15. Kapitel - Mila
Nach dem Aufstehen mache ich wie immer mein Bett und ziehe mich an. Der Unterschied zu den bisherigen Tagen ist die Kleidung. Gestern Abend habe ich die Kleidung des fünften Ranges bekommen, heute trage ich sie zum ersten Mal. Bei der normalen Uniform gibt es einige Unterschiede, aber jetzt wähle ich die Arbeitsuniform, da ich heute noch nicht zum Frühstück gehe. Einmal in der Woche fängt das Soldatentraining schon früher an.
Beim Anziehen der Uniform fällt mir auf, dass doch ein kleiner Unterschied besteht: Es sind an jeder Schulter drei statt zwei Sternen. Ich lächle. Es ist ein schönes Gefühl, endlich den fünften Rang erreicht zu haben. Es gibt nicht viele, die so schnell so weit kommen. Ein Gefühl der Überlegenheit überkommt mich, aber als es mir auffällt, schüttle ich es sofort ab. Das ist genau das, was Dark Angel mit diesem System bezweckt. Wir sollen uns besser fühlen als die anderen, damit wir uns nicht gegenseitig unterstützen. Der Aufenthalt hier soll ja möglichst unangenehm sein, es ist schließlich kein Ferienlager. Ich darf nicht vergessen, dass niemand von uns freiwillig hier ist. Sie wollen uns nur gegeneinander aufwiegeln. Die meisten machen mit, aber ich habe das System durchschaut und ich werde gegen diese Gefühle ankämpfen, solange es geht!
Als die Zellentür aufgeht gehe ich in schnellem Schritt zum Übungsplatz. Unterwegs werden wir immer mehr, einige hundert Meter vor dem Ausgang ist das gesamte Regiment zusammen. Wir gehen im Gleichschritt und durch die Menge an Beinen und den Hall im Gebäude hört es sich wie Donner an. Das ist wieder einer der Momente, in denen ich die Überlegenheit unterdrücken muss. Diese Schritte hört man im gesamten Gefängnis, wahrscheinlich sind jetzt auch alle anderen wach. Zumindest hat es mich an meinem ersten Tag hier geweckt. Das Geräusch gibt uns ein Gefühl von Zusammenhalt und gemeinsamer Stärke. Gefühle, die hier nur Soldaten haben. Wir sind eine Gemeinschaft, alle anderen hier drin sind Einzelkämpfer. Es gibt Freundschaften, aber die meisten sind nicht sehr stark. Bevor man bestraft wird, verrät man lieber seine Freunde. Nur unter uns Soldatinnen wird Loyalität groß geschrieben. Teilweise werden wir sogar belohnt, wenn Commander Sterling herausfindet, dass wir eine Freundin gedeckt haben.
Am Truppenübungsgelände angekommen, stellen wir uns in Formation auf. Plötzlich taucht auch der Commander neben uns auf. Sofort verstummen die wenigen, die noch getratscht haben. Er stellt sich vor uns und befiehlt: „Dasselbe wie immer. Ich will, dass ihr schneller seid als letztes Mal. Los!" Wieder muss ich schmunzeln. Der Mann ist unglaublich wortkarg, aber irgendwie ist er mir sympathisch. Er redet nicht lang um den heißen Brei herum, genau wie ich.
Wir stürzen in den Wald hinein. Nach einigen Metern biegen die anderen Mädchen ab, ich laufe geradeaus weiter. Üblicherweise nehmen wir dieselbe Route wie die Neuen bei der Aufnahmeprüfung, aber ich muss ja jetzt die längere laufen. Deshalb gebe ich noch etwas mehr Gas, ich sollte nicht viel später als die anderen zurück sein. Das würde Schwierigkeiten geben, die ich auf gar keinen Fall will. Obwohl ich meine Kraft gut einteile, bin ich bald außer Atem. Aufgeben kommt nicht in Frage, also drossle ich mein Tempo etwas und folge weiter dem Weg.
Trotzdem komme ich als letztes zurück. Alle anderen stehen schon in Formation, als ich mich auf meinen Platz stelle und hoffe, dass es dem Commander nicht aufgefallen ist. Aber natürlich hat er es bemerkt: „Beta Sergeant Mila! Wo warst du so lange?" Ich senke den Kopf: „Es tut mir leid, Sir". „Das will ich hoffen", poltert Commander Sterling: „Dein neuer Rang wir dir gleich wieder aberkannt, wenn du denkst, dass du dich jetzt ausruhen kannst! Ich erwarte, dass du morgen unter den Ersten bist!" „Ja, Sir" salutiere ich. Ich mag es nicht, wenn er mich anschreit, er kann einem wirklich Angst machen. Aber das zeige ich natürlich nicht, sonst würde er erst recht auf mich los gehen. Er sieht mich noch einmal streng an, dann teilt er uns in Gruppen ein. Ich bin in der zweiten Gruppe, das bedeutet Schießübungen. Erleichtert atme ich aus. Schießen kann ich ganz gut, und es ist körperlich am wenigsten anstrengend. Für den Moment hatte ich genug Sport, aber ich weiß, dass es morgen noch schlimmer wird. Wenn ich nicht unter den ersten bin, die vom Laufen zurückkommen, werde ich sehr wahrscheinlich hart bestraft. Also werde ich Gas geben müssen. Schnell schüttle ich diese Gedanken ab. Ich muss mich auf heute konzentrieren. Zusammen mit den anderen gehe ich zum Schießstand. Auf dem Weg kommt Nadja zu mir. Wir hatten lange denselben Rang und sind dadurch so etwas wie Freundinnen geworden. Sie fragt: „Warum hast du nicht gesagt, dass du die lange Runde gelaufen bist?" „Weil es nichts geändert hätte. Ich hätte trotzdem nicht langsamer sein dürfen als ihr. Außerdem hat das auch seine Vorteile: So bin ich bald am trainiertesten von uns allen. Und wenn ihr zum ersten Mal die lange Runde lauft, bin ich euch meilenweit voraus. Dafür bekomme ich dann sicher wieder Punkte", antworte ich ihr. „Da hast du wahrscheinlich Recht. Vielleicht laufe ich morgen auch die große Runde", überlegt Nadja. Ich lächle ihr zu: „Ich würde mich freuen, wenn ich nicht allein bin".
Am Schießstand angekommen, nehmen wir uns Ohrenschützer und eine Pistole. Dann stellen wir uns nebeneinander in einer Reihe auf. Jeder steht einer Zielscheibe in Form eines Menschen gegenüber, die ungefähr zehn Meter entfernt ist. Elyas – einer der Gefängniswärter, er gibt den Schießunterricht – gibt das Zeichen und wir schießen los. Am Anfang muss ich mich noch ein wenig konzentrieren, aber bald arbeiten meine Hände fast von allein. Zielen, Schießen, Nachladen. Und wieder von vorne. So lange, bis Elyas den Arm hebt, als Zeichen, dass wir aufhören sollen. Ich nehme die Ohrenschützer ab, genau wie alle anderen auch. Elyas überprüft unsere Zielscheiben. Das Ergebnis ist meiner Meinung nach recht vorhersehbar: Die Neuen haben am wenigsten Schüsse abgegeben und am schlechtesten gezielt, je höher der Rang, umso besser die Leistung. Im fünften Rang hat niemand mehr verfehlt, auch wenn nicht alle unsere Schüsse perfekt sind.
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