XIII
„Taeha, was machst du hier unten?"
„Ich wollte nur schauen, ob er aufgewacht ist."
„Ist er nicht und jetzt verzieh dich."
„Du bist so gemein, Taehyung. Das sag ich Ma, wenn sie wieder da ist."
„Wenn du das machst, kriegst du morgen keinen Kuchen."
Jemand schnappt entsetzt nach Luft.
„Und ich werd dir am Abend keine Pizza für deine Freunde machen."
„Aber..."
„Kein Aber. Geh jetzt ins Bett oder ich sag Ma, dass du um zehn noch wach gewesen bist."
Den schweren Schritten nach zu urteilen verlässt das Mädchen - Taeha - wutschnaubend den Raum, macht die Tür allerdings so vorsichtig zu, dass er beinahe zurück in diesen tiefen Schlaf gefallen wäre, aus dem ihm die Stimmen gerissen hatten.
Was genau ihn davon abhält, ist jedoch ein leises Summen, dass sich auf einmal einen Weg durch die Wand bahnt, welche seinen Teil des Gehirns blockiert, den er zum Denken benötigt.
Der Raum ist in gedämpftes Licht getaucht und ihm vollkommen fremd, als er die Augen aufschlägt. Es ist ein Wohnzimmer, so viel kann er erkennen, und er liegt in eine Decke gehüllt auf der Couch, die Beine auf zwei Kissen hochgelegt und neben sich eine dampfende Tasse Pfefferminztee. Taehyung steht krakelig und in grüner Farbe quer über dem Porzellan und nachdem er die Tasse für ein paar Sekunden angestarrt hat, fällt ihm alles wieder ein.
Die Küche ist offen mit dem Wohnzimmer verbunden und von seinem Platz aus, kann er jemanden erkennen, der eifrig damit beschäftigt ist etwas abzuwiegen und dabei ein Lied vor sich hin summt, das er nicht kennt.
„Taehyung?", fragt er leise, doch er hört ihn nicht, weshalb er die Decke fester um seine Schultern zieht und sich langsam aufsetzt, um aufzustehen. „Taehyung?"
Erst als er an der Kücheninsel angekommen ist und sich auf einem der Barhocker abstützt, da ihm auf einmal wieder übel wird, bemerkt ihn der Junge.
„Oh... du bist wach", ist alles was Taehyung herausbringt, bevor sie sich für ein paar Augenblicke wortlos anstarren. Er ist der erste, der den Blickkontakt abbricht.
„Was... was genau ist passiert?"
„Du wolltest aufs Klo, hast vermutlich das Bewusstsein verloren und sechs Stunden gepennt."
„Sechs Stunden?!", ruft er entsetzt und schaut sich hektisch nach einer Uhr um, auch wenn er weiß, dass er Taehyung Glauben schenken kann.
„Ich... Meine Mutter... sie macht sich bestimmt Sorgen", murmelt er leise vor sich hin und spürt, wie ihm die Galle hochkommt, während paradoxerweise just in diesem Moment sein Magen anfängt zu Knurren.
„Keine Sorge, meine Ma hat sich darum gekümmert. Deine Mutter holt dich gleich ab, aber du solltest dich erstmal erholen, ausschlafen und was richtiges essen, um deinen Blutzuckerspiegel ein bisschen hochzubekommen. Hast du Hunger?", fragt Taehyung nach und ihm fällt auf, dass er irgendwie entspannter ist, als vorhin, wo sie zusammen gespielt hatten.
Er schüttelt den Kopf und sein Magen knurrt so laut, dass es sogar das Rauschen des Ofens übertönt, der - wie ihm erst jetzt auffällt - überraschenderweise eingeschaltet ist.
„Backst du irgendetwas?"
Taehyung lacht gekünstelt, hört jedoch glücklicherweise schnell wieder auf und nickt ergeben, als wäre dieses „Ja" die größte Demütigung seines Lebens.
„Blaubeertorte für meine kleine Schwester. Sie hat morgen Geburtstag und wollte unbedingt, dass ich ihr eine mache", gesteht er und wendet sich wieder seiner Schüssel zu. „Der Boden ist schon im Ofen. Ich mach gerade nur noch die Creme."
Er nickt.
Eine Eigenschaft, die ihm als Wunderkind immer schon nachgesagt wurde, war ein ausgesprochen ausgeprägtes Gedächtnis und Interesse an neuen Dingen, weshalb es ihm nicht schwerfällt die Informationen der Kochbücher aufzurufen, die er gelesen hatte. Anfänglich weil er die Bilder so schön gefunden hatte, dann irgendwann um zu verstehen, wie aus zehn verschiedenen Sachen ein Ganzes werden konnte.
„Buttercreme?"
„Frischkäse."
„Oh."
„Hey, hör mal... meine Ma sagt, ich soll dir irgendwas Süßes geben, wenn du aufwachst, damit du nicht gleich wieder umkippst. Ich hab... als du geschlafen hast, auch schon Schokomuffins für Taeha gemacht. Willst du davon einen haben? Die sind noch warm..."
Sofort schüttelt er den Kopf. Es wird das Erste sein, was er seit den Pommes zu sich nimmt. Viel zu viel Zucker, Kalorien...
„Nein, passt schon. Ich hab keinen Hunger, danke."
