Kapitel 11
Malia
Deine Schwester.
Dunkelrote Schlieren krochen bei der Erwähnung von Josy in mein Blickfeld, das sich langsam verengte und auf den Dämonen vor mir konzentrierte.
Eine leise Stimme in mir schrie mich an, mich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sicher gäbe es eine logische Erklärung, wie zum Beispiel seine Gedankenleserei. Und natürlich schrie sie auch, um mich vor den Schmerzen zu schützen, die mit der Benutzung der Kräfte kommen würden.
Doch ich verdrängte sie, verdrängte diese Gedanken aus zwei Gründen.
Erstens hatte ich das Gefühl, dass Joris nicht von meiner Schwester wusste, weil er meine Gedanken gelesen hatte. Und meiner Intuition konnte ich eigentlich immer vertrauen.
Zweitens, weil die Schmerzen dieses Mal erstaunlicherweise ausblieben.
Dafür spürte ich, wie es in meinem Inneren immer heißer wurde. Mein Herz pumpte das Blut schneller durch meinen Körper, meine Adern und Venen traten deutlicher unter meiner Haut hervor, die Magie bereit dazu, von mir genutzt zu werden.
Gegen Joris, den unser Gespräch, das als Rauschen an mir vorbeigezogen war, anscheinend nicht berührt hatte.
Langsam begann ich, die restlichen Stufen hinunterzusteigen, und spürte, wie sich meine Magie wie ein roter Schleier um mich legte, meine Haut zum Schimmern und meine offenen Haare zum Schweben brachte.
Meine Füße trafen auf schwarzen Marmor, und nun trennten mich nur noch drei Meter von Joris, der immer noch nicht vor mir zurückgewichen war.
»Malia – hör mir zu. Bitte, ich flehe dich an, lass es mich erklären.«
Tränen verschleierten meine Sicht und ich hob meine Hände. Nicht, um sie wegzuwischen, sondern um die Magie in meinen Fingerspitzen zu sammeln.
Und sie in Joris Richtung zu stoßen.
Ich stolperte selbst einen Schritt zurück, als brüllende Hitze meinen Körper umspielte und nach vorne schoss, direkt auf den Mann vor mir zu, der dem heißen Magiestrom jedoch keine Beachtung schenkte. Er stand wie ein Fels in der Brandung dort, und blickte mir durch das rote Wüten in die Augen, die wie ein Spiegel seiner eigenen waren.
Eines schwarz, eines blau, und beide schimmerten von unvergossenen Tränen. Was mich nur noch wütender machte.
Er hatte nicht das Recht, traurig oder enttäuscht zu sein. Das stand in diesem Moment ganz alleine mir zu.
Ich schloss meine Hände zu Fäusten, und der Strom um mich herum versiegte abrupt.
Erleichtert ausatmend kam Joris näher, und ich ließ ihn an mich herankommen.
»Malia, ich – ich wollte nicht, dass du es so erfährst. Deine Schwester und du, du weißt, ihr wart, seid, etwas ganz Besonderes.«
Er stand nun ganz nah vor mir, versuchte, meine Reaktion abzuschätzen.
Also tat ich ihm den Gefallen, und reagierte deutlich. Meine Hände legten sich auf seine Schultern, und ich kanalisierte Magie aus meinem Blut direkt in ihn hinein.
Joris stöhnte vor Schmerz auf, wollte sich an meinen Armen festklammern, doch sobald er den roten Schleier berührte, zischte seine Haut und begann, Blasen zu werfen.
Schnell zog er die Hände zurück, sank jedoch im selben Zug zu Boden, weil er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.
Meine Kraft floss ungehindert in seinen Körper hinein, durchbrach den letzten Widerstand, eine schwarze Mauer seiner unglaublichen Macht, die sich vor ihr aufbaute, und schlang sich um Joris Seele, um sich seine Sünden zu holen. Und somit auch sein Leben.
»Malia«, keuchte Joris und hob seinen Blick. Silberne Tränen flossen über seine Wangen, tropften von seinem Kinn.
Seine Seele trat aus seinen Augen und fand ihren Weg auf meine Hände, wo sie sich leise zischend ihren Weg durch meine Haut in meine Blutbahn bahnte.
Dieser Anblick brachte mich zur Besinnung, und sofort stolperte ich erschrocken zurück.
Ohne meine Hände an seinen Schultern kippte Joris nach vorne, konnte sich jedoch noch mit den Armen abfangen. Sein Körper wurde von schweren Schluchzern geschüttelt, wobei sich eine kleine, silbern schimmernde Pfütze vor ihm bildete.
»Joris – ich – es tut mir so leid«, flüsterte ich und sank ebenfalls auf die Knie, mit etwas Abstand zu ihm, um mit meiner Berührung nicht erneut Schmerz auszulösen.
So weit hatte ich das nicht nochmal kommen lassen wollen. Nach dem Tod von Josy hatte ich mir geschworen, meine, unsere, Kraft nie wieder dafür zu benutzen, jemandem seine Sünden, und somit einen Teil seiner Seele auszusaugen.
Apropos, Joris erste Seelentropfen wanderten immer noch durch meine Venen, direkt zu meinem Herzen. Und ich wusste, sie ließen sich nicht mehr aufhalten.
»Ich - Es tut mir so leid. Ich wollte das nicht, du musst mir glauben, ich verliere die Kontrolle normalerweise nicht.«
Jedenfalls nicht mehr.
Der Dämon schüttelte schwach den Kopf. Er atmete immer noch schwer, aber wenigstens waren die Tränen versiegt.
Langsam schob er seine Hand zu dem Wasser-Seelen-Gemisch vor ihm, als ob er sich die verlorenen Stücke zurückholen wollte.
Mein Herz blutete bei diesem Anblick, denn ich wusste, dass das unmöglich war.
Als jedoch sein kleiner Finger die Pfütze berührte, wurde diese kleiner und verschwand durch seine Haut in ihn hinein.
»Du – du solltest das nicht können. Es sei denn – Verflucht.«
Ich wandte mich von ihm ab. Scheiße. Er war also nicht nur ein Dämon. Er war DER Dämon.
Er hatte mir also noch eine weitere Lüge aufgetischt.
Hinter meinem Rücken hörte ich ihn erneut durchatmen, während mein Gehirn alles zu verarbeiten versuchte, was in den letzten Minuten passiert war. Leichter Schwindel ergriff mich, da es mir nicht so gut gelang.
»Malia, ich – es tut mir so verdammt leid«, waren die ersten Worte, die er keuchend hervorbrachte.
Natürlich. Natürlich entschuldigte er sich, nachdem ich ihn beinahe umgebracht hatte.
»Ich – ich weiß gerade nicht, was ich sagen soll, Joris. Du – du hast mich angelogen. So oft. Über alles«, fasste ich meine wirren Gedanken zusammen.
»Ich erkläre dir alles. Versprochen. Frag mich alles, was du willst, und ich antworte ehrlich. Ich lüge dich nie wieder an, Malia. Nicht, wenn das bedeutet, dass ich erneut so kurz davorstehen werde, dich zu verlieren.«
Fassungslos wandte ich mich zu ihm um.
»Du - du bist nicht wütend, dass ich versucht habe, dir die Seele auszusaugen?«
»Wie könnte ich.« Ein bitteres Lachen entkam ihm, und er schüttelte den Kopf. »Das war absolut verdient.«
»Verdammt, war es nicht. Wie kannst du so etwas sagen?«, fuhr ich ihn erstickt an.
Damit redete er nicht nur sich selbst, sondern auch mich klein. Nur war ihm das nicht bewusst, denn in seinen Augen stand nichts als Schmerz.
Kein körperlicher Schmerz, nein.
Seelischer, tiefgehender, alles zerstörender Schmerz, wie auch ich ihn immer spürte, wenn ich an meine Zwillingsschwester dachte.
Den ich jedes Mal in meinen Augen sah, wenn ich in den Spiegel sah. Weshalb ich das vermied.
Und, natürlich, um nicht in Josys Augen zu sehen.
Doch so einen Schmerz sah ich normalerweise nur bei mir – Joris musste ihn tief versteckt haben. Tiefer als alles andere. Hinter einer dunklen Mauer aus Macht, die nicht durchbrochen werden konnte. Doch ich hatte ihn soeben trotzdem zurück an die Oberfläche geholt.
»Ich – es tut mir leid. Diese ganze Situation tut mir so verdammt leid«, brachte er erstickt hervor, während erneut Tränen in seinen Augen schimmerten, und er schnell den Blick senkte.
In seinen verschiedenfarbigen Augen. Keine zwei schwarzen, die ich normalerweise in seinem Gesicht sah.
Joris hob schnell den Kopf, Panik überschattete jedes andere Gefühl, sogar den allumfassenden Schmerz.
Er wusste, dass ich es wusste.
Denn jetzt kam die Erkenntnis endgültig bei mir an.
Joris war der Teufel. Und auch das hatte er mir nicht gesagt.
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