Kapitel 21
In einer gewaltigen Explosion entlud sich Michaelas Wut über dem Hafen von New York. Bronzefarbene Blitze zuckten über den Himmel, während ihr Engelsfeuer ebendiesen in Brand setzte. Dariel und Illium ließen sich in letzter Sekunde zu Boden fallen. Die Gewitterwolken-Flügel über Sara und Ransom ausgebreitet, hoffte der Fährtensucher, dass ihre Macht ihn immer noch erkannte und ihn nicht verletzen würde.
Raphael schützte mit seinen Schwingen Elena und Illium, denn auch die beiden Engel würden sterben, wenn Michaelas Kraft sie überwältigte. „Sire?", erkundigte sich der blaugeflügelte Krieger zwischen zusammengebissen Zähnen. „Er gehört zu ihrem Hof. Ich kann nicht eingreifen", beantwortete der Erzengel die unausgesprochene Frage. „Sie wird den Hafen zerstören", murmelte Elena, ihre grauen Augen auf das Schauspiel am Himmel gerichtet.
Im Gegensatz zu Dariel und Illium, war es Azriel nicht gelungen, der Energiewelle zu entgehen. Seine grauen Flügel mit den braunen Flecken hatten an den Spitzen Feuer gefangen. Schleichend fraß es sich durch Federn, Haut, Muskeln und Sehnen. Als es genug Zerstörung angerichtet hatte, fiel der Engel unter Michaelas wachsamen Blick.
Elenas Flügel zuckten unter Raphaels. „Nicht!", mahnte ihr Gemahl und legte eine Hand auf ihren Rücken. So blieb der Jägerin nichts weiter übrig, als zuzusehen wie der europäische Engel auf dem Beton des Stegs aufschlug. Ihr geschulter Blick erkannte sofort die gebrochenen Knochen der Arme, die er ausgestreckt hatte, als könnte er dadurch den Sturz abfedern.
Der weibliche Erzengel landete neben Azriel, dessen dunkelgrüne Augen auf ihr ruhten. Beinahe schon ehrfürchtig war sein Blick. „So wunderschön", seine Stimme klang mehr wie ein gebrechliches Krächzen, „seit zwei Jahrtausenden seid Ihr der schönste Engel dieser Welt und Ihr werdet es immer bleiben."
Michaelas hohe Absätze klapperten, während sie näher trat und ihre bronzefarbenen Flügel anmutig an den Rücken anlegte. „Warum?", ihr Tonfall war kalt und gleichgültig. Die brodelnde Wut war einer inneren Stille gewichen. Die kalte Kraft hatte ihr Herz erreicht und breitete sich besitzergreifend darin aus.
„Ihr habt mich nie gesehen, obwohl ich immer bei Euch war. Eure Schönheit hat mich sofort verzaubert, als ihr nach Byzanz gekommen seid. Vom ersten Moment an war ich Euch treu ergeben", ein Hustenanfall unterbrach die Erzählung des Engels. Augenblicklich loderte das bronzefarbene Feuer erneut kräftig auf. Bald schon würde von seinen Flügeln nichts mehr übrig sein. Knackend brachen seine Knochen unter Michaelas Blick.
„Der Erzengel von Byzanz war Euch wichtiger. Ich verstand Euer Motiv. Ihr seid zum Erzengel aufgestiegen und ich habe Euch offiziell die Treue geschworen. Meine Werbung hingegen fand weiter keine Beachtung. Ich habe Engel und Vampire für Euch gerichtet, die Ihr zuvor in Euer Bett gelassen habt. Dann habt Ihr Euch mit Uram verbündet. Er hat Euch verehrt, My Lady, doch er hat Euch grausame Geschenke gemacht. Als er starb dachte ich, dass Ihr mich wahrnehmen würdet, aber Charisemnon nahm Urams Platz ein."
Dariels Flügel zuckten unruhig. Weder die eiskalte Ruhe, die von Michaela ausging, noch die Reise durch ihre sexuelle Vergangenheit gefielen ihm besonders. „Er hat junge, unschuldige Menschen getötet, damit sie mit ihm ins Bett steigt", knurrte Sara zu seiner Rechten. Die Armbrust weiter auf den am Boden liegenden Engel gerichtet, legte sich ihr Finger enger um den Abzug.
Azriel wusste nicht, dass der weibliche Erzengel vor ihm nur eine der auf ihn gerichteten Waffen darstellte. „Ich war immer an Eurer Seite, My Lady. Als Ihr aus Charisemnons Bett gestiegen seid, wusste ich, dass meine Zeit gekommen war. Ich würde alles für Euch tun. Alles", die Stimme des Engels klang hoffnungsvoll.
Anstelle von Lob überrollte ihn eine weitere Welle von Michaelas unendlicher Kraft. Rippen splitterten in seinem Brustkorb, weil sie es so wollte. Die vom Engelsfeuer zerfressenen Flügel zuckten. „Du hast recht", hauchte der weibliche Erzengel, während sie sich zu ihm hinab beugte, „deine Werbung fand niemals Beachtung." Fast schon zärtlich legte sich ihre Hand an seine aufgeschürfte Wange.
