Kapitel 33
Meine Beine trugen mich ganz alleine auf Mathew zu und als ich nah genug bei ihm stand, drückte ich mich automatisch an ihn. Sein Brustkorb dehnte sich unter einem tiefen Atemzug, bevor er schützend die Hände um mich legte. Ich hatte gezögert ihn aufzusuchen, da Mathew mir seine Absichten, dieses Gespräch zu erlauben nicht offen gelegt hatte. Aber alleine ließ das Zittern meiner Hände nicht nach und ich hoffte, er konnte mir etwas von dem beklemmenden Gefühl nehmen.
»Ich hatte gehofft du würdest dich danach zu Paget flüchten«
»Paget ist fort und ich weiß nicht, ob er jemals wieder zu mir zurückfindet«
»Er möchte das in Ordnung bringen, Lavinia«
»Ich muss nicht in Ordnung gebracht werden. Paget möchte ständig seinen letzten Fehler korrigieren, während er aus lauter Verzagen die nächsten drei macht«
»Ihr seit zu streng«
Plötzlich fühlte es sich falsch ihn zu umarmen. Ich presste meine Lippen zusammen und drückte mich von ihm los. Euer Ehemann hat mich gerade genommen, als Euch mein Kaiser die Peitsche spüren ließ. Wie sollte ich dieses Bild jemals wieder aus meinem Kopf bekommen? Ich hatte nochmal auf Pagets Brief gestarrt und war immer wieder über die Zeile gestolpert: Ich will dich beschützen. Es fühlte sich nicht so an. Aber mittlerweile war ich auch über den Punkt hinaus mich Tag und Nacht nach ihm zu verzehren. Deshalb hatte ich ihn in den letzten Tagen auch nicht aufgesucht. Ich konnte gut mit dem Wissen leben, dass er sich erholte und in Sicherheit war.
»Geht noch zu ihm, bevor Ihr ins Konzerthaus geht. Ich bespreche mit dem Hauptmann, ob wir neue Informationen aus dem Gespräch gewonnen haben«
***
Baroness Delune lächelte mir mütterlich aufmunternd zu, damit ich mich dazu überwand dem Saalhüter zuzunicken. Mathews direktem Befehl zu missachten getraute ich mich nicht, deshalb stand ich vor unserem, in ein Lazarett umfunktioniertes, Familienanwesen.
Nicht einmal beim italienischen Empfang herrschte hier eine so hohe Betriebsamkeit wie heute. Zwei Männer mit Armschlingen spazierten die Treppe herunter. Sie zögerten einen Moment, genauso wie Krankenschwestern, Ärzte und alles andere an Personal das herumschwirrte. „Bitte" ich nickte ihnen zu, worauf sie sich stockend in Bewegung setzten und sich mit einem gemurmelten Majestät an mir vorbei schoben.
„Majestät" ich schmunzelte. Diese Stimme würde ich überall erkennen. Ich reichte Princesse Solei meine Hand und küsste ihr anschließend beide Wangen. Ihre Wangen röteten sich leicht und sie räusperte sich verlegen. „Darf ich Euch Duc Marchand vorstellen? Er ist mein Nachbar und einer meiner ältesten Freunde", sie deutete auf den Mann links neben ihr. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und er ging auf Krücken gestützt. Er machte anstalten sich zu verbeugen, worauf ich sofort den Kopf schüttelte.
„Danke das ihr unserem Land gedient habt"
„Es war mir eine Ehre Euch zu dienen"
„Ihr habt Seiner Majestät dem Kaiser gedient"
„Mag sein. Aber wir sind Eurem Mann gefolgt und er hat uns für Euch kämpfen lassen"
Sein Blick ließ mich kleiner werden, während ich ihn stumm ansah. Er sah in mir die Ikone, für die er gekämpft hatte. Bei Gott, lass mich keine Enttäuschung sein. »Ich danke Euch« stotterte ich nochmal unbeholfen und wandte mich hilfesuchend an Solei. Bisher hatte sie immer einen Weg gefunden mich aus prekären Situationen zu retten. »Wo wir gerade über Euren Mann gesprochen haben« nahm sie den Faden mühelos auf, »Ihr seid sicherlich hier um ihn zu besuchen« Ich nickte stumm.
»Vielleicht wollen Majestät vorher mit uns den Tee einnehmen« schlug Marchand vor. Er richtete sich in seinen Krücken ein Stück auf und das Leuchten das in seine Augen trat, ließ mich nicken. Das war das Mindeste, dass ich ihm schuldete. »Gib du Bescheid, ich gehen mit Ihrer Majestät in die Bibliothek« Marchand machte ein überraschtes Oh, nickte aber. Ich war erleichtert eine Gelegenheit zu haben, mit Solei alleine zu sein. Ihre Gesellschaft tat mir einfach gut.
»Wenn es Euch nicht gut geht, möchte ich euch nicht erneut in ein Konzert zwingen« entband sie mich von meiner Verpflichtung sie zu begleiten und lächelte mich besorgt an. Sie hackte sich bei mir unter und zog mich mit Richtung Bibliothek. Dankbar über ihre Führung folgte ich ihr. Sie spielte auf den Abend an, an dem ich mit dem Wachmann im Lazarette gesprochen hatte. Der nun Tod war. Ich schüttelte den Kopf. Es war Krieg. Mittlerweile sollte ich mich an diesen Umstand gewöhnt haben.
»Ich habe mit der Ministerin gesprochen«
»Mit Pagets Meträsse?«
Ich nickte.
