🌸19🌸
Die Tage nach unserem Gespräch waren schwer.
Ich wusste, dass ein Versprechen allein nicht ausreichte, um all den Schmerz verschwinden zu lassen. Aber es war ein Anfang.
Ein Anfang, den ich bewahren wollte.
Deshalb hatte ich mir etwas überlegt.
Ich saß auf meinem Bett, während Sunoo neben mir lag, auf seinen Bauch gestützt, sein Kopf leicht zur Seite geneigt. Er wirkte müde, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Ich wollte ihm ein kleines Stück Sicherheit geben.
„Ich hab etwas für dich“, sagte ich leise und griff in meine Tasche.
Sunoo blinzelte mich verwundert an, setzte sich dann auf und zog seine Beine an. „Was denn?“
Ich zog die kleine, schwarze Schachtel heraus und öffnete sie langsam.
Darin lag eine silberne Kette mit einem Anhänger – einer kleinen, schlichten Sicherheitsnadel.
Sunoo starrte sie einen Moment lang an, bevor er fragend zu mir aufsah.
„Es ist ein Safety Pin“, erklärte ich ruhig.
„Er steht für Sicherheit. Und dafür, dass Dinge zusammengehalten werden können, selbst wenn sie kurz davor sind, auseinanderzufallen.“
Ich nahm vorsichtig die Kette aus der Box und hielt sie zwischen meinen Fingern.
„Ich will, dass du sie trägst. Immer, wenn du das Bedürfnis hast, dir selbst weh zu tun… dann berühr die Kette. Erinnere dich daran, dass du nicht allein bist. Dass du nicht kaputt bist. Dass du nicht auseinanderfallen wirst, weil ich dich halte.“
Sunoo schwieg, seine Lippen leicht geöffnet, als wollte er etwas sagen, aber keine Worte fanden sich. Seine Augen glänzten, doch diesmal wusste ich, dass es nicht nur Traurigkeit war.
„Aber… Heeseung…“ Seine Stimme war leise, vorsichtig, als könnte er es nicht glauben.
Ich nahm sanft seine Hand und legte ihm die Kette in die Handfläche. „Versprich es mir nochmal, Sunoo. Dass du es nicht wieder tun wirst. Dass du mich stattdessen anrufst. Oder Ni-ki. Oder Jungwon. Irgendwen von uns. Aber nicht die Schmerzen wählen.“
Er biss sich auf die Unterlippe, sah auf die schlichte Kette hinab, als wäre sie das wertvollste, das er je bekommen hatte. Dann nickte er langsam.
„Ich verspreche es dir, Heeseung.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber ich hörte die Ernsthaftigkeit darin.
Er ließ mich die Kette um seinen Hals legen, meine Finger berührten sanft seine Haut, während ich den Verschluss schloss. Sie lag perfekt auf seiner Brust, als wäre sie schon immer dort gewesen.
Sunoo berührte den kleinen Anhänger mit seinen Fingerspitzen, dann sah er mich an. Ein zaghaftes, aber echtes Lächeln spielte um seine Lippen.
„Danke“, sagte er leise.
Ich erwiderte sein Lächeln und drückte seine Hand.
„Immer."
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Die Schulstunden vergingen wie im Flug. Jeder Moment zog sich dahin, doch in meinem Kopf war nur ein Thema: Jake.
Ich wusste, dass er noch etwas sagen wollte. Etwas, das er nicht einfach so ungesagt lassen konnte.
Nachdem der Unterricht endlich vorbei war, verließ ich das Klassenzimmer und sah Jake am Rande des Flurs stehen. Seine Schultern waren gesenkt, der Blick auf den Boden gerichtet. Er wirkte unsicher, fast so, als wolle er sich von der Welt abwenden. Doch als er mich erblickte, zog er die Schultern zurück und ging langsam auf mich zu.
„Sunoo…“ Seine Stimme klang leise, fast zerbrechlich.
Ich stand am Rande des Flurs, unsichtbar, als würde ich nicht dazugehören.
Beobachtete, wie Sunoo und Jake miteinander sprachen. Es war, als hätte sich die ganze Welt um uns herum für einen Moment stillgestellt. Jeder Schritt, jedes Wort schien mit einer Schwere behaftet zu sein, die ich kaum ertragen konnte.
Jake stand dort, seine Schultern sanken immer weiter, seine Hände zitterten leicht. In seinen Augen lag etwas, das ich nicht genau einordnen konnte – vielleicht Reue, vielleicht etwas anderes, das ich nicht sehen wollte.
Doch all das war nebensächlich, wenn ich in Sunoo sah.
Er wirkte so verwirrt, als hätte er sich in diesem Moment selbst verloren. Der Schmerz war deutlich in seinem Gesicht zu lesen, und es zog an meinem Herzen.
Doch als er seine Worte an Jake richtete, als seine Stimme zitterte, spürte ich wenig mehr als eine Leere in mir. Es war eine Leere, die sich tiefer und tiefer in mir ausbreitete, als wäre ich eine derjenigen, die es nie geschafft hatten, zu atmen.
„Was willst du?“ fragte Sunoo, seine Stimme ruhig, aber schwer von der Last, die er mit sich trug.
