
10. Matterhorn
Da die Männer in Namche Bazaar zwei Tage zur Akklimatisierung verbringen wollten, führten Louis und Liam sie schließlich ein wenig durch die Umgebung.
Die Gruppe hatte sich für einen Besuch in dem Sherpa Cultural Museum entschlossen.
Bereits während der Expeditionsplanung hatte Louis dieses Ausflugsziel vorgeschlagen und die Männer hatten sich darauf geeinigt, die Entscheidung spontan zu treffen.
Harry spürte wieder dieses aufgeregte Kribbeln in seiner Magengegend - und er konnte auch Niall ansehen, dass er sehr gespannt auf den Besuch des Museums war.
Glaubte man den Worten von Louis und Liam, hatte man dort eine atemberaubende Sicht auf die höchsten Berge des Himalayas. Allen voran natürlich der Anblick ihres Ziels: der Mount Everest.
Harry und Louis liefen ein Stück hinter ihren Freunden, dicht beieinander.
Das blieb den anderen beiden Männern natürlich nicht unbemerkt.
„Die beiden scheinen einen wirklich guten Draht zueinander zu haben", bemerkte Niall. „Würde ich sie nicht kennen, hätte ich den Eindruck, als würden sie sich bereits ihr ganzes Leben lang kennen."
Liam grinste. „Den gleichen Gedanken hatte ich auch gerade", erwiderte er. „Schau dir nur mal an, wie dicht sie beieinander laufen. Fehlt nur noch, dass sie wieder Händchen halten."
Ein belustigtes Kichern drängte sich aus Niall's Brust. „Sie sehen beinahe aus, als wären sie ein Liebespaar."
Auch Liam konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Natürlich scherzten sie nur miteinander; und doch war er verwundert über die Tatsache, wie schnell Louis Vertrauen zu Harry gefasst hatte, denn eigentlich war er gar nicht der Typ Mensch dafür, sich anderen gegenüber schnell zu öffnen.
Er hatte schon viele Gruppen auf den Gipfel des Mount Everest geführt, doch Liam hatte noch nie erlebt, dass er sich mit jemandem so schnell so wahnsinnig gut verstanden hatte.
Aber es machte ihn froh zu sehen, wie sein Freund aufzublühen schien.
Er wirkte auf ihn viel entspannter als sonst.
Eine angenehme Atmosphäre herrschte in der Gruppe, und die tat allen vier Männern sehr gut.
Harry und Louis bemerkten nichts von den Blicken ihrer Freunde und waren so vertieft in ihr Gespräch, dass sie ihre Umgebung kaum wahrnahmen.
„Was ist damals eigentlich am Matterhorn passiert?", hakte Louis völlig unvermittelt nach.
Harry, der absolut nicht mit dieser Frage gerechnet hatte, sah sein Gegenüber einen Moment lang irritiert an. „Wie kommst du denn darauf?"
„Niall hat vor ein paar Tagen erwähnt, du hättest dich dort sehr verletzt", erklärte Louis, und dann schien auch Harry sich daran zu erinnern.
Sein Gesichtsausdruck wirkte auf Louis verlegen und er fragte sich, ob er das Thema besser nicht hätte ansprechen sollen.
„Das war einfach ein blöder Zufall", versuchte Harry die Situation herunterzuspielen.
„Zufall?", fragte er ein weiteres Mal nach, obwohl er sich doch eigentlich erst vor wenigen Sekunden vorgenommen hatte, das Ganze etwas sensibler anzugehen.
Harry seufzte. „Ich war damals mit Niall am Matterhorn, um durch die Nordwand zum Gipfel zu steigen", erzählte er schließlich widerwillig, versuchte allerdings, sich nichts anmerken zu lassen. „Ich wollte keine Zeit verlieren und bin zu schnell geklettert. Dabei bin ich abgerutscht und einige Meter in die Tiefe gestürzt. Nachdem die Bergrettung mich ins Krankenhaus gebracht hatte, wurde festgestellt, dass ich einen komplizierten Bruch an der Schulter hatte, der sofort operiert werden musste."