„Wenn du gleich wieder umkippst, killt sie mich. Und die Muffins sind echt lecker... das Rezept ist von meiner Oma."
„Backst du häufig?"
Wieder sieht er in Taehyungs Blick eine Lüge funkeln, bis er erneut den Kopf senkt und nickt.
„Aber ich kann's nicht sonderlich gut. Meine Ma hat eine Konditorei bei der ich manchmal aushelfe... du lenkst vom Thema ab. Ich hab sowieso zu viele Muffins gemacht und..."
„Habt ihr auch einen Apfel oder so?"
Ungläubig schüttelt Taehyung den Kopf und fischt einen Apfel aus dem Obstkorb, den er schon die ganze Zeit über sehnsüchtig anvisiert hat.
„Hast du eine Essstörung oder warum bist du so komisch?", lacht Taehyung und wirft ihm den Apfel zu. Er fängt mit einer Hand und zögert bevor er den Kopf schüttelt und in das Obst beißt.
Hat er eine Essstörung? Keine Ahnung. Das letzte Mal war er vor drei Jahren beim Arzt gewesen und ihm ging es gut. Außerdem würde er bestimmt selbst merken, wenn an seinem Essverhalten etwas nicht mehr stimmte. Er wusste genug über Krankheiten.
„Ich mag Schokolade halt nicht so gern."
„Du bist komisch. Ich hoffe, das ist dir klar."
Er antwortet nichts, weil er nicht wüsste was. Ist er komisch? Warum ist er komisch? Weil er keine Schokolade isst? Was haben die Menschen in seinem Alter nur damit sich so vorschnell ein Urteil über Menschen zu bilden, nur weil ihre Einstellung oder Vorlieben nicht in die Norm passen.
Taehyung passt doch auch nicht in die Norm. Ein Bauernjunge, der auf eine Eliteschule in der Innenstadt geht und dort so tut, als wären seine Eltern reiche Geschäftsleute und er ein verzogenes Arschloch, das sich einen Spaß daraus macht über andere herzuziehen. Warum wird über ihn kein Urteil gefällt? Warum ist er nicht komisch?
„Warum?", fragt er leise.
„Wie 'warum'?"
Taehyung legt den Kopf schief und sieht ihn fragend an. „Warum du komisch bist? Keiner weiß was über dich. Auch wenn du wahrscheinlich eh nichts davon mitbekommst, aber es gibt so viele Gerüchte darüber, was für ein Typ du bist. Manche sagen, dass du radikal bist, ein Waisenkind, in einer Sekte, gewalttätig, arm..."
„Wo wir schon dabei sind... Komisch, dass sie bei dir noch nicht darauf gekommen sind."
„Was?"
Er weiß nicht weshalb er lächeln muss, aber es fühlt sich gut an. Als wäre er Taehyung überlegen.
Sein erstes Gefühl von Macht nicht nur über Wissen sondern auch über andere Menschen und er genießt es in vollen Zügen.
„Du bist arm, oder?"
„Ich bin nicht arm."
„Im Vergleich schon."
„Definiere arm."
„Auf jeden Fall hast du nicht so viel Geld, wie du in der Schule tust", redet er sich in Rage. Irgendwie stört es ihn gewaltig, dass Taehyung ihn komisch nennt, auch wenn er kein Stück besser ist.
„Ich hab Geld", verteidigt Taehyung sich energisch und macht einen Schritt auf ihn zu. „Du kennst mich und meine Familie doch überhaupt nicht. Warum bildest du dir ein so genau darüber Bescheid zu wissen?"
„Ich will es nur verstehen", erwidert er. Er hat keine Angst vor Taehyung. Seine Sinne sind nach dem Apfel wieder wach und wenn der Andere etwas versucht, könnte er ihn schneller umlegen, als dass er Luft holen könnte, um sich zu entschuldigen.
„Du musst gar nichts verstehen. Ich wusste, es war dumm dich mitzunehmen. Freaks wie du müssen immer ihre Nase in andere Angelegenheiten stecken. Wie kleine Ratten, denen ihre Kanalisation nie genug sein wird. Du brauchst immer mehr..."
Er schweigt und wird rot. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt sich für Taehyung zu interessieren, ihn als nächstes Projekt anzusehen. Das war die letzte Intention gewesen, als er dieser Sache zugestimmt hatte.
Schweigend isst er seinen Apfel zu Ende und starrt dabei aus dem Fenster in die Dunkelheit des Gartens der Familie Kim, bis es irgendwann an der Haustür klingelt und ihm geistesabwesend und seinen Gedanken nachhängend etwas einfällt.
Taehyungs Name hatte auf dem Briefumschlag der Polizei gestanden.
Ich wünsch euch allen frohe Weihnachten... noch sieben Tage, dann haben wir 2020 überlebt, ohne dass Aliens die Welt erobert haben. Ich bin stolz auf uns.
Ich hoffe euch geht es allen soweit gut, bleibt gesund und feiert schön, auch wenn es dieses Jahr vielleicht ein wenig anders wird, als davor... eine Portion Liebe zum Mitnehmen:
♡
PS.: Mein Weihnachtsgeschenk für euch ist online... die Oneshot Version von Scarborough Fair. Ich hoffe sie gefällt euch ^^
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