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Im Haus ist es angenehm kühl und riecht nach warmem Essen, Orangen, Sommerblumen und irgendetwas anderem, dem er keinen Namen geben kann.
Taehyung lässt den Hund wieder herunter und streift sich die Schuhe von den Füßen, er tut es ihm gleich.
Es kommt ihnen niemand entgegen, aber vom Ende des Ganges her dringen Stimmen einer Frau und mehreren Kindern her. Neugierig und der Höflichkeit halber will er auf sie zu gehen, doch Taehyung packt seinen Arm und hält ihn fest.
„Das ist keine gute Idee. Meine Ma ist vermutlich gerade am Kochen. Ich kann uns schnell was zu trinken holen. Hast du Hunger?"
Er schüttelt den Kopf und räuspert sich, um das Knurren seines Magens zu übertönen.
„Nein, alles bestens."
„Was willst du trinken?"
„Das, was du trinkst..."
„Okay gut. Du musst die Treppe nach oben, durch den Flur und die nächste Treppe. Die Tür mit der grünen Klinke ist meine. Du kannst dich eigentlich nicht verlaufen."
Er nickt und sieht Taehyung noch für einen Moment nach, als dieser sich durch die Tür am Ende des Flures schiebt und mit großem Geplapper sofort begrüßt wird. Kein Einzelkind und ein Bauernjunge, notiert er sich im Kopf und muss unbewusst lächeln, als ihm klar wird, dass das Bild, was Taehyung in der Schule trägt ganz offensichtlich von ihm selbst zu seinen Idealvorstellungen gemalt worden war. Bleibt nur noch die Frage, weshalb.
Es ist kein seltenes Phänomen unter Jugendlichen, aber bisher hatte er immer gedacht, dass die Geschichten und Erzählungen übertreiben.
Wer will sich schon die Mühe machen fünf Tage die Woche eine Rolle zu spielen?
Seine Gedanken stoppen, als ihm auffällt, dass er sich in der Hinsicht kein bisschen von Taehyung unterscheidet.
Mit der Hand fest am Geländer kraxelt er die Treppenstufen zum ersten Stock hoch und geht dabei mehrere Möglichkeiten durch, bis er an der hängen bleibt, dass Taehyung sich schlichtweg viel zu sehr über Besitz definiert. Er kann es ihm nicht verübeln. Praktisch gesehen ist er noch ein Kind.
Er zählt vier Zimmer, findet weitere Treppen am Ende des Ganges und bleibt kurz stehen, um die schwarzen Punkte vor seinen Augen wegzublinzeln.
Das passiert manchmal. Vor allem freitags.
Er packt das Geländer fester, die Stufen hier sind steiler und an den Wänden hängen unzählige Zeichnungen, Bilder und Urkunden. Auf halber Strecke bleibt er stehen, da ihm etwas ins Auge sticht.
Kim Taehyung, 1. Platz des Mathewettbewerbs der vierten Klassen, landesweit
Dadrüber hängen weitere vier Urkunden, alle vom selben Wettkampf und er muss lächeln, als daneben das Bild eines jüngeren Taehyungs klebt, der auf einer Bühne steht und mit einem strahlenden Lächeln zu einer Frau und einem Mann - seinen Eltern - hinaufsieht, die stolz einen Preis entgegen nehmen.
Vermutlich ein sehr wichtiger Moment für ihn, überlegt er. Und das nicht notwendigerweise des Preises wegen.
Die übrigen Zettelchen schaut er sich nicht mehr an und kämpft sich nur hoch zu der Tür, deren Klinke grün lackiert und Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier mit weiß auf das dunkle Holz gesprayt worden ist. Er muss lächeln und denkt daran, dass Der Sturm von Shakespeare auch noch auf seiner Liste steht. Vielleicht ist Taehyung doch nicht so uninteressant, wie er auf ihn bisher gewirkt hat.
Sein Zimmer ist tatsächlich sehr groß. Auch wenn die Dachschrägen es ein wenig einengen, kann er bequem darin stehen und stellt schnell fest, dass Taehyung sich hier ein Königreich erschaffen hat.
Es riecht nach altem Holz, Vanille, diesem undefinierbaren Duft von ihm selbst und Sonnenlicht fällt durch die Fenster auf den hellen Holzboden, der an manchen Stellen mit bunten Teppichen ausgelegt ist. Das schräge Dach ist teilweise mit Postern von Musikern und Filmstars tapeziert worden, dessen Namen ihm nichts sagen. Die Dachbalken sind entweder bunt angemalt, mit lauter Notizzettelchen zugekleistert oder bodenlangen Spiegeln versehen, was ihn zunächst ein wenig irritiert. In einer Ecke steht ein dunkelrotes Sofa, das an mehreren Stellen schon geflickt wurde, und davor ein alter Fernseher auf einem umgekippten Umzugskarton, der vollgestellt ist mit DVD's.
Taehyungs Schreibtisch steht unter einem der Fenster und daneben eine Reihe von Schränken voller Ordner und Bücher. Sein Bett findet er zuletzt.
Vermutlich weil es nur aus einer Matratze besteht, die auf einer Holzpalette liegt und belagert wird von Unmengen an bunten, einfarbigen und gemusterten Kissen. Ein Stapel Bücher und ein großer Haufen Klamotten liegt daneben.
