Kapitel 23
Dariel landete anmutig und beinahe lautlos auf der grünen Wiese hinter dem Haus seines Sires in der Engelsenklave. Obwohl er es gewesen war, der Raphael um dieses Treffen ersucht hatte, war es ihm schwergefallen Michaela zu verlassen und ihre ohnehin beschränkte gemeinsame Zeit noch weiter zu verkürzen.
Bestimmt würde der weibliche Erzengel bei seiner Rückkehr immer noch schmollend aus ihren hellgrünen Augen zu ihm Aufsehen. Trotz ihrer zahlreichen Versuche, ihn zum Bleiben zu bewegen, war er gegangen und das war ihr missfallen. Michaela hatte sich wirklich große Mühe gegeben, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen.
Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Mit dieser Frau an seiner Seite würde die Unsterblichkeit bestimmt nicht langweilig werden. Michaela würde niemals einfach sein oder gar aufhören, ihm Befehle zu erteilen. Befehle, die er in der Regel zu missachten gedachte, denn als Erzengel von Zentraleuropa war sie viel zu sehr daran gewöhnt, dass ihr alle Welt gehorchte.
„Würdest du bitte dieses selbstzufriedene Grinsen einstellen? Es ist schlimm genug, dass sie dich in ihr Bett bekommen hat. Was ich aber definitiv nicht brauche ist noch mehr darüber zu wissen, wie es ist sich mit der Königin der Flittchen in der Horizontalen zu vergnügen", brummte Elena und versetzte dem Fährtensucher einen kräftigen Stoß gegen die Brust.
Schnell wie der Blitz griff Dariel nach den Handgelenken der Jägerin und zog sie an sich. „Eifersüchtig Ellie?", erkundigte er sich lachend und hauchte ihr einen freundschaftlichen Kuss in die weißblonden Haare. Augenblicklich färbten sich Elenas Wangen zartrosa. Mit leichtem Druck befreite sie sich aus dem sanften Griff des Engels.
„Würdest du nicht bronzefarbene Sprenkel auf deinen Flügeln tragen, müsste ich dich dafür zurechtweisen, dass du dich an meiner Gemahlin vergreifst", Raphaels Stimme offenbarte wie so oft keinerlei Regung, doch seine saphirblauen Augen funkelten belustigt. Spielerisch salutierte Dariel und verneigte sich anschließend tief vor seinem Sire, welcher über ein solch kindliches Verhalten nur den Kopf schütteln konnte.
In einem ernsteren Tonfall sprach der Erzengel von New York weiter: „Wir sind nun also an jenem Punkt angelangt, an dem eine Unterhaltung über deine Zukunft unumgänglich ist?" Elena und der Fährtensucher beendeten das spielerische Geplänkel, bei dem sie sich gegenseitig gegen die Federn schnippten. Dariel neigte den Kopf vor seinem Sire, doch diesmal, um seine Zustimmung zu geben. Ein Seufzen entwich Raphael: „So sei es."
Die drei Engel begaben sich in die Bibliothek des Hauses. Niemand würde an diesem Ort je vom Inhalt ihrer Unterhaltung erfahren. Während Elena sich auf dem Ledersofa niederließ und die Beine anzog, blieben die beiden Männer stehen. Raphael stand hinter seiner Gemahlin. Eine Hand auf ihrer Schulter, war der Blick seiner saphirblauen Augen auf den Fährtensucher gerichtet: „Sprich, mein Freund."
„Michaela wird morgen Nachmittag die Heimreise nach Budapest antreten. Dass diese Tatsache unumgänglich ist, wussten wir beide von Beginn an. Sie herrscht über Europa und kann ihr Territorium nicht sich selbst überlassen", fasste Dariel die allen bekannte Situation knapp zusammen. Seine Gewitterwolken-Flügel lagen eng an seinem Rücken an.
Raphaels Finger umschlossen Elenas Schulter mit sanftem Druck. „Hat sie dich gebeten, mit ihr zu gehen?", der Tonfall des Erzengels war kalt. Natürlich kam es vor, dass sich die Mitglieder des Kaders untereinander die Krieger abwarben, doch in diesem Fall wäre es etwas anderes. Wenn Dariel Michaela begleitete, dann nicht, weil sie ihm einen höheren Rang in ihren Truppen bot, sondern weil sie mit ihm ins Bett stieg. „Nein", entschieden schüttelte der Fährtensucher den Kopf, „sie hat es mit keinem Wort erwähnt."
