Die Letzte Hürde
Marlena löste den Blick von den Tierkadavern und blickte sich um. Wer konnte es sein, der hier unten überlebt hatte. Einen flüchtigen Moment lang hoffte sie, dass es sich vielleicht um Togra handeln könnte aber sollte sie sich das wirklich wünschen? Die Reiterin der Urgals hätte vielleicht in die Zisterne entkommen und von den Kleintieren, dessen Überreste sie gefunden hatten, leben können aber kaum ihre Drachendame. Sollte sie sich also wirklich wünschen, dass nur eine Hälfte der Seelenpartnerschaft noch am Leben war? Ihr Vater hatte ihr oft erzählt wie schwer es einen Drachen oder einen Reiter war ohne seinen Partner weiterzuleben. Er hatte ihr von ihrem Großvater erzählt, von der Begegnung mit Saphira-Eldunari und natürlich von seinem alten Lehrer Glaedr.
Sie schob die Erinnerungen an ihre Ausbildung beiseite. Für derartige Nostalgie blieb jetzt keine Zeit. Wer konnte der Überlebende sein? Einer der Jäger die hier gekämpft hatten? Auch diesen Gedanken verwarf Marlena. Den Jägern war entweder die Flucht gelungen oder ihre Kameraden hatten sie eindeutig sterben sehen.
Ein schrilles Quieken unterbrach die Überlegungen der junge Drachenreiterin. Dem angsterfüllten Laut folgte ein leises Knacken welches Marlena durch Mark und Bein ging. Es war ein Geräusch, welches eine Botschaft in sich trug. Ein Leben hatte soeben sein Ende gefunden.
Marlena signalisierte ihren Begleitern ihr zu folgen. Svenaja und Atalet verstanden die stumme Geste und platzierten sich jeweils an der rechten und linken Schulter der jungen Halbling. Kyra und Alonvy flankierten die Gruppe die sich leise auf die Quelle des Geräuschs zubewegte.
Es war immer wieder verblüffend wie leise sich so mächtige Wesen wie die Drachen doch bewegen konnten wenn sie es wollten. Praktisch lautlos schritten die Gefährten voran.
Nun waren auch andere Geräusche zu hören. Ein stoßweises Atmen und einige geflüsterte Worte. Selbst Marlenas feines Gehör konnte die Bedeutung der hastig gesprochenen Sätze nicht erkennen aber die Tonlage der Stimme gefiel der jungen Halbling überhaupt nicht. Hastig und abgehakt klangen die Worte. Es war die Weise wie sich jemand ausdrückte, von dem man bezweifeln musste dass er seine fünf Sinne noch beisammen hatte.
Die Gruppe näherte sich der ersten Nische zur rechten der Königsstatue in der Zitadelle. Marlena glaubte im Schatten zu Füßen der Statue eine Bewegung wahrnehmen zu können. Mit noch größerer Vorsicht setzten die Reisegefährten ihren Weg fort. Die beiden Drachendamen blieben schließlich einige Schritte zurück während sich die zweibeinigen Mitglieder der Reisegruppe an die Wand drückten und sich vorsichtig der Nische näherten.
Die gemurmelten Worten wurden nun verständlicher. Zumindest Bruchstücke konnte Marlena auf schnappen.
"Sollte nicht so sein........ war treu....... habe alles getan....... ich hätte belohnt werden sollen..... herrschen über neue Ordnung...... falsch! Alles falsch...... sollte nicht so sein!"
Der Unbekannte wiederholte seine Aussprüche immer wieder wie ein manisches Gebet.
"Diese Stimme....." flüsterte Atalet plötzlich.
Marlena drehte sich zu dem Zwerg um und erkannte wie in Augenblicken jegliche Weisheit und Vorsicht aus dem Gesicht des Priesters wich und blankem Zorn das Feld überließ. Sie wollte ihrem Kampfgefährten bedeuten ruhig zu bleiben doch es war bereits zu spät. Atalet stürzte um die Ecke die bisher noch den Blick auf den unbekannten Überlebenden verstellt hatte. Marlena und Svenaja eilten ihm nach und zu verhindern dass der Zwerg in sein Unglück rannte.
