Kapitel 48 - Mittwoch, 24.8. (*4*)
Tom raste hin, fühlte den Puls, roch an seinem Atem. „Herzinfarkt!" dachte er.
„Mein Heli steht da vorne!" Er half den Mann zum Landeplatz zu schleppen, setzte einen Notfunkspruch ab, hievte den Herrn auf den Copilotensitz, half der Frau auf den Notsitz hinten.
Er sah Sina entschuldigend an. „Süße, ich muss dich leider wieder hier lassen!" Er gab ihr sicherheitshalber eine Jacke. „Passen Sie gut auf meinen Engel auf!" bat er den jungen Mann, der ebenfalls zurückbleiben musste.
„Schon gut!" Sina grinste ihn an. „Langsam gewöhne ich mich daran!"
Sie küssten sich kurz, die Zeit drängte!
Der junge Mann war etwas überfordert von der Schnelligkeit, mit der jetzt alles abgelaufen war!
Sina führte ihn zu einer Bank, erklärte ihm, dass Tom seinen Vater auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus bringen würde, dass alles gut werden würde.
„Und Sie lässt er jetzt hier, um meinem Vater zu helfen?" Er war noch ganz durcheinander von dem glücklichen Zufall, dass der Pilot gerade auf diesem Berg gewesen war.
„Ja, das ist sein Job! Aber das hier geht ja noch!" lachte sie, und erzählte die Geschichte von der Rettung des Bürgermeisters und seines Sohnes.
„Das waren Sie? Die Kleine, die Kevin herausgeholt hat? Die dann drei Stunden im Schneesturm warten musste?"
Die Geschichte schien ja schon in ganz Garmisch rum zu sein, dachte Sina.
Der junge Mann stellte sich als Paul vor. „Ich bin der Bruder von Peter! Meine Eltern haben das lustig gefunden, Peter und Paul! Langsam werden Sie beide wohl zu unseren Familienrettern!"
Er schüttelte den Kopf. „Zufälle gibt es!" Er sah sie eine Weile an. „Peter hat schon erzählt, dass Sie sehr hübsch sind! Aber er hat wohl gewaltig untertrieben!" Er sagte das vollkommen nüchtern, einfach als Feststellung.
Sina lächelte ihn an. „Dankeschön!"
„Tatsache, sonst nichts! Und das war ihr Freund Tom Bergmann?"
„Ja!"
„Ganz schön leichtsinnig, so ein Mädchen alleine mit einem jungen Mann auf dem Berg zurückzulassen!"
„Ich glaube, er braucht keine Angst zu haben, dass wir uns in der Zwischenzeit in die Büsche verziehen!" Irgendetwas in seinem Blick machte es ihr leicht, so flapsig mit ihm zu sprechen. Er sah sie anders an, als die Männer sonst.
„Nein!" sagte er lachend. „Also, wenn überhaupt, wäre ich mehr an deinem Freund als an dir interessiert!"
Unbewusst war er zum Du übergegangen.
„Oh!" entfuhr es Sina. Die Offenheit Pauls verschlug ihr einen Moment die Sprache.
„Hast du ein Problem damit?" fragte der junge Mann vorsichtig.
„Nein, gar nicht! Außer, dass ich es immer schade für die Damenwelt finde, wenn gleich zwei nette Männer vom Markt sind!"
Paul lachte herzhaft. Die Kleine war gut drauf!
„Ja," fuhr Sina locker fort. „Meiner Erfahrung nach sind die schwulen Männer immer sehr nett, sehr einfühlsam zu Frauen!"
„Das liegt daran, dass in diesen Fällen das Balzgehabe wegfällt!" antwortete er ernst.
So hatte Sina das noch gar nicht gesehen. Aber er hatte Recht!
Sie unterhielten sich die ganze Zeit über seine Homosexualität, wie es gewesen war, als er gemerkt hatte, dass er Jungs lieber mochte, anziehender fand als Mädchen, seine Verzweiflung, sein Outing, was nicht leicht war für den Sohn eines Großbauern in Garmisch, den Schock, den er damit bei seinen Eltern ausgelöst hatte, wie sie sich damit abgefunden hatten. Er erzählte von seinem Freund, der Liebe zwischen den beiden.
Sina hörte gebannt zu, fragte nach, war ernsthaft interessiert an seiner Geschichte.
Paul war verwundert. Noch nie hatte er einem Menschen so viel von sich preisgegeben, und schon gar nicht nach so kurzer Zeit, und dann auch noch einer Frau!
