#22
»Du willst dich also umbringen.«
»Jap.«
»Und statt jemanden darüber zu berichten, begleitet dieser Kerl dich?«
»Jap.«
»Und du nimmst einen Wildfremden einfach mit?«
»Jap.«
»Wie bescheuert bist du eigentlich?«
Wenn sie das so sagt ... klingt es, als wäre ich ziemlich bescheuert. Was ich aber nicht bin. Oder? Nein. Es ist mein Plan. An Pläne muss man sich halten.
»Und du machst das einfach mit? Seit wann bist du so blöd?«
Seit wann ... Kennt sie Jonas etwa? Aber natürlich. Hatte es ja schon vermutet. Oder war das ... Seit wann dreht sich eigentlich der ganze Raum, wenn man aufschaut?
»Ist ja nicht so, als hätte ich eine Wahl gehabt.«
Er hatte keine Wahl?
»Du haust einfach ab und tauchst mit dieser schrulligen Kleinen wieder auf und hilfst ihr bei ihrer verdammten Selbstmordaktion?«
»Ich mag das Wort Suizid mehr. Es ist ja technisch gesehen kein Mord.« Versuche ich zu sagen. Was dabei wirklich aus meinem Mund kommt, ist alles, nur keinWort.
Ups.
»Du musst deinen Vater anrufen.«
»Ich will aber nicht.«
»Du musst. Du hast es versprochen.«
»Ich will aber nicht.«
»Sandy!«
»Ruf du ihn doch an, wenn du ihn so liebst.«
Es ist ja nicht so, als hätte ich noch nie getrunken. Wir waren schon oft genug feiern, um auch in Berührung mit Alkohol zu kommen. Mit viel Alkohol. Was mir beim Aufwachen das Gefühl gibt, als hätte die Kellnerin mir noch irgendetwas anderes in die Drinks gekippt. Unmöglich dass Alkohol allein dafür sorgt, dass es einem so schlecht gehen kann.
»Iss.« Wenn man vom Teufel selbst spricht. Oder denkt.
Mutig, wie ich bin, versuche ich meine Augen zu öffnen und erwarte blendende Helligkeit, wie meine Mutter das immer gemacht hat, wenn ich in der Nacht zu spät heimkam. Ab und an war ich eben nicht das perfekte Prinzesschen, das sich an alle Regeln hält. Dass ihr das nicht in den Kram gepasst hat, ist ja nicht verwunderlich.
Doch mein Hotelzimmer ist verdunkelt, wie wunderbar! Noch dazu liege ich in frischer Kleidung in meinem Bett, umgeben von lauter Kissen und Decken. Kein Wunder, dass mir zumindest körperlich nichts wehtut.
»Iss. Glaub mir, Pizza mit Knoblauch ist besser gegen den Kater als alles andere.«
Trotzdem kneife ich die Augen zusammen, um mir das enorme Pizzastück anzusehen, das sie mir hinhält. Es trieft nur so vor Fett und das ist eigentlich nicht besonders anziehend, doch sie ist Barkeeperin, sie ist die Expertin. Hoffe ich.
Wie konnte das nur passieren? Wie konnte ich es so weit kommen lassen? Ein Blackout! Ich! Natürlich wollte ich etwas erleben, aber direkt so etwas?
»Uns geht es gut, danke der Nachfrage.« Das Mädchen, dessen Namen ich gar nicht kenne, sitzt nach wie vor auf meinem Bett. Was, ihr erratet es gleich sicher, seltsam ist.
»Wo ist Jonas?«, murmle ich kauend und bin froh, dass mir nicht schlecht ist. Noch eine Kotzeinlage wäre zu viel. Viel zu viel.
Ich muss ihn fragen, ob Diana versucht hat, zurückzurufen. Ich muss wissen, ob ... Wozu, stoppe ich mich gleich selbst. Es spielt keine Rolle mehr.
»Er besorgt Kaffee. Ihm geht es ähnlich dreckig wie dir, ist es aber eher gewohnt.« Sie lehnt sich zurück und mir fällt auf, dass auch sie eine Sonnenbrille trägt, die sie allerdings als Haarreif benutzt. Was ist nur mit den Leuten los, die ich treffe? Wieso mischen sie sich in mein Leben ein und was haben sie alle mit Sonnenbrillen im Herbst?
