#10
»Hast du wirklich geglaubt, dass dein Fehlen niemandem auffallen würde? Dass deine Eltern sich keine Sorgen machen, dass sie einfach ignorieren, dass du weg bist und warten, bis du irgendwann wieder auftauchst?«
Skye hat die Hände in die Hüfte gestemmt, was sie noch bedrohlicher aussehen lässt, als sie ohnehin schon ist. Papa hat manchmal von seiner Kindheit erzählt. Von der liebevollen Strenge, die Skye immer an den Tag legte. Dass sie diejenige war, die alle Kinder maßregelte, während Kassandra Senior ... sie verwöhnte.
Jonas sitzt still neben mir auf der quietschgelben Couch und sieht genauso unglücklich aus wie ich. Niemals habe ich gedacht, dass mich hier eine Standpauke erwartet. Skye und mein Verhältnis war immer gut. Wir verstanden uns bisher immer prächtig. Betonung liegt vermutlich tatsächlich auf bisher.
»Elias ist außer sich!«, wütet sie weiter, ohne sich zu bewegen. »Der Idiot gibt sich die Schuld, wenn es doch offensichtlich nur die einer kleinen Miss Abenteurerin ist, die die Welt erkunden möchte.«
»Ich -«, starte ich und weiß sofort, dass es unnütz ist. Ich werde hier nicht zu Wort kommen, bis sie fertig ist.
»Ich versteheden Drang, sich die Welt anzusehen, besonders nach dem Abitur, wenn man lange Jahre die Schulbank gedrückt hat.« Skye holt tief Luft und ihre Stimme wird um einiges ruhiger. So erinnert sie mich schon eher an die willensstarke Frau, die ich in Erinnerung habe. Die Frau, die mir immer ein Zuhause bot und die mich meistens besser verstand, als meine Eltern. Was auch nicht sonderlich schwer ist.
»Aber hättest du nicht mit ihnen darüber reden können? Oder mit Elisa oder Pennie oder Nora oder mir? Mit irgendeinem Erwachsenen?«
Hier ist ein weiterer springender Punkt. Natürlich bin ich von lauter Menschen umgeben, die ich liebe und die mich lieben. Ich erzählte es ja bereits, von meiner enormen Familie, die alles für mich tun würde und umgekehrt. Doch man kann sich dennoch vollkommen verloren fühlen, meist auch in der Masse.
Was nie jemand verstanden hat, war, dass ich mich nicht verstanden fühlte. Noch nie. Ich habe schon seit Jahren manchmal Tage, an denen ich es kaum aus dem Bett schaffe. Tage, an denen die bloße Existenz zu viel wirkt. Gerade an diesen Tagen würde ich gerne wissen, dass ich nicht allein bin. Dass ich dennoch gewertschätzt werde. Doch stattdessen kommen Seitenkommentare, die nicht einmal böse gemeint sind, aber wie fürchterliche Klingen in meine Haut stechen.
Ich solle mich nicht so anstellen. Ich sei nicht krank. Ich muss mich aufraffen. Lauter kleine Sprüche, die über die Jahre hinweg dafür sorgten, dass ich niemals zeigen konnte, wie es mir wirklich geht. Dass ich niemals zeigen wollte, was wirklich in mir vorgeht.
Was vermutlich zu meiner Entscheidung geführt hat. Denn wenn du niemals du selbst sein kannst, wieso dann überhaupt noch sein?
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