3. Neue Eindrücke
Marlena achtete sorgfältig darauf, dass sowohl ihr kräftiger Haarschopf als auch die Kapuze ihres braunen Umhangs die spitz zulaufenden Ohren, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, verdeckte. Sie hatte gerade das Stadttor zur Hauptstadt Ilirea hinter sich gelassen und die sich nun von der Menge der ankommenden Händler und Reisenden in die Stadt hineintragen.
- "Und du bist auch wirklich nicht böse weil ich mir die Stadt zunächst einmal alleine ansehen will?" -
Alonvy sandte ein amüsiertes Kichern in die Gedanken ihrer Reiterin. Die Seelengefährten waren gestern in den späten Abendstunden im Umland von Ilirea angekommen. Ihre Reise von der Ostmark zur Hauptstadt des Reiches der Menschen war ohne Probleme verlaufen.
- "Natürlich bin ich bin nicht böse kleine Halbling." -
- "Es ist ja nicht so das es das erste Mal ist, das sich in Ilirea bin aber wenn wir offiziell als Drache und Reiter hier eingetroffen wären, dann würde es genauso ablaufen wie mit meinen Eltern." -
- "Offizieller Empfang beim König, der Hochadel gibt sich die Ehre und ich vermute mindestens drei Emporkömmlinge hätten dir bereits einen Heiratsantrag gemacht." -
Vor ihrem geistigen Auge konnte Marlena förmlich sehen sich ihrer Drachendame vor Abscheu schüttelte.
- "Nein, darauf kann ich auch verzichten."- lachte der junge Halbling. - "Wir sind ja schließlich unterwegs um neue Eindrücke zu sammeln und nicht um alte zu wiederholen. Sicher habe ich zusammen mit meinen Eltern schon einer Ilirea besucht, das letzte Mal glaube ich, als Nasuada die Krone an ihren Sohn weitergegeben hat. Doch ich hat die Stadt noch nie aus dieser Perspektive gesehen. Einfach als ein Gesicht in der Menge. Ich möchte einfach erfahren wie die einfachen Leute hier leben. Doch ich rede nur von mir! Wirst du dich auch nicht langweilen?" -
Statt einer Antwort übermittelte Alonvy eine Flutwelle von Sinneseindrücken an ihrer Reiterin. Obwohl Marlena nun schon einige Jahre mit ihrer Drachendame verbunden war vermochte die junge Weiße immer noch sie zu überraschen. Es dauerte einige Augenblicke bis die Drachenreiterin Begriff, dass ihre Seelenschwester Gerüche übermittelte.
Alonvy hatte sich offenbar so platziert, dass der seichte Wind, der über Ilirea strich direkt in ihre Richtung wehte.
- "Und ich dachte ich hätte feinen Sinne von meinen Eltern geerbt!" -
Staunte die junge Halbling als sie die Präzision bewunderte mit der ihrer Drachendame jeden noch so schwachen Geruch identifizieren konnte. Es kam er fast vor als würde sie ein geflochtenes Seil betrachten und jede einzelne Faser stellte einen Geruch da." -
- "Du hast auch feinere Sinne als die meisten anderen Zweibeiner aber denkt daran: Die meisten der außergewöhnlichen Fähigkeiten der Elfen haben sich erst entwickelt als sie mit uns Drachen Frieden geschlossen haben. Der Pakt der Völker verändert jeden, der ihm angehört. Das Volk deiner Mutter gehört am längsten zu diesem magischen Bündnis. Doch der Drachen hatten schon immer scharfe Sinne. Schließlich sind wir auch Jäger des Himmels! Wir haben nie Pflanzen kultiviert oder uns mit Grünzeug abgegeben. Du siehst also: Nicht nur Du erkundet die Stadt. Ich tue es auch. Nur eben auf meine Weise." -
Marlena lächelte beruhigte und setzte ihren Weg über die Hauptstraße fort. Obwohl die Völkerspiele erst in zwei Monaten beginnen sollten sah man in der Stadt bereits einige Vorbereitungen. Einige Gebäude waren bereits geschmückt und in den Läden der Handwerker arbeitete man an kleinen Mitbringseln die Gäste der Spiele ihren Lieben in der Heimat mitbringen konnten. Ursprünglich waren die Spiele hauptsächlich eine Veranstaltung der Urgals gewesen. Die Gehörnten hatten auf diese Weise ihre Stärke unter Beweis gestellt und sich somit das Recht auf Paarung erworben. Dass man die anderen Völker eingeladen hatte war mehr eine Geste der Höflichkeit gewesen. Je öfter die Spiele jedoch stattfanden desto beliebter wurden sie in ganz Alagaesia. Jedes Volk konnte in den verschiedenen Disziplinen seine individuellen Stärken zeigen. Schließlich hatte man mit den Ohren als verhandelt und die Spiele waren zu etwas völlig neuem geworden.