Überrascht ließ Elena die angehaltene Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen entweichen. Ein solches Verhalten sah der Königin von Konstantinopel gar nicht ähnlich. Für gewöhnlich nutzte sie ihren Charme, um zu bekommen, was sie wollte. Dass der weibliche Erzengel Dariel wollte, war nicht zu übersehen. War es vielleicht möglich, dass Michaela es tatsächlich ernst mit ihm meinte?
„Willst du mit ihr gehen?", stellte Raphael die alles entscheidende Frage. Sein Fährtensucher hatte den verpflichtenden Dienst längst abgeleistet. Wenn Dariel sich für Michaela entschied, konnte der Herrscher über New York nichts dagegen tun. Er würde einen kampferprobten, loyalen Krieger mit einmaligen Fähigkeiten verlieren und noch viel schlimmer einen guten Freund.
Wollte er mit Michaela gehen? Diese Frage kreiste durch seinen Kopf, seit er zum ersten Mal einen Blick hinter die Maske des weiblichen Erzengels geworfen hatte. Sie war wunderschön, aber mindestens genauso gefährlich und sie hatte sich in seinen Kopf geschlichen. Seit sie ihre Schilde im Central Park abgelegt hatte, war die geistige Verbindung zwischen ihnen nicht mehr abgerissen. Nicht einmal die Stille hatte daran etwas ändern können.
„Kann ich ganz offen sprechen, Sire?" Die türkisblauen Augen hielten dem Blick des Erzengels stand. „Du sprichst nicht mit deinem Sire. Du sprichst mit einem Freund." Mit dieser Aufforderung wurde aus dem Herrscher von New York nur ein außergewöhnlicher Engel, der mit einem Gefährten sprach. Ein solches Vertrauen kam im Kader kaum vor.
Dariel holte tief Luft. Seine nächsten Worte würden sein Leben für immer verändern. Der schwere Geruch von Rosen und bestem Honig legte sich über seine Sinne. „Ich kann Michaela nicht nach Budapest begleiten. Nicht als ihr Fährtensucher. Wenn ich zu ihrem Hof gehöre und dem Erzengel von Zentraleuropa die Treue schwöre, bin ich ihr unterstellt. Ein solches Machtverhältnis würde alles verändern."
Die Gildenjägerin sah zu ihrem Erzengel auf. Wenn jemand die Situation des Fährtensuchers nachvollziehen konnte, dann waren sie es. Immer noch gab es ab und an Situationen, in denen Raphael und sie darum stritten, dass sie ihm niemals unterstellt sein konnte. Als Erzengel fiel es ihm schwer, eine solche Unschärfe in den Machtverhältnissen zu akzeptieren, als ihr Mann wusste er, dass es niemals anders sein konnte, denn trotz ihrer unterschiedlichen Stärke waren sie ebenbürtig.
Raschelnd ordnete Dariel die Flügel auf seinem Rücken neu. Sein Herz wappnete sich für die nächsten Worte: „Ich bleibe in Eurem Dienst, Sire. Meine Treue gilt weiterhin dem Erzengel von New York." Saphirblau traf auf Türkisblau. Ein tiefer Atemzug, dann sprach er seine Forderung aus: „Ihr dürft niemals von mir verlangen, dass ich gegen Mika in den Kampf ziehe. Meine Treue gilt Euch, aber sie hält mein Herz in den Händen."
Jeder andere Erzengel hätte den Fährtensucher für seine Worte bestraft. Wer war er, so mit einem Mitglied des Kaders der Zehn zu sprechen? Doch Raphael tat nichts dergleichen. Rasch wechselte er einen Blick mit seiner Gemahlin, bevor er auf Dariel zutrat. Wie es für Krieger üblich war, streckte der Herrscher von New York dem Jüngeren den Arm entgegen. Ohne zu zögern, erwiderte dieser die Geste. Sie ergriffen den Unterarm des jeweils anderen, während sie einander in die Augen sahen, um die Vereinbarung zu besiegeln.
„Mit dieser Frau wird dein Leben niemals einfach sein", gab Raphael nach einem kurzen Schweigen zu bedenken. Ein jungenhaftes Grinsen schlich sich auf Dariels Lippen, während er lässig mit den Schultern zuckte: „Das Eure auch nicht, Sire." Lächelnd neigte der Erzengel den Kopf, um seine Zustimmung zu geben: „Ein wahres Wort, mein Freund. Manche Frauen stellen die Unsterblichkeit eines Mannes völlig auf den Kopf."
Geschickt duckte sich Raphael mit angezogenen Flügeln unter dem von seiner Gemahlin geworfenen Messer hinweg. Es bohrte sich bis zum Schaft in die gegenüberliegende Wand. „Ihr beide", drohend zeigte sie mit dem Finger auf die beiden Männer, „habt es gar nicht anders verdient!"
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