"Borien!" brüllte Atalet und spukte den Namen dabei aus als wie etwas unappetitliches. "Jetzt erhältst du was du verdienst du Verräter."
Wiederkam Marlena zu spät um den Priester der Knurlan noch von seinem törichten Verhalten abbringen zu können. Tatsächlich kauerte in der Nische über den Kadaver einer frisch erlegten Ratte der Zwerg Borien. Marlena erinnerte sich an sein Gesicht aus den Erinnerungen die Burod und Beoram mit ihnen geteilt hatten. Dieser Zwerg jedoch war allerdings noch ein Schatten des selbstsicheren Borien den sie dort gesehen hatte. Seine dunkle Kutte war über und über mit Dreck besudelt und an unzähligen Stellen eingerissen. Es war nicht mehr das edle Gewand eines Priesters sondern ähnelte mehr den Lumpen eines Obdachlosen. Haare und Bart von Borien waren ungepflegt und verfilzt. Sehr zu Marlenas Ekel klebte überall im Gesicht des Zwerges und in seinem Bart Blut. Sowohl altes getrocknetes als auch frisches Blut von seinem neuesten tierischen Opfer. In der rechten Hand hielt der Zwerg einen Dolch mit dem er soeben die Gefangenen hatte gehäutet hatte und in der linken ein Bündel aus schmutzigen grauen Lumpen. Oromis sich dabei handelte konnte Marlena nicht sagen. Der Gegenstand war fest eingewickelt in die grauen Stoffbahnen und lediglich die ungefähre Größe sie sich schätzen. Was auch immer es war, es hatte etwa die Länge eines menschlichen Unterarms und den Durchmesser eines vollreifen Kürbis.
Für weitere Beobachtungen blieb der jungen Halbling jedoch keine Zeit. Fest entschlossen Borien für seine Verbrechen zu bestrafen stürmte Atalet mit erhobener Waffe auf dem Zwerg zu. Dieser reagierte überraschend schnell. Er überwand den Schrecken über den unerwarteten Feinde und schleuderte seinen Dolch mit großer Präzision gegen den angreifenden Zwerg. Die Waffe traf Atalet, der in seiner Wut die eigene Deckung völlig vergessen hatte, in die Magengrube und drang bis zum Griff ins Fleisch. Eine seltsame Mischung aus Schmerz und ungläubiger Überraschung zeigte sich auf Atalet Gesicht Augenblicke bevor sein Blick ins Leere wanderte und er bewusstlos zusammenbrach.
Marlena zwang sich alle Sorge um den Zwerg zurückzustellen und wandte sich wieder Borien zu. Die wenigen Augenblicke in denen sie sich um den Freund gesorgt hatte waren aber bereits genug. Der offenbar wahnsinnige Anhänger Maranteras hatte bereits die Hand erhoben und murmelte eine magische Beschwörung.
Unsichtbare Fesseln schlangen sich um die Gliedmaßen der jungen Halbling und machten jede weitere Bewegung unmöglich. Eine innere Stimme sagte Marlena dass es Svenaja in diesem Augenblick genauso ging.
Das donnernde Brüllen von zwei Drachen ließ kurz Hoffnung bei der jungen Halbling aufblitzen doch diese wandelte sich schnell in ungläubiges Entsetzen.
Alonvy und Kyra setzten beide auf Borien zu doch plötzlich stoppte sie eine unsichtbare Kraft mitten im Sprung. Unfähig sich zu befreien oder fort zu fliegen hingen die beiden Drachendame in der Luft.
