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22

Alex ging mit langen Schritten durch die Eingangshalle. Seine Anzugschuhe klackten laut auf dem Marmorboden, während Konstantin neben ihm sich praktisch lautlos vorwärts bewegte. Vor den Aufzügen standen ebenso wie am Eingang Wachen. Sie trugen schlichte Anzüge und wirkten wie normale Securitymänner, doch Alex wusste, dass sie unter ihrer Kleidung bis an die Zähne bewaffnet waren. Niemand konnte so leicht zum Penthaus vom Boss vordringen.

Er nickte den beiden zu, drückte einen der Knöpfe und wartete gemeinsam mit Konstantin auf den Aufzug. Seine Hand schloss sich fester um den schwarzen Lederkoffer in seiner Hand. Er hatte Michail gebeten, ihm eine Chance zu geben zu beweisen, wie lukrativ es sein konnte, sich der neuen digitalen Realität anzupassen, und dafür hatte er mit einem Team aus zwei vertrauenswürdigen, gerissenen Hackern die letzten Wochen intensiv gearbeitet. Konstantin hatte dann die Früchte der Arbeit eingesammelt und nun war es an der Zeit, auf ganz altmodische Weise Eindruck zu schinden.

Mit einem Koffer voller Geld.

Der Aufzug kam und sie traten gemeinsam ein. Alex stellte den Koffer ab und rückte seine Krawatte zurecht. »Wenn das Michail nicht überzeugen kann, dann werde ich aufgeben.«

Konstantin neben ihm schnaubte. »Klar. Das hast du letztes Mal auch gesagt. Als ob du jemals aufgeben würdest, wenn du erstmal etwas entschieden hast.«

Alexander spähte zu seinem Freund hoch. In diesem Aufzug wirkte sein Bodyguard noch größer und breiter als er eh schon war. »Ich meine es ernst. Wenn ihn 100.000 Euro, die wir ohne jegliches Risiko gestohlen haben, nicht überzeugen, wird ihn nichts überzeugen.«

»Ich versteh nicht, warum du Michail unbedingt dazu kriegen willst, da mitzumachen.« Konstantin schielte zu ihm runter. »Du hast das doch ohne ihn gut genug hinbekommen. Mach halt ohne ihn weiter.«

Er schüttelte bestimmt den Kopf. »Nein. Erstens ist es schlecht für die Gesundheit, andere Geschäfte zu machen, als die, die der Boss gutheißt. Und außerdem geht es ja nicht einfach nur darum. Ich will, dass die verdammten Drogen aus der Stadt verschwinden. Solange Michail am Drogenhandel festhält, wird sich nie etwas ändern.«

Konstantin faltete die Arme vor der Brust und ließ sich gegen die Wand fallen. »Du weißt besser als ich, dass es beim Drogenhandel nicht darum geht, Geld zu machen. Nicht nur. Der alte Boss wird immer weitermachen. Er kann es sich nicht leisten, die Kontrolle abzugeben.«

Alex warf ihm einen wütenden Blick zu, doch er wusste, dass sein Freund recht hatte. Durch die Drogen kontrollierten sie eine ganze Reihe von Clubs in der Stadt. Außerdem waren sie Teil des Netzwerks, das die Ware aus Südamerika durch Deutschland hindurch in den Osten schmuggelte. Ohne die Drogen würden sie eine mächtige Stellung aufgeben. Ganze Straßenzüge in Hamburg standen unter ihrer Kontrolle, weil sie die Drogen hatten.

Das war auch der Grund, warum sich Michail bisher immer gesperrt hatte. Egal, was die dummen Politiker sagten, es war Michail mit seiner Organisation, der in Wirklichkeit über Hamburg regierte. Über die geldbringenden, wichtigen Gebiete zumindest. Alexanders Vorschläge hatten auf die anderen Bosse immer wie ein Angriff auf ihre Autorität gewirkt.

