Der große Streit - 2
Wir befanden uns in einer kleinen Eingangshalle. Hier war es erstaunlich sauber. Samuel schloss mit einem leisen Klicken die Tür und nach nur wenigen Momenten verschwand der ekelhafte Geruch von Unrat. Die Eingangshalle war kaum beleuchtet. Einzig und allein die grünen Leuchtröhren, die in regelmäßigen Abständen an der linken Wand angebracht waren, warfen ein sanftes Licht in den ansonsten völlig dunklen Raum. Sowohl die Wände als auch der Boden waren aus irgendeinem Grund schwarz gestrichen. Es gab eine Treppe, die nach oben und eine die nach unten führte. Ein kleiner Knopf rechts von den Stufen verriet, dass auch ein Aufzug zum Abholen bereit stand.
„Lass uns am besten die Treppe nach unten nehmen. Der Aufzug mit seinem hellen Licht zerstört leider das Ambiente", schlug Samuel vor.
Ich willigte ein und musterte beim Gehen meine Umgebung genau. Das Gebäude schien nicht das Neuste zu sein, trotzdem gab jemand sich sehr viel Mühe es gut instand zu halten. An vielen Stellen der Wand war neue Farbe aufgetragen worden und einige Röhren leuchteten in einem leicht andersfarbigen Licht, so als wären sie ausgetauscht und durch ein etwas anderes Modell ersetzt worden.
Wir gingen nur zwei Stockwerke hinab und bogen schließlich in einen kleinen Gang ein. Auch hier war alles erstaunlich sauber. Irgendwann wählte Samuel scheinbar wahllos eine Tür auf der rechten Seite aus. Kaum war sie einen spaltbreit geöffnet, empfing uns das laute Gelächter und Plaudern von vielen Personen. Auch die sanften Klänge eines Klaviers waren zu hören.
Neugierig trat ich hinter Samuel ein und schloss leise die Türe. Verstohlen musterte ich die Besucher in dem Raum. Auf den ersten Blick wirkten hier alle sehr menschlich. Keiner besaß die Schuppen der Leviathanen oder die feurigen Male der Flammengeborenen. Die größeren oder auch kleineren Gruppen hatten sich an verschiedenen Tischen verteilt und plauderten fröhlich miteinander. Sie alle schienen sehr ausgelassen und vor vielen Anwesenden befanden sich Gläser mit den verschiedensten Flüssigkeiten. Zum ersten Mal fiel mir eine Besonderheit auf, denn die Getränkeauswahl einiger Besucher war seltsam. Ein paar hatten sich scheinbar Milch bestellt, aber vor anderen stand sogar eine zähe braune Flüssigkeit, die fast schon wie Schlamm aussah.
Etwas anderes Merkwürdiges fiel mir an den Besuchern jedoch nicht auf, weswegen ich mich neugierig dem Ursprung der Musik zu wand. In der Mitte des Raumes stand ein großer, uralter Flügel. An vielen Stellen blätterte der schwarze Lack ab und das helle Holz kam darunter zum Vorschein. Ein Mann saß an dem großen Musikinstrument. Seine Hände wählten langsam und bedacht die Tasten aus. Ich hatte das Lied, das er spielte, noch nie gehört, doch es war unglaublich faszinierend. Die Klänge verzauberten mich und brachten mich in eine Art Trance. Nichts war in diesem Moment wichtiger, als der wundervollen Melodie eine weitere Sekunde lang zuzuhören.
Plötzlich schaute der Klavierspieler auf, so als hätte er meinem Blick auf sich gespürt. Seine seltsamen hellgrauen Augen blickten tief in die Meinen. Auch wenn die Haut des Mannes faltenfrei war, waren seine Haare doch silbrig. Der Blick, mit dem er mich musterte, wirkte wie aus einer vollkommen anderen Zeit. Es war einfach unmöglich das Alter des Mannes zu bestimmen. Wir musterten uns gegenseitig weiter und auf einmal gewann die Musik an Tempo. Ich blickte auf die Tasten des Flügels und bemerkte, dass die langen zierlichen Finger nun über die Seiten flogen. Eine wilde Melodie bildete sich und drang bis in die letzten Ecken des Raumes vor. Aufbrausend erreichte sie mein Herz und brachte mich aus irgendeinem Grund zum Lächeln, bis die Melodie plötzlich in sich zusammenschlug. Hohe Wellenberge voller Dissonanzen erklangen und die anderen Gäste schauten verwirrt auf, bis auch ihr Blick mich erfasste. Ein verstehendes Lächeln glitt über ihre Gesichter. Sie wollten sich wieder ihren Gesprächen zu wenden, als die meisten in der Bewegung erstarrten. Fast alle Augen blieben an Samuel haften. Kein einziger Besucher wirkte über seine Anwesenheit erfreut.
„Was willst du hier Flammengeborener Samuel?", fragte auf einmal der Barmann. Ich hatte die kleine Bar hinter dem Klavier bis jetzt noch nicht bemerkt gehabt. Die Stimme des scheinbar noch jungen Mannes klang nicht besonders erfreut. Die Anspannung in der Luft wurde von einigen kurz auf einander folgenden scharfen Septimen verstärkt, die jedoch einem Moment später wieder zu wohlklingenden Oktaven zerflossen.
Die Musik wurde friedlicher, langsamer und wohlklingender, als Samuel antwortete: „Ich möchte eigentlich nicht stören, jedoch bin ich diesem Mädchen begegnet. Wir haben einige Unstimmigkeiten und ich musste sie überzeugen, dass ich das Geheimnis der Andersweltler bereits kenne."
„Mädchen?", fragte ich empört nach, während der Barmann rief: „Das ist dein Problem Flammengeborener. Du bist hier im Moment nicht erwünscht!"
