Sheila
Langsam tauchte in der Dunkelheit etwas auf- ein großer Raum, einzig erhellt von einer Kerze. Stöhnend kam Jennifer zu Bewusstsein. Ihr Kopf dröhnte und ihr war leicht schummrig zu Mute, als sie sich aufrichtete. Sie bemerkte die Fesseln an ihren Armen und Beinen. Für einen kurzen Moment wusste sie nicht, was passiert war und versuchte, vorsichtig mit den gefesselten Händen an den Hinterkopf zu kommen, dort, wo es am meisten schmerzte. Sofort zuckte sie mit zusammengebissenen Zähnen zurück. Eine riesige Beule dehnte sich unter ihren Haaren aus, die höllisch schmerzte. Aber sie holte Jennifer zurück in die Wirklichkeit und plötzlich erinnerte sie sich an das Geschehene, an Ivan und vor allem... "Sheila!", rief sie verängstigt. Plötzlich flatterte eine kleine Meise hinter Sheila auf. "Ich weiß nicht, was mit ihr ist!", piepste sie. Jennifer schreckte kurz zusammen, dann rief sie wütend: "Was machst du da? Binde mich lieber los! Ich muss zu meiner Tochter!" Sie zerrte verzweifelt an den Stricken, konnte sich aber nicht befreien. Verdattert flatterte Nestor zu ihr, überlegte kurz und kam dann mit einem Konservendosendeckel im Schnabel wieder. Er beruhigte die aufgelöste Jennifer und begann, die Fesseln mit der scharfen Kante des Deckels durchzuschneiden, was mit seinem Schnabel als einziges Werkzeug reichlich schwierig war. Jennifer schien auf heißen Kohlen zu sitzen, so angsterfüllt blickte sie zu Sheila.
Endlich riss das letzte Seil und Jennifer stürmte zu ihrer Tochter. Sie trennte hastig deren Fesseln, drehte sie vorsichtig auf den Rücken und nahm ihren Kopf in den Schoß. Als sie das starre Gesicht sah, fing sie an zu weinen. Ihre Tränen rannen ihr über die Wangen, tropften auf Sheilas Gesicht und auf die Erde. Jennifer fühlte sich, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggerissen. Ihre Tochter, das Einzige, was sie in diesen schrecklichen Wald getrieben hatte und eigentlich ihr einziges Glück war, hatte sie nun verloren! Nestor saß stumm neben ihr und starrte mit traurigen Augen auf Sheila und ihre Mutter. Jennifer erkannte ihn nur verschwommen durch einen Schleier von Tränen. Sie streichelte Sheilas Gesicht sanft und mit zittrigen Fingern. Plötzlich bewegte sich etwas. Sheilas Wimpern zitterten! Jennifer stieß einen Schrei aus. "Sheila!", rief sie verblüfft.
*
Sheila blinzelte. Sie spürte kalte Tränen an ihrer Stirn. Verwirrt versuchte sie das Gesicht über ihr zu erkennen. Aber ihr Blick war so trübe wie als sähe sie durch dichten Nebel hindurch. Sie wollte sich daran erinnern, was mit ihr geschehen war, doch ihre Gedanken schienen wie festgefroren. Sie fühlte sich leicht schwindelig und alles an ihr schmerzte. Dann hörte sie einen Schrei über sich und schreckte zusammen. Endlich konnte sie das Gesicht über ihr erkennen. Es war Jennifer, ihre Mutter!
"Mutti!", wollte sie sagen, doch ihre Zunge wollte ihr nicht gehorchen. Endlich begannen auch ihre Gedanken zu arbeiten und ihr fiel ein, was passiert war. Sie erinnerte sich an Ivan, wie er sie bedroht hatte und an den Schuss... und dann nichts mehr. Angst stieg in ihr hoch. Was war mit ihr passiert? Wie lange lag sie schon hier? War sie etwa gestorben? Sie tastete mit einer Hand nach der Stelle, wo sie getroffen worden war. Sie spürte etwas Kleines, Spitzes, das sich in ihre Haut gebohrt hatte. Mit zitternder Hand umfasste sie es und zog es heraus. Für einen Moment durchzuckte ein stechender Schmerz sie, dann war es vorbei. Sie richtete sich langsam auf und versuchte, zu erkennen, was es war. Aber mit der Bewegung durchströmte sie sofort eine Woge Übelkeit und sie versuchte, sich nicht gleich zu übergeben. Ihre Mutter hatte die Erleichterung, die zuvor ihr Gesicht durchzuckt hatte, schon fast wieder vergessen. Jennifer sah ihr Kind sorgenvoll an und fragte leise: "Sheila... was ist mit dir?" Sheila versuchte wieder zu sprechen, diesmal gelang es ihr besser. "Ich weiß es nicht... der Schuss... ich glaube, das Gewehr.." Sie bemerkte das etwas in Sheilas Hand und nahm es an sich, um es zu begutachten.
Plötzlich weiteten sich ihre Augen und sie stotterte: "Sheila.. ich glaube, Ivan besitzt nur ein Betäubungsgewehr! Das hier sieht nach einem solchen Pfeil aus so einem Gewehr aus!" Sheila sah sie erstaunt an. Sie war also nicht gestorben, nur betäubt worden! Im gleichen Moment fiel ihr Jennifer um den Hals und flüsterte: "Ich bin so froh, dass du noch lebst!"
Sie hielten sich lange in den Armen. Sheila war zwar noch immer schummrig im Kopf, aber sie war unheimlich erleichtert, dass sie gerettet war. Vorläufig jedenfalls...
Sie wurden erst wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt, als sie Nestor murmeln hörten. Sheila drehte sich erstaunt zu ihm um, denn sie hatte ihn komplett vergessen. Er sah sehr verzweifelt aus. "Was ist mit dir los?", vergewisserte sie sich. Nestor blickte sie verzweifelt an. "Du lebst noch, aber was ist mit den vielen Tierfamilien unter der Erde? Wie viele von ihnen werden vernichtet?" Sheila sah verwirrt zu ihrer Mutter. Diese blickte wortlos zu Boden, ehe sie antwortete: "Dein Vater hat die Schlüssel. Er ist auf dem Weg zu diesem... äh...Kairus, um Emanon zu bestehlen. Aber wir können es nicht verhindern, Sheila! Du darfst auf keinen Fall noch einmal in Gefahr kommen!" Sheila war entsetzt. "Wie lange ist er schon weg?", fragte sie. Jennifer wusste es nicht. "Wir müssen sofort zu dem Kairus! Ansonsten wird er Emanon zerstören! Der Kairus, also der Steinkreis, ist für die Tiere in Emanon wie die Sonne für uns. Ohne ihn sind sie aufgeschmissen! Er steuert auch sämtliche andere Steinkreise auf der ganzen Welt! Wir... wir müssen Nestor helfen!" Ihre Mutter wollte schon verneinen, da kam ihr Sheila zuvor: "Wenn du willst, dass mehrere Leben ausgelöscht werden, nur weil ich mich ja verletzen könnte, dann bleib eben hier!" Jennifer zuckte zusammen. "Aber Sheila, das..." Doch Sheila war schon mit federnden Schritten in Richtung Gang verschwunden.
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