Ein Pingen kündigte das Öffnen der Fahrstuhltüren an. Gemeinsam traten sie hinaus und wandten sich im Gleichschritt nach rechts. Vor der Tür zur Penthauswohnung nickte Alex Konstantin einmal zu, ehe er vortrat und darauf wartete, dass die zwei Wachen ihn durchließen. Konstantin würde draußen bleiben, da es nur den Bossen erlaubt war, die Privaträume des obersten Bosses zu betreten.

Er straffte noch einmal seine Schultern, dann trat er durch die geöffnete Tür. Direkt dahinter befand sich ein Empfangsbereich mit einem runden Tisch in der Mitte, auf dem er seinen Koffer ablegte. Eine der vier Wachen in diesem Raum scannte den Koffer auf verborgenes Metall, während eine andere ihn von Kopf bis Fuß abtastete. Er hatte wohlweißlich alle seine Waffen heute im Auto zurückgelassen. Niemand verließ das Penthaus lebend, wenn er Waffen bei sich trug.

Mit einem Kopfnicken bestätigten die beiden Männer, die ihn untersucht hatten, den anderen beiden, dass sie ihn durchlassen konnten. Sie öffneten simultan die doppelflügelige Tür. Dahinter kam ein riesiger Raum zum Vorschein, der wie aus einem anderen Jahrhundert wirkte. Die Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt, Polster- und Ledermöbel zierten die Wände, während in der Mitte eine riesige Vertiefung war, die mit Kissen ausgestattet war und sich um einen schweren Couchtisch aus Mahagoni wand.

Dort in der Mitte, die Beine hochgelegt, eine Zigarre in der Hand, lag Michail, umgeben von vier mehr als leicht bekleideten Blondinen, deren einziger Daseinszweck darin zu bestehen schien, sich vor seinen Blicken zu räkeln.

»Alex, mein Junge!«, rief Michail ihm zu. »Was für eine freudige Überraschung.«

Alexander warf ihm ein freundliches Lächeln zu, auch wenn der Ausruf eine Lüge war. Niemand konnte jemals mit Michail sprechen, ohne sich lange im Voraus anzukündigen. »Ich sehe, du bist noch immer in deiner Blondinen-Phase?«

Lachend und hustend richtete Michail sich auf, ehe er auf einen Platz ihm gegenüber deutete. Vorsichtig stieg Alexander die sehr schmale Treppe zwischen den Kissen hindurch hinab, legte seinen Koffer auf den Tisch und nahm dann Platz. Sofort kuschelte sich eine der blonden Frauen an ihn. Nachlässig legte er eine Hand auf ihren nackten Oberschenkel, während sie begann, mit ihren Fingern durch seine Nackenhaare zu fahren.

»Also, was hast du für mich?« Michail kam direkt zum Punkt des Besuches und Alex schätzte ihn sehr dafür.

Er deutete auf den Lederkoffer. »Mach ihn auf. Der Inhalt gehört dir.«

Michails Augenbrauen wanderten hoch. Er legte seine Zigarre auf einem Aschenbecher ab und beugte sich vor. Mit einem Schnappen öffnete sich der Verschluss und der Koffer gab sein Geheimnis preis. Michails Augen wurden groß. »Wie viel ist das?«

Alexander bemühte sich, desinteressiert zu wirken. »100.000 oder so.«

Sein Boss griff hinein und ließ ein Bündel von Geldnoten durch seine Finger gleiten. »Woher hast du das?«

Er konnte den angespannten Tonfall in der Stimme seines Bosses hören. Michail war stets im Bilde über alle seine Geschäfte und so waren diese überraschend auftauchenden 100.000 Euro für ihn Anlass zur Skepsis. Alex nahm seine Hand von der Blondine und beugte sich vor. »Das ist alles aus ein paar manipulierten Einsen und Nullen entstanden.«

Michail kniff seine Augen zusammen und lehnte sich zurück. »Sprich deutsch mit mir, Sascha.«

Gegen seinen Willen musste Alex schlucken. So offensichtlich Michail sich auch über die 100.000 Euro gefreut hatte, jetzt war nichts als Skepsis übrig – und ein Hauch von Genervtheit, weil er etwas nicht verstand. Der alte Boss hasste nichts mehr, als wenn er etwas nicht verstand. Entschlossen griff Alex ebenfalls ein Bündel und fächerte es mit seinen Fingern auf. »Jeder dieser Geldscheine stammt aus einem von vielen Geldautomaten hier in Hamburg. Wir haben Kreditkarteninformationen von einigen braven Mitbürgern gesammelt und Duplikate erstellt, um Geld abheben zu können.«

Michail schleuderte sein Geldbündel auf den Tisch. »Das klingt nach ziemlich viel Laufarbeit. Kreditkarten von, wie du es ausdrückst, braven Mitbürgern haben ein ziemlich niedriges Limit.«

Alexander erlaubte sich, ein Grinsen auf seinen Lippen zu zeigen. »Deswegen haben wir vorher das Limit manipuliert. Ich habe einen ziemlich guten Hacker gefunden, für den es ein Kinderspiel war, der Bank weiß zu machen, dass diese oder jene Kreditkarte jetzt ein Limit von 10.000 hat.«

Langsam trat ein Leuchten in Michails Augen. »Und dann habt ihr einfach das Limit ausgereizt und Geld abgehoben?«

Er nickte bestätigend. »Exakt. Ein anderer, den du mir empfohlen hast, hat sich um die Kameras in den Filialen gekümmert. Dann ist einer meiner Männer los, hat an zehn unterschiedlichen Automaten in unterschiedlichen Gegenden von Hamburg Geld abgehoben und dann Bescheid gegeben. Sobald das Geld runter war, wurde das Limit wieder auf den Ursprung zurückgesetzt.«

»Ich vermute, dass das in der Praxis deutlich komplizierter ist, als wie du es mir hier erklärst«, murmelte Michail, während er sich mit der Hand über sein Kinn strich. Für einige Momente schloss er die Augen und schien nachzudenken. Als er sie wieder öffnete, war ein harter Ausdruck darin zu sehen. »Was ist dein Ziel, Alexander?«

Alex öffnete den Knopf an seinem Jackett und sank zurück in die Kissen, wo er sofort einen Arm um die Blondine neben ihn schlang. Er zuckte mit den Schultern. »Ich wollte dir zeigen, wie leicht man an Geld kommt, wenn man Menschen hat, die sich in der digitalen Welt auskennen.«

Ohne zu blinzeln starrte der alte Mann ihn an. »Das ist alles?«

Er erwiderte den Blick ebenso unverwandt. »Das ist alles.« Er zwang sich, nicht zu schlucken. Sein Mund fühlte sich trocken an und sein Nacken kribbelte. Natürlich war das nicht alles, aber er hatte gelernt, mit verdeckten Karten zu spielen.

Für einige Herzschläge lag Michails Blick noch auf ihm, dann begann der Boss zu nicken und griff wieder nach seiner Zigarre. Er nahm einen tiefen Zug, hustete heftig und stieß den Rauch wieder aus. »Schön. Nächsten Sonntag gehe ich mit Fjodor essen. Grischa will uns eine neue Geschäftsidee vorstellen. Du kommst mit und präsentierst in Detail das hier. Ich will wissen, was die beiden davon halten. Wenn du die überzeugen kannst, schau ich mir die Sache vielleicht näher an.«

Beinahe hätte er vor Erleichterung geseufzt, doch Alexander riss sich zusammen. Freudentänze konnte er später aufführen. Stattdessen nickte er bloß einmal und erhob sich. »Das Geld ist, wie gesagt, deines.«

Milde lächelnd blickte Michail zu ihm auf. »Natürlich ist es das.«

Alexander reichte ihm die Hand, nickte einmal allen vier Damen zu, dann drehte er sich um und manövrierte sich durch das Kissenmeer wieder die Treppen hoch. Er wollte gerade nach der Türklinke greifen, da hielt Michails Stimme ihn auf. »Bring ein Mädchen mit. Wir wollen uns ja auch ein bisschen amüsieren.«

Er holte tief Luft, drehte sich noch einmal um und nickte Michail zu. »Natürlich.«

Und dann verließ er das Penthaus endgültig. Draußen wartete Konstantin auf ihn. Alex bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, ihm schweigend zu folgen. Gemeinsam fuhren sie mit dem Fahrstuhl wieder runter, durchquerten schweigend die Eingangshalle, ehe sie hinaus in die kalte Novemberluft traten und sich auf den Weg zu Konstantins geparkten Auto machten.

»Raus damit.« Konstantins Worte waren nur ein Knurren. Er schien die Anspannung seines Freundes zu spüren.

»Ich soll den Plan Fjodor und Grigorij vorstellen. Und ein Mädchen mitbringen zum Essen.«

Ein bellendes Lachen erklang. »Ah, darum ist dein Gesicht zur Faust geballt. Zu blöd, dass keine von den Frauen in deinem Leben weiß, dass du kriminell bist, mh?«

Schnaubend blieb Alex neben dem Wagen stehen und wartete darauf, dass Konstantin ihn aufschloss. »Sehr witzig. Es gibt keine Frauen in meinem Leben.«

Nachdem sie beide eingestiegen waren, drehte Konstantin sich zu ihm um. »Frag halt eine ausm Club. Bezahl sie dafür unter der Bedingung, dass sie die Klappe hält.«

Stöhnend fuhr Alex sich durch seine dunkelbraunen Haare. »Das geht nicht, Kostja. Die denken alle, sie tanzen einfach nur in einem Club. Wenn ich die mitnehme, checkt sie, dass der Besitzer in was Größeres verwickelt ist – und dann dauert es nicht lange, bis alle wissen, dass sie in einem Gangsterclub arbeiten. Das kann ich nicht gebrauchen.«

Konstantin startete den Wagen und lenkte ihn in den Verkehr. »Als ob die nicht eh alle was ahnen. Aber schön, halt sie da raus, wenn du unbedingt willst. Irgendeine andere Idee?«

»Du weißt genauso gut wie ich, dass ich nie mit Frauen was anfange, die nicht in einem der Clubs arbeiten. Zu viel Stress.« Noch während er die Worte aussprach, hielt er inne. Wenn er genauer darüber nachdachte, gab es eventuell doch jemanden, der in Frage käme. Nachdenklich legte er den Kopf schräg.

»Aber vielleicht checkt sie auch gar nicht, was los ist«, fuhr Konstantin fort. »So wie ich Michail kenne, gibt's n piekfeines Essen, bei dem nur dumm rumgeschwatzt wird, und wenn's dann zum Geschäft kommt, zieht er sich mit den Männern zurück, während die Frauen sich alleine amüsieren sollen.«

Alex nickte langsam. Der Boss sprach üblicherweise nicht vor Außenstehenden über Geschäfte. Aber wer wusste, worüber die Frauen in Abwesenheit der Männer sprachen. Er konnte nicht riskieren, dass eine seiner Angestellten erkannte, was Sache war. Aber wenn es jemand war, der nicht wusste, dass er der Besitzer war, wäre es etwas anderes.

Lily hatte ihn bereits bei einem Job gesehen. Sie wusste, dass er ein Taxi als Tarnung für irgendetwas nutzte, und wenn sie nicht ganz dumm war, wüsste sie, dass das keine legalen Gründe haben konnte. Sie hatte bisher nie etwas dazu gesagt, warum sollte sich das jetzt ändern? Sie kannte zudem nur seinen falschen Namen und kannte keine Details. Wem sollte sie was verraten, selbst wenn sie ihr Schweigen brach?

»Ich glaub, ich hab jemanden, der passt«, sagte er schließlich langsam. »Ich kenne sie nicht gut, aber zumindest weiß sie nicht, wer ich bin. Und sie scheint mir zu vertrauen.«

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