4.1 kapitel
Li gehörte zu den Menschen, die unglaublich schnell, alles in sich hineinstopften. In Rekordzeit war sein Teller geleert. Meiner noch halb voll. Eine gute Gelegenheit für ihn mich auszufragen und für mich nicht zu antworten.
Einige Zeit betrachtete er nur sein überdimensionales Tattoo bis er sich vorbeugte und mit belegter Stimme raunte: "Was war das jetzt gestern?" Ich hörte auf zu kauen und blickte auf. "Was?" Er verdrehte die Augen und schaute auf meinen Teller. "Ich meine, den Vorfall. Da draußen war doch etwas. Warum hast du so eine Panik bekommen? Ich dachte, du bist eine der Furchtlosen." "Ach, sagt man das." Ich hielt unbeeindruckt Augenkontakt mit ihm, darauf bedacht nicht einmal mehr als nötig mit den Wimpern zu zucken. Ich wusste, dass er einen Analytik Kurs besucht hatte und bestens die Mimik und Gestik seines Gegenübers verstehen und deuten konnte. "Lenk nicht ab! Du weißt, was die anderen über dich sagen." Eigentlich wusste ich das nicht, aber etwas in Lis Augen ließ mich weich werden und ich lehnte mich ein wenig über die Tischplatte. Die Ärmel meiner Jacke glitten dabei fast in den klebrigen Einheitsbrei.
"Hör zu, Li... Das da gestern, das war... wie soll ich sagen, da ist etwas passiert, was du nicht verstehen könntest. Ich wollte dich nur schützen." Ich lehnte mich zurück und stopfte mir den nächsten klebrigen Löffel in den Mund. "Das reicht mir nicht. Jetzt hörst du mir mal zu: Ich bin ein vielversprechender Anwärter und wir scheinen eine Einheit bilden zu müssen. Ich habe mir wirklich große Mühe gegeben eine Bindung zu dir aufzubauen, aber wenn du das nicht zulassen willst, ist das nicht mein Problem. Es ist aber mein Problem, wenn du mir Sachen verheimlichst und Geheimnisse um Dinge ranken lässt, die mich etwas angehen, denn egal was da draußen war, es ging mich etwas an. Wir waren da als Team!" Er hatte seine Stimme gesenkt und die braunen Augen hatten sich bedrohlich verdunkelt. Ich musste schlucken, denn ich hatte ihn vom Charakter her anscheinend völlig falsch eingeschätzt.
Bindung! Hatte der eine Ahnung. Nein, hatte er nicht. Und er konnte ja auch nichts dafür. Im Hauch einer Sekunde verspürte ich Mitleid mit ihm, Mitleid mit mir und mit meiner inneren Festung. Aber sie durfte nicht schon wieder eingerissen werden. Das durfte nie wieder passieren! "Na schön. Da draußen in diesem Hinterhof ist eine Drohne runtergekommen." Ein Blick verriet alles. Er dachte, ich hätte sie nicht mehr alle. "Das bedeutet Gefahr. Meistens ist das das Werk von Pros." "Aber sind wir nicht genau dafür da? Um diese Individuen abzuknallen?" Ein Stich durchzog mein Herz. Individuen. Abschaum. Pro. Ich zögerte, musste mich erst sammeln, bevor ich antworten konnte. "Da hast du recht, aber du bist ein Anfänger. Und... selbst ich mache manchmal einen Bogen um solche Orte. Außerdem war bereits ein Team von Melissa vor Ort."
Man hätte die Luft zwischen uns schneiden können. Es hatten sich einige Falten auf Lis Stirn gebildet. Seine langen Finger fuhren die Konturen seines Tattoos nach. Er schaute mir wieder in die Augen und lächelte. Dieses mal aufrichtig. "Gut."
Der Kleine, wie ich ihn bevorzugte zu nennen, stand auf und räumt sein Tablett weg. "Man sieht sich." Li hob kurz die Hand und verschwand. Und er ließ mich mit all meinen Schuldgefühlen und Selbstzweifeln und diesem widerlich schmeckendem Fraß zurück.
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