Fünf
Ganz ehrlich: Es war absolut langweilig sich die ewigen Monologe der Lehrer über ihre genialen Profilfächer anzuhören. Ich bin todfroh, dass der Informationstag jetzt endlich vorbei ist und ich mich endlich auf das Treffen mit Leni freuen kann. Ich weiß, dass es nicht einfach werden wird, ihr zu erklären, was in mir vorgeht, aber ich freue mich einfach sie einmal länger als fünf Sekunden ansehen zu können.
Im Aufenthaltsraum herrscht schmackvolle Stimmung, nur ab zu ist Gelächter oder Gemurmel zu hören. Alle sind in ihr Essen vertieft. Auch ich rühre gedankenverloren in meinen Spaghettis herum.
"Also was gibt's? Willst du mir wieder erklären, warum du deinen Eltern noch nichts von unserer Beziehung gesagt hast? Oder willst du wieder so tun als wären wir momentan super glücklich?"
Plötzlich sitzt Leni mit einer riesigen Portion Spaghetti vor mir. Ihre Stimme hört sich vorwurfsvoll an, sie ist beleidigt.
"Nein, es geht um meine Eltern."
"Also doch!"
Leni schaut mich wütend an und ist schon fast dabei aufzustehen, doch ich ziehe sie an ihrer Hand zurück. Auf einmal ist da wieder dieses Kribbeln, das ich jedes Mal spüre, wenn ich sie auch nur ausversehen oder ganz kurz anfasse. Leni setzt sich wieder an den Tisch, zieht ihre Hand aber aus meiner zurück. Trotzdem schaut sie mich erwartungsvoll an.
"Ich kann dir das nicht zwischen Tür und Angel erzählen. Ich brauche Zeit und Ruhe."
Ich schaue mich um. Sibel und Pawel sitzen auf den Sofas und scheinen heftig damit beschäftigt zu sein, sich gegenseitig abzuknutschen. Mein Zimmer hätten wir also für uns alleine, zumindest für den Anfang.
"Lass uns in mein Zimmer gehen, Sibel und Pawel scheinen hier gerade beschäftigt zu sein."
Ich deute in Richtung der beiden und schaue dann zu Leni. Sie isst gerade die letzten Spaghettis von ihrem Teller und nickt.
Ich stehe auf und bringe mein noch halb volles Teller in die Küche. Der Appetit ist mir deutlich vergangen.
...
Wir setzen uns in das Hochbett. Ich hatte das obere Bett dieses Jahr direkt für mich beschlagnahmt, da Leni eh in einem anderem Zimmer schläft. Unter mir schläft Sibel. Und gegenüber von den Hochbett wird die Referendar - besser gesagt meine Mutter - schlafen.
"Leni, ich weiß wirklich nicht wie ich dir das sagen soll..."
Da kommt mir eine Idee: der Brief. Leni sitzt auf der Seite mit dem Kopfkissen, wo der Brief darunterliegt, deshalb greife ich komisch an ihrer Taille vorbei.
"Ey!"
"Sorry. Kannst du mal kurz... da unter dem Kissen liegt etwas."
Leni zieht den Brief unter meinem Kopfkissen hervor und schaut mich dann fragend an.
"Les' das."
Während sie das Papier aus dem Briefumschlag zieht und beginnt zu lesen, mustere ich sie. Warum habe ich es ihr nicht früher gesagt, auch das mit meinen Eltern? Ich weiß, dass sie mich nie verurteilen würde. Vielleicht wäre sie sauer, aber mehr traue ich ihr nicht zu.
"Diese Referendarin ist deine Mutter?"
Leni schaut mich überrumpelt an. Sie faltet den Brief wieder zusammen und steckt in feinsäuberlich in den Umschlag zurück.
"Wann hast du das erfahren?"
"Gestern."
"Oh man, und ich werfe dir auch noch solche Vorwürfe an den Kopf. Wenn ich nur gewusst hätte-..."
"Hast du aber nicht."
"Du hättest es mir ruhig auch früher erzählen können."
"Ich weiß. Aber irgendwie..."
"Schon okay, das muss dich ja völlig aus der Bahn geworfen haben."
Leni schaut mich voller Mitgefühl an. Meine Hände haben inzwischen ihre gefunden und liegen ineinander verhackt auf meinem Oberschenkel.
"Was willst du jetzt machen? Hast du schon mit deinen Eltern gesprochen?"
"Nein, werde ich auch vorerst nicht. Sie wissen nicht einmal, dass ich diesen Brief gefunden habe und alles weiß. Außerdem würden sie nur sauer sein und mir nichts anderes sagen."
Es tut mir gut, dass Leni mir einfach nur zuhört. Mein Problem wird, dadurch dass ich es mit Leni teile, direkt leichter. Mein Blick fällt auf das noch unbezogene Bett in dem bald Frau von Blumenberg schlafen wird.
"Am besten ich schaue mir meine Mutter in der nächsten Zeit mal etwas genauer an. Demokratie hat mich schon immer interessiert."
Ich grinse. Eigentlich ist das nicht der richtige Zeitpunkt um irgendwelche Späße zu machen, aber ich brauche diese Auflockerung der Stimmung.
"Oh, ich auch."
Ich bin Leni wirklich dankbar, dass sie so locker mit meiner neuen Familiensituation umgeht und dass sie mir gar nicht mehr böse zu sein scheint. Plötzlich ändert sich ihre Mimik und Leni wird wieder ernster.
"Hast du dir diese Constanze eigentlich schon einmal genauer angeschaut? Die ist doch niemals älter als 25. Du bist 16. Somit müsste sie dich mit 9 Jahren bekommen haben, aber das glaube ich ehrlich gesagt nicht."
"Das heißt, sie ist nicht meine Mutter. Wieso bin ich da nicht früher drauf gekommen?"
Insgeheim hatte ich mich ja irgendwie auf Constanze als Mutter gefreut, aber es hätte mir klar sein müssen, dass sie nie und nimmer meine Mutter sein könnte.
Selbst der verschmiert Tintenfleck war eigentlich zu klein, als dass dort ihr Name hinein gepasst hätte.
Mir stehen wieder die Tränen in den Augen. Ich werde nachdenklich.
"Wer ist es dann?"
"Vielleicht Constanzes Mutter?"
"Und wie soll ich das herausfinden?"
Ich bin selten so verzweifelt, dass ich nicht mehr weiter weiß. Aber in diesem Moment wird mir einfach alles zu viel.
"Jetzt ruh' dich erst mal aus. Morgen ist ein neuer Tag, dann fühlen wir dieser Constanze mal etwas genauer auf den Zahn."
"Einverstanden."
Die Braunhaarige lächelt mich aufmunternd an und steigt langsam vom Bett, während ich mich hinlege.
"Gute Nacht, Cäcilia."
"Nacht."
Leni geht aus der Tür und will sie schließen. Da fällt mir etwas ein.
"Leni?"
"Ja?"
"Danke, für alles."
Sie lächelt mir noch einmal zu und geht dann. Es gab zwar keinen Kuss und keine wirkliche Versöhnung zwischen uns, aber ich bin einfach froh, dass Leni mir hilft. Sicherlich ist es nur noch eine Frage der Zeit bis wir wieder ein Herz und eine Seele sind. Denn Leni und ich gehören einfach zusammen.
Sobald ich meine Mutter kennenlerne, werde ich ihr erklären, dass ich eine Freundin habe, eine feste Freundin. Sie wird mich so akzeptieren müssen.
Meine Ruhe wird jedoch schnell von lauten Gepolter gestört und ich drücke mir mein Kissen an die Ohren.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro