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Ich deutete auf einen der herumstehenden Pilze. „Timorpina!"
Der Pilz fing an fluoreszierend zu leuchten. Ich stöhnte. „Phoenixkacke."
Seitdem ich erwachsen war, also seit ungefähr einem Jahr, war ich aus der Gruppe in die Wälder gezogen und durfte nun frei hexen. Kleines Problem: Ich war grauenhaft im Merken. Ich konnte nicht einmal schlecht hexen, nur brauchte ich stets ein Zauberbuch, um ordentliche Hexereien zu vollbringen. Auch jetzt zog ich mein Zauberbuch hervor und suchte nach dem passenden Zauberspruch. „Singsang für Bären – nö, Lugzauber – nein, Sieh-In-Die-Zukunft-Hexerei – ja, das ist es." Ich las mir die Anleitung durch und fing nebenbei an zu hexen: „Libatoria Exselto Dim!"
Der Pilz begann zu schwelen und zu einer schlecht riechenden Pfütze zu zerfließen. Dabei fing er an, Bilder zu produzieren. Ich beugte mich über die stinkende Pfütze und kniff die Augen zusammen. Da huschte eine Nymphe durch das Bild. Sie sah ziemlich ängstlich aus. Waren Drämaren hinter ihr her? Nein, das konnte nicht sein. Es schien, als wäre sie hier der Gegend, also in der Nähe von Illismea. Ich runzelte verärgert die Stirn, als mir ein weiterer Grund einfiel, warum sie in Eile sein konnte.
„Illismeaner.", knurrte ich. Dann winkte ich meinem Seelentier, einem frechen Eichhörnchen, das auf den Namen Kerano hörte und befahl ihm, auf die Pfütze aufzupassen. Seher-Hexerei war nicht ungefährlich. Wenn sie nicht beendet wird, konnte ein vorbeigehender Wanderer seinen Tod erfahren. Viele wurden dadurch verrückt. Allerdings kann man nur einmal am Tag Zukunftszauber machen, deshalb brauchte ich die Pfütze noch.
„Was ist?", keckerte Kerano. „Warum haust du ab?"
„Ich versuche eine Nymphe vor den Illismeanern zu retten.", gab ich ihm Auskunft und fing an, ein Portal zu hexen. Portalhexerei war einfach, aber kräftezehrend.
„Oh, verdammt.", fluchte Kerano. „Ich hasse es, versklavte Nymphen zu sehen."
Ich stimmte meinem Seelentier stumm zu und trat durch das Portal.
Aus der anderen Seite war es ein wenig sommerlicher, woraus ich schloss, das ich nahe der Grenze war. Ich murmelte einen Tieraugenzauber und blickte durch die Augen eines Eichhörnchens. Eichhörnchen fielen mir leicht, weil mein Seelentier auch eines war. Nur leider guckte ich auf eine Nuss. Ich übernahm die Kontrolle über den Körper des Tieres und blickte durch die Gegend. Nach nur wenigen Momenten hastete die entflohene Nymphe an mir – uns – vorbei. Wir keckerten sofort los und nahmen die Verfolgung auf.
Die Nymphe sah irritiert zu mir – uns – und bog scharf nach rechts, direkt an uns vorbei.
Ich löste mich aus dem Körper des Eichhörnchens und suchte mir einen schnellen Hasen. Der Hase schnitt der Nymphe den Weg ab und lockte sie zu mir. Verwundert folgte die Nymphe ihm.
Ich zog meinen Geist in meinen eigenen Körper zurück und trat auf die Nymphe zu, die vollkommen verängstigt zurückwich.
„Ich – Bitte bringt mich nicht zurück!"
Ich verdrehte die Augen. „Bist du wahnsinnig, hier so rumzuschreien? Gleich haben dich deine Verfolger, ganz ohne dass ich dich verrate. Was ich sowieso nicht vorhabe."
„Nicht?"
„Nein. Und jetzt halt den Mund und komm." Ich drehte mich um und zauberte ein neues Portal. Langsam merkte ich die Schwäche, die damit voranschritt.
„Was ist das?"
„Ein Portal.", gab ich knapp Auskunft. Da sich die Nymphe immer noch nicht bewegte, sondern stumm vor staunen mein Portal anguckte, packte ich sie am Ärmel – der unglaublich fadenscheinig war, wie ich mitleidig feststellte – und zog sie durch das Portal.
Auf der anderen Seite stolperten wir in die Pfütze der Weissagung, was ich mit einem Fluchen quittierte.
„Na, komm mal runter, Liebes, du verschreckst deinen Begleiter da ja noch.", sagte Kerano sarkastisch.
Tatsächlich war meine Begleiterin, deren Namen ich immer noch nicht wusste, kreidebleich. Ich tätschelte kurz ihre Hand und wandte mich meinem Seelentier zu, um ihm an den Ohren zu ziehen.
„Hey!"
„Weichei."
„Sagt die Hexe, die es nicht ertragen kann, jemanden in Not zu sehen."
„Ich heule nicht rum."
„Ich auch nicht!"
„Das war im übertragenden Sinn gemeint!" Ich stöhnte und streichelte Kerano. Dieser schmiegte sich an mich, obwohl er noch seine Schmoll-Grimasse aufgesetzt hatte.
„Ihr-"
„Du.", unterbrach ich die Nymphe.
„Du", verbesserte sie sich, „bist eine Hexe?"
„Meine Mutter ist eine." Ich kraulte Kerano noch unter dem Kinn, dann versuchte ich ihr alles zu erklären. „Aber ja, ich bin eine Hexe und dieser Puschelschwanz ist mein Begleiter. Als ich Zukunftshexerei betrieben habe, habe ich dich gesehen und habe dich gerettet. Vermute ich." Ich blickte fragend zu der Nymphe und sie nickte. „Mein Name ist Zara und ich werde dich in die Hauptstadt bringen, damit du ein ganz normales Leben führen kannst."
„Normal." Die Nymphe lachte auf. Dann führte sie die Faust an die Stirn und verneigte sich vor mir. Ich ließ es über mich ergehen, auch die anderen beiden Nymphen, die ich bereits gerettet hatte, hatten sich am Anfang so gebärdet. „Ich danke dir."
„Keine Ursache." Ich gab der Nymphe einen Teller mit einer großen Menge gebratener Pilze – das war alles, was ich gerade zur Hand hatte – , da mir ihre Figur wirklich zu dünn war. Die Nymphe dankte mir noch einmal und fing recht schnell an zu futtern.
„Und wie heißt du?", fragte ich sie dann. Die Nymphe blickte wieder zu mir hoch. „Mea.", nuschelte sie. „Ich weiß nicht, welchen Nachnamen ich habe."
„Gut Mea, iss erst mal auf und komm dann in das Haus."
„Welches Haus.", fragte Mea, nachdem sie rasch alles heruntergeschluckt hatte. Ich grinste. „Das hier." Ich hexte den Unsichtbarkeitszauber weg und enthüllte eine kleine, aber ordentliche Hütte zwischen den Bäumen. „Ich habe ein paar Vorsichtsmaßnahmen getroffen.", erklärte ich.
Mea nickte beeindruckt.
„Also, aufessen und reinkommen."
Im Haus kramte ich mein Zauberbuch hervor und fing an, meine Hütte für einen Gast vorzubereiten. Ich dehnte die Räume, erschuf ein Bett, ein paar Kissen, eine Decke, machte das Sofa breiter und holte einen Krug mit Erde, einen mit Wasser, einen mit einer brennenden Kerze und einen mit einem gefangenen Lufthauch, da ich nicht wusste, welchem Element Mea angehörte.
„Ich bin Erdnymphe.", sagte ebendiese gerade und ließ mich erschrocken zusammenzucken. „Götter, schleich dich doch nicht so an!"
„Verzeihung." Ein leichtes Lächeln lag auf den Lippen der anderen. Ich seufzte. „Aber danke." Damit ließ ich die überflüssigen Krüge verschwinden und verteilte die Erde im Gästezimmer.
„Wo werde ich schlafen?"
„Hier." Ich führte sie hin.
Mea fiel vor Staunen das Kinn auf die Brust – im übertragenden Sinn. „Das ist alles für mich? Mich ganz alleine?", flüsterte sie ergriffen. Ich nickte. „Ganz allein für dich. Ich muss dich aber bitten, mir zu sagen, ob du schnarchst. Man hört hier alles." Ich lächelte die Erdnymphe an. Diese lächelte schüchtern zurück. „Ich glaube, ich schnarche nicht."
„Gut. Probiere das Bett doch einmal aus. Wenn es nicht passt, hexe ich es größer. Oder kleiner, je nach Bedarf."
„Danke."
Ich hob die Hand und verschwand in der Küche.
„Du ist voll niedlich!", keckerte Kerano mir ins Ohr. Aufgrund seines lauten Organs schrie ich erschrocken auf und schimpfte dann erleichtert. „Sag mal, hast du sie noch alle?! Ich bin gerade einer Meute Illismeaner entkommen, und du jagst mir den Schock meines Lebens ein!"
Kerano hob seinen weichen Puschelschwanz. „Ach komm. So schlimm war das nicht. Du bist viel gruseliger."
„Wer's glaubt.", murmelte ich und stellte mich an den Herd.
„Ich hab Hunger!", maulte Kerano weiter. Ich hob eine Augenbraue und deutete auf die Steinplatte. „Ich stehe am Herd, du Jammerliese."
„Aber du kochst nicht!"
Mir platzte der Geduldfaden. „Also, entweder kochst du jetzt, oder du hältst den Mund, verstanden?"
Kerano zuckte zurück, sprang aber von meiner Schulter auf den Küchentisch und grummelte vor sich hin.
Ich seufzte und fachte das Feuer unter der Steinplatte an. Ich hatte die Platte verhext, so dass sie so schnell warm wurde wie Holz, nur ohne das sie verbrannte. