Chapter 10
Die Wochen verstrichen und immer weiter schrieb ich jeden Tag einen Brief an Harry. Vergeblich wartete ich darauf, eine Antwort von ihm zu erhalten, aber wie sollte die denn auch bitte aussehen? Er wusste ja nicht wo ich wohne. Er konnte vor seinem Haus auf mich warten, oder sowas in der Art, aber wahrscheinlich will er mich zappeln lassen.
Die fünfte Woche war gerade angebrochen, seitdem ich Harry nun schon Briefe schreibe und ich hatte immer mehr das Gefühl, dass Liam langsam darauf aufmerksam wurde. Denn jeden Tag nach der Schule, wenn ich eigentlich nach links nach Hause laufen müsste, laufe ich nach rechts zu Harry. Aber so lange Harry noch nicht bereit ist, wollte ich Liam eigentlich noch nichts erzählen, aber wenn er es selbst herausfindet? Was soll ich dann dagegen tun?
Heute war wieder so ein Tag, wo Liam besonders aufdringlich war. Ein typischer Mittwoch, die halbe Woche ist um und die Energie ist erst jetzt langsam da. Naja, bei mir ist sie in der Schule nie da, aber bei Liam sieht das ganz anders aus.
Und so ließ Liam mich dies auch spüren, indem er mich die ganze Zeit mit Fragen durchlöcherte. Aber er wusste ja weder, dass ich schwul bin, noch von Harry. Und eigentlich wollte ich beides ein wenig länger verschweigen.
Mit einem lauten Knall schloss ich meinen Spind, um Liam zum schweigen zu bringen. Er zuckte kurz zusammen und war tatsächlich ruhig. ,,Ich treffe mich in letzter Zeit mit jemandem, okay?" Log ich ihn an und umklammerte die Laschen meines Rucksacks. ,,Wen denn? Seit wann? Wieso hast du mir das nicht eher erzählt?" ,,Genau deswegen", seufzte ich genervt und verließ das große, alte Gebäude mit Liam im Schlepptau. ,,Sorry", murmelte er nur, doch ich sah in seinen Augen, dass es ihm nicht im geringsten Leid tat. Er wollte unbedingt Antworten, aber ich war noch nicht bereit sie ihm zu geben, was er merkte und anscheinend akzeptierte. Aber wer sollte ihm seine Neugier verübeln? Ich konnte es auf jeden Fall nicht.
,,Dann bis morgen", sagte ich zu Liam, umarmte ihn einmal kurz und ging richtung Harrys Haus. Von diesem hörte ich auch gerade Musik über meine Kopfhörer und sang in meinem Kopf mit.
Nach den üblichen fünfzehn Minuten war ich da und steckte den Brief in den Postkasten. Noch kurz blieb ich stehen, schaute mir das große Gebilde vor meinen Augen an und fragte mich wirklich, ob Harry sich nicht einsam fühlt. Ich konnte ja theoretisch öfter bei im vorbeikommen, aber er blockt ja jeglichen Kontakt mit mir ab. Aber das ist eben Liebe, sie kann nicht nur wunderschön, sondern auch verdammt schmerzhaft und verwirrend sein.
Völlig in meinen Gedanken versunken erschrak ich, als sich plötzlich eine große Hand auf meiner Schulter befand, die mich zusammen zucken ließ.
,,Louis?"
Natürlich erkannte ich diese raue, aber doch sanfte Stimme sofort. Nicht umsonst jagte sie mir tausende Schauer über den Rücken. Ich hatte bloß Angst mich umzudrehen, falls es nachher nur eine Einbildung wäre. Meine Entscheidung wurde mir allerdings abgenommen, als sich der Druck auf meiner Schulter kurz erhöhte und ich damit herumgedreht wurde. Direkt schaute ich in die grünen Augen, in denen ich immer wieder versinken wollen würde. Mir war es auch nicht peinlich, dass ich meinen Gegenüber anstarrte, denn warum sollte es? Bei solch einer Schönheit kann man eben nicht weggucken.
Dafür fand mein Gegenüber das allerdings anscheinend unangenehm, denn seine Wangen färbten sich in einem niedlichen rosa Ton. Ein schiefes Lächeln legte sich auf meine Lippen.
,,Magst du noch mit reinkommen? Ich hab ein paar Fragen an dich."
,,Gerne Harry."
Ich hatte gedacht, mein Ziel hätte ich damit erreicht und er würde mir endlich seine Liebe gestehen, allerdings sollte ich sehen, wie falsch ich lag, als ich die erste Frage hörte.
,,Wieso glaubst du, dass ich dich liebe?" ,,Hast du meine Briefe nicht gelesen?" Fragte ich leicht verletzt zurück. ,,Doch, jeden einzelnen." Ein zaghaftes Lächeln bildete sich auf Harrys Gesicht. ,,Und? Haben sie dir gefallen?" Hakte ich vorsichtig nach. Harry ging allerdings nicht wirklich auf diese Frage ein, denn er meinte:,,Das ist jetzt nicht Thema. Wir kennen uns trotzallem nicht. Deswegen verstehe ich nicht, wie du auf die Idee kommst, dass ich dich lieben würde, geschweige denn, du mich."
Ich pustete frustiert die eingeatmete Luft aus. ,,Ich liebe dich, seitdem ich dich das erste mal gesehen habe und du mich. Das war doch offensichtlich Liebe auf den ersten Blick?!" In meiner Stimme schwang Verwirrung und Trauer mit. Wieso gibt er es nicht endlich zu? ,,Louis, ich will dir ja jetzt nicht zu Nahe treten, aber bist du sicher, dass du nicht mal einen Arzt aufsuchen willst?" ,,Einen Arzt? Wieso das denn?" Vor lauter Empörung, klang ich wie ein quietschendes Meerschweinchen. ,,Oder einen Therapeuten, ist mir egal. Aber ich weiß zu 100%, dass ich dich nicht kenne und nicht liebe. Ich liebe Kendall."
Mein Herz brach Stück für Stück. Und nach dem letzten Satz konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich war ein einziges Wrack. Weinend sackte ich auf dem Boden zusammen. Mein Kopf hatte ich in meine Hände gestützt und immer wieder musste ich schniefen. ,,Hey, du musst doch jetzt nicht weinen." Ich spürte, wie Harry sich neben mich kniete. Doch aus meiner Traurigkeit wurde immer mehr Wut. Rasende Wut auf Harry und mich selbst. Wieso muss Harry nur so ein Feigling sein? Wieso kann er es nicht endlich zugeben? Und wieso muss ich ihn lieben?
Ich nahm meinen Kopf aus meinen Händen und blickt wütend in Harrys leuchtende Augen. Fast wäre ich schwach geworden. Aber nur fast. ,,Weißt du, wenn du so ein Feigling bist, dann werde ich Liam jetzt einfach von uns erzählen. Er wird dir sicher schon Vernunft eintrichtern!" Fauchte ich Harry an, sprang auf und rannte aus der Villa, raus in den Regen, der mittlerweile eingesetzt hatte. Harrys Rufe ignorierte ich gekonnt, außerdem wurden sie nach einiger Zeit sowieso von den Automotoren und etlichen anderen Geräuschen übertont.
Das einzige, was mich noch an das gerade geschehene erinnerte, daran, dass es wirklich passiert war, waren meinen Tränen, die einfach nicht trocknen wollten und fortlaufend weiter meine Wangen runter kullerten.
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