Ich wollte, dass er aufhörte.
Ich wollte, dass er einfach weglief, dass er sich nicht mehr mit ihm auseinandersetzte. Aber ich blieb still, unbeteiligt. Sunoo hatte genug von dieser ganzen Sache, genauso, wie ich.
Ich hatte keine Lust auf die Gespräche, die sich in der Luft hingen, auf das ständige Abwägen und Überlegen, auf das Zusehen, wie all unsere Freundschaften zerbrachen.
Jake begann zu sprechen, und ich hörte die Worte. Ich hörte die Entschuldigung, die Enttäuschung in seiner Stimme. „Es tut mir leid, Sunoo. Es war nie meine Absicht, dir weh zu tun.“
Ich sah, wie Sunoo sich umdrehte, den Blick auf den Boden gerichtet.
Er wirkte so klein, so zerbrechlich. Der Schmerz, den er spürte, war mir fremd, aber ich konnte sehen, dass er ihn in sich hineinfressen musste. Dass er die Last der ganzen Situation nicht mehr ertragen konnte.
„Warum hast du es getan, Jake?“ Sunoo’s Worte rissen mich aus meinen Gedanken, und ich bemerkte, wie scharf sie waren. Die Frage schien in der Luft zu hängen, durchdrang den Raum und ließ uns alle unruhig werden.
Jake hatte Schwierigkeiten, eine Antwort zu finden. Seine Worte stotterten.
„Ich… Ich dachte, ich könnte dir näher kommen. Es war nicht richtig, das weiß ich jetzt.“
Ich beobachtete, wie Sunoo bitter lachte, doch es war kein Lachen der Erleichterung oder des Verständnisses. Es war schmerzhaft, verletzend.
„Meinst du das ernst? Du hättest einfach bei mir bleiben können. Du hättest einfach aufhören können, dich so zu verhalten.“
Ich sah, wie sich Jakes Blick senkte, als würde er in den Worten von Sunoo zusammenbrechen. Doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass auch er nicht wusste, wie er sich erklären sollte. Er war mit sich selbst genauso überfordert wie Sunoo mit ihm.
„Ich… Ich wollte dir nie wehtun, Sunoo. Ich… Ich wusste nicht, wie schwer das für dich war. Wie du dich gefühlt hast.“
Es war wie ein Echo, das durch den Raum hallte. Eine Entschuldigung, die in der Luft hing, aber nicht den Raum erfüllte.
Ich fühlte nichts mehr.
Der Ärger war weg, die Wut, die mich vorhin noch so stark bewegt hatte, war verschwunden. Aber auch die Erleichterung war nicht da. Alles, was blieb, war das Gefühl, dass es keinen Sinn hatte. Dass es keine Bedeutung hatte.
Ich sah, wie Sunoo sich schwer tat, seine Tränen zurückzuhalten. Wie er sich mit einem bitteren Lächeln wandte, als er sagte: „Du hast mir nicht nur körperlich wehgetan, Jake. Du hast mein Vertrauen zerstört. Du hast mir das Gefühl gegeben, nicht genug zu sein. Dass ich nie gut genug für irgendjemanden sein werde. Und das kann ich nicht einfach vergessen.“
Die Worte schnitten durch mich hindurch, aber irgendwie spürte ich keine Reaktion. Keine Wut, keine Trauer. Nur diese Leere. Warum konnte ich nicht fühlen, was er fühlte? Warum konnte ich nicht verstehen, was er durchmachte?
„Ich weiß, dass du dich entschuldigen willst“, hörte ich ihn sagen,
„Aber deine Entschuldigung ist nichts wert, wenn du nicht verstehst, was du mir angetan hast. Du musst wissen, was für eine Last du mir aufgebürdet hast.“
Die Worte saßen wie Schwerter in der Luft, doch ich hatte das Gefühl, dass ich immer weiter von allem entfernt war. Dass ich mich weiter entfernte, von all den Gefühlen, von all den Menschen, die mich umgaben.
„Es tut mir leid, Jake, aber das reicht nicht.“ Ich sah, wie Sunoo sich von ihm abwandte, seine Schritte entschlossen. „Es ist nicht genug, um das wieder gutzumachen.“
Ich wollte ihm hinterhergehen, ihn in den Arm nehmen, ihn beruhigen, ihm sagen, dass alles wieder gut wird. Aber ich blieb stehen. Denn es war nicht mehr dasselbe. Nichts war mehr wie früher. Und ich wusste, dass ich nichts tun konnte, um diese Leere zu füllen.
Ich war zurückgelassen, zwischen ihnen, aber immer weiter entfernt von dem, was wir einmal hatten.
Jake stand reglos da, als Sunoo sich von ihm abwandte, als würde auch er verstehen, dass alles vorbei war. Das Vertrauen war zerstört, und die Freundschaft war verloren. Es war keine schnelle Wende, keine einfache Lösung.
Und ich konnte nur hoffen, dass dieser Moment irgendwann in der Vergangenheit verschwinden würde. Aber tief in mir wusste ich, dass ich nie wieder die Kontrolle über das Gefühl hatte, das mich heute so erschreckte: Ich wollte einfach nur, dass alles wieder wie früher war.
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