»Mein Name ist übrigens immer noch Ella, falls du dich bei mir bedanken willst. Geht ganz einfach. Sag einfach 'Danke Ella, dass du dich um mich gekümmert hast, mit mir duschen warst und dafür gesorgt hast, dass meine Kotze nicht in meinen Haaren hängen bleibt. Danke dass du mit meinem Vater telefoniert hast und ihm gesagt hast, dass man sich um mich kümmert.' Ist nicht schwer.«
Bevor mein Gehirn ihre ganzen Sätze verarbeiten kann – ich bin auch nicht sonderlich stolz drauf, wie lange ich dafür brauche, geht die Tür auf und ein unglaublicher Geruch von Kaffee steigt mir in die Nase. Riecht es immer so verführerisch oder liegt das nur an meinem verkaterten Kopf?
Wie passend, dass Diana und ich uns beide einen Kater zugelegt haben. Ha ha.
»Nimm ihr ihre Freundlichkeit nicht übel, Sandy. Ella ist nur am Morgen so unausstehlich.«
Ella streckt ihm die Zunge raus und wenn ich bisher an ihrer Bekanntschaft Zweifel gehabt haben sollte, so werden diese jetzt begraben. Ich würde Jonas ja mit meinen Erkenntnissen über ihn überraschen, doch dafür fehlt mir gerade die geistige Fähigkeit. Vermutlich würde ich jetzt außer Gestammel nichts herausbekommen.
»Es sind nur noch 13 Tage«, sagt Jonas und irritiert schaue ich auf. Habe ich was verpasst? Wie kamen wir denn jetzt auf das Thema? Und ... Oh. OH. Habe ich tatsächlich Ella von meinem Plan erzählt?
Mein Gesichtsausdruck muss meine Gedanken widerspiegeln, denn sofort hebt Ella beschwichtigend einen Arm und schüttelt den Kopf. »Hey, ich hab dich nicht gefragt. Kann auch nichts dafür, wenn du im Vollsuff alles rausplapperst.« Sie dreht ihren Kopf zu Jonas, der nach wie vor mitten im Zimmer steht, die Kaffeebecher vor sich haltend. »Vielleicht doch besser, dass du dabei bist. Auch wenn ich deine Beweggründe nicht verstehe.«
Da sind wir ja schon zu Zweit.
Ich schlucke ein weiteres Stück Pizza hinunter. Was zur Hölle ist nur in mich gefahren. Ich brauche noch mindestens vierzig Stunden Schlaf, um damit klar zu kommen. Noch nie habe ich mich so sehr gehen lassen, dass ich sogar einen Filmriss hatte. Nie. Das war auch nicht mein Plan. Es ist schon gefährlich genug, dass Jonas mich kennt. Dass ich jetzt aus Versehen eine weitere Person eingeweiht habe, verkompliziert alles noch mehr. Zumal ich Ella nicht einschätzen kann. Überhaupt nicht.
Verdammt.
»Wann fahren wir weiter? Meinst du Suffnäschen kann in ein paar Stunden schon in einen Zug steigen?«
Moment. Moment. Moment.
Dass ich Suffnäschen sein soll, ist außer Frage. Doch wieso fragt Ella gerade ... Ich habe sie doch nicht etwa ... Oh verdammt. Betrunken bin ich noch ein größerer Volldepp als nüchtern.
»Ich hatte eigentlich nicht vor, ClubSuizid zu gründen«, werfe ich ein. Nicht dass sie gleich diskutieren, wie sie mich am besten vollends ausnüchtern.
Ella verdreht die Augen und lacht. »Keine Sorge, Jonas und ich werden uns vom Acker machen, bevor du dein letztes Ziel erreichst. Wir sind ja nicht so blöd und schauen dir zu, wie du dir eine Kugel gibst. Oder dich erhängst. Oder ertränkst? Du siehst aus, als würdest du dich vor Blut ekeln.«
»Aber -«
»Hey, sieh es mal so: Sollten deine Alten dich doch suchen lassen, wird die Polizei dich nicht in einem Dreiergespann vermuten, du bist bei uns also sicher. Zudem wir dir garantieren können, dass du Spaß haben wirst, versprochen.«
»Aber -«
»Glaub ihr, Sandy«, mischt Jonas sich ein und ich weiß, jegliche Gegenreaktion ist sinnlos.
Wie, verdammt nochmal, konnte ich es dazu kommen lassen?
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