Kapitel 6
Als die Schreie lauter wurden, übernahm mein Instinkt. Ich war ihre Erzherzogin. Die Mutter ihrer Kronprinzen. Ich rüttelte erneut an der Tür. Es half nichts. Verzweifelt trommelte ich mit den Fäusten dagegen. Dorian konnte alles von mir haben, aber er musste meine Männer in Ruhe lassen.
Ich schluchzte erleichtert auf, als die Tür von Außen geöffnet wurde und stürzte in die Arme von Rye hinaus. Er zog mich aus der Kutsche und deckte mich. Dieser Wachmann hatte mich bereits einmal aus dem Feuer geholt, dass Dorian verursacht hat. Hoffentlich kann er uns auch aus dieser Bredouille helfen.
Ich ließ meinen Blick einmal im Kreis schweifen. Vereinzelt lagen Männer auf den Boden. Ihre Kleidung schien ihr gesamtes Blut aufgesaugt zu haben. Sie stanken bestialisch. Einige Meter weiter hinten hatte sich eine Front gebildet. Die Schreie und Flüche der Wachen mischten sicht mit dem Geräusch aufeinander schlagender Schwerter und dem Abfeuern von Schusswaffen. Rye musste die Männer hier wegbringen.
Dorian war nicht zu entdecken, deshalb schlich ich zu den Pferden vor und begann ihr Geschirr zu lösen. Rye nickte mir zu und machte sich auf den Weg zu seinen Wachen. Jeder Schritt kam mir zu laut vor, obwohl die Kampfgeräusche ohrenbetäubend waren. Wenige Meter weiter lag ein Toter. Seine Augen waren weit aufgerissen. Ich ließ die Pferde einen Moment los, um sie ihm zu schließen. Als ich am Boden hockte, begegnete ich Dorians Blick. Seine Augen blitzten siegessicher, obwohl meine Wachen mich vor ihm und seiner Truppe abschirmten. Ich wandte mich ab, um weitere Pferde abzuspannen. Mein Blick blieb an dem Punkt hängen, an dem gerade noch Dorian stand.
Ungeschickt stolperte ich vorwärts.
Stieß gegen jemanden.
Hatte ihm nächsten Moment eine Klinge an meiner Kehle.
»Ihr werdet Euch nicht bewegen«
»Ich mache euch keinen Ärger, wenn Ihr meine Männer gehen lässt«
Der Mann hinter mir stank, als wäre er selbst gerade gestorben. Angewidert verzog ich die Nase. Ich wollte mich ein Stück von ihm wegdrücken, aber da Schnitt mir die Klinge sofort in den Hals. »Dummes Ding« fluchte er und ließ die Waffe sinken.
Er schob mich vor sich her, damit ich den Kämpfenden zusehen musste. Rye wandte sich einen Moment lang um und erstarrte. In diesem Moment bohrte sich eine Klinge durch ihn. Direkt durch seine Brust.
Ich schrie auf und wollte zu ihm, aber der Mann hinter mir klammerte sich eisig an mir fest. Rye lag im Gras wie eine weggeschmissene Puppe. Wütend begann ich mich heftiger zu wehren. Ich wandte mich zu ihm um und verpasste ihm eine Ohrfeige. Er ließ mich los. Verlegen trat ich einen Schritt zurück. Ich hatte noch nie jemanden geschlagen.
»Ich ergebe mich. Lasst meine Männer gehen«
»Kniet nieder«
Ich sah zu ihm auf. Sein dreckiger Bart, seine blutverschmierten Wangen und sein zufriedenes Grinsen, widerten mich an. Er hatte einen Bauch beachtlicher Größe. Es wunderte mich, dass er überhaupt in dieses Kettenhemd passte.
»Knie nieder, Mädchen, oder deine Wachen gehen in den Tod«
Ich versuchte, meinen Blick so neutral wie möglich zu halten, während ich langsam in die Knie ging. »Dreht Euch zu Euren Männern, Erzherzogin« Zum ersten Mal in meinem Leben hätte ich gerne jemanden angespuckt. Oder ihn einfach nochmal geschlagen.
Mit einem dumpfen Aufprall ließ ich mich auf den Boden fallen. Hielt meinen Kopf gesenkt. Zuerst vielen keine Schüsse mehr. Dann verstummten die Waffen.
Dorians Füße traten in mein Blickfeld. Er trug noch immer diese braunen Lederstiefel mit dieser eigenartigen Schnürung. »Lavinia?« - »Lass meine Männer gehen« Ich hob den Kopf nicht und hoffte, dass er mein Gemurmel hörte. Mathew wird toben.
Ich nahm seine Befehle nicht wahr. Hörte immer und immer wieder die Schreie des Schlachtfeldes und spürte Ryes entsetzten Blick auf mir, bevor er für immer die Augen schloss. Ob sie ihm jemand schloss? Würde jemand daran denken, ihm diese letzte Ehre zu erweisen. Mein Blick schnellte hoch. Als ich Rye nirgends erkennen konnte, wollte ich mich erheben. Sofort drückte mich jemand nieder.
»Die Toten ...«
»Keine Sorge, Majestät. Unsere Leute kümmern sich um sie«
Ich spürte laRoveres Arme um mich und drückte mich näher an sich. Sie hockte neben mir am Boden und schwieg. So musste sie auch ausgesehen haben, als ich sie zum ersten Mal im Park getroffen hatte. Ich schloss meine Augen und versuchte die Erinnerungen heraufzubeschwören. Es funktionierte nicht.
»Nun lasst sie schon aufstehen« Dorians Stimme klang harsch und seine Fußspitzen näherten sich mir zügig. Er bückte sie zu mir herunter und zog mich auf die Beine. Meine Hofdame auch. Er dirigierte mich zurück zur Kutsche. LaRovere folgte ihm. »Ihr müsst die Wachen nachhause begleiten« ermahnte ich sie und wandte mich zu ihr um. Ihr Kleid war vom Schlamm am Boden ganz verschmutzt. Aber wahrscheinlich sah ich nicht anders aus.
»Du brauchst Hofdamen, Lavinia. Ich verspreche dir, ihnen wird nichts geschehen« flüsterte Dorian und strich mich vorsichtig über die Wange. Ich fuhr zurück und versuchte mein Zittern zu unterdrücken. Dorian trat ebenfalls einen Schritt weg von mir und verbeugte sich leicht. »Ich wünschte, das wäre nicht notwendig gewesen«
Wenige Minuten später saßen wir zu dritt erneut in der Kutsche. Gräfin LaRovere hatte die Arme erneut um mich gelegt um mich zu Wärmen. Ich hatte mich so weit es mir möglich war, in die Ecke geschoben.
»Der Mann, der dich aufgegriffen hat, ist Papas engster Berater. Halte dich von ihm fern«, flüsterte Dorian und ich sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihm hinüber. Seine Stimme war das Letzte, vor dem ich mich augenblicklich fürchtete. Er deutete mit seinem Kopf hinaus und ich rutschte noch ein Stück zurück. Dieser Mann ritt neben der Kutsche. Dorian beugte sich ein Stück vor und senkte seine Stimme noch weiter: »Papa vertraut ihm blind und übersieht dabei jede Grausamkeit, die er anwendet, um seine Ideen durchzubringen«
Dorian lehnte sich wieder zurück und ich nickte langsam. Wenigstens hatte ich schon etwas zu berichten, wenn mich Mathew hier rausholte.
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