🌸15🌸
Wir saßen alle im Wohnzimmer bei Ni-ki.
Es war still, nur das leise Summen der Heizung erfüllte den Raum. Sunoo hatte sich auf dem Sofa zusammengerollt, seinen Kopf in meinem Schoß vergraben. Ich strich ihm beruhigend durch die Haare, während seine Atmung langsam wieder gleichmäßiger wurde.
Ni-ki saß mit angezogenen Beinen auf dem Teppich, seine Arme um Jungwon geschlungen.
Es war selten, ihn so ruhig zu sehen – normalerweise konnte er keine Sekunde still sitzen. Aber heute war alles anders.
Sunghoon starrte aus dem Fenster, die Kiefer angespannt, als würde er versuchen, seinen Zorn in sich einzusperren. Jay lehnte mit verschränkten Armen an der Wand, sein Blick dunkel.
Und dann war da noch Jungwon. Seine Hand lag auf Ni-kis Arm, sein Blick auf das Muster des Teppichs gerichtet. Nach einer Weile war er der Erste, der sprach.
„Ich kann nicht glauben, dass Jake wirklich…“
Seine Stimme brach. „…dass er das getan hat.“
Ni-ki sog scharf die Luft ein. „Ich will seinen Namen gar nicht mehr hören.“
Ich spürte, wie Sunoo sich in meinem Schoß bewegte. Er richtete sich langsam auf, wischte sich mit dem Ärmel über die geröteten Augen.
„Ich dachte…“ Seine Stimme war heiser.
„Ich dachte, er wäre unser Freund.“
„War er auch mal,“ sagte Jay bitter.
Sunghoon ließ ein trockenes Lachen hören. „Freunde tun einander so etwas nicht an.“
Niemand widersprach.
Ich schluckte schwer.
„Ich will, dass er bestraft wird. Dass er die Konsequenzen trägt.“
„Aber wird er das?“ Jungwon hob den Kopf. „Die Lehrer haben ihn einfach davonkommen lassen. Seine Mutter hat ihn verteidigt. Und Sunoos Vater…“
Sunoo sah weg.
Ni-ki ballte die Hände zu Fäusten. „Wenn die Schule nichts tut, dann tun wir etwas.“
Ich sah ihn fragend an. „Was meinst du?“
„Wir lassen ihn nicht einfach weitermachen, als wäre nichts passiert.“
Ni-kis Stimme zitterte vor Wut. „Ich will nicht, dass er auch nur eine Sekunde denkt, dass wir das einfach hinnehmen.“
Jay nickte. „Ich auch nicht.“
„Und was ist mit der Schule?“ fragte Sunghoon.
„Sie werden uns nicht zuhören.“
Jungwon atmete tief durch. „Dann sorgen wir dafür, dass sie es tun.“
Alle sahen ihn an.
„Wir erzählen es jedem.“ Jungwon hob den Kopf, seine Augen brannten vor Entschlossenheit. „Allen. Wir sorgen dafür, dass die Wahrheit rauskommt. Dass jeder weiß, was für ein Mensch Jake wirklich ist.“
Sunoo sah ihn erschrocken an.
„Ich weiß, dass es schwer ist…“ Jungwon sah ihn sanft an.
„Aber wenn wir nichts tun, könnte er es jemand anderem antun.“
Sunoo schluckte, seine Finger krallten sich in den Ärmel seines Hoodies.
Ich drückte seine Hand.
Die Luft im Raum fühlte sich schwer an. Niemand sprach.
Sunoo saß wieder auf dem Sofa, seine Knie angezogen, sein Blick auf seine Hände gerichtet. Ich hatte das Gefühl, dass er noch immer nicht ganz realisieren konnte, was passiert war. Oder vielleicht wollte er es einfach nicht.
„Wir müssen vorsichtig sein,“ sagte Jay nach einer Weile.
„Ich will, dass jeder weiß, was er getan hat. Aber…“ Er sah zu Sunoo. „Bist du dir sicher, dass du das willst? Dass du das schaffst?“
Sunoo nickte zögerlich.
„Ich will nicht, dass es unter den Tisch gekehrt wird. Aber…“ Er atmete tief durch. „Ich will auch nicht, dass es nur noch darum geht.“
Ni-ki schnaubte. „Natürlich geht es darum. Es geht darum, dass er—“
„Ich weiß, was er getan hat!“
Sunoo unterbrach ihn, seine Stimme lauter als sonst. Alle schauten ihn überrascht an.
„Aber es bringt nichts, wenn wir uns nur darauf konzentrieren! Ich will nicht, dass… dass alles nur noch darum geht, dass er mich verletzt hat. Ich will normal weitermachen können.“
Es herrschte Schweigen.
Ich verstand ihn.
Ich verstand, dass er nicht wollte, dass sein Leben nur noch von dieser einen Sache bestimmt wurde.
Aber es war schwer, einfach so weiterzumachen, wenn jemand, den wir für einen Freund gehalten hatten, so etwas getan hatte.
Sunghoon ließ sich in einen Sessel fallen. „Also was dann? Wir können es nicht vergessen. Und wir können ihn nicht einfach wieder so behandeln wie früher.“
„Vielleicht nicht jetzt,“ murmelte Jungwon. „Aber irgendwann.“
Ni-ki sah ihn ungläubig an. „Irgendwann? Du willst ihm verzeihen?“
„Ich weiß es nicht.“ Jungwon fuhr sich durch die Haare. „Aber ich weiß, dass wir mal Freunde waren. Dass er nicht einfach aus dem Nichts so geworden ist.“
Ich spürte, wie sich Unruhe in mir breit machte.
Vergeben?
Das war gerade das Letzte, woran ich dachte. Aber dann erinnerte ich mich daran, dass Jake nicht immer so gewesen war. Dass er früher jemand war, mit dem wir gelacht haben, mit dem wir alles geteilt haben.
„Vielleicht verstehen wir irgendwann, warum er es getan hat,“ sagte ich leise. „Aber das heißt nicht, dass wir es jetzt akzeptieren müssen.“
Jay nickte langsam. „Wir sollten mit ihm reden.“
„Jetzt?“ fragte Ni-ki ungläubig.
„Nicht jetzt,“ erwiderte Jay ruhig. „Aber irgendwann.“
Sunoo sah auf. „Vielleicht… Vielleicht will ich irgendwann eine Erklärung.“
Es war keine Vergebung. Noch nicht. Vielleicht würde es das auch nie werden. Aber es war ein Anfang.
Und während wir dort saßen, in einem Raum voller Wut, Schmerz und Erinnerungen, wurde mir klar: Wir waren alle verletzt. Aber wir wollten nicht zulassen, dass das, was passiert war, uns für immer trennte.
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