Für alle Anwesenden war deutlich zu erkennen, wie aus dem gestürzten Engel unter der Berührung der Königin von Konstantinopel wieder ein Krieger wurde. Ihre Finger strichen die dunkelblonden Haare aus seinem Gesicht. „Soll ich dir verraten, weshalb?", erkundigte sich Michaela. Ihre Stimme war die reinste Verführung. Eifrig nickte Azriel und schien dabei gar nicht zu bemerken, dass unter ihrer telekinetischen Kraft nun auch seine Beine brachen.
Das Lächeln auf ihren Lippen war so kalt, dass es für Erfrierungen sorgen konnte. „Du bist meine Aufmerksamkeit nicht wert gewesen. Niemals", hauchte sie, während Engelsfeuer ihre Handfläche ausfüllte und das Gesicht des Engels unter ihrer Berührung verbrannte, „jeder Mensch, Vampir, Engel oder Erzengel, der jemals in meinem Bett gelegen hat, hatte einen Nutzen für mich."
Ein bronzefarbener Blitz fuhr durch Azriels Wirbelsäule und ließ ihn sich vor Schmerzen krümmen. „Sie haben mich mächtiger gemacht, mir mehr Territorium und Einfluss verschafft", es knackte und der Kiefer des Engels brach unter ihrer sanften Berührung, „sie waren stark." Das Engelsfeuer zerfraß den letzten Rest seiner Flügel.
„Du bist nicht stark, Azriel. Du bist so schwach, dass du dich an Menschen vergreifen musstest, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Sterbliche kümmern mich nicht, genauso wenig wie du", immer noch klang Michaelas Stimme absolut verführerisch, „du bist ein erbärmlicher, schwacher Engel. Ein billiges Abziehbild von Uram. Ich hätte dich auch in den nächsten zweitausend Jahren keines Blickes gewürdigt. Du hättest weiter zugesehen, wie andere Männer in mein Bett steigen, denn dort wärst du niemals gelandet."
Mit einem Ruck erhob sich der zerschundene Körper des Engels vom Boden. Es kostete Michaela nicht einmal den Bruchteil ihrer Kraft, ihn telekinetisch anzuheben. Immer noch tanzte das bronzefarbene Engelsfeuer über seine Haut und fraß tiefe Löcher hinein. Von den Flügeln, die sie für einen Moment an die des verstorbenen Erzengels erinnert hatten, waren nur noch Knochen und freigelegte Nerven über. Zwei Blitze trennten sie ab und ließen Azriel verzweifelt aufschreien.
Elena sah mit Entsetzen zu, wie plötzlich ein Knochen des Unterschenkels eine unnatürliche Ecke aufwies. „Raphael, sie quält ihn", wisperte die Jägerin neben dem Herrscher von New York. Seine Gemahlin hatte recht. Für seine Taten würde Azriel sterben, denn niemand durfte mit einer anderen Strafe rechnen, wenn er sich gegen die Gesetze des Kaders erhob, doch Michaela achtete peinlich genau darauf, dass ihre Taten nicht tödlich waren.
Natürlich war der weibliche Erzengel nicht für ihre Sanftheit bekannt, doch sie zögerte ein unumstößliches Urteil auch nicht länger heraus, als es nötig war. „Michaela befindet sich in der Stille", schlussfolgerte Raphael. Er sprach den Gedanken laut aus, so dass auch die anderen ihn hören konnten.
Der Zustand der Stille war gefährlich. Dariel wusste, dass alle Erzengel dazu fähig waren sich einzig und alleine von ihrer Macht leiten zu lassen. Die Kraft der Kadermitglieder konnte in dieser Zeit ganze Kontinente vernichten, denn sie kannte kein Erbarmen. Die bronzefarbenen Blitze, die zielsicher jeden einzelnen Nerv in Azriels Körper zerstörten, waren der beste Beweis dafür. Einen Erzengel zu verärgern war unter normalen Umständen bereits nicht ratsam. In der Stille war es das Urteil für einen grausamen und langsamen Tod.
Michaela, Donner grollte durch ihre Gedanken. Augenblicklich setzte sich ihre Macht zur Wehr. Während Azriels zweiter Unterschenkel zersplitterte, rollte eine Welle an telekinetischer Energie auf den Eindringling zu. Sie traf auf einen harten Schild aus Gewitterwolken. In ihrer eiskalten Wut wollte Michaela danach greifen und ihn zerreißen. Er sollte leiden. Mika.
Fensterscheiben zerbarsten und die Erde bebte, als der weibliche Erzengel in letzter Sekunde die Richtung ihres Angriffs änderte. Das Gebäude, auf dem Dariel mit den beiden Jägern gelegen hatte, fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Mit einem Mal flutete Michaelas Herz ihren Körper mit nackter Panik.
Ein bronzefarbener Blitz trennte Azriels Kopf von seinem Körper, während das Engelsfeuer ihn für immer zerfraß. Nichts davon kümmerte die Königin von Konstantinopel. Ihre hellgrünen Augen suchten verzweifelt den Schutt und die Staubwolke nach den Gewitterwolken-Flügeln des Fährtensuchers ab.
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