11. Kapitel
Zeréna starrte ihre Mutter entgeistert an. „Warum soll sie nach Hause gehen, es gibt nichts, was sie nicht auch hören dürfte. Sie ist meine beste Freundin, ich werde ihr später ohnehin alles erzählen.", sagte sie betont ruhig.
Nicht nur sie war offensichtlich verunsichert. Auch ihr sonst so sachlicher Bruder Simon schien irgendwie unsicher zu sein. Kein Wunder, wer hatte auch schon mit so einer Reaktion gerechnet. Langsam bahnte sich in ihr das Gefühl an, sie hätten diese Kiste niemals öffnen dürfen.
„Lass es gut sein Zera, ich muss ohnehin langsam wieder heim. Ich bin doch schon recht lange hier. Wir können später reden." Wie immer wurde Candy genau dann vernünftig, wenn alle anderen kurz vorm überkochen waren. Sie seufzte und drehte sich von ihren Eltern weg. „Dann ruf mal schnell deine Mutter an.
Die nächste halbe Stunde saßen die drei einfach nur schweigend im Wohnzimmer und warteten auf Zoe, während jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Die Atmosphäre in der Küche war einfach nichtmehr auszuhalten gewesen. Als plötzlich ihr Handy vibrierte, zuckte Zeréna erschrocken zusammen. Es war eine Nachricht von Zane.
Willst du irgendwas unternehmen? ;)
Sie seufzte tief und Simon und ihre Freundin warfen ihr einen fragenden Blick zu. „Zane.", sagte sie nur und zuckte mit den Schultern. Ihr Bruder war der Einzige aus ihrer Familie, der von ihrer Freundschaft mit ihm wusste. Er hielt es zwar nicht für sonderlich schlau, hatte aber bisher ihr zu liebe niemandem davon erzählt. Das rechnete sie ihm wirklich hoch an.
„Frag ihn doch mal nach diesem Warin Matthew. Vielleicht hat er auch schon mal etwas von diesem Morgan gehört.", schlug ihr Bruder vor und sie nickte.
Ohne auf Zanes Frage einzugehen, fragte sie ihn einfach direkt nach diesen beiden Namen.
Morgan? So heißt Cole zum Nachnamen, wieso fragst du? Von einem Warin Matthew habe ich noch nie etwas gehört, sollte ich das?
Für Zerénas Geschmack waren das schon wieder viel zu viele Fragen. „Cole?", fragte sie unsicher und schüttelte den Kopf. Wenn man jetzt alles zusammensetzen würde...sie wollte den Gedanken gar nicht zu Ende denken.
Offensichtlich hatte Zane im Moment keine Geduld, denn er rief sie einfach an. Bevor sie überhaupt die Möglichkeit gehabt hatte, ihn wegzudrücken, hatte ihr Candy bereits das Handy aus der Hand genommen und den Anruf entgegengenommen.
„Zane? Ich bin's, Candy. Hier gibt es im Moment ein paar familiäre Schwierigkeiten, die eventuell irgendwie auch deine Familie betreffen."
Also fing Candy an, Zane von ihren Entdeckungen und der Reaktion ihrer Eltern auf das Schreiben zu erzählen.
Da sie noch fast nichts herausgefunden hatten, war ihr Bericht dementsprechend kurz. Hier und da merkte Simon ein paar Kleinigkeiten an, die ihm noch einfielen, als wäre es ganz normal, mit Zane zu telefonieren. Die beiden sprachen wohl gerade zum ersten Mal miteinander.
„Genau kann ich dir leider nichtmehr sagen, was auf dem Vertrag draufstand, aber die Kurzfassung reicht denke ich auch schon." Dann schwiegen alle für einen Moment, um nochmal ihre Gedanken zu ordnen.
„Das ist alles mehr als merkwürdig. Glaubt ihr, da ist irgendwas Wahres dran? Ich weiß ja nicht ob ich wirklich glauben soll, dass Coles Familie da mit drinsteckt. Vielleicht gibt es ja auch noch eine andere Familie mit diesem Nachnamen."
Simon dachte kurz darüber nach. „Ich hab' zwar keine Ahnung, wer dieser Cole ist, aber wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass hier noch irgendwo Leute wohnen, die Morgan zum Nachnamen heißen?"
„Allerdings ist das ja jetzt schon gut hundert Jahre her. Die Familie könnte weggezogen sein.", gab Zeréna zu bedenken. Doch ehe sie sich noch weiter in das Thema einarbeiten konnten, klingelte es an der Haustür.
