4 - Im Garten
"Wie konnte das passieren!", kreischte Tante Ursula, sobald die Tür zu ihrem Zimmer zu war.
Die Wände waren dick und die Holztür sehr massiv, also fürchtete keiner, dass man sie hören würde.
"Warum hat der Fürst mit dir getanzt? Wie hast du das hinbekommen?", schrie Tante Ursula weiter.
Richard hatte nur das eine Mal mit Geza getanzt. Danach musste er sich um die anderen Gäste kümmern.
"Dass er sich gerade Gustel aussuchen musste!", zischte Hedwig am Fenster und löste ihre Frisur auf.
Geza blickte zu Boden und erzählte wie es war, nachdem sie sich genau überlegt hatte, was sie sagen sollte: "Als ich mir was zu Essen geholt habe, hat mich Gideon aus Maximilla bedrängt. Richard hat mir geholfen und hat dann gefragt, ob ich tanzen will."
Tante Ursula und ihre Tochter schauten verdrießlich. Geza hatte sich richtig verhalten, auch aus ihrer Perspektive. Sie haben nichts zu bemängeln! Genau das machte sie noch wütender.
"Hm", machte Tante Ursula und begann ihr Kleid auszuziehen.
"Soll ich?", fragte Egon und rieb sich den Handrücken.
Geza lief vorsichtig ein paar Schritte zur Tür.
Onkel Hinrich hielt ihn zurück: "Wir sind nicht Zuhause."
Geza konnte es kaum glauben. Zum ersten Mal folgte auf Tantes Geschrei kein Befehl von Onkel Hinrich und keine Schläge von Egon.
Man hatte bis spät in die Nacht getanzt und so begann der nächste Tag auch sehr spät. Das Anziehen verlief genauso wie am Tag vorher. Allerdings war diesmal kein Tanzabend sondern ein Festessen. Die Sitzordnung war streng hierarchisch. An einer langen Tafel, die quer in der Halle direkt vor der Treppe stand, saß in der Mitte König Elrik und seine Familie. Rechts und links von ihm hatten die vier Fürstenfamilien ihre Plätze. Im rechten Winkel zu dieser Tafel hatte man fünf weitere lange Tische platziert, daran saßen näher an den Fürsten die Ritter und weiter hinten die Verwalter. Wobei jede dieser Tafeln an den Platz des dazugehörigen Fürsten gestellt war. Geza und ihre Verwandten hatten ihren Platz mittig an ihrem Tisch.
Zuerst setzte sich keiner hin, auch der König nicht. Alle warteten auf jemanden. Dieser jemand kam endlich in die Halle reingeschlurft. Der Bischof erinnerte Geza sofort an ein großes Fass und an den Prediger in Kupferstrom, Pater Balthazar. Der Gastgeber und die Gäste nahmen ihre Plätze am Tisch ein, setzten sich aber noch nicht hin.
"Vielen Dank, eure Exzellenz, dass Sie zu uns stoßen", begrüßte König Elrik den Geistlichen.
"Danke für die Einladung", antwortete dieser und bekreuzigte sich, alle anderen taten es ihm nach.
Laut und deutlich hallte die Stimme des Bischofs durch die Halle, während er etwas auf Latein vortrug.
Das einzige, was Geza verstand, war: "Amen"
"Amen!", antworteten die Gäste, bekreuzigten sich noch einmal und setzten sich hin.
Auch der Bischof ließ sich am Rand der Fürstentafel nieder. Aus einer Nebentür traten Diener und servierten den ersten Gang.
Beim Essen bewegte sich Geza so vorsichtig, wie möglich. Ihre Haube drohte entweder in der Suppe zu landen oder die Tischnachbarn ins Gesicht zu treffen. So breit war sie.
Der König aß langsam und ließ seinen Blick über die Tische schweifen, als auch die letzten fertig waren, nahm er auch das letzte Stück in den Mund. Er erhob sich und alle anderen taten es ihm nach.
"Ich hoffe, es hat euch gemundet, meine lieben Gäste!", rief er mit seiner starken Stimme durch den Saal, "Eure Exzellenz, wollten Sie unser Mahl beenden?"
Der Bischof nickte langsam und würdevoll und er holte tief Luft. Wieder sagte er etwas, was Geza nicht verstand und darauf folgte ein "Amen!"
"Amen!", wiederholten alle anderen.