Er ist fasziniert von diesem Raum. Sein eigenes Zimmer sieht so anders aus. Viel kälter und ungemütlicher, auch wenn es bei weitem kleiner ist. Ein unangenehmer Stich klammert sich an sein Herz, doch er ignoriert ihn.
Am liebsten würde er sich hinsetzen und aufschreiben, was er sieht, so befremdlich ist dieses Gefühl, doch da hört er hinter sich die Treppe knarren.
„Ich hasse meine Familie", grummelt Taehyung vor sich hin, tritt in sein Königreich ein und schiebt die Tür mit dem Fuß zu. „Es tut mir Leid, falls eine meiner Schwestern hochkommt um zu gucken, wie du aussiehst. Sie sind sehr neugierig."
„Du bringst nicht oft jemanden nach Hause, oder?"
Taehyung zuckt unmerklich zusammen, stellt jedoch ohne etwas zu verschütten die beiden Gläser und die Glaskaraffe mit Wasser auf seinem Schreibtisch ab und dreht sich um. Sein Blick ist aufgesetzt. Das sieht er sofort, auch wenn er noch nie sonderlich gut darin gewesen war aus der Mimik anderer zu lesen.
„Also... so wie es auf mich wirkt..."
„Wir sollten anfangen", weicht Taehyung aus und er senkt den Blick, weil er weiß, dass er ein klein wenig zu laut gedacht hat.
„Setz dich wohin auch immer du willst", sagt Taehyung und breitet grinsend seine Arme aus. „Hier ist genug Platz."
Ohne groß zu überlegen, steuert er auf das Sofa zu und lässt sich auf das weiche Polster fallen. Taehyung sieht ihm nach.
„Was hältst du davon... die erste Skizze machen wir jetzt gleich, als Beweis der Zeit bevor wir uns kennengelernt haben? Und danach zocken wir irgendwas."
„Zocken?"
„Ja, keine Ahnung. Ich glaub bei Mario Cart lernt man am schnellsten die wahren Seiten eines Menschen kennen, was meinst du?" Taehyung grinst vielsagend und er ahmt ihn nach, auch wenn er nicht weiß, weshalb. Von Mario Cart hat er nie etwas gehört.
„Okay. Hast du Papier da?"
Taehyung nickt und holt einen Block und zwei Bücher, als Unterlagen. Der Titel des Buches sagt ihm nicht einmal im Ansatz etwas und der Stich ist auf einmal wieder da, nur gräbt er sich dieses Mal noch ein wenig tiefer in sein Herz und ihm kommt ein Gedanke.
Er kennt sich in so vielen Themengebieten aus, weiß so gut wie alles über die Welt, die Menschen, das was zwischen den Menschen und der Welt steht. Jeder, der davon weiß, ist stolz auf ihn, bewundert ihn, lobt ihn. Aber er muss nur einmal einen dieser besagten Menschen treffen, die er angeblich so gut kennt, sein Zimmer betreten und all dieses Wissen zerfällt zu Staub. Er kann die Einrichtung benennen, weiß, dass Taehyungs Schreibtisch der Farbe nach aus Ahornholz sein könnte, aber die Gesichter auf den Plakaten, die Buchtitel, die DVD's sind ihm fremd. Taehyung ist ihm fremd.
Je länger und ausführlicher er darüber nachdenkt, desto stärker wird dieses Gefühl, desto unwohler fühlt er sich.
Er weiß viel im Allgemeinen, aber nichts im Spezifischen. Rein gar nichts.
Taehyung fängt schon an zu zeichnen, er hat die Beine angewinkelt und sich so angelehnt, dass er ihn ab und zu halbherzig studieren kann. Was genau dabei herauskommt, sieht er nicht.
Geschlagen imitiert er also Taehyungs Körperhaltung und beginnt den Jungen abzuzeichnen. Er gibt sich viel Mühe und zeichnet Taehyung so realistisch wie möglich, halb aus seinen Erinnerungen an ihn aus der Cafeteria, wo er mit seinen Freunden lachen kann, halb von dem ruhigen, ernsten Jungen, der jetzt gerade vor ihm sitzt, in seinem Königreich und seinen Bleistift über das Papier fliegen lässt. Der Taehyung auf seinem Papier lacht, sitzt jedoch auf dieser Couch und schaut auf etwas neben sich. Er ist sich sicher, dass es gut geworden ist. Taehyung sieht hübsch aus.
Es dauert nicht lange, da fangen sie gegenseitig ihre Blicke auf und tauschen stumm ihre Zettel miteinander aus.
„Ist aber nicht so gut geworden", schiebt Taehyung schnell hinterher, bevor er einen Blick auf sich selbst werfen kann. „Ich bin nicht sonderlich gut in sowas."
„Ich auch nicht, keine Sorge", lügt er und interessiert sich auf einmal überhaupt nicht mehr für Taehyungs Reaktion, sondern nur noch für das Blatt, was er jetzt selbst in der Hand hält.
Bitte verzeiht mir für die unregelmäßigen Updates... mein Kopf ist gerade zu voll, um zu schreiben
♡
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