„Das wird dann wohl meine Mutter sein, ich verabschiede mich dann mal." Candy erhob sich von dem Sessel und zog ihre beste Freundin in eine Umarmung.
„Macht euch nicht so viele Gedanken über das alles. Selbst wenn es stimmen würde, sowas ist doch längst verjährt. Also bitte, niemand von vor hundert Jahren lebt noch um zu kontrollieren, ob einer von euch dreien wirklich mit jemandem verheiratet wird, wer auch immer es ist. Stay positive!"
Candy grinste in die Runde und Simon stand schnell auf. „Ich bring sie noch zur Tür. Und ihr zwei beendet euer Gespräch am besten schnell, dass wir in die Küche kommen. Ich denke, uns sollte noch etwas erklärt werden." Er warf seiner Schwester einen vielsagenden Blick zu und folgte dann Candy in die Eingangshalle.
Zeréna hörte Zane seufzen. „Wer rechnet auch mit so einem Mist. Wir können ja später nochmal telefonieren aber ich denke, Candy hat da recht. Selbst wenn es stimmt, niemand ist da um hier irgendwas zu kontrollieren. Außerdem, würden deine Eltern euch wirklich Zwangsverheiraten?" Zane lachte leise.
Bei der Frage entspannte sie sich etwas. Er hatte vollkommen recht, ihre Eltern würden so einem Unsinn niemals zustimmen. Warum hatte sie sich überhaupt so viele Gedanken gemacht. Am Ende war die ganze Aufregung völlig umsonst gewesen.
„Du wirst wohl recht haben. Trotzdem lege ich dann jetzt Mal auf, meine Eltern wollen da sicher noch irgendwas dazu sagen.", sagte sie und schmunzelte schließlich noch.
„Na gut, aber du schreibst mir später, versprochen?" Sie konnte sich Zanes Gesichtsausdruck gerade nur zu gut vorstellen. Diesen ‚wehe, du verschweigst mir auch nur ein klitzekleines Detail' Blick.
„Geht klar, bis später dann.", sagte sie noch und legte auf. Seufzend ließ sie sich im Sofa zurückfallen und seufzte erleichtert auf. Was für ein Unsinn, als hatte sie wirklich für einen Moment geglaubt, dass das hier ein Problem werden könnte. Sie schnaubte belustigt und stand schließlich auf, um in die Küche zu gehen.
Zu ihrem Erstaunen sahen ihre Eltern alles andere als belustigt oder entspannt aus. Während ihr Vater wild gestikulierend telefonierte und leise irgendetwas in den Hörer zischte, saß ihre Mutter am Tisch, den Kopf auf ihre Arme gestützt über dem Pergament gebeugt, als würde sie immer noch lesen.
„Leute, ist alles in Ordnung?" Beide erstarrten für einen Moment und sahen sie an, dann verließ ihr Vater mit dem Telefon den Raum und ihre Mutter deutete auf den Stuhl neben ihr.
„Setz dich. Kommt Simon gleich?" Sofort verflüchtigte sich Zerénas gutes Gefühl wieder und sie nickte, während sie sich setzte.Sie sah ihre Mutter auffordernd an, denn sie wollte endlich eine Erklärung für das ganze Theater haben, doch diese schien keine Anstalten zu machen, auch nur irgendwas zu sagen, bis ihr Bruder nicht auch da war. Mit gerunzelter Stirn las sie sich erneut das Abkommen durch, bis Simon schließlich kam.
Auch er setzte sich schweigend an den Tisch und schließlich hob ihre Mutter seufzend den Kopf. „Ich denke, nachdem ihr das hier gefunden habt, müssen wir euch einiges erklären, oder seid ihr da anderer Meinung?" Beide schüttelten den Kopf und Amanda nickte.
„Vorab bitte ich euch, mich nicht zu unterbrechen, denn das hier wird eine etwas längere Geschichte. Ihr hättet das ohnehin noch gar nicht sehen dürfen." Wieder nickten die beiden Geschwister.
„Gut. Wo fange ich am besten an." Die sonst so muntere Frau starrte betreten auf ihre Hände. „Ihr wisst ja schon, dass wir noch nie besonders gut mit den Matthews ausgekommen sind. Das war auch schon vor einigen Jahrzehnten so, aber der Höhepunkt war vor etwa einhundert Jahren, als dieses Abkommen hier geschlossen wurde."
Sie schob das Pergament in die Mitte des Tisches. „Damals hatten unsere beiden Familien zwar auch ihre Differenzen und wenige konnten sich wirklich leiden, aber genauso waren viele bereit, über die Differenzen hinweg zu sehen, so wie heute du und Zane Matthew."
