Kapitel 14
Dariel landete hinter dem weiblichen Erzengel auf ihrem Balkon. Der Nachmittag war angenehm ruhig verlaufen. Obwohl Michaela äußerlich ihre Maske niemals zur Gänze abgelegt hatte, war sich der Fährtensucher sicher, dass Sara und Illium die Veränderung in ihrem Inneren hatten wahrnehmen können. Zärtlich strich er über den Bogen ihres linken Flügels, als sie diese hinter dem Rücken zusammenfaltete.
„Irgendwann verbrennst du dir die Finger", tadelte ihn Michaela, doch das Lächeln auf ihren Lippen war ihrer Stimme deutlich zu entnehmen. Noch einmal fuhr er den Bogen entlang. Funken tanzten an ihren Flügelspitzen. „Dieses Risiko gehe ich gerne ein, Mika", hauchte er an ihrem Ohr und stellte dabei zufrieden fest, dass sie sich nicht von ihm entfernte, „gestattet Ihr mir Zutritt zu Eurer Suite, Erzengel?"
Wieder neckte er sie mit der höflichen Ansprache. Es war eine gezielte Anspielung auf ihre Anschuldigung an diesem Morgen, dass er über die Engelsetikette nicht Bescheid wüsste. „Der Zutritt ist dir gestattet, Fährtensucher", der intensive Blick seiner türkisblauen Augen brannte auf ihrer Haut, während sie vor ihm in den Wohnraum trat.
Mit eng an den Rücken gepressten Flügeln folgte Dariel ihr und schloss Balkontüre sowie Vorhänge hinter ihnen. Nicht alle Welt musste sehen, dass der Erzengel von Zentraleuropa die schützenden Mauern vor Raphaels Fährtensucher ablegte, fand er. Jede Handlung vollführte er mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass Michaela sich fragte, wer hier wen verführen wollte.
„Warum siehst du mich so an, Mika?", Dariels Stimme holte sein Gegenüber aus ihren Gedanken zurück in die Realität, während sie gleichzeitig wieder wie eine physische Berührung über ihre Haut strich. In ihrem Kopf breitete sich erneut die Gewitterwolke aus. Ein deutliches Zeichen dafür, dass es dem Fährtensucher ein Leichtes war ihre Abwehr zu unterlaufen.
Wie eine Katze bewegte sich dieser einzigartige Engel. Eine Katze auf der Jagd, warnte eine innere Stimme, denn wenn der weibliche Erzengel nicht vorsichtig war, würde sie die Beute für dieses gefährliche Wesen werden. Dariels Hand legte sich besitzergreifend auf ihre Hüfte: „Was geht in deinem hübschen Kopf vor?"
Michaelas hellgrüne Augen sahen zu ihm auf, während ihre Hände auf seiner Brust ruhten. „In meinem Kopf breitet sich gerade ein Gewittersturm aus", gestand sie mit einem Lächeln auf den verführerischen Lippen. Für eine Sekunde huschte ihr Blick zu seinen Flügeln, bevor er zu den türkisblauen Augen zurückkehrte.
Unter ihren Handflächen spürte sie seine Brust vibrieren. Dariel lachte leise und doch war es ansteckend. Ohne Vorwarnung lagen seine Lippen auf den ihren. Michaela hatte nicht die Gelegenheit, die Kontrolle über den Kuss zu übernehmen, denn in ihren Gedanken entluden sich Blitze seiner Macht und vermischten sich mit der ihren.
Bronzefarbene Funken tanzten über ihre Flügel und ihre Haut. Du stehst unter Strom, stellte Dariels amüsierte Stimme in ihrem Kopf fest, während seine Zunge ihre umspielte. Ihre Finger gruben sich in den Stoff seines T-Shirts. Blitze, selbst ihre geistige Stimme klang atemlos. Wieder lachte er und sandte damit einen Schauer nach dem anderen durch ihren Körper.
Schließlich war sie es, die den Kuss unterbrach. „Ich will sie sehen", flüsterte Michaela an seinen Lippen, „zeig sie mir." Dieser Befehl entlockte ihm ein Grinsen: „Was bekomme ich dafür?" Seine Hände fuhren ihre Seiten entlang, bevor er die Finger unter den Stoff ihres Tops gleiten ließ. Sofort zuckten wieder die bronzefarbenen Blitze über ihre Federn. „Alles", ihre Stimme klang atemlos, „und jetzt lass mich endlich deine Flügel bewundern."