Noch immer bewiesen die Urgals darin ihre Stärke doch sie waren nun mehr. Die erste Veranstaltung an der alle vier Völker gleichermaßen beteiligt waren. In einem Jahr bestimmten Vorausscheidungen die Teilnehmer die ihre jeweilige Rasse bei den Hauptspielen vertreten sollten. Die Hauptspiele fanden alle zwei Jahre statt und jeweils einem Volk wurde die Ehre zuteil sie auszurichten. Meist waren es die Hauptstädte der einzelnen Reiche die diese Verantwortung auf sich nahmen.
In diesem Jahr war es Ilirea und ganz offensichtlich waren die Einwohner der Hauptstadt entschlossen ein würdiger Austragungsort zu sein. Man spürte, dass bereits eine gewisse Aufregung die Bewohner der Stadt ergriffen hatte und sie zu größerer Geschäftigkeit antrieb.
Den Vormittag verbrachte Marlena damit über den ausgedehnten Marktplatz zu schlendern. Zwar hatte der Orden ihr einiges an Geldmitteln mit auf den Weg gegeben dennoch wollte sie noch nicht damit beginnen ihre Börse zu leeren. Immerhin stand noch das große Ereignisse der Spiele bevor und sicherlich würden sich dort einige interessante Gelegenheiten ergeben bei denen ein gut gefüllter Geldbeutel nützlich sein konnte.
Als die junge Halbling jedoch gegen Mittag über den Teil des Marktplatzes Schritt an dem Lebensmittel verkauft wurden stellte sich bei ihr doch ein gewisser Hunger ein.
Von eben diesem Gefühl getrieben Talismänner den Markt und sah sich nach einem Gasthaus um.
Sie entdeckte schließlich eine gemütlich aussehende Herberge am Rande einer kleinen Parkanlage.
Von ihrer Mutter hatte sie die Liebe zur allem was grünte und blühte geerbt und so konnte Marlena nicht widerstehen den Weg durch den Park zu nehmen. Die Wege zwischen den kunstvoll angelegten Beeten und Baumgruppen waren mit weißem Split gestreut und führten in Kurven und Schleifen durch die Anlage.
Die junge Halbling genoss es in vollen Zügen von Natur umgeben zu sein. Sicherlich waren die Gebäude von Ilirea und die Bewohner der Stadt ebenfalls interessante Eindrücke doch für jemanden der das Blut der Elfen in sich trug hatten die Städte der Menschen auch immer etwas bedrückendes. Lauschte man dem Lied des Lebens waren sie stets wie Löcher die man in die zarte Melodie geschnitten hatte, wie die ganze Welt durchzog. Hier in diesem kleinen Park erklang dieses einmalige Lied jedoch noch. Jung und fröhlich und ohne Sorge! So konnte man am ehesten umschreiben wie es den Pflanzen in diesem Park ging.
Schließlich erreichte Marlena das Zentrum der Grünfläche. Sie wurde durch einen kunstvoll angelegten Springbrunnen markiert der einem natürlichen Quellstein nachempfunden war. Plätschern ergoss sich kühles Nass ist ein Sammelbecken und das angenehme, gleichmäßige Geräusch des Wassers schien sich perfekt in die zarte Melodie des Lebens einzufügen. Marlena setzte sich einen Augenblick auf den Rand des Sammelbeckens und gab sich ganz dem Zuhören hin.
"Ich hoffe euch gefällt der Garten?"
Marlena erschrak etwas als sie plötzlich jemand ansprach. So sehr hatte sie sich im Klang des Liedes des Lebens verloren, dass sie nicht auf einzelne Geister von Lebewesen geachtet hatte. Trotzdem war es ungewöhnlich dass der ältere Mann, der sie freundlich anlächelte ihr nicht aufgefallen war. Scheinbar fügte er sich fast perfekt in die Melodie des Lebens die an diesem Ort vorherrschte ein. Erst als Marlena einige Gartengeräte bei ihm entdeckte, machte dieser Umstand für sie Sinn.
"Oh ja, sehr sogar! Ich nehme an ihr pflegt diese Anlage oder?"
"Da habt Ihr recht junges Fräulein." lächelte der ältere Mann. "Es ist für mich gewissermaßen eine Herzensaufgabe wisst ihr."
Marlena schmunzelte in sich hinein. Das hätte ihr Gegenüber gar nicht erwähnen müssen. Anders war nicht zu erklären, dass sich der Geist dieses Mannes so in das Leben um sie herum einfügte. Ihm lag etwas an jeder einzelnen Pflanze dieses Gartens. Ein wenig schämte sich Marlena für den Gedanken der edel den Kopf schoss: Diese Einstellung kann man nicht bei vielen Menschen.
Inzwischen erzählte der alte Gärtner weiter.
"Wisst ihr, dass sie war nicht immer ein Ort des Lebens. Unter Galbatorix was das genaue Gegenteil. Es war eine Hinrichtungsstätte."
Der Gärtner unterbrach sich als er sah, dass seine junge Gesprächspartnerin in ein wenig erschreckt anblickte. Das hätte sie wirklich nicht von diesem Ort des Lebens erwartet.
