Kapitel 24 - Der Zauberer von Oz
„Na, wen haben wir denn da?" Mr. Zs Lachen hallte durch die erdrückende Dunkelheit, die Armand immer noch einhüllte wie ein klebriger Kokon. „Und ich dachte schon, du würdest gar nicht mehr auftauchen."
Sehen konnte er nichts, also versuchte er sich auf jedes einzelne Geräusch zu konzentrieren. Jedoch, außer einem dumpfen Aufschlag, gefolgt von einem leisen Stöhnen war nichts zu hören. Wenn das Natalia war, so würde er mit ihr ein ernstes Wörtchen zu reden haben, wenn er hier endlich rauskam.
„Wie wäre es mit einer Tasse Kaffee?", hörte er Mr. Z sagen.
„Ein wenig Licht wäre mir lieber", kam die zögerliche Antwort.
Armand riss die Augen auf, obwohl ihm das natürlich gar nichts brachte, denn die Schwärze der Nacht um ihn herum war undurchdringlich. Aber diese Stimme! Das war nicht Natalia. Deren Stimme kannte er zur Genüge.
Das ... das war eindeutig Sylvia! Hatte sein Boss sie auch hierher gebracht, um sie seinen ganz speziellen Torturen zu unterwerfen? Nein, das durfte nicht sein. Das würde er nicht zulassen. Er riss an seinen Fesseln, doch ohne Erfolg. Außer, dass sich die Ketten weiter in seine Hand- und Fußgelenke bohrten, war sein Versuch sich zu befreien komplett wirkungslos.
War es denn möglich —
Er unterbrach sich selbst bei seinem Gedanken. Nein, das war sicher nur wieder eine von Mr. Zs durchtriebenen Foltermethoden, ihn im Glauben zu lassen, Sylvia sei hier um ihn zu retten. Die Sache mit Sylvia war aus und vorbei. Sie wollte ganz sicher nichts mehr mit ihm zu tun haben.
Nach einem weiteren amüsierten Lachen rief Mr. Z: „Es werde Licht!"
Gleißender Sonnenschein durchflutete den Raum und Armand musste seine Augen zusammenkneifen, um sich an den plötzlichen Wechsel zu gewöhnen. Er blinzelte und als er sich endlich umsehen konnte, wollte er seinen Augen nicht trauen.
Er war nicht in irgendeinem düsteren Folterkeller, sondern in seinem eigenen Büro, hing mitten in der Luft an den unsichtbaren Fesseln, während Mr. Z an seinem Marmorschreibtisch saß, sein weißer Anzug faltenfrei wie immer. Mr. Z hob eine Tasse Kaffee in die Höhe und blickte belustigt auf einen Bereich am Boden, der Armand durch den massiven Schreibtisch verborgen blieb.
„Du wirkst ja nicht gerade sehr beeindruckt für einen Menschen, der zum ersten Mal dem Gott der Götter ins Angesicht blickt." Mr. Z verzog seinen Mund und nahm einen bedächtigen Schluck von seiner Tasse. „Du darfst dich übrigens erheben und auf einem der Stühle Platz nehmen." Er deutete auf die gegenüberliegende Seite des Schreibtisches.
Armands Augen weiteten sich und sein Herz zog sich in seiner Brust zusammen als er sah wie sich plötzlich von dem uneinsehbaren Platz am Boden Sylvia erhob. Ihre blonden Haare standen wirr in alle Richtungen, ihr lindgrünes T-Shirt hing komplett verknittert von ihren Schultern und ihr Gesicht war fast so kreidebleich wie an dem Tag, als er sie aus den Fluten gezogen hatte. Dennoch wirkte sie entschlossen, als sie mit erhobenem Kopf um den Schreibtisch herumging und sich auf einen der Ledersessel mit dem Rücken zu Armand niederließ.
„Wo ist Armand? Ich weiß, dass Sie ihn irgendwo hier versteckt halten und ich werde dieses Büro nicht ohne ihn verlassen." Sie blickte sich um und schien den gesamten Raum mit ihren Augen zu durchkämmen.
„Nicht nur furchtlos, sondern auch willensstark", murmelte Mr. Z, während er in dem Buch, das vor ihm am Tisch lag, Notizen machte. Eine seiner weißen Augenbrauen wanderte in die Höhe.
Armand rüttelte an seinen Ketten und versuchte durch Rufen, Sylvia auf ihn aufmerksam zu machen, doch sie schien ihn nicht zu bemerken. Womöglich hatte Mr. Z wieder einen seiner Zauber benutzt, um Armand für Sylvia unsichtbar zu machen.