Ganz langsam klappte er seine Schwingen auf. Ihre hellgrünen Augen folgten jeder noch so kleinen Bewegung. Kaum hatte der Fährtensucher die Flügel vollständig entfaltet, wurden sie einer genauen Musterung unterzogen. Ihre Finger fuhren über die sanften Übergänge an Grautönen. Sie waren so wunderschön wie: „Gewitterwolken."
Helles Grün traf auf Türkisblau. „Dein Spitzname, er bezieht sich auf deine Flügel", stellte Michaela fest, während sie zärtlich über ebendiese strich. „Raphaels Jägerin hat eine Vorliebe dafür, merkwürdige Spitznamen zu vergeben. Glockenblümchen und Fünkchen können dir das ebenfalls bestätigen", erwiderte Dariel mit rauer Stimme. Ihre Finger glitten über den empfindlichen Flügelbogen und entlockten ihm beinahe ein Keuchen.
Die Musterung fortsetzend trat der weibliche Erzengel hinter ihn. „In zweitausend Jahren habe ich noch nie solche Flügel gesehen. Sie sind wunderschön. Warum versteckst du sie vor der Welt?", wollte Michaela wissen, während sie ihn weiterhin streichelte. „Schöne oder einmalige Flügel zu haben ist ein Segen, aber auch ein Fluch", gestand der Fährtensucher, „wie du bestimmt weißt, sammeln manche Erzengel solche Besonderheiten. Ich hatte und habe nicht vor Teil einer Sammlung zu werden, ganz gleich welcher Art."
Hinter seinem Rücken hob Michaela eine Augenbraue und ihre Finger verharrten an einer Stelle seiner Flügel. Böse Zungen verbreiteten das Gerücht sie würde Männer in ihrem Bett sammeln, wie Lijuan Engelsflügel oder Neha Schlangen. Bestimmt hatte Dariel bereits davon gehört. War in seiner Aussage eine andere Botschaft enthalten gewesen? War dieses Spiel zwischen ihnen vielleicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt? Ein merkwürdiger Druck breitete sich in ihrer Brust aus.
Seine Flügel zuckten. Die Federn drängten sich gegen ihre Handflächen. „Hast du genug gesehen?", wollte Dariel wissen, während er versuchte einen Blick auf die Frau hinter sich zu erhaschen. Sie war merkwürdig ruhig geworden. Das gefiel ihm nicht.
Während ihre Gedanken weiter um seine Worte kreisten, setzten Michaelas Finger ihren Weg fort. Immer näher kamen sie der Stelle, an der seine Schwingen aus dem Rücken wuchsen. Mit einem Mal spürte er Funken auf seiner Haut. Ihre Macht flammte hinter ihm auf und überflutete seine Sinne als Fährtensucher. Sie füllte jeden Zentimeter des Raumes aus, doch obwohl sie brennend heiß war, verletzte sie ihn nicht. Als sich die bronzefarbene Energie langsam wieder zurückzog, war die Stoffschicht seines T-Shirts zwischen ihren Fingern und seinem Rücken verschwunden.
„Ich bin mir sicher, dass es noch viel mehr zu sehen gibt", hauchte der weibliche Erzengel an seinem Ohr, „und ich werde jeden Anblick genießen." Ihre Stimme klang so verführerisch, dass Dariel all seine Selbstbeherrschung aufbringen musste, um nicht zu ihr herumzufahren und sie auf der Stelle zu küssen. Ein Zittern lief durch seine Flügel, als er neben ihren Fingern plötzlich ihre Lippen auf seiner Haut spürte.
Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte der Fährtensucher sich bereits umgedreht und ihren Mund mit seiner Zunge erobert. Jede Kontrolle über sein Verlangen war unter ihren Berührungen formlos zusammengebrochen. Keuchend erwiderte Michaela den Kuss.
Alle Versuche, die Oberhand zu gewinnen, machte Dariel sofort zunichte. Während Michaela versuchte, diese für sie neue Erfahrung zu verarbeiten, strichen seine Finger über ihren Rücken. Die Berührung entlockten ihr ein leises Stöhnen, welches von dem leidenschaftlichen Kuss gedämpft wurde.
In zweitausend Jahren hatte Michaela noch nie das Gefühl gehabt, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Zumindest bis jetzt, doch der Fährtensucher hatte die Regeln in einem Spiel, von dem sie dachte, dass sie es besser beherrschte als jeder andere auf dieser Welt, verändert. Plötzlich war es ihr egal, wer die Kontrolle hatte, solange er sie nur weiter berührte.
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