Etwas Spitzes bohrte sich in ihre Wange. Erschrocken fuhr Sheila hoch. Wo war sie? Sie erblickte wieder nur den trostlosen Schnee und die Bäume um sie herum. Doch dann erkannte sie den großen Bussard, der ihr eine seiner Krallen ins Gesicht gestochen hatte. Sie erinnerte sich an die Verfolgung und wie sie ohnmächtig geworden war. Angstvoll besah sie sich ihren Arm, der leicht geschwollen war, und den tiefe Schrammen überzogen. Ansonsten war ihre Haut kalt und weiß. Sie zitterte. Lange würde sie es in diesem eisigen Wald nicht durchhalten. Dort, wo sie gelegen hatte, war der Schnee mit Blut besprenkelt. Wieder überkam sie die Furcht und sie wollte weglaufen, doch etwas hielt sie zurück. Die Augen des kaltblütigen Bussards neben ihrem Gesicht leuchteten nicht wütend, sondern eher fragend. Wie konnte das sein? Was wollte dieser Vogel nur von ihr? Mit bebender Stimme flüsterte sie: "Was willst du von mir?" Ihr Verstand sagte ihr, dass es Blödsinn war, mit einem Tier zu sprechen, aber etwas an diesem Vogel war nicht normal.
Der Falke flatterte zu dem Bussard. Er öffnete seinen Schnabel und... Sheila konnte es nicht fassen... sprach! Sie konnte seine Worte verstehen, wie als würde ein Mensch mit ihr sprechen! Sie zuckte zurück, als er redete: "Wie kommst du hierher und was machst du hier? Bist du Feind oder Freund?" Fassungslos stotterte sie: "Du... du redest!" Der Falke nickte unwillig. "Aber, wie ist das möglich? Ich kenne keinen anderen Vogel, der sprechen kann!" Zu ihrem maßlosen Entsetzen begann nun auch noch der Bussard zu reden. "Aber nicht doch... jeder unserer Art spricht! Nur gibt es wenige Menschen, die unsere Sprache verstehen! Und nun erzähl uns, wie hast du uns gefunden und was hast du vor? Ich warne dich, Sasayaku, wenn du lügst, wird es dir noch schlechter ergehen als zuvor!" Sheila schrie auf und schlug die Arme über dem Kopf zusammen. "Bitte, bitte tut mir nichts! Ich... ich sage ja schon alles!", schluchzte sie. "Ich...ich bin hier gelandet! Ich weiß selbst nicht wie, und warum. Außerdem habe ich all meine Erinnerungen verloren! Das einzige, was ich noch weiß, ist mein Name, Sheila. Könnt ihr mir nicht helfen, aus diesem schrecklichen Wald herauszukommen? Bitte! In meinen Klamotten werde ich in den nächsten Minuten erfrieren!"
Ihre letzten Worte waren nur noch ein Flehen. Eisige Tränen rollten ihr von der Wange und fielen in den Schnee. Der Bussard bedachte sie mit einem misstrauischen Blick. "Du bist hier einfach so gelandet? Und weißt nichts mehr? Das klingt für mich sehr unglaubwürdig. Was meinst du, Tamira?" Der Falke nickte würdig. "Ich vermute, sie ist ein Spion. Lassen wir sie erfrieren, Anemonius?" Tamira blickte Anemonius mit ihren goldgelben Augen fragend an. Bei diesen Worten begann Sheila zu zittern. "Bitte, lasst mich hier nicht allein! Ich sage die Wahrheit! Ich bin hier noch nie vorher gewesen!", flehte sie. Ihre Augen schwammen vor Tränen und die eisige Kälte schien sie zu erdrücken. Sie war so verzweifelt, dass sie vor dem Bussard auf die Knie fiel. Doch er blieb kaltblütig. "Sind noch andere Sasayaku hier?", horchte er sie aus. "Nein, ich weiß es doch nicht! Was sind denn überhaupt Sasa...dingsda?", rief Sheila verzweifelt. "Menschlinge, die unsere Sprache sprechen und Emanon zerstören wollen! So wie du eben. Und nun sag uns gefälligst die Wahrheit, dann töten wir dich vielleicht nicht!"
Sheila fiel in den Schnee und begann hemmungslos zu schluchzen. "Bitte, ich sage die Wahrheit! Bei meinem Leben! So helft mir doch! Ich weiß doch nicht einmal was Emanon ist!", versuchte sie sich zu wehren. "Wenn ihr mir helft, werde ich für euch alles tun, was ihr wollt!" Der Himmel über ihr begann sich zu drehen und sie schwankte. Die eisige Kälte legte sogar ihr Denken lahm. Der Bussard und der Falke warfen ihr einen erschrockenen Blick zu. Sie würden ihr nicht helfen, nein, diese Vögel waren ihre Feinde, das wurde Sheila allmählich klar. Für sie gab es in diesem Moment plötzlich nur noch einen Gedanken; weg hier! Sie richtete sich blitzschnell auf und versuchte, ihre eingefrorenen Beine aus der Mulde zu bewegen. So schnell sie noch konnte, rannte sie davon. Die Raubvögel schrien sofort auf und schwangen sich in die Lüfte. Ihre Schwingen rauschten über Sheila hinweg und verfolgten sie aus der Luft. Sheila wollte ihnen entliehen, aber sie musste ständig erneut gegen die Ohnmacht ankämpfen. Die Kälte schnürte ihr die Kehle zu und sie konnte kaum noch Luft holen. Ihre Beine stolperten immer öfter und sie konnte kaum noch den Schnee vor sich erkennen. Plötzlich hellte sich der Wald vor ihr auf und sie trat hinaus auf eine Lichtung. Schnee peitschte ihr ins taube Gesicht und sie konnte vor sich kaum noch etwas erkennen. Benommen stolperte sie voran, als plötzlich der Boden unter ihren Füßen wegbrach. In der letzten Sekunde erkannte sie, dass vor ihr ein riesiger Graben war, wo die Erde auseinandergerissen worden war. Schreckensbleich stolperte sie zurück, doch es war zu spät. Ihre Füße fanden keinen Halt mehr, sie taumelte und stürzte. Der schreckliche Schlund tat sich vor ihr auf und wollte sie verschlingen, da hörte sie einen Schrei. Den gleichen grässlichen Raubvogelschrei, den sie bei ihrer ersten Flucht vernommen hatte. Ein Rauschen umfing sie, sie schrie und schloss ihre Augen...
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