Aber sie schien ein Mensch zu sein, dem sich die Herzen der Menschen automatisch öffneten. Peter hatte schon erzählt, wie gut sie mit Kevin zurechtkam, wie sie mit ihm selbst und Gabi gesprochen hatte.
Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie Freunde werden konnten, die Schöne und der Schwule.
„Worüber denkst du nach?" fragte sie, als er sie eine Weile unverwandt angesehen hatte.
„Dass du ein ganz besonderer Mensch bist! Dass es mich irgendwie glücklich macht, dass ich dich kennengelernt habe!" antwortete er. „Erzähl mir doch ein bisschen von dir!"
„Von meinem alten Leben oder von meinem neuen? Hörst du lieber traurige oder schöne Geschichten?"
„Eigentlich lieber schöne, aber ich habe das Gefühl, bei dir muss man erst die traurige hören, um die schöne ganz zu verstehen!"
Und Sina begann zu reden, nur ein wenig von ihrem Leben mit Max zu erzählen und dann von dem Tag, als sie Tom kennengelernt hatte, von ihrem heutigen Glück. Die ganz schlimmen Dinge ließ sie weg, dafür kannte sie ihn nun doch zu wenig.
In diesem Augenblick hörten sie den Heli kommen. Tom sprang heraus, sie lief in seine Arme, er küsste sie leidenschaftlich. Schon wieder hatte er sie alleine lassen müssen, und heute auch noch mit einem jungen Mann. Das war ihm erst auf dem Rückflug so richtig klargeworden! Nicht dass er etwas befürchtet hätte, das mit ihren Gefühlen zu tun hatte, aber das war ein vollkommen Fremder! Er war vor Angst fast gestorben, wieder einmal!
„Geht es dir gut?" fragte er atemlos.
„Ja!" antwortete sie verwundert. Sie zeigte auf den jungen Mann, der herangekommen war. „Das ist der Bruder von Peter!" stellte sie ihn vor. Tom fühlte die Vertrautheit zwischen den beiden, sah den anderen argwöhnisch an.
„Hallo!" sagte der. „Ich bin Paul, und keine Angst, ich habe einen festen Freund!"
Tom grinste ihn an. „Tom! Ich bin erleichtert, das zu hören!" Damit waren die Fronten geklärt.
Sie brachten Paul ins Tal, Tom berichtete, dass der Vater gleich ins Krankenhaus gekommen war, dass wohl keine direkte Lebensgefahr zu bestehen schien.
„Vielleicht sollte meine Familie dich festanstellen!" scherzte der junge Mann.
„Wenn ihr so weiter macht, wäre das eine Überlegung wert!" stimmte Tom zu. „In Zukunft gebt ihr mir Bescheid, was ihr vorhabt, und ich kreise dann den ganzen Tag über euch!"
Oben empfingen sie alle herzlich. Christian war gekommen, Annas Mann. Er war Lehrer an der Hauptschule und in den letzten Tagen auf Radtour mit seinem zwölfjährigen Sohn Kilian gewesen.
Er nahm Tom in die Arme, hatte wie immer Tränen in den Augen, wenn er den jungen Bergretter traf, musste stets an die tragischen Ereignisse denken, die ihm fast seine Töchter genommen hatten.
„Und du bist also Sina!" Er nahm sie ebenfalls herzlich in den Arm. „Sina, die Hübsche, Sina, die Nette, Sina, die Tolle, Sina, die Mutige und und und!" Er lachte bei seinen Worten. „Thema Nummer eins in der Stadt und hier oben!"
Er wandte sich an Tom. „Der Tom Bergmann hat eine Frau mitgebracht! Und was für eine!" ahmte er die Menschen nach, die über die beiden überall sprachen.
Sina wusste gar nicht, wo sie hinsehen sollte vor lauter Peinlichkeit!
„Na, du weißt doch, für mich nur das Beste!" Er klatschte sich mit den Älteren ab, nahm seine Maus in den Arm, knutschte sie ein bisschen ab. Der Stolz auf sie leuchtete ihm aus den Augen.
„Aber jetzt müssen wir uns mal umziehen und duschen!" verkündete er mit belegter Stimme.
Christian sah auf die Uhr. „In einer Stunde gibt es Abendessen! Meint ihr, ihr schafft das?"
„Wird knapp! Ich brauche immer sehr lange zum Umziehen!" scherzte Sina, die ihre Sprache wieder gefunden hatte.
„Lasst euch Zeit! Wir stellen euch was warm!" versprach der Wirt im Zweitberuf.
Sie gingen engumschlungen in Richtung Treppe, Tom begann schon eine wenig damit, die Knöpfe ihrer Bluse aufzunesteln, damit es mit dem Umziehen dann schneller ging.
„Morgen kaufe ich dir eine Bluse mit Druckköpfen oder Reißverschluss!" versprach er ihr und sich.
Sina lachte und verwuschelte seine glänzenden dunklen Haare, zog seinen Kopf zu sich herunter, wollte diese wundervollen, samtigen, weichen Lippen auf ihren spüren, nur leicht sollten sie über ihre streicheln, eine Berührung, die immer Blitze durch ihren Körper sandte, der leichte Druck danach, der sie aufstöhnen ließ, das zarte Knabbern seiner Zähne, das ihr die Luft nahm, der leichte Vorstoß seiner Zunge, die die Mundwinkel streichelte, bis sie ihre Lippen öffnete, damit seine Zunge weiter vordringen konnte, die ihre treffen konnte, bis sie spielen konnten miteinander, bis sie das Liebesspiel vorwegnehmen konnten, während seine Lippen immer noch weich auf ihren lagen, hin und her strichen, wie nur er es beherrschte, der hübsche Tom, der küssen konnte wie kein anderer.
Und er genoss diesen Kuss wie sie, zögerte ihn unendlich hinaus, weil er sie so unendlich gerne küsste, weil er so unendlich gerne über ihre Lippen glitt, diese hingebungsvollen Lippen, weil er so gerne ihre Zunge suchte, sie neckte, sie herausforderte, sanft, zart, fordernder, leidenschaftlich, ihren Mund verließ, zurückkam, verließ, bis er nicht mehr konnte, weil er immer das Atmen vergaß beim Küssen.
Aufstöhnend holte er Atem, dann konnte er weitermachen, ihren ganzen Körper zu küssen. Aber erst musste er die lästigen Kleidungsstücke loswerden, seine und ihre. Fiebrig kämpften seine Finger mit allen Knöpfen, Reißverschlüssen, Haken und Häkchen, doch dabei konnte seine Hände ihr schon sehr viel Gutes tun, konnten immer wieder innehalten an den verschiedensten Stellen ihres Körpers, mal nur kurz, mal länger, bis sie sich ihm entgegen bog, keuchte und erleichtert aufstöhnte.
Sie wollte ihm das Kondom überstreifen, er hielt ihre Hände fest. Wenn sie ihn jetzt berührt hätte, wäre alles zu schnell zu Ende gewesen, zumindest fürs erste, und er wollte sie heute lange lieben, lange in ihr sein, am liebsten für immer ihre Wärme, ihre feuchte Lust spüren.
Er war verrückt nach dem Gefühl, wenn er sie ganz besitzen konnte, wenn sie sich so nah waren, Körper an Körper, wie es näher nicht ging, wenn er sich rieb in ihr, wenn er sie rieb, bis sie beide explodierten, abhoben mit Raketen ins Weltall.
Er war verrückt danach, mit ihr zu schlafen, immer und immer wieder, immer verrückter wurde er danach!
Tom fühlte, dass er heute wieder einmal in diesen Rausch, in diesen Taumel der Gefühle geraten würde, aus dem er immer nur schwer herauskam. Die Erleichterung über das Gespräch am Nachmittag hatte alle Schranken in ihm geöffnet, ließ ihn nur noch fühlen.
Sina genoss diesen Wahnsinn, weil sie es genoss, dass sie der Grund war, der diesen Wahnsinn auslöste. Sie genoss seine Lippen immer und immer wieder, seine Zunge, die spielen konnte mit ihr, sie genoss es, wenn er eindrang in sie, genoss seine Größe, seine Stärke, jeden Quadratzentimeter seiner Haut, genoss sein Stöhnen, seine geflüsterten Liebesbeteuerungen, seine Lustschreie, zwar gedämpft, aber doch Schreie des absoluten Glücks, genoss die Befriedigung, die er ihr immer und immer wieder schenkte.
Als sie zu sich kamen, war es mitten in der Nacht. Heute hatte es keine Geschichte für die Kinder gegeben, keine Unterhaltung mit den anderen Gästen, nicht einmal ein Abendessen, wie sich Tom ein wenig schuldbewusst eingestand. Doch heute hatten sie Prioritäten setzen müssen, der Hunger nach einander war zu groß gewesen.
Sina lag glücklich lächelnd in seinem Arm, genoss die Nähe von Körper und Seele wie er auch. Er drehte sich ein wenig zu ihr um, streichelte ihr Gesicht, strich ihr die verschwitzten Locken zurück.
Seine Augen strahlten wie noch nie, er schien irgendwie zu leuchten.
Sina verstand, dass das Gespräch beim Picknick die letzten Sorgen weggewaschen hat, deshalb konnten seine Augen jetzt so zuversichtlich nach vorn sehen, konnte er sich so vorbehaltlos auf die Zukunft freuen. Das war auch der Grund, warum sie heute in diesen Rausch gefallen waren.
„Ich bin froh, dass wir heute so offen sprechen konnten!" sagte er dann auch mit noch immer etwas heiserer Stimme.
„Ja, ich weiß! Das hat dich doch noch mehr gequält als ich dachte!" gab sie zu.
„Aber es ist mir erst beim Ringkauf bewusst geworden! Vorher hatte ich ehrlich gedacht, es ginge so wie geplant!"
„Und wir werden immer reden, ja, Tom? Über alles, auch wenn wir meinen, es geht nicht, aber es gibt immer einen Weg, etwas auszusprechen!"
„Ja, süße Sina! Das habe ich heute gelernt! Mit dir kann ich über alles reden, über wirklich alles!" Er zog sie wieder fester in seine Arme. „Weil du in meine Seele siehst!" Er küsste sie mit all der Liebe, die er empfand, und das war tausend Mal mehr, als er je für möglich gehalten hatte.
Dann stand er auf, schlüpfte in seinen Morgenmantel. „Ich schau Mal, ob ich in der Küche etwas Essbares finde, kleine Krabbe!"
„Du kannst doch nicht einfach in die Küche gehen und Essen klauen!"
„Doch, hier kann ich das!" sagte er lachend.
Doch er brauchte gar nicht hinunter, vor der Türe stand ein Tablett mit einer Schüssel Nudelsalat, ein paar Broten mit Griebenschmalz und einer Flasche Holundersaft, ein Brief lag dabei.
Er stellte das Essen ab, las die Zeilen auf ein einfaches Blockblatt geschrieben, doch das schönste Büttenpapier hätten den Inhalt nicht wertvoller für ihn machen können.
„Das haben wir für dich, TomTom, und für Sina gemacht! Guten Appetit! Josie und Inga.
PS: Heute ist übrigens Jahrestag unseres zweiten Lebens, es ist ja schon nach Mitternacht! Wir feiern abends ein bisschen! Es ist schön, dass ihr beide da seid! Wir danken dir noch einmal von Herzen."
Alles war mit vielen kleinen Herzen eingerahmt. Ganz unten stand in einer anderen Schrift noch ein Satz: „Ich danke dir auch! Kilian"
Die Tränen die er zurückhalten wollte, verließen seine Augen doch. Wortlos hielt er Sina den Brief hin. Sie las, nahm ihn in den Arm, war so stolz auf ihren Supertom. Mein Gott, warum hatte gerade sie dieses Glück?
Weil du es verdient hast, Sina, weil du seiner wert bist! antwortete sie sich zum ersten Mal selbst. Weil du genug durchgemacht hast!
„Meine Güte! Es ist echt Zufall, dass wir hier sind! Ich habe an das Datum gar nicht mehr gedacht!" stieß er hervor, schon wieder glücklich strahlend. „Dabei haben sie mich letztes Mal, als ich hier war, extra daran erinnert!"
„So ein Zufall!" freute sich Sina.
„Weißt du Süße, ich glaube langsam nicht mehr an Zufälle! Es wären ein wenig viel gewesen in letzter Zeit!"
„Ja! Irgendjemand scheint seine Hand über uns zu halten!" stimmte sie leise zu. „Wahrscheinlich deine Eltern!"
„Wir wollen einfach dran glauben, oder?" schlug er vor und küsste sie zärtlich. Sie lachte ihn nicht aus für seine Gedanken, nein, seine Sina verstand ihn! Seine Sina! Dieser Gedanke ließ sein Herz wieder einmal aussetzen. Dieses wunderbare Wesen gehörte zu ihm, war seine Liebe! Seine Frau würde sie nicht werden, aber seine Liebe würde sie für immer bleiben.
„Komm, Engelchen, essen wir zu Abend. Um drei Uhr früh, ist doch perfekt!"
Lachend vertilgten sie alles, dann legten sie sich hin und schliefen augenblicklich ein.
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