6 - Gemeinschaft der Flügelmädchen
Als das Trio den Feuerplatz endlich erreicht hat, bittet Atali die Reiter, samt ihren Drachen mit in der Runde Platz zu nehmen. Neugierige Blicken mustern die Neuankömmlinge, als die Mädchen tun wie geheißen. Wobei ihre Drachen es sich nicht nehmen lassen, nah bei ihren jeweiligen Reiterinnen zu bleiben.
„Wie ihr seht, haben wir heute Gäste in unserer Runde", eröffnet Atali dann den Abend, während andere Mitglieder mehrere Becher verteilen, „Wir freuen uns, euch an diesem Tag in unserer Runde willkommen zu heißen. Mögen wir viel voneinander lernen dürfen!"
Zustimmend heben die anderen Mitglieder der Flügelmädchen ihre Becher zu Atalis Worten, worauf sich die Versammlung in mehreren kleineren Gesprächen um die große Feuerstelle herumverteilt verliert. Dabei verteilen einige andere Mitglieder wiederum Essen an die Anwesenden, während Atali auf die Drei zukommt.
„Danke für eure Gastfreundschaft!", aufrichtig lächelnd sieht Amelie zu Atali auf.
Dies mit einem Lächeln erwidernd, sieht Atali einmal alle drei abwechselnd an: „Ich hatte Violene schon gegenüber erwähnt, dass wir zu einer Entscheidung über euren Aufenthalt bei uns gekommen sind. Wie ihr wisst, haben wir nicht viel mit Fremden, geschweige denn mit Männern auf unserer Insel zu tun. Aber das ihr auf den Rücken von Drachen reitet und eure Drachen anscheinend gerne bei euch sind, hat uns nachdenklich gemacht. Auch haben wir gesehen, dass der Winter bald naht. Daher möchten wir euch die Möglichkeit bieten, für die Zeit des Winters Gäste auf unserer Insel zu sein. Dies aber ist an strenge Bedingungen geknüpft."
„Allein die Möglichkeit ist schon eine sehr großzügige Geste, Atali", bemerkt Violene überrascht, wobei sie ihr ehrliches Erstaunen darüber nicht verbirgt. Sollte es tatsächlich sein, dass diese Wikinger – welche vor allem Drachen so wohlgesonnen scheinen – auch ihnen wohlgesonnen sein könnten?
„Welche Bedingungen wären das?", fragt Anni wiederum und stellt somit die Frage, die alle drei beschäftigt.
„Zu einem, dass ihr die Nistgebiete der Weibchen nicht betretet. Auch zu eurem Schutz. Außerdem ist unsere Gemeinschaft ein enges Miteinander. Das heißt, für die Zeit, wo ihr unsere Gäste seid, wäre eure Mitarbeit im Alltag eine große Hilfe. Und vor allem, dass ihr die Drachen ebenso respektiert und beschützt wie wir."
Kurz wechselt das Trio einige Blicke miteinander, wobei allen von Anfang an klar ist, dass sie niemals auf die Idee kommen würden den Drachen schaden zu wollen. Geschweige denn gegen die Regeln und Bedingungen der Flügelmädchen zu verstoßen.
„Wir werden eure Bedingungen erfüllen!", gibt Amelie entschlossen die gemeinsame Antwort weiter, worauf Atali leicht lächelt.
„Das ist sehr schön zu hören. Übrigens, da wäre noch etwas", kaum hatte Atali sich umgedreht, um zu anderen Mitgliedern der Flügelmädchen zu gehen, hält sie inne, „Ihr kennt nun die Geschichte unserer Gemeinschaft, aber wir wissen noch gar nichts über euch. Bitte, erzählt uns doch, von wo ihr herkommt."
Beim letzten Satz hellhörig geworden, sieht Schocker mehr auf und bemerkt, wie für eine Millisekunde Violene mit sich ringt und überlegt, sich eine Geschichte zurechtzulegen. Ob das gut geht...?