»Oh Majestät«
Sie zog mich ein Stückchen näher an sich und ich seufzte auf. Hätte ich sie bloß vorab um Rat gefragt. Mit Sicherheit hätte sie mir das ausgeredet. »Geht es Euch jetzt besser?« - »Auf eine eigene Art und Weise schon. Ich wollte wissen, wer diese Person war« Solei lachte leise und ein Saalhüter stieß uns die Tür auf. In der Bibliothek empfing uns dämmriges Licht und mich zog es sofort zum Fenster. Die Düsternis des Kellergewölbes, in dem die Ministerin eingesperrt ist, hing mir noch hinterher. »Manchmal vergesse ich, wie jung Ihr seid« ergriff sie das Wort und läutete selbstständig nach Tee. Sie warf mir einen prüfenden Blick zu, worauf ich nickte. Sie durfte sich das Privileg selbst um Tee zu läuten gerne herausnehmen. Ich wünschte, ich könnte uns auf gleiche Augenhöhe stellen. Aber ich nahm mir vor sie mit meinen Gedanken nicht in eine unangenehme Position zu bringen. Denn Solei kannte ihre Stelle. Wahrscheinlich sollte ich endlich die Meine kennenlernen.
»Bevorzugen es Majestät in den Garten zu gehen?«
»Ich möchte nicht zu viel Aufsehen erregen. Die Terrasse reicht«
Solei nickte und ich machte mich seufzend auf den Weg zur Tür. Durch das Lazarett wird mich Mathew unmöglich hierher schicken, wenn ich zu müde für das Hofleben war. Ich war erleichtert, diesem Gefängnis entkommen zu sein. Andererseits wird er es kaum erlauben, dass ich mich bei Solei einnistete, bis ich entband.
***
Marchand war wirklich ein charmanter Zeitvertreib. Vor allem gemeinsam mit Princesse Solei. Ich musste die beiden unbedingt zu meiner nächsten Soiree einladen. Wobei ich so schnell wahrscheinlich keine Abendveranstaltungen geben werde. Seufzend starrte ich in meine Teetasse.
»Majestät« ich hob überrascht den Kopf, als ich Soleis Röcke rascheln hörte. Ich brauchte einen Moment, bevor ich Paget auf uns zugehen sah. In Begleitung. Euer Ehemann hat mich gerade genommen, als Euch mein Kaiser die Peitsche spüren ließ. Ich schloss einen Moment die Augen. Die Ministerin war zum Tode verurteilt und Bonnebelle war in meiner Hand. Ich werde das Kind großziehen, dass ihren Bauch gerade zu einer Kugel wölbte. Es gibt keinen Grund eifersüchtig zu sein. Paget hatte sie genauso ausgetauscht wie mich.
Ich wiederholte dieses Mantra, während mich ebenfalls erhob und auf die beiden zuging. Pagets Miene wechselte zwischen besorgt und verunsichert. Zufrieden drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange. Seine Barthaare kitzelten meine Wange und die kurze Berührung ließ für einen Moment Schmetterlinge aufflattern. Aber nur solange, bis ich erneut seinem suchenden Blick begegnete. Es gefiel mir, dass er mich nicht einschätzen konnte. »Madmoiselle« ich streckte Bonnebelle die Hand entgegen, worauf sie ächzend in einen Knicks sank. Ein leichtes Lächeln spielte um meine Lippen, als ich ihren dunklen Augen begegnete. Ihr musste klar sein, dass sie verloren hat. Es breitete sich Schweigen zwischen uns aus. Auf der Terrasse war die Situation für alle Verwundeten, die den Tag für einen Spaziergang nutzten, zugänglich.
»Geht es Euch gut, Majestät? Ihr seht schlecht aus« fragte Bonnebelle und schürzte gespielt besorgt die Lippen. Wüsste sie, welche Dinge mir heute bereits an den Kopf geworfen wurden, hätte sie sich sicher mehr Mühe gegeben. »Meine Ärzte nehmen sich dieser Sache bereits an, danke Mademoiselle« Ich lächelte ihr kurz schmallippig zu und wandte mich zu Paget. Ihm ging es gut. Ich hatte Mathews Befehl befolgt. Es war nicht meine Schuld, wenn Paget seine Geliebte empfing und sicherlich nicht Mathews Erwartung, dass wir Zeit zu dritt verbrachten. »Wie ich sehe, geht es dir gut« stellte ich knapp fest und Paget rang sich ein Lächeln ab. Er machte keine Anstalt mich zu verteidigen, noch Bonnebelle loszulassen. Wütend presste ich die Lippen zusammen. Er stellte seine schwangere Geliebte zur Schau, während ich ihm dabei zusehen musste. Das nenne ich eine Bemühung unsere Ehe zu retten. »Man erwartet mich im Konzerthaus. Bitte entschuldige mich« verabschiedete ich mich, bevor meine mühsam aufrechtgehaltene Selbstachtung zusammenfiel. Es war alles wie vor meiner Misshandlung. Paget hatte es sicht nicht verändert. Eine Frau, egal welche es war, reichte ihm einfach nicht. »Ich übersiedele noch heute Abend ins Schloss« erwiderte er, worauf ich ein Zusammenzucken nicht verhindern konnte. Wollte er etwa erneut in unserem Ehebett schlafen? Ich reagierte nicht darauf, sondern streckte Bonnebelle lediglich ein weiteres Mal meine Hand entgegen. »Ich würde mich sehr über ein Mädchen freuen, Mademoiselle. Jungen werde ich bald genug haben« sagte ich und strich dabei demonstrativ über meinen Bauch. Sie soll im Gewissen gehen, dass sie nicht die einzige Frau ist, die Paget Kinder schenken konnte. Seinem düsteren Blick nach zu urteilen würden wir diese Auseinandersetzung erst heute Abend beenden.
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