Panik keimte eiskalt in Marlena auf und drohte jedes rationale Denken zu ersticken doch die Reiterin zwang sich dem Gefühl nicht nachzugeben sondern ihre nächsten Schritte zu überdenken. Eine Frage füllte praktisch den kompletten Geist von Eragons Tochter aus: Wie konnte ein einfacher Magier der Zwerge einen so mächtigen Zauber wirken? Zwei ausgewachsene Drachendamen mit Magie in der Luft zu halten war ein unglaublicher Kraftanstrengung!
Marlena fand keine Antwort darauf doch sie kam zu dem Schluss, dass es sinnlos wäre mit einem Gegentauber zu versuchen den magischen Bann zu brechen der sie festhielt. Borien musste über unbekannte Kraftreserven verfügen. Solange sie das Ausmaß dieser Reserve nicht kannte wäre es eine gefährliche Verschwendung gewesen sich mit ihnen zu messen.
Stattdessen ging Marlena auf der geistigen Ebene zum Angriff über. Die Antworten auf ihre Fragen waren in Boriens Geist und Herrschaft über seinen Verstand bedeutete, dass er das Duell verloren hatte, ganz gleich wie mächtig er als Magier war.
Der Angriff traf den Zwerg überraschend und Marlena erhielt einige kurze Einblicke in seine Erinnerungen. Nachdem er Marantera erweckt hatte emfand der Zwerg zunächst Triumph. Er glaubte, das die Göttin ihn nun für seine Treue belohnen würde. Als ihr hoher Priester würde eher über die Neue Weltordnung herrschen. Wer auch sonst? Eine aus dem einfachen Fußvolk welches sie nicht einmal zu aufs Erschwerung der Göttin in die alte Stadt gerufen hatten? Die anderen höher gestellten Mitglieder des dunklen Kultes waren ja im Kampf gegen die angreifenden Drachenreiter und Krieger des Zwergenvolkes gefallen. Ihre Energie hatte Marantera erweckt und man würde ihrer dieses noble Opfer in der Neuen Weltordnungen gedenken. Worin hatte natürlich nie erwogen selbst seine Energie zu opfern. Nicht war etwa sein Glaube nicht rein genug wäre aber schließlich musste ja ein hochwertiges Mitglied zurückbleiben um die Herrschaft zu übernehmen. Opferte er nicht auf seine Weise genauso viel indem er auf den unsterblichen Ruhm verzichtete der den Toten zuteil werden würde?
Aber da war alles ganz anders gekommen. Die Kinder der großen Göttin hatten ihn genauso angegriffen wie die Zwerge und die Drachenreiter. Etwas stimmt nicht! Etwas war falsch. Angst hatte ihn ergriffen und er war durch einen Tunnel vom Tempel aus in die Zisterne geflohen. Hier hatte er wie ein Tier gelebt. Sich versteckt vor den Kindern der Göttin. Warum zeigte die Göttin keine Dankbarkeit? Es war falsch! Einfach falsch!
Weiterer Erinnerungen konnte Marlena nicht aufnehmen da Borien nun zum Gegenangriff ansetzte. Der Zwerg war geschickt darin seinen Verstand zu verteidigen und ergriff sie mit der Kraft eines fiebrigen Geistes an, der nicht mehr an die eigene Sicherheit dachte sondern in den überraschenden Besuch an eine Gelegenheit sah endlich aus der Zisterne zu fliehen!
Weg! Nur weg!
Allein dieser Gedanke einte Boriens Geist und verlieh ihm große Kraft.
Plötzlich blitzte etwas golden vor Marlenas Augen auf. Noch bevor die Drachenreiterin recht begriffen hatte um was es sich handelte erstarb der Angriff auf ihren Geist und die magischen Fesseln fielen von ihr ab. Ein schneller Blick offenbarte ihr, dass auch Kyra und Alonvy sich wieder bewegen konnten.
Ein seltsamer röchelnder Laut lenkte die Aufmerksamkeit der jungen Halbling wieder auf Borien. Noch immer war Marlena unfähig zu begreifen was sie da sah. Ein Teil des langen Wartens des Zwerges viel sauber abgetrennt zu Boden. Nun konnte man den Hals des Zwerges sehen. Aus einer tödlichen Wunde die sich um den gesamten Nacken Boriens schlang strömt Blut. Der Blick des Zwerges wurde leer und mit einem dumpfen poltern fiel sein Kopf von den Schultern und auf den Boden. Augenblicke später sackte auch der Rest des Körpers zusammen.
"Dieser Segen auf meinem Schwert ist wirklich nützlich."
Eine zittrige Stimme zog Marlenas Aufmerksamkeit auf sich und als sie zu Svenaja blickte traf sie die Erkenntnis wie ein Blitz.
Magier waren am verwundbarsten wenn sie sich in einem geistigen Duell befanden. Die junge Reiterin aus dem Norden musste erkannt haben, dass sich ihre Freundin und der Zwerg der Atalet verwundet hatte in einem solchen Kampf befanden. Daraufhin hatte sie sich entschieden den Vorteil zu nutzen, der ihr und ihren Gefährten schon auf Vroengard das Leben gerettet hatte. Der Segen, der auf ihrer Familie ruhte und auf Neaglings Klinge verewigt wahr hatte es ihr erlaubt die magischen Fesseln ohne großen Kraftaufwand zu überwinden. Der Herbst war die junge Frau dann vorwärts gestürmt und hatte mit einem schnellen Streich Borien den Kopf abgeschlagen.
"Danke." flüsterte Marlena und meinte damit ebenso sehr Svenaja wie einen gewissen Werkater der ihr den Rat gegeben hatte im entscheidenden Moment Hilfe anzunehmen.
Svenaja kommentierte den Ausspruch mit einem Nicken. Die beiden Freundinnen waren immer noch überwältigt von dem was gerade geschehen war. Alles war so rasend schnell abgelaufen.
Es war Marlena die als erste ihre Fassung wiedergewann.
"Kümmere dich bitte um Atalet." sagte sie zu ihrer Schülerin. "Von Heilzaubern verstehst du genug um seine Wunde schließen zu können. Kyra wird dir sicher mit ihrer Kraft helfen wenn es nötig sein sollte. Ich möchte mir die Leiche von diesem Zwerg noch einmal ansehen. Wir müssen verstehen was ihm diese außergewöhnliche magische Kraft gegeben hat."
Svenaja nickte und wandte sich ihr zugeteilten Aufgaben zu.
- "Geht es dir gut kleine Halbling?" -
Marlena zuckte unter dem plötzlichen Kontakt zu ihrer Drachendame zusammen. Gerade noch hatte sie verzweifelt ihren Geist verschlossen gehalten und daher verstand Alonvy die Reaktion.
- "Ja! Und dir?"-
- "Alles in Ordnung. Wenn Atalet überlebt werde ich ihn umbringen! Wie ein tollwütige Hund auf sein Ziel los zu stürzen! Das werde ich ihm austreiben ganz gleich mit Respekt ich einem Priester der Zwerge eigentlich schulde." -
Marlena musste innerlich schmunzeln. Jetzt musste sie das ihrer Drachendame wirklich gut ging.
-" Ich will versuchen herauszufinden warum Borien so stark in der Magie war." -
-" Guter Gedanke." - bekräftigte Alonvy. - "Ich denke du solltest dir dieses komische Bündel was er bei sich trägt mal ansehen. Er hat es ja nicht mal aus der Hand gelegt um seine Beute auszuweiden. Was immer es ist, es muss wertvoll sein." -
Dem konnte sich Marlena nur anschließen. Vorsichtig trat sie an den abgetrennten Rumpf des Zwerges heran und hob das Bündel aus seinem verkrampften Griff. Als sie die Stoffbahnen beiseiteschob wusste sie nicht ob sie lachen oder weinen sollte.
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