuche mich sogar an einem Lächeln.
Pah, und Penelope sagt, ich sei keine gute Lügnerin. Anderen etwas vorzuspielen, ist doch meine zweite Natur geworden.
Er greift zum Regal hinter sich, ohne mir einen Blick zuzuwerfen. Etwas verwirrt schaue ich dann allerdings, als er einen Zettel dazu hervorzieht.
»Es hat jemand für Sie eine Nachricht hinterlassen«, sagt er monoton. »Ein Jonas möchte Sie bitten, ins Uniklinikum zu fahren, um nach Ella zu sehen. Er wurde verhaftet und macht sich große Sorgen um sie.«
Seine Stimmlage passt nicht zu dieser Nachricht. Vielleicht dauert es deshalb so lange, bis der Inhalt so richtig bei mir ankommt.
Was haben die beiden nur angestellt?
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