15. Dezember
Heute mal eine eher emotionale Geschichte von DarkPassion. Wir hoffen, dass sie euch gefällt ^^
Er fühlt sich einsam, denn er ist es auch. Die Einsamkeit ist sein treuster Begleiter. Er kennt hier niemanden. Wie auch, dass letzte Mal, als er an diesem Ort war, ist viele Jahre her. Die Welt, so wie er sie einst kannte, gibt es nicht mehr. Vielleicht sieht er sie aber auch nur mit anderen Augen. Jetzt, in seiner Situation.
Er friert, trägt er doch nur ein T-Shirt und eine kurze Hose. Der Wind pfeift um seine Ohren und der Schnee hat eine Decke auf den Bürgersteig gelegt. Und doch nimmt ihn keiner wahr. Er versteht das nicht, warum ist er wieder hier.
Seine Füße hinterlassen keine Abdrücke, kein bekanntes Knirschen lässt ihn zum Schmunzeln bringen. So war es früher, wenn es schneite. Aber als er das letzte Mal hier war, da schneite es nicht. Da schien die Sonne, man aß Eis und ging im See baden. Die Bäume in grün getaucht, die Vögel sangen, so weiß er es noch genau. Dennoch hat er das Gefühl, er wäre vor ein paar Tagen das letzte Mal hier gewesen.
Er steckt die kalten Hände tiefer in die Hosentaschen und verlässt sich auf seinen Instinkt, so hatte er es in seinen Abenteuerbüchern gelernt. Die las er am liebste. Jetzt kann er keine mehr lesen. In seinem Kopf spielen sich die Erinnerungen ab, wie seine letzten Stunden an diesem Ort waren. Es war ein schöner Tag, die warmen Gedanken erwärmen seinen zitternden Körper.
Die Weihnachtsdekorationen in den Fenstern und an den Straßen fallen ihm ins Auge. Weihnachten. Neben Geburtstag sein Lieblingsfest. Er durfte für den Wunschzettel immer im großen Katalog blättern, das Gewünschte ausschneiden und auf ein buntes Blatt kleben. Immer wieder wünschte er sich die große LEGO Eisenbahn, bis er sie bekam. Sie machte ihn glücklich und jeden Tag spielte er damit, bis in den Sommer hinein.
Eine Frau spricht mit einem jungen Mädchen, doch er kann die Stimmen nicht verstehen. Sie klingen verzerrt und fremd, als würden sie eine fremde Sprache sprechen. Aber das tun sie nicht, dass weiß er. Er bleibt nicht stehen, er blickt sie nicht allzu lange an, er geht weiter seines einzigen Weges. Langsam erahnt er auch, wohin ihn seine Füße führen.
Ein Polizeiauto fährt an ihm vorbei, die Farben scheinen so hell wie die Weihnachtsbeleuchtung. Er wollte immer Polizist werden. Ein starker Mann, der den Schwächeren hilft und Verbrecher jagt. Das wollte er auch, er wollte ein Held sein. Wie sein Vater. Das Blaulicht, was das Auto kurz darauf wie aus dem Nichts einschaltet, fasziniert ihn bis heute.
Ein großer geschmückter Tannenbaum steht vor der Straßeneinbiegung und es kommt ihm in den Sinn, das sein Gefühl ihn nicht verlassen hat. Leise singt er Kling Glöckchen, sein liebstes Lied zur Adventszeit. Hören kann ihn sowieso keiner.
Schon von weitem sieht er das rote Backsteinhaus, doch in der Straße recht dunkel wirkt. Es wundert ihn sehr, denn sonst war es immer das farbenfrohste. So hat er es in Erinnerung. Das Schmücken des Hauses, das hat ihn am meisten begeistert. Noch mehr als die Bescherung selbst.
Er steht vor dem Haus und starrt durch das große Wohnzimmerfenster. Innen leuchtet der gewohnte Weihnachtsbaum, den er fast schon ein bisschen vermisst hat. Er tritt einige Schritte näher heran, da sieht er sie dort sitzen. Seine Familie. Sie sitzen auf der großen weißen Couch. Mutter, Vater und seine Schwester. Sie sitzen dort, als würden sie warten. Als wären sie angespannt und würden sich nicht über die Festtage freuen. Er streckt die Hand aus, als würde das irgendwas bewirken und tatsächlich sieht in dem Moment seine traurig wirkende Mutter aus dem Fenster. Ihre Augen drücken ein Gemisch aus Trauer, Freude und Verwunderung aus. Sie kann ihn sehen.
Seit zehn Jahren hat Clara Gideon ihren Sohn Noel nicht gesehen. Er verstarb im Alter von acht Jahren auf tragische Weise durch einen Unfall im Sommer 2010. Weihnachten war immer etwas Besonderes für den Jungen, die Familie konnte das Fest nach seinem Tod nie wieder fröhlich feiern.
Doch nun steht er da, auf der anderen Seite der Fensterscheibe in ihrem Vorgarten. Mit blasser Haut und blauen Lippen. Aber mit einem Lächeln. Er lächelt seiner Mutter mit seinem warmen Lächeln entgegen und presst die kleine Hand gegen die kühle Scheibe. Clara hat sich von ihrem Platz erhoben, stellt sich vor das Fenster. Sie betrachtet ihren Jungen, würde am liebsten nach draußen rennen und ihn in ihre Arme schließen. Aber das geht nicht, denn er ist tot. Dennoch legt sie ihre Hand an die Scheibe, gegen die seine. Ein Schlag durchfährt die Hand, doch wegziehen tut sie nicht. Sie erwidert den Blick ihres Sohnes.
„Fröhliche Weihnachten, Mama“, wünscht der Junge und seine blauen Augen leuchten.
„Fröhliche Weihnachten, mein Schatz“, erwidert sie mit laufenden Tränen.
Langsam nimmt der Junge die Hand von der Scheibe und löst sich auf, dass letzte was sie sehen kann, ist sein stolzes Lächeln. Sie kann endlich loslassen.
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