August
Draußen schüttete es in Strömen.
Es hatte den ganzen Morgen durchgeregnet.
Und die ganze Nacht.
Regen über Regen über Regen.
Wenn das so weiter ging, müssten bald die ersten Keller ausgepumpt werden.
Den ganzen Vormittag beobachtete sie ihn.
Den Regen.
Ihren Feind.
Zwischendurch arbeitete sie natürlich, aber hauptsächlich beobachtete sie den Regen.
Zumindest musste sie die ganze Zeit an ihn denken.
Und das, was der Regen ihr gerade verbaute.
Wie oft hatte sie ihn bereits getroffen? Januar, Februar, März zählte nicht, da hatte sie geschlafen, April, Mai, Juni und Juli. Sechs mal also. Sie hatte ihn erst sechs mal getroffen und trotzdem war er ein fester Bestandteil ihres Lebens geworden.
Einfach so.
Er hatte sich angeschlichen und sie hatte ihn erst bemerkt, als er nicht mehr wegzudenken war.
Es verging kein Gespräch mit Lena, in dem sie nicht von ihm schwärmte. Langsam musste ihre Freundin sie für verrückt erklären. Helen wusste selbst nicht, warum er ihr nicht aus dem Kopf ging.
Okay. Sie hatte da eine Theorie.
Aber es konnte nicht sein, oder?
Sie hatte sich vor sieben Monaten von ihrem Ex getrennt, es konnte nicht sein, oder?
Sie war niemand, der sein Herz leicht verschenkte. Und doch ging er ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie wollte mit ihm reden, wollte ihm zuhören. Aber vor allem wollte sie ihn sehen. Und das konnte sie nicht. Der Regen machte ihr einen Strich durch die Rechnung.
Der Zeiger sprang um.
Mittagspause.
"Kommst du mit?" Kaum war die Mittagspause angebrochen kam auch schon ihre Kollegin. Sie meinte das asiatische Restaurant, das fast direkt neben unserem Büro stand.
Helen hatte immer abgelehnt, aber ihre Kollegin fragte sie trotzdem jedes Mal und wartete auf ihre Antwort.
Sie warf einen letzten Blick raus, aber der Regen zeigte keine Besserung. Eher schien es ihr, als ob er noch stärker wurde.
"Ja", antwortete sie.
Ihre Kollegin versuchte sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen, aber Helen sah sie deutlich und das amüsierte sie.
"Es sei denn...", begann Helen aber ihre Kollegin unterbrach sie.
"Ach Quatsch. Ich habe mich nur gewundert. Komm, die anderen warten schon auf uns."
Sie zog Helen mit sich. Kurze Zeit später saßen sie im Restaurant.
"Helen? Helen!" Unsanft rammte man ihr einen Ellbogen in die Seite.
"Ja?"
"Was möchtest du essen?"
"Ach so." Sie dachte eine Weile nach. Sah sich die Karte an, die sie bestimmt bereits zum fünften Mal durchblätterte.
"Ach lass sie doch. Die ist mit den Gedanken woanders. Worüber grübelst du denn dauernd nach?"
"Wie, was?" Verwirrt sah Helen ihre Begleiter an. Sie war völlig neben der Spur. Was war, wenn er trotz des Regens gekommen war? Wenn er wartete?
"Entschuldigung. Ich habe etwas vergessen."
Verwundert sahen ihre Kollegen sie an. Wahrscheinlich würden sie die ganze restliche Zeit über sie tratschen, aber das war ihr egal.
Wenn auch nur die Möglichkeit bestand, dass er da wartete...
Sie bog in den Park ab und sah die leere Parkbank. Lief darauf zu. Sah sich um.
Völlig außer Atem blieb sie stehen.
"Naja, es schüttet schließlich wie aus Eimern", meinte sie.
Sie drehte sich um und verließ den Park.
"Erzählen Sie mir Ihre Geschichte."
Ein Schirm wurde über sie gehalten.
Helen drehte sich um. Aber...
"Aber es schüttet!" Vorwurfsvoll deutete sie mit der Hand auf das viele Wasser, gleichzeitig musste sie lächeln.
"Trotzdem sind Sie gekommen", antwortete Miles.
"Ich habe Sie gar nicht gesehen... Ich muss zurück zur Arbeit!" Helen trat näher an ihn heran, damit er auch unter den Schirm passte. Seinen eigenen Schirm. Sie fing an zu grinsen.
"Ich stand da drüben unter. Ich war mir nicht sicher, ob Sie bei dem Regen kommen würden. Aber falls doch..." Miles zuckte mit den Schultern.
Helen ging ein paar Schritte rückwärts, das Grinsen wich nicht von ihrem Gesicht.
"In der fünften Klasse habe ich während eines Referates eine Lehrerin beschimpft, weil sie ihr Handy draußen hatte."
Miles zog eine Augenbraue hoch.
"Okay?", fragte er.
Helens Grinsen verwandelte sich in ein Lächeln.
"Meine heutige Geschichte für Sie. Sie hatten doch gefragt."
Mit zügigen aber beschwingten Schritten machte sie sich auf den Weg zur Arbeit. Und obwohl sie völlig durchnässt war, konnte sie den ganzen Tag nicht aufhören zu summen.
Miles hingegen schaute ihr eine ganze Weile hinterher. Dass seine eine Schulter völlig durchnässt war, fiel ihm nicht auf.
Er hatte noch nie eine so aufgeweckte Frau gesehen.
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