"Entschuldigt junges Fräulein ich wollte euch nicht erschrecken."
"Schon gut." beschwichtigte Marlena schnell. "Es ist unglaublich, dass ein Ort, der so voller Leben ist einmal eine so dunkle Geschichte hatte."
"Ja, da habt Ihr recht." murmelte der alte Gärtner und setzte sich neben Marlena. "Selbst dieser Brunnen gehörte einmal zu den Hinrichtungsstädten. Ich nehme an ihr seid nicht aus Ilirea oder?"
Als die junge Frau den Kopf schüttelte lächelte der alte Mann und fuhr fort.
"Ihr müsst wissen, unter dem schwarzen König waren relativ schmerzlose Todesarten wie Aufhängen oder enthaupten Verurteilten aus noblen Familien vorbehalten oder solchen Straftätern die ihre Verbrechen gestanden hatten. Dabei spielte es allerdings keine Rolle ob das Geständnisses von wirklicher Schuld oder von Erschöpfung ob der Folter herrührte. Jemand der nicht nach einer gewissen Zeit gestand musste sich auf sehr viel unangenehmere Todesarten einstellen. Dabei spielte leider dieses Wasserbecken eine sehr unrühmliche Rolle. Man hat darin angebliche Verbrecher ertränkt. Und das war noch nicht einmal das Schlimmste. Früher ergoss sich das Wasser aus den Versorgungskanälen der Stadt in ein Metallbecken. Wenn einer der Verurteilten das Pech hatte nicht nur gegen ein Gesetz zu verstoßen sondern ganz persönlich das Missfallen des Königs erregt zu haben wurde unter diesem Metallbetten ein Feuer entzündet und der Verurteilte in das kochende Wasser gestoßen bis er tot war. Dieses Schicksal ist einmal meinem Vater zuteil geworden."
"Das tut mir sehr leid." flüsterte Marlena. "Ich wollte diesen Ort auf keinen Fall entehren! Wenn meine Anwesenheit stört dann....."
"Nein Nein! Nun versteht ihr mich völlig falsch junges Fräulein. Im Gegenteil eure Anwesenheit ist hier sehr willkommen. Seht ihr, als die Varden die Stadt befreit haben war ich noch ein recht junger Mann. Ich habe damals bei der Königin vorgesprochen und sie darum gebeten, dass ich diesen Ort in diesem Park verwandeln dürfte. Mein Vater ist schon Gärtner gewesen müsst ihr wissen. Im Grunde ist es sein und mein persönlicher Sieg über Galbatorix, dass wir diesen Ort wieder zu etwas lebendigen gemacht haben. Jeder, der diesen Park besucht und sich hier wohl fühlt ist für mich erneut ein kleiner Sieg. Ich hoffe also ihr genießt noch euren Aufenthalt hier."
Mit diesen Worten erhob sich der ältere Mann und setzte seinen Weg in einen anderen Teil des Gartens fort.
Marlena blickte ihm lange nach. Es war kein Wunder, dass diese alte Gärtner so perfekt in das Lied des Lebens passte, dass an diesem Ort erklang. In jeder Pflanze hier steckte praktisch ein Teil seiner Seele.
- "Jetzt hast du schon etwas Neues gelernt oder?"- erkundigte sich Alonvy die das Gespräch durch die Augen ihrer Reiterin mitverfolgt hatte.
- "Was meinst du?"-
- "Hingabe und Liebe zum Leben ist nicht etwas was exklusiv einem Volk vorbehalten ist. Man findet sie überall." -
- "Da hast du recht Alonvy. Diese alte Gärtner ist wirklich beeindruckend. Vor allem hat er einen wirklich guten Weg gefunden mit dem Verlust den erlitten hat umzugehen. Wie viele Übeltäter rechtfertigten ihre Verbrechen damit, dass man ihn einmal Unrecht angetan hat und sie nur eine Form von ausgleichender Gerechtigkeit praktizieren." -
- "Das hat schon dein Vater versucht uns während der Ausbildung beizubringen. Er hat doch immer gesagt, dass es einen Unterschied gibt zwischen Rache und Gerechtigkeit. Rache dient nur einem selbst und oft leidet noch das ganze Umfeld mit der man sie rücksichtslos verfolgt. Gerechtigkeit gibt Frieden und dient allen. Dieser Zweibeiner hat etwas sehr gerechtes getan. Er hat einen Ort des Todes in einem des Lebens verwandelt an dem sich nun alle erfreuen können. Glaubst du, dass dieser Ort so positive Gefühle in den Bewohnern dieser Stadt geweckt hat als es noch eine Hinrichtungsstätte war?" -
Marlena konnte ihrer Drachendame nur Recht geben. Noch einmal glitt ihr Blick zu dem alten Gärtner der gerade den Boden eines Blumenbeets aufgelockerte. In Gedanken versunken murmelte die junge Halbling einen Abschnitt der traditionellen Grußformel der Elfen: "Mögest du Frieden im Herzen tragen...... Bringer des Lebens. Du hast ihn verdient."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro