2. Kapitel
Auch wenn er immer nervig war, hat er immer das richtige gemacht. Er hat sich immer um seine kleineren Geschwister gekümmert wenn seine Eltern nicht da waren. Aber das er so etwas tun würde, dass hätte ich nicht einmal von ihm erwartet.
Das Bild welches sich mir bot, war schrecklich. Aaron und ein paar seiner Freunde und zwei Soldaten, standen vor einer Gruppe Männer die auf dem Boden knieten und den Boden schrubbten. Die Männer hatten ihnen nichts getan!
"Das sind Juden", flüsterte Marie mir zu als ob diese Tatsache alles erklären würde.
"Na und?! Das ist doch völlig egal oder? Lass sie eben glauben was sie glauben, sie tun uns doch auch nichts", flüsterte ich entrüstet zurück. In diesem Moment hob Aaron seinen Kopf und sah mich an. In seinen Augen konnte ich so viele Gefühle auf einmal erkennen, dass es mich fast umwarf. Zum einen Verachtung denen gegenüber die dort kniete, zum einen Verzweiflung über seine Tat, denn er wusste das es falsch war. Er wusste genau was er tat war falsch. Und doch tat er es, für was? Für Anerkennung? Für Macht? Das alles konnte er auch ohne diese grausamen Taten haben. Er wollte es nur nicht. Er wollte zu den Überlegenen gehören. Er wollte zu den beliebten gehören. Selbst wenn die beliebten allesamt grausam, gemein und selbstverliebt waren. Denn genau das, dass wusste ich jetzt, war er auch. Ich dachte nie das er jemals so grausam sein konnte doch er hatte es mir gerade bewiesen.
Doch was konnte ich schon dagegen tun? Ich war doch nur ein unscheinbares Mädchen welches nicht dafür war. Allerdings konnte ich nicht still sein. Ich konnte nicht. So sehr ich es auch versuchte, diese Menschen so leiden zu sehen machte mich fertig. Abrupt drehte ich mich um und ging davon. Ich wollte nicht länger Zeuge dieser Tat sein. Und doch, irgendetwas ließ mich umkehren. Ich ging zurück doch stellte mich nicht neben Marie, die wahrscheinlich noch nicht einmal bemerkt hatte, das ich verschwunden war.
Langsam und bedacht setzte ich einen Fuß vor den anderen als ich die kleine Gruppe, welche sich um die Juden gebildet hatte, herum. Als ich schließlich hinter Aaron stand, fasste ich allen Mut zusammen und tippte ihm von hinten auf die Schulter. Erschrocken drehte er sich um und sah mir in die Augen. Wieder konnte ich einen Hauch von Verzweiflung sehen und wenn ich jetzt darauf zurückdenke glaube ich er wollte es wirklich nicht. Er hatte es einfach satt, nie dazu zu gehören.
"Wieso tust du das?", fragte ich ihn flüsternd. Lauter als erwartet antwortete er:" Weil sie Juden sind! Sie gehören nicht dazu. Sie sind minderwertig!" In diesem Moment drehten sich alle Nazis zu uns um.
"Nur weil sie glauben? Nur weil sie an einen Gott glauben? Deswegen? Denn wenn ihr das", ich deutete auf die Männer, "wegen ihren Glauben macht, dann gehöre ich genauso auf die Straße." Ich weiß heute noch immer nicht woher ich diese Worte und diesen Mut hatte doch ich fühlte mich nach diesen Worten frei.
Plötzlich wurde ich geschubst und gestoßen und landete schließlich neben den Männern. Die Jungen drückten mir einen Waschlappen in die Hand und grölten und lachten.
"Mal sehen wie gut du das kannst", lachte einer. Entmutigt ließ ich meinen Kopf hängen. Sie hatten recht gehabt. Ich hätte niemals etwas sagen dürfen. So hatte ich meine gesamte Familie in Gefahr gebracht. Ich war doch erst 15. Doch hier in dieser Zeit geht es nicht um das Alter. Das Alter ist ihnen völlig egal. Es geht nur darum jemanden zu demütigen. Sich über jemanden zu stellen, damit man nicht das Gefühl hat der Letzte Dreck zu sein. Denn im Grunde waren sie der Abschaum und nicht wir, die am Boden knieten und hofften den morgigen Tag zu erleben. In diesen Minuten verstand ich das erste Mal was in diesen ganzen Büchern mit der Todesangst beschrieben wird. Der Moment wenn sich in einem alles zusammenzieht und man denkt man könnte nicht mehr atmen. Schließlich, ich weiß nicht wie lange wir dort saßen und immer dieselbe Stelle der Straße malträtierten, zerrten sie uns auf und trieben uns die Straße hinunter. Es war ihnen egal ob jemand stolperte oder sich den Fuß über knackste. Wir wurden weitergeschleppt und in ein altes Gebäude gebracht. Immer wieder gehen junge Männer an uns vorbei, doch keiner sagt etwas oder regt auch nur einen Muskel seines Gesichts. Ich war schon fast am Dösen als plötzlich Aaron in den Raum stürzte. Hektisch sah er sich um und fixierte meine Augen.
"Du kommst mit mir mit!", sagte er und spukte dabei das Du abfällig aus. Wackelig stand ich auf und folgte ihm wortlos.
"Und dass das klar ist. Du mischst dich nie wieder in unsere Angelegenheiten ein!"
"Soweit ich weiß geht diese Angelegenheit alle etwas an. Ich kann nicht einfach so tun als würde ich nichts sehen. Ich bemitleide diese Menschen", gebe ich leise von mir.
"Welche Menschen? Das sind keine Menschen, das sind minderwertige Kreaturen und nicht uns gleichgesetzt", erwidert er hasserfüllt.
"Und wer sagt euch wer die Menschen sind und wer die minderwertigen Kreaturen sind?", frage ich und gehe mittlerweile neben ihm.
Das stimmte ihn kurz nachdenklich. Als müsse er jetzt seine Antwort sorgfältig auswählen um einen Test zu bestehen.
"Das System", antwortet er schließlich bedacht.
"Und wer ist dieses System?", hakte ich nach.
"Die Oberen. Warum beantworte ich überhaupt deine Fragen?", behauptet er plötzlich und verschnellert sein Tempo. Ich zucke mit den Schultern und folge ihm, ab jetzt leise. Schließlich blieben wir vor unserem Haus stehen.
"Du weißt von nichts! Wenn doch werde ich dafür sorgen, das deiner Familie schreckliches zustößt!", zischt er.
"Du hast doch nicht einmal so viel Einfluss", gebe ich vielleicht doch etwas zu frech zurück als ich es in meiner Position sollte.
"Ich vielleicht nicht aber ich habe Kontakte", flüstert er mir zu bevor er sich abwendet und davon stolziert. Ich lasse meine Schultern hängen und schleiche ins Haus. Wenn ich etwas sage, bin ich einerseits höchstwahrscheinlich tot und meine Familie auch und wenn ich nichts sage hat Aaron gewonnen. Und das will ich auf gar keinen Fall!
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