Der offizielle Teil des Abend war vorbei. Nun spazierten die Gäste durch die Halle und unterhielten sich. Wie Geza auch erwartet hatte, redete keiner mit ihr. Nur einmal kam Richard mit seinem Kameraden Wilhelm auf sie zu. Heute schaute er schon etwas freundlicher und lächelte Geza sogar zur Begrüßung zu.
"Gefällt es dir bis jetzt?", erkundigte sich Richard.
"Weiß nicht. Es ist sehr schön hier, aber so viele neue Gesichter", gestand sie.
"Warum sprichst du nicht selbst jemanden an?", wollte Richard wissen.
Geza zuckte ratlos mit den Schultern, sie traute sich einfach nicht. Wie sollte sie denn auf einen wildfremden Menschen zugehen und einfach anfangen mit ihm zu reden? Sie würde sich selber sonderbar vorkommen.
"Soll ich dich jemandem vorstellen?", fragte Richard. Doch Geza schüttelte den Kopf so intensiv, dass ihre Haube fast runterfiel, und dass obwohl sie sehr fest auf ihrem Kopf saß.
"Nein, ich weiß gar nicht, was ich ihnen sagen soll."
"Gut", sagte Richard.
Wilhelm gab ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen und flüsterte: "Du musst weiter!"
Richard verdrehte die Augen.
"Die Pflicht ruft", entschuldigte er sich und beide Ritter machten eine kleine Verbeugung und entfernten sich.
Geza ging ans Fenster und schaute durch die farbigen Fensterscheiben. Sie hatte sich ein Fenster ausgesucht, dass man von überall aus sehen konnte. Sie wollte nicht, dass ihr das gleiche wie gestern passierte. Allein die Erinnerung ließ sie erschaudern. Aber Richards Worte klangen nach: "Du hast gar nichts Falsches getan." Genau, sie hatte nichts falsches getan. Auch wenn sie gewohnt war, immer diejenige zu sein, die etwas versaut, hatte sie keine Zweifel mehr. Sie hatte in der Situation nichts Falsches getan!
Geza sichtete Richard, wie er mit Wilhelm zusammen von Gruppe zu Gruppe ging sich kurz unterhielt und sich dann auch verabschiedete. Die blaue Wolltunika mit dem Ledergürtel stand ihm sehr gut und passte farblich zu seinen Augen. Die weiße Hose bildete einen passenden Kontrast. Auch auf seinem Kopf saß eine Fürstenkrone, genauso wie die seiner Mutter.
Dieser Abend war für Geza eher langweilig, wenigstens hatte das Essen gut geschmeckt. Nachts musste sie sich in ihrem Gemach noch sehr lange von ihrer Base anhören, wie viele nette neue Bekanntschaften sie geschlossen haben und wie viel Spaß sie hatte. Der Monolog wollte gar nicht enden: "Ich habe mich mit drei Knappen unterhalten und sie waren alle aus verschiedenen Provinzen. Sie waren so höflich und freundlich zu mir! Ich denke ich habe es ihnen wirklich angetan. Die Verwalter hab ich schon aufgehört zu zählen..."
Inzwischen hoffte Geza, dass der nächste Tag zügig vorbeigehen würde und sie wie alleine in ihrer Kammer schlafen konnte.
* * *
Der letzte Abend war wieder ein Tanzabend. Allerdings war es warm und stickig in der Halle. Geza schwitzte furchtbar in ihrem Wollkleid und die muffige Luft bereitete ihr Kopfschmerzen. Langsam wurde ihr sogar schwindelig. Vorsichtig lief sie zur Tür, im Flur war es schon etwas kühler aber Geza sehnte sich nach mehr. Neben der Tür standen zwei Ritter.
"Alles gut bei dir?", fragte der eine.
Gezas nickte und meinte: "Alles bestens. Ich müsste nur an die Luft, nach draußen."
Der Ritter deutete die Richtung mit dem Finger an: "Den Gang, dann die Treppe runter und durch eine Holztür, dann bist du schon im Garten."
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, machte Geza kehrt und rannte durch den Flur. Auf die Frage des Ritters, ob den jemand mitkommen sollte, reagierte sie nicht. Sie wollte nur noch an die frische Luft. Auf der Treppe stolperte sie fast, aber sie schaffte es doch heil in den Garten.
Gierig saugte sie die kalte Herbstluft mit geschlossenen Augen ein. Stachelig fuhr sie durch Gezas Lunge, ein Windstoß schlug ihr ins Gesicht und riss ihr die Haube vom Kopf. Da sie aber alleine war, hob sie diese noch auf und genoss die Kühle. Die Hitze entwich in sekundenschnelle aus ihrem Kleid und ihr wurde sogar kalt, es war ihr aber egal. Ihr Kopf hörte endlich auf zu brummen und sie konnte wieder klar denken.
"Ich glaub mein Schwein pfeift! Du bist eine Fera!", hörte Geza plötzlich hinter sich. Sie drehte sich um. Richard stand mit aufgerissenen Augen und offenen Mund direkt hinter ihr, in der einen Hand einen Umhang und Gezas Haube in der anderen eine Laterne. Panisch legte sie beide Hände auf den Kopf und versuchte verzweifelt ihre Haare zu verstecken. Sie hatte die Haube unterwegs verloren! Was würde jetzt passieren? Der Fürst hatte ihre Haare gesehen! Das wovor ihre Tante und Onkel Angst hatten! Was würde jetzt passieren? Hoffentlich nichts Schlimmes! Was würde Richard dazu sagen? Richards Gesichtsausdruck änderte sich von Überraschung und Besorgnis.
"Du hast doch nicht etwa Angst? Brauchst du nicht", versicherte er und kam vorsichtig näher.
"Erzählen Sie das bitte nicht meinen Verwandten. Bloß nicht! Dann krieg ich richtig Ärger!", rief sie mit zittriger Stimme.
Richard war neben ihr angekommen und legte ihr den Umhang um.
"Werde ich nicht", beteuerte er, "Versprochen. Das Wort eines Ritters."
Sie setzten sich auf eine Bank, wo Geza ihren Atem etwas unter Kontrolle brachte. Die Sterne schaute blinzelnd auf sie herab, sie waren die einzigen Zeugen ihrer Zweisamkeit.
Geza streckte die Hand aus.
"Kann ich die Haube wieder haben?", fragte sie halblaut.
Richard reichte ihr die Haube und fragte: "Deswegen hattest du diesen komischen Hut an. Du hast richtig schöne Haare."
"Danke...", murmelte Geza verwirrt und verstaute ihren Zopf unter der Kopfbedeckung.
"Deine Verwandten! Echt merkwürdige Menschen, wenn du mich fragst...", kommentierte er, "Es ist aber doch schwierig eine Fera in Arbor zu sein."
Geza nickte und schaute plötzlich auf. Richard saß neben ihr. Er saß freiwillig neben einer Fera. Warum? "Richard, warum... sitzen Sie bei mir?", fragte sie mit zittriger Stimme.
Richard zuckte mit den Schultern: "Warum ich nicht entsetzt von dir wegrenne, ist wahrscheinlich die Frage. Liegt wahrscheinlich an meinem Onkel, er hat mir Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht. Und außerdem hat er mir vermittelt, dass man einem Menschen immer gut begegnen muss, egal wer er oder sie ist, vor allem, wen es gute Menschen sind."
Geza war dermaßen beeindruckt, dass sie eine ganze Weile nichts sagte. Als das Schweigen beklemmend wurde, stellte sie eine neue Frage: "Fe... wie haben Sie mich genannt?" Sie hatte diesen Ausdruck heute zum ersten Mal gehört.
Jetzt war Richard an der Reihe verwundert zu schauen. "Fera. So nennt Menschen mit zwei Haarfarben und der Fähigkeit mit Tieren zu reden. Wusstest du das nicht?"
Geza schüttelte den Kopf und erklärte: "Ich wohne seit ich vier bin bei der Familie meiner Tante. Die haben mir zuerst erzählt, das seien die Folgen einer Krankheit, die ich als kleines Kind hatte. Irgendwann habe ich es dann doch rausgefunden."
"Wie das? Erzähl! Wenn du willst, natürlich", Richard rutschte ein Stück näher.
Geza erzählte gerne, noch nie hatte sie mit einem anderen Meschen darüber sprechen können. Noch hatte es einen anderen Menschen richtig interessiert. Als sie fertig war schaute sie in das begeisterte Gesicht ihres Gegenübers.
"Das ist so... wunderbar!", rief er, "Du kannst mit Eulen reden?"
Geza nickte.
"Was wissen Sie noch über Fera?", fragte sie Richard.
Er schaute überlegend in den mit Himmel, gemächlich schob sich eine dicke Wolke über die Sterne.
"Nicht viel", gestand er, "Nur, dass sie zwei Haarfarben haben und mit Tieren... einer Tierart reden können. Ich könnte aber meinen Onkel fragen. Er kann bestimmt was rausfinden"
"Wer ist denn dein Onkel?", Geza wurde neugierig.
Wer war er, dass er über solche Wissensquellen verfügte?
Richard leuchtete fast vor Stolz, als er sagte: "Mein Onkel ist Pfarrer in der größten Kirche in der Eichenfeste, Pater Bonifatius heißt er. Was machst du da für ein Gesicht?"
Geza hatte sich etwas weggedreht, damit Richard ihr schiefes Lächeln nicht sah.
"Ernsthaft? Sie fragen einen Prediger?", fragte sie nach und versuchte gar nicht den Sarkasmus zu verbergen.
"Was hast du gegen Pater Bonifatius? Du kennst ihn nicht einmal!", Richard klang sogar leicht empört.
"Gegen Pater Bonifatius hab ich nichts, aber bis jetzt haben Prediger mich nur in Schwierigkeiten gebracht!", erklärte Geza und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Wie das?", wollte Richard wissen und sie nahm Verständnislosigkeit in seiner Stimme wahr.
Sie drehte sich wieder zu ihm und erzählte leicht aufgebracht: "Am Tag, an dem ich erfahren habe, dass ich mit Eulen reden kann, musste ich auf dem Dachboden schlafen, weil unser Dorfpfaffe meine Beichte an meine Tante weitergesagt hat!"
Richard sagte gar nichts. Er saß auf der Bank und schaute in Leere.
"Das ist... echt nicht in Ordnung!", man konnte die Wut in seiner Stimme fast riechen, "Darüber werde ich mich auch mit Pater Bonifatius unterhalten."
Geza zuckte zusammen.
"Ich möchte wegen dem alten Pfaffe nicht noch mehr Probleme bekommen!", flüsterte sie.
"Der Einzige, der hier Probleme bekommt, ist euer Dorfprediger!" Richards Stimme klang so bestimmt, das Geza sich gar nicht den Mut aufbrachte, um ihm zu widersprechen.
Geza versuchte das Thema zu wechseln: "Wie will er denn was über Fera herausfinden?"
"In dem Franziskanerkloster zehn Meilen von der Eichenfeste entfernt gibt es eine riesige Bibliothek mit Chroniken aus der alten Zeit. Da steht alles über Arbor drin. Über Fera findet man bestimmt auch was. Inzwischen interessiert es mich auch!"
Richard atmete durch und war wieder guter Dinge. Noch eine Weile blieben sie nebeneinander sitzen.
"Wie wollen Sie mir denn von deinen Erkenntnissen berichten?", fragte Geza kleinlaut nach.
"Ich schreibe dir einen Brief. Du kannst doch lesen?", wollte er davor noch wissen.
Geza nickte lächelnd: "Und sogar schreiben."
Richard musste lachen und ließ seine fast geraden und gesunden Zähne blicken.
Als er sich wieder beruhigt hatte, bot er Geza seinen Arm an: "Komm, Geza, wir sollten jetzt zurückgehen, bevor wir vermisst werden oder uns hier jemand sieht. Ist dir wieder gut? Wenn nicht, bleiben wir noch."
Geza war es inzwischen schon besser geworden. Ihr Kopf drehte sich nicht mehr und sie fühlte sich bereit, wieder in die Halle zu gehen. Zusammen gingen sie die Treppe wieder hoch. An der Tür zum Gang angekommen ließ sie Richard los und sie machte einen Knicks.
"Danke für Ihre Freundlichkeit, Herr... ich meine, Richard"
Auch Richard machte eine Verbeugung und antwortete: "Deine Gesellschaft war mir eine Freude. Und noch etwas. Das Treffen im Garten bleibt unser kleines Geheimnis. Ehrenwort?"
"Ehrenwort!", versprach Geza und ging vor. Wenn sie zusammen in den Saal treten würden, dann wüssten die Leute, dass sie zusammen waren. Alleine zusammen waren.
In der Halle wurde sie sofort von Tante Ursula empfangen.
"Wo zum Kuckuck warst du? Wir haben dich nicht finden können! Hedwig musste ihre Frisur richten und du warst nicht da, um zu helfen!", flüsterte sie mit ihrer schrillen Stimme direkt in Gezas Ohr.
Schreien, wie sie es gerne tat, konnte sie unter den vielen Leuten nicht.