Zeréna wollte gerade irritiert etwas erwidern und auch Simon schien überrascht, als Amanda wieder das Wort ergriff. „Denk ja nicht, dass wäre uns nicht entgangen. Wir haben es lediglich bewusst ignoriert. Euer Vater und ich dachten immer, ihr würdet euch irgendwann schon auseinanderleben, aber als ihr älter wurdet war es schließlich zu spät, um noch irgendwas dagegen zu unternehmen. Wenn ich dir den Kontakt verboten hätte, seih ehrlich zu dir selbst, hättet ihr euch sicher nicht daran gehalten."
Dazu konnte Zeréna nichts sagen. Stattdessen schwieg sie einfach.
„Aber darum geht es ja jetzt gar nicht. Damals haben sich über die Familien hinweg Liebesbeziehungen gebildet. Sie hatten diese beiden Häuser errichtet, in denen wir heute leben und fingen langsam wieder damit an, ein Miteinander anstelle eines Gegeneinanders zu führen.
Bis eines Tages jemand aus der Familie der Matthews umgekommen ist, umgebracht vom eigenen Cousin. Vincent Matthew war sein Name, er war der geliebte von Ilaida Evans. Vincents Cousin Magnus Matthew hat ihn umgebracht, weil auch er in Ilaida verliebt war. Und da kommt eben diese dritte Familie ins Spiel, die Morgans. An sich hatten sie wenig mit unseren beiden Familien zu tun, nur beherrschten sie wie wir auch die Magie."
„Hä, was?", fragte Zeréna irritiert und auch Simon schien irgendwie aufgeregt. Magie? War das Ganze ein schlechter Scherz von ihren Eltern? „Was für Magie? Sowas gibt's doch gar nicht!", warf schließlich ihr Bruder ein und die beiden Geschwister sahen ihre Mutter entgeistert an. Doch Amanda schüttelte den Kopf.
„Doch, die gibt es. Sogar in unserer Familie, bis zu dem Zeitpunkt, wo Vincent Matthew von seinem eigenen Cousin umgebracht wurde. Die Morgans, die sich wegen unserer Streitereien von uns distanziert hatten, schritten dann ein. Nicht nur sie waren der Meinung, dass es diesmal einfach zu weit gegangen war.
Auch unsere Familien wurden von diesem Verlust schwer getroffen. Schließlich willigten wir ein, unsere Zauberkräfte versiegeln zu lassen, bis zu dem Tag, an dem jemand aus unserer Familie oder der Familie der Matthews ein Kind der Morgans heiraten würde, die ihre Zauberkräfte über die Generationen hinweg behalten haben."
In Zerénas Kopf herrschte ein wahlloses durcheinander. Magie? Mord? Heirat? Wie passte das alles zusammen? Die ganze Geschichte ihrer Mutter machte Sinn, doch irgendwie auch wieder nicht. Sowas wie Magie gab es doch gar nicht?
„Aber angenommen, wir lehnen ab. Was, wenn wir mit den Bedingungen nicht einverstanden sind? Wenn wir überhaupt keine Magie wollen? Unser Leben war doch bis jetzt auch gut, hat uns da jemand gefragt?" Simon war aufgestanden, er schien ziemlich aufgebracht zu sein.
„Die Morgans bestehen auf die Erfüllung des Abkommens. Als Zane geboren wurde, waren die Morgans ziemlich besorgt. Nein, eigentlich waren sie sogar ziemlich sauer."
„Warum waren sie sauer? Gab es da ein Problem?", fragte Zeréna. Sie hatte noch gar keine Gelegenheit dazu gehabt, sich aufzuregen. Sie war viel mehr verwirrt und versuchte, aus den ganzen Informationen eine brauchbare Geschichte in ihrem Kopf zu formen.
„Nun ja, es ist so. Die Morgans haben nur einen Sohn." Simon erstarrte in seiner Bewegung und sein Blick fiel auf seine Schwester. Doch in ihrem Gehirn wollten sich die Informationen einfach nicht zusammensetzten lassen. Gerade wenn sie den Gedanken greifen wollte, entglitt er ihr wieder und sie war genauso schlau wie vorher.
Doch plötzlich fügte sich auch das letzte Puzzleteil zu den anderen und es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. „Ein Sohn, dass bedeutet..." Sie sah ihre Mutter ungläubig an. Amanda beendete den Satz für sie.
„Sie waren wütend, weil sie ein Mädchen zur Erfüllung des Abkommens benötigten."
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