Aber wieso war sie überhaupt hier? Hatte Mr. Z nicht jegliche Erinnerung an ihn aus ihrem Gedächtnis gelöscht oder war das auch wieder nur eine seiner Lügen gewesen?
„Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Sollte so ein uralter und mächtiger Gott wie Sie nicht wenigstens die grundlegenden Regeln der Höflichkeit beherrschen?"
„Auch noch angriffslustig und temperamentvoll." Mr. Z kritzelte weiter in seinem Buch herum, so wie es schien, gänzlich unbeeindruckt von Sylvias übler Laune.
„Wie lange wollen Sie mich denn noch ignorieren?" Sylvias Tonfall wurde zunehmend ungehaltener und trotz Armands misslicher Lage entlockte ihm ihre Kühnheit ein ordentliches Maß an Genugtuung.
Geschieht dem Alten recht, dass ihm mal jemand ordentlich auf die Zehen steigt. Und ein Mensch noch dazu!
„Oh, ich ignoriere dich keineswegs, sondern ich bin lediglich ein großer Befürworter von Listen aller Art." Er pausierte kurz und tippte mit dem Endstück seines Füllers auf seine Lippen. „Die sind unglaublich nützlich zur Entscheidungsfindung, vor allem bei schwierigen Fällen."
„Listen? Entscheidungsfindung?" Armand sah, wie sich eine von Sylvias Händen um die Armlehne klammerte. Er konnte zwar ihr Gesicht nicht sehen, aber er wollte wetten, dass sich ihre Augenbrauen wie weizenblonde Gewitterwolken auf ihrer Stirn zusammengezogen hatten.
„Was gibt es denn da zu entscheiden? Armand hat seine Entscheidung bereits getroffen und Sie haben nichts Besseres zu tun, als ihm einen Stein nach dem anderen in den Weg zu legen. Er ist schließlich ein erwachsener Mann ..., also Gott, oder war ein Gott ... was auch immer. Wenn es den Menschen möglich ist, ihren Job zu kündigen, dann sollte das gleiche auch für Götter gelten. Alles andere wäre nur ungerecht."
Mr. Z notierte seelenruhig weiter. „Ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, ungeduldig und aufbrausend." Endlich schlug er sein Buch zu. „Da kommt ja so einiges zusammen. Ich hoffe Armand weiß, worauf er sich da einlässt." Mr. Z faltete seine Hände auf dem zusammengeklappten Buch und lehnte sich in Armands Louis-quinze Stuhl zurück.
„Heißt ... heißt das, Sie lassen Armand gehen?" Sylvias Stimme wirkte plötzlich unsicher. Womöglich vermutete sie, dass das Ganze nur wieder ein besonders durchtriebener Trick von seinem Boss war.
„Aber natürlich." Mr. Z schnippte mit seinem Finger ein unsichtbares Staubkorn vom Revers seines Anzugs. „Was sollte ich denn mit einem so gänzlich unwilligen Liebesgott anfangen? Ich werde wohl für eine Weile selbst seine Arbeit übernehmen müssen, bis ich einen passenden Ersatz gefunden habe." Er seufzte dramatisch.
„Aber ... aber", stotterte Sylvia. „Wozu haben Sie ihn denn dann entführt?"
„Oh, ich musste doch sichergehen, dass du auch wirklich für ihn durchs Feuer gehen würdest, außerdem habe ich zugegebenermaßen eine etwas dramatische Ader."
„Das Ganze war also ein reines Schauspiel, nur zu Ihrer Unterhaltung?" Sylvias Stimme schnellte in die Höhe wie ein Gummiball. „Was bilden Sie sich denn eigentlich ein, wer Sie sind? Der Zauberer von Oz? Spielen mit Ihren kleinen Hebeln hinter einem Vorhang herum, während Sie versuchen, die ach so dummen Menschen mit Ihren billigen Tricks zu beeindrucken?"
„Na, na, nun wollen wir es mal nicht übertreiben. Erstens habe ich keinen Vorhang und zweitens keine kleinen Hebel." Mr. Z machte eine ausladende Handbewegung, wie um zu beweisen, dass solcherart Dinge ganz klar unter seiner göttlichen Würde lagen. „Ich bin immer noch der Boss aller Götter und mein Wort ist Gesetz. Und ich spreche hier nicht nur von Armand, sondern auch von all den anderen Göttern, die ganz offensichtlich meine Weisungen hintergangen haben." Mr. Zs Augenbrauen verwandelten sich in einen haarigen weißen Balken und seine sonst glatte Stirn wurde zerknittert wie ein ungebügeltes Hemd.
Armand stockte der Atem. Das war der Moment, wo Mr. Z normalerweise auf den Glastisch eindrosch oder irgendein anderes Möbelstück durch das Fenster warf.
Offensichtlich spürte auch Sylvia, dass sie gerade dabei war, eine Linie zu überschreiten, denn sie lenkte mit einer geradezu flehentlichen Stimme ein.
„Bitte, Sie dürfen die anderen Götter nicht bestrafen, sie hatten garantiert nichts Böses im Sinn und wollten mir nur helfen. Natalia ist eine 1A-Rachegöttin. Sie hätten sehen sollen, wie perfekt der Fußtritt war, den sie Edgar verpasst hatte. Das kann selbst Black Widow nicht besser."
Armand schluckte. Hatte Sylvia ihm die Sache mit Natalia denn schon verziehen? Es klang ganz danach. Erleichterung machte sich in seiner Magengrube breit.
„Und ich hatte noch nie ein so leckeres Essen wie von Maurizio. Er versteht sein Handwerk. Und ... und Tarkov hat mir mit seinem GPS ausgeholfen und Esteban —"
Plötzlich unterbrach sich Sylvia selbst und ihr Schweigen jagte die Erleichterung aus seinem Magen davon.
Mr. Z neigte seinen Kopf und stellte dann belustigt fest: „Ich nehme an, er hat dir eine Vielzahl an moralisch fragwürdigen Angeboten gemacht."
Ein Muskel in Armands Gesicht zuckte bei dem Gedanken, dass Esteban mit seinen Verführungskünsten Erfolg gehabt haben könnte. Armand mochte der Gott der Liebe sein, aber Esteban war der ungeschlagene Experte, wenn es um erotische Genüsse ging. Es gab nur wenige, die seinen Avancen zu widerstehen vermochten. Was, wenn sich Sylvia nach ihrer Enttäuschung Esteban hingegeben hatte? Seine Hände ballten sich zu Fäusten und die Muskeln seiner Oberarme spannten sich unter dem enganliegenden Stoff seines T-Shirts an.
Er musste endlich Klarheit haben, endlich diesen Fesseln entkommen und mit Sylvia sprechen. Die ganze Angelegenheit war komplett verworren und ein heilloses Durcheinander. Er hatte mittlerweile keinen Plan mehr, was Sylvia wusste und was nicht. Mr. Z hatte aus Wahrheit und Lüge ein dermaßen geschicktes Labyrinth gebaut, dass es Armand nicht gelang, aus eigenen Kräften den Ausweg zu finden.
„Das hat er und er ... war wirklich sehr hartnäckig und überzeugend."
Kalter Schweiß stand auf Armands Stirn. Er hatte Esteban doch zweifelsfrei klargemacht, dass Sylvia für ihn tabu wäre. War es möglich, dass jemand, den er als seinen Freund betrachtet hatte, ihn so schnell hintergehen würde?
„Oh, daran habe ich keinen Zweifel. Esteban ist ein exzellenter Sex-Gott. Es gibt keinen besseren." Mr. Z warf einen berechnenden Blick über Sylvias Schulter geradewegs zu Armand.
Elender Mistkerl! Der Alte weiß genau, dass ich alles hören und sehen kann und jetzt zieht er das alles auch noch genüsslich in die Länge!
„Mag sein, bei mir zeigte das auf jeden Fall keine Wirkung." Sylvia hatte sich in ihrem Stuhl aufgerichtet und ihre Stimme hatte wieder an Sicherheit gewonnen.
Armand sackte vor Erleichterung zusammen und hätte fast vor Schmerzen aufgeschrien, als die Fesseln in seine bereits wunden Handgelenke schnitten.
„Armand wird sich freuen, das zu hören. Bevor ich ihn dir jedoch übergebe, möchte ich dir noch eine kleine Anekdote aus meinem Leben erzählen."
Armand stöhnte laut auf, wohl wissend, dass Mr. Z ihn hören konnte. Dieser ignorierte jedoch seine Unmutsbezeugung und fixierte stattdessen seinen Blick auf Sylvia, die ihn offensichtlich schweigend anstarrte.
„Du denkst wahrscheinlich, ich sei lediglich ein alter und verknöcherter, zudem hartherziger Gott, der die Pflicht über das persönliche Glück stellt. Da muss ich dir in allen Punkten recht geben, wenn auch nicht aus den Gründen, die du vermutest. Auch ich war einmal jung und in jenen Tagen verbrachte ich mehr Zeit auf der Erde als in Wolkenstadt. Es kam wie es kommen musste und die Liebe erwischte auch mich. Ja, es war eine sterbliche Frau, die mich mit ihrer liebreizenden Art und ihrem ungestümen Wesen in den Bann gezogen hatte. Somit stand ich vor der Entscheidung, entweder meinem persönlichen Verlangen zu folgen und meine Position als Gott der Götter aufzugeben, oder weiter zu meinen Pflichten zu stehen, sicherzugehen, dass alle Götter ihre Arbeit verrichteten und die Welt weiter ihren gewohnten Gang gehen konnte. Es fiel mir nicht leicht, das Wohl der Menschheit über mein eigenes Glück zu stellen, jedoch wusste ich, dass ich die Verantwortung für unzählige Seelen trug. Eine, oder um genau zu sein, zwei, dem Allgemeinwohl zu opfern, war etwas, das von mir erwartet wurde. Etwas, zu dem ich mich durchringen musste und das seit jeher mein Arbeitsethos prägte. Deshalb ist es auch etwas, was ich von meinen Angestellten erwarte und ich hoffe, du siehst, dass ich nicht aus reiner Böswilligkeit Armand gegenüber gehandelt habe."
„Haben Sie denn die Frau nie wieder gesehen?"
Mr. Z schüttelte kaum merklich den Kopf.
„Aber hätten Sie sie nicht als Gott auch unsterblich machen können? Ich ... ich kenne mich mit dem natürlich nicht aus, aber dann hätte sie doch Ihre Frau werden können, oder?"
Ein gequältes Lächeln umspielte Mr. Zs Mund. „Ganz so einfach ist es leider nicht. Ihr Sterblichen habt eine falsche Vorstellung davon, was es bedeutet ewig zu leben. Einem Menschen Unsterblichkeit zu geben, ist kein Geschenk, sondern ein Fluch." Mr. Z seufzte. „Ich weiß, dass ich ihr das Herz gebrochen habe, als ich sie ohne ein Wort verließ, doch ihr ein ewiges Leben ohne Aussicht auf Erlösung im Tod aufzubürden, wäre ein noch größeres Vergehen gewesen. So währte ihr Hass auf mich wenigstens nur ein Menschenleben lang und nicht eine ganze Ewigkeit."
Armand starrte Mr. Z mit offenem Mund an. Er kannte seinen Boss jetzt schon seit über 7000 Jahren, jedoch hatte dieser mit keinem einzigen Wort jemals erwähnt, dass er eine Liebesbeziehung mit einer Frau auf der Erde gehabt hatte. Auch wenn er ihm seine ganzen bösen Spielereien nicht so einfach verzeihen konnte, begann er doch, ihn plötzlich in einem etwas anderen Licht zu sehen.
Sylvia sagte eine lange Zeit gar nichts und ihre Stimme klang belegt, als sie sagte: „Es tut mir sehr leid, dass Sie Ihre Liebe aufgeben mussten."
„Als Unsterblicher begleiten uns unsere Fehler und Verluste auf ewig. Im besten Fall machen sie uns zu abgeklärten Weisen, im schlechtesten Fall jedoch zu verbitterten Zynikern." Mr. Zs Blick wanderte wieder zu Armand und dann zurück zu Sylvia. Einer seiner Mundwinkel hob sich zu einem Lächeln. „Es freut mich, dass Armand dieses Schicksal erspart bleibt, auch wenn der Gute noch nicht wirklich weiß, was ihn da unten auf der Erde erwartet. Aber genug geredet. Nun lasst den Worten Taten folgen. Oder so ähnlich sagte es doch der von euch Menschen so verehrte Goethe." Mr. Z erhob sich von seinem Stuhl und schnippte mit dem Finger.
Plötzlich lockerten sich Armands unsichtbaren Fesseln und er plumpste auf den Boden wie ein nasser Sack. Sein Kopf brummte gewaltig und seine Rippen knackten wie knorrige Äste, als er auf dem Marmor aufschlug. Er konnte gerade noch sehen, wie Sylvia wie von der Tarantel gestochen von ihrem Stuhl in die Höhe schoss und auf ihn zustürmte, dann wurde es dunkel und er verlor das Bewusstsein.
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