„Ich würde sagen die Explosionen sind nicht nur mein Problem. Ich muss endlich herausfinden, was dieses Mädchen vor mir zu verbergen hat", erwiderte Samuel eisig.
Plötzlich lagen absolut alle Blicke auf mir und sie alle waren nicht gerade freundlich. Hatte Samuel eben indirekt die Schuld an den Explosionen auf mich geschoben?! Ich dachte wir würden uns hier streiten, damit die Andersweltler mir vertrauten. Wann hatte Samuel seinen Plan geändert? Hatte er die ganze Zeit schon vor gehabt die Schuld in meine Schuhe zu schieben, damit ihm die Andersweltler wieder vertrauten?
Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten. Jede Müdigkeit wich aus meinem Körper und wurde durch das scharfe Gefühl von Verrat ersetzt. Ich hatte gehofft, hier ein paar Gleichgesinnte zu finden, die das Gefühl kannten, wenn auf einmal die Welt komplett auf den Kopf gestellt wurde. Samuel wusste davon, denn ich hatte ihm dieses Geheimnis auf den Weg hierher auch noch anvertraut. Trotzdem stellte er mich nun wie den Feind dar, damit er seinen guten Ruf wieder herstellen konnte.
Ein scharfer Schmerz fuhr durch meine Brust. Hasserfüllte blickte ich den Mann an, für den ich mein Leben ändern wollte, damit er glücklich wurde. Nun trampelte er einfach auf meinen Gefühlen und Hoffnungen herum, damit er vielleicht ein paar Informationen bekam, doch das würde ich nicht einfach zu lassen. Er hatte einen Streit gewollt, dann sollte er jetzt auch einen bekommen! „Du bist so ein verdammtes Schwein!", schrie ich in ohrenbetäubender Lautstärke. „Ich wollte dir helfen die Explosionen aufzuklären, obwohl ich Todesangst hatte und damit dankst du mir?", setzte ich mit nicht weniger lauter Stimme fort. Die Menschen um mich herum, blendete ich vollkommen aus.
„Tu nicht so unschuldig! Du hast doch dieser falschen Informationsseite von den Leviathanen geglaubt und behauptet wir würden Anschläge verüben!", rief Samuel eben so wütend. Seine Stimme war vollkommen hart und seine Augen blitzten vor Zorn auf, so als würde er seine Worte wirklich glauben.
Der Schock ließ mich einen Moment erstarren. Meinte Samuel das Gesagte wirklich ernst? Ein eisiger Blick schien die Antwort auf meine Frage zu sein. Unglaube und Verzweiflung setzten ein, während ich mich verteidigte: „Ich habe es dir doch schon erklärt, dass ich denke, dass auf euch Anschläge verübt werden!"
„Ach ja? Als ob ich dir das glauben würde", stieß Samuel verächtlich aus. „Du möchtest dir durch mich doch bloß ein besseres Leben sichern. Gib es zu, du hast es satt in dieser Bruchbude zu hausen, abgewiesen von deiner Familie, weil du so anders, so schwach bist."
Nun liefen mir tatsächlich Tränen über die Wangen. Jemand schien meine Kehle zuzupressen, als ich in Samuels Augen blickte und dort die Verachtung sah. Wie war er denn auf diesen Gedankengang gekommen? Hatte wir nicht einfach nur so tun wollen, als würden wir streiten? Doch diese Wut, dieser Hass und der anklagende Blick, mit dem er mich betrachtete, konnten nicht gespielt sein. Mein Herz schmerzte fürchterlich und plötzlich sprudelte aus meinem dummen Mund die Wahrheit hervor, denn tief in meinem Inneren hoffte ich so, Samuels Maskerade zu brechen: „Ich habe mich für dich ändern wollen. Nach deinen Worten im Krankenhaus habe ich beschlossen, dass ich dir zeigen will wie schön das Leben sein kann." Ich wartete einen Moment und hoffte darauf ein winziges Flackern der Verunsicherung, einen zarten Blick voller Zuneigung oder bloß ein kleines Zwinkern zu sehen, doch die blanke Verachtung blieb weiterhin auf Samuels Gesicht. Endlich verstand ich. Es war wirklich kein Spiel. Samuel glaubte seine Worte wirklich. Mit bebender Stimme fuhr ich fort: „Ich wollte alles für dich aufgeben, selbst meine eigenen Gefühle habe ich verleugnet, doch weißt du was? Du bist es einfach nicht wert. Leb doch weiter in deinem Anwesen, abgeschieden von dem Rest der Welt. Mir ist es egal!"
„Jenny...", Samuel wollte etwas sagen, doch ich unterbrach ihn: „Nein, nicht Jenny, weißt du, was ich glaube? Ich Dummkopf habe mich doch tatsächlich in einen vollkommen vereisten Flammengeborenen verliebt. Durch die rosarote Brille habe ich die Realität nicht mehr erkannt, doch damit ist jetzt Schluss! Verschwinde endlich wieder aus meinem Leben!" Mit jedem Satz war ich immer lauter geworden, bis ich am Ende aus Leibeskräften schrie.
Ich habe das Specialkapitel tatsächlich nicht vergessen, doch ich bin in eine große Bredouille gerannt. Entweder ich spoilere euch, verletze ein Gesetz in der von mir erstellten "Physik" oder... Tja das Oder fehlt mir leider noch. Ich hoffe, ich finde noch eine gute Lösung, aber keine Sorge spätestens am Ende des Buches wird das Special Kapitel hochgeladen, da es dann nicht mehr spoilern kann. Eventuell wird anstelle des Special Kapitels vorerst eine kleine Lesenacht veranstaltet. Könnte ich euch damit theoretisch vertrösten?
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