Louis sah den jungen Mann einen Moment lang völlig verdutzt an. „Und das nennst du eine Kleinigkeit?"
Niall, der mittlerweile etwas langsamer gelaufen war und ihr Gespräch mit einem Ohr mitgehört hatte, schüttelte verständnislos den Kopf. „Harry hat absolut kein Gefühl für Risiken."
Entnervt verdrehte Harry die Augen. „Du übertreibst."
„Deine ganze Schulter war zertrümmert."
Die Unterhaltung ließ auch Liam aufhorchen.
Verwundert sah er seinen Expeditionsteilnehmer an. „Und da kannst du noch bergsteigen?"
Die Situation war Harry unangenehm.
Eigentlich hatte er nicht weiter über den Vorfall sprechen wollen.
Immerhin wusste er ganz genau, dass der Unfall im Endeffekt hätte vermieden werden können, wäre er nicht so leichtsinnig gewesen. Er hätte auf Niall's Warnungen hören sollen.
„Naja, die Ärzte haben mir damals auch prophezeit, dass ich nie wieder zurück in die Berge könnte", antwortete er also und erinnerte sich mit einem kalten Schauer an den Krankenhausaufenthalt.
Er hatte Rotz und Wasser geheult, weil er geglaubt hatte, seine größte Leidenschaft für immer aufgeben zu müssen.
Immerhin hatte man ihm damals klar und deutlich gesagt, dass er nach dieser Verletzung in dieser Hinsicht wirklich schlechte Karten hatte.
Ganz abgesehen davon waren die Schmerzen kaum zu ertragen gewesen - genauso wie Niall's Moralpredigt. Dieser wusste als Arzt natürlich, was diese Diagnose bedeutete und dass der Zwischenfall, wie Harry den Unfall bezeichnete, absolut und zu hundert Prozent hätte vermieden werden können.
Bereits beim Aufstieg hatte er seinen besten Freund mehrfach ermahnt, sich mehr Zeit zu nehmen. Schließlich hatten sie keinen Zeitdruck und das Matterhorn war absolut kein einfacher Berg.
Ganz abgesehen davon war es natürlich egal, welchen Berg man besteigen wollte - man musste immer zu hundert Prozent konzentriert sein.
Eine leichtsinnige, viel zu schnelle Kletterweise konnte den Extremsportlern also ziemlich schnell zum Verhängnis werden.
„Wie hast du es denn dann geschafft, wieder fit zu werden?", riss Liam ihn aus seinen Gedanken, während er Harry ernsthaft interessiert anblickte.
Dieser zuckte seine Schultern und seufzte. „Ich wollte mich diesem Schicksal nicht beugen", erklärte er. „Nie wieder bergsteigen zu können war und ist für mich absolut unvorstellbar. Ich habe alles daran gesetzt, es irgendwie zu schaffen - was letztendlich auch geklappt hat."
„Hast du denn heute noch Schmerzen oder andere Langzeitschäden?", wollte Louis von ihm wissen.
„Kaum", gab Harry kopfschüttelnd zur Antwort.
Louis spürte, wie er automatisch anfing, zu lächeln.
Er war tatsächlich sehr fasziniert von Harry's geistiger Stärke, auch wenn er ihn in diesem Punkt vermutlich nicht in seiner Risikobereitschaft bestärken sollte.
Doch er konnte nicht anders.
„Tja", sagte er also und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter. „Der Wille kann bekanntlich buchstäblich Berge versetzen."
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Hallo meine Lieben und Willkommen im Wochenende!
Ich hoffe, ihr habt die Woche alle gut überstanden?🤍
Was sagt ihr zum neuen Kapitel?🤍
All the love,
Helena xx
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