Geza war bis jetzt nicht klar gewesen, dass man schrill flüstern konnte, doch sie blieb, wie immer, ruhig und antwortete: "Mir war nicht gut. Ich bin in den Garten frische Luft schnappen."
Von der anderen Seite tauchte wie aus dem Nichts Hedwig auf: "War der Fürst auch im Garten? Er ist nach dir aus der Halle getreten."
Sie hatte den Kopf schiefgelegt und schaute Geza forschend ins Gesicht.
Diese entspannte ihre Züge und antwortete in möglichst ruhigen Ton: "Wenn er im Garten gewesen ist, dann habe ich ihn nicht gesehen."
Hedwig ließ ihren unangenehmen Blick noch eine Weile auf ihrer Base ruhen und stolzierte dann ohne weitere Kommentare davon.
In ihrer letzten Nacht am Buchenhof lag Geza auf ihrer Strohmatratze und dachte über Richard nach. Zum ersten Mal fand ein Mensch ihre Haare und ihre Fähigkeit schön. Bis jetzt hatten Menschen deswegen, naja... Im Grunde brachte das die Menschen zum Fürchten. Jetzt wo Geza darüber nachdachte, hatten auch ihre Verwandten vor etwas in ihr Angst, auch wenn sie es geschickt unter Unfreundlichkeit verbargen. Richard hatte sich auch bereit erklärt mehr über Fera herauszufinden. Für sie! Ja, seine eigene Neugier schwang da bestimmt mit, aber trotzdem, er tat es für sie! Überhaupt war er der erste Mensch, der wirklich lieb zu ihr war, abgesehen von den eigenen Eltern. Jeden Abend ist er selbst auf sie zugekommen und hat sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigt. So viel Aufmerksamkeit war sie gar nicht gewohnt, es gefiel ihr trotzdem, dass sich jemand für sie interessierte. Sich aufrichtig interessierte. Das hatte Geza in seinem aufmerksamen Blick und seiner zugewandten Körperhaltung gelesen. Das war ganz sicher nicht gespielt. In all den Jahren auf dem Gut Kupferstrom hatte sie gelernt zu unterscheiden, wann eine Handlung, eine Äußerung oder sogar eine Emotion aufrichtig und wann gespielt war. Das, was sie bei Richard gesehen hatte, war durch und durch ehrlich und aufrichtig, das konnte nicht vorgemacht sein.
Auch die einsame Zweisamkeit im Garten hatte ihr mehr gefallen, als sie sich hätte ausmalen können. Beim Reden mit ihm fühlte sie sich frei, sie musste nicht auf ihre Wortwahl oder Formulierungen achten, wie bei ihren Verwandten. Bei Richard konnte sie frei ausdrücken, was sie dachte und fühlte. Dabei hatte sie keine Angst, dass sie seinetwegen in Schwierigkeiten geraten könnte, das wusste sie einfach. Sie glaubte fest an sein Ehrenwort. Sie umarmte das Kissen, auf dem ihr Kopf bis jetzt geruht hatte, und schloss verträumt die Augen. Wie wäre denn wohl, ihn zu umarmen? Neben ihm oder an seiner Brust zu liegen... Seinen Herzschlag zu hören... Seinen Körpergeruch in der Nase zu haben... Geza war von sich selber überrascht. Nie hätte sie gedacht, dass sie zu solchen Phantasien fähig war. Sie öffnete die Augen wieder, starrte in die Dunkelheit und zog scharf die Luft durch die Nase ein.
"Kannst du mal still sein!", flüsterte Hedwig ihr von der anderen Seite des Zimmers zu, "Hier wollen Leute schlafen! Morgen ist die Rückreise!"
Stimmt, es ging wieder nach Kupferstrom. Auch wenn Geza keine neuen Leute kennengelernt hatte, war sie dennoch zufrieden mit der Reise. Erstens, hatte sie Richard wiedergesehen und in Ruhe mit ihm geredet. Außerdem war das ihre erste Reise überhaupt, und das auch noch in die Hauptstadt von Arbor! Das waren so viele Eindrücke, dass es noch eine Weile dauern würde, bis sie alles verarbeitet hatte. Sie musste jetzt aber wirklich schlafen. Am nächsten Tag begann die Rückreise und Geza wollte ausgeruht sein. Die Magd neben ihr zuckte auf einmal im Schlaf zusammen. Geza freute sich auf ihre Kammer neben der Treppe.
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