Neugierig geworden auf die Geschichte der Neuankömmlinge verstummen, währenddessen die Gespräche der anderen Flügelmädchen, welche interessiert zum Trio sehen. Welche Geschichten werden ihre Gäste wohl erzählen? Woher kommen diese mysteriösen Wikinger, welche auf dem Rücken von Drachen fliegen?
„Mein Name ist Amelie und Skayla ist mein Seelendrache", beginnt Amelie dann das Wort zu ergreifen und zu erzählen, „Ich komme ursprünglich von der Insel Skye, wo Menschen und Drachen als eine besondere Einheit geboren werden. Und seit einigen Jahren bin ich mit Skayla auf Reisen."
„Ich heiße Anni und mein Skrill heißt Zickzack. Er sieht für viele schnell furchteinflößend aus, aber eigentlich ist er ein sehr lieber und verspielter Drache, so wie ein guter Freund. Ich komme von der Insel Berk, wo Wikinger und Drachen schon seit einigen Jahren in Frieden miteinander leben", schließt Anni sich mit einem Grinsen an, wobei Zickzack zwischen Empörung und Zustimmung schwankt.
„Und mein Name ist Violene. Mein Begleiter wiederum heißt Schocker und manchmal haben wir das Gefühl, wir würden uns schon eine Ewigkeit kennen", gibt Violene mit einem leichten Lächeln zu, während Schocker seine Schnauze auf ihrer Schulter abgelegt hat, „Meine Heimat ist viele Tagesreisen entfernt tief im Süden, aber ich habe diese schon vor längerer Zeit verlassen, um mit Schocker auf Reisen zu gehen, und mehr von der Welt zu entdecken."
Während die Erzählungen der drei bei den anderen Flügelmädchen auf großes Interesse und weitere Rückfragen stößt, vor allem über Amelies Herkunft und Skayla, bemerkt niemand von ihnen, wie Violene aus dem Augenwinkel verstohlen zu ihrem linken Arm sieht. Weniger deswegen, ob die Lederrüstung da vielleicht kaputt sein könnte, sondern vielmehr wegen dem, was sich auf dem oberen Teil des Leders befindet. Verborgen unter einem schwarzen Stoff, welcher so unscheinbar ist, dass man es nicht mal eben so bemerken könnte. Unter diesem das Wappen eines Leuchtenden Fluchs – ein Symbol, welches sie seit dem Anhänger unaufhörlich verfolgt.
Begeisterte Gespräche kommen seit ihren Erzählungen an diesem Abend zustande, worauf auch einige Flügelmädchen offener gegenüber Zickzack und Schocker reagieren. Auch wenn sie den Umgang mit Klingenpeitschlingen grundlegend gewöhnt sind, so sind ein Skrill und ein Leuchtender Fluch definitiv noch einmal etwas anderes.
Umso mehr der Abend sich aber gen Nacht neigte, begann auch Atali dem Trio eine weitere Geschichte zu erzählen, welche in ihrem Stamm von Generation zu Generation weitergegeben wird. Obwohl die Flügelmädchen diese Geschichte schon in- und auswendig kannten, so verstummten auch ihre Gespräche und begannen sie gebannt zuzuhören, als ihre Anführerin dazu ansetzte:
„Lasst mich euch eine Legende erzählen, die euch helfen wird zu verstehen, weshalb wir so überrascht waren euch auf euren Drachen zu sehen, liebe Gäste. Es lässt sich nicht sagen, wann es begann oder worin sie ihren Ursprung hatten. Aber schon unsere Vorfahren erzählten ihren Nachkommen von der Legende, dass es da draußen Wikinger gegeben haben soll, welche Frieden und Freundschaft mit jeder Art von Drachen schließen konnten. Auch sagte man sich, dass es wohl keine Drachenart gegeben haben soll, mit welcher sie nicht zusammenleben konnten. Niemand konnte sagen, woher sie kamen oder wohin sie gingen. Aber dass der Segen der Götter auf ihnen war und sie eine Verbindung zu Drachen hatten, ohne es mit Gewalt einzufordern."
* * * * * * *
Grübelnd mustert Violene die dunkle Holzdecke, während von den anderen leise Atemgeräusche zu hören sind. Im Grunde genommen hat die erzählte Legende bei allen dreien von ihnen nur noch mehr Fragen hervorgerufen. Während Amelie sich im Stillen fragte, ob es mit dem zusammenhängen könnte, was Thea ihr damals erzählte, war Anni sehr fasziniert davon, dass es noch weitere Drachenreiter geben soll. Vielleicht sogar eine ganze Gruppe oder einen ganzen Stamm. Nur das Violene seitdem an Rikkes Worte und das Wappen des Leuchtenden Fluchs denken musste.
Als sie nach dem Abendessen und dem Beisammensein in geselliger Runde zurück zu ihrer Hütte sind, hatte Anni – begeistert über die Erzählung – noch einige Überlegungen angestellt, was denn alles sein könnte und wie spannend es wäre, dies herauszufinden. Und doch hatte die Müdigkeit alle drei von ihnen schon so gut im Griff, dass sie beim Erreichen ihres Ziels nur noch ans Schlafen denken wollten. Wobei sich da schon die nächste Frage stellte: Wer kann im Bett schlafen, da es nur eins davon gab. Violene hatte schnell gemeint, dass sie mit Schocker in der anderen freien Ecke einen Schlafplatz machen wird, da der Leuchtende Fluch seiner Umgebung eh noch nicht so vertrauen würde. Worauf Anni und Amelie noch etwas überlegten, bis Anni meinte, dass sie eh mal das Schlafen außerhalb eines Bettes für längere Zeit gerne ausprobieren würde.
So kommt es, dass Amelie im Bett schläft und Skayla nah bei ihrer Reiterin. Anni und Zickzack mit einigen Stoffen sich einen weiteren Schlafplatz in einer freien Ecke bastelten und Violene und Schocker wiederum in einer anderen liegen.
Nur das sie jetzt im Gegenzug zu den anderen noch immer wachliegt, noch immer rastlos grübelt und einfach nicht zur Ruhe kommen kann. Egal wie oft sie es auch dreht und wendet, es fehlen ihr noch immer Puzzlestücke, das merkt sie. Und bis jetzt konnte ihr noch niemand was Vernünftiges dazu sagen. Nicht einmal Thea, welche sie im Grunde nur Ermutigte, weiter nach der Wahrheit zu suchen. Aber wo? Wo, wenn es nirgends Anzeichen dafür gibt?
Am nächsten Tag sind alle drei zu unterschiedlichen Zeitpunkten wach und haben die Hütte verlassen. Wie Atali schon darum bat, wollte jede von ihnen den Flügelmädchen im Alltag behilflich sein. Nur war die grundlegende Frage: Wie am besten?
Als Anni und Amelie herausfanden, dass sie beide einiges Wissen im Bereich der Heilung ansammeln konnten, haben sie sich kurzerhand zusammengetan und die zuständigen Heiler bei den Flügelmädchen aufgesucht. Diese reagierten anfänglich etwas überrascht, bis sich die offenen Fragen schnell klären ließen. Und tatsächlich waren die Heiler gar nicht so abgetan von der Idee, sowohl von den beiden Unterstützung zu bekommen als auch sich gegenseitig auszutauschen und so mehr voneinander zu lernen und ihr Wissen zu erweitern. Leicht schmunzelnd beobachtet Violene vom Rand des Dorfes aus, wie die beiden immer mal wieder bestimmte Pflanzen zusammensuchen oder auch beim Besorgen von grundlegenden Materialien helfen.
Sie selbst ist dabei noch kein Stück weiter, wo sie sich wiederum im Dorf einbringen kann. Dadurch, dass Grodan ihr selbst grundlegende Dinge verwehrte und sie vieles erst von Narvik mitbekam. Mit einigen Fragen im Gepäck macht sie auf den Weg durch das Dorf.
Sanft tätschelt Amelie Skayla am Hals, als die Klingenpeitschlingdame mit ihrem scharfen Schwanz kurzerhand einen Baum fällte und diesen in transportfähige Stücke zerkleinerte. „Sehr gut, Skayla! Dann sind wir mit Feuerholz erstmals gut versorgt."
„Und ich habe ein paar weitere Kräuter und Pflanzen gefunden, die uns für Verbände und Tränke helfen können!", ruft Anni ihr zu, als sie aus einem der vielen Gebüsche hervorkommt. „Echt cool, dass wir hier nochmal so viel lernen können, was die Heilkunst angeht!"
„Du sagst es, Anni", schmunzelt die junge Heilerin und sieht noch einmal zu den Kräutern an ihrem Gürtel. Jedes Leben ist schützenswert, ein Grundsatz, den sie niemals vergessen sollte. „Wo hast du das Heilen eigentlich gelernt?"
„Das war bei Gothi, ich war ihre Schülerin. Sie ist die beste Heilerin auf Berk! Auch wenn sie nie redet und nur durch Zeichen kommuniziert, die sie mit ihrem Stock in den Sand schreibt. Und du?"
„Es wurde mir von klein auf in unserem Stamm beigebracht. Das Heilen war neben dem Bewahren der Einheit von Drache und Mensch einer der wichtigsten Grundsätze in meiner Heimat. Und na ja... es ist ziemlich praktisch, wenn man jahrelang auf sich gestellt ist."
„Aber jetzt sind wir immerhin gemeinsam unterwegs!", bemerkt Anni grinsend, während die beiden sich mit ihren Drachen auf den Rückweg zum Heilerhaus machen.
Kurz klopft es an die Tür zum Haupthaus, in welchem sich Atali und einige ihrer engsten Vertrauten befinden. Die Neuankömmlinge haben viele Fragen innerhalb der Gemeinschaft aufgerufen. Gerade auch wegen der Legende über Wikinger, welche auf den Rücken von Drachen reiten.
Überrascht sieht Atali auf, sichtlich nicht damit gerechnet haben. Ebenso wenig wie ihre engsten Vertrauten, welche teils misstrauisch zur Tür sehen. Doch lässt sie sich davon nicht beirren: „Herein!"
Eher zögernd beginnt die Tür sich zu öffnen, als Violene im Türrahmen dahinter erscheint. Hinter ihr wiederum der Leuchtende Fluch, Schocker, welcher sichtlich versucht nicht furchteinflößend zu wirken – ausnahmsweise – und eine entspannte Haltung daher angenommen hat. „Kann ich um ein Gespräch unter vier Augen bitten?"
Kaum hat Violene diese Bitte geäußert, verändern sich die ohnehin schon gemischten Blicke zu mehr misstrauischen. Kurz sehen Atalis engsten Vertrauten zwischen ihrer Anführerin und dem Gast hin und her, auf Anweisungen warten. Atali selbst mustert Violene stumm, keine Emotionen in ihrem Blick verratend. Bis sie eine Entscheidung gefällt hat: „Komm herein, Violene. Lasst uns bitte so lange alleine, ich bin mir sicher, dass das Gespräch nicht lange dauern wird. Nur eine Bitte habe ich an dich, lass deinen Drachen draußen warten. Nicht um meinetwillen, sondern eher, damit die anderen kein Misstrauen dir gegenüber fassen."
„Natürlich", nickt Violene knapp und sieht mit einem sanften Lächeln zu Schocker. Für wenige Sekunden bewegen sich ihre Lippen, scheinen diese aber keinen Laut von sich zu geben. Grummelnd nickt der Leuchtende Fluch daraufhin nur, geht an den Rand des Weges und rollt sich zusammen. Skeptisch wurde dies von den engsten Vertrauten beobachtet, bevor Violene hereinkommt und diese wiederum die Hütte verlassen und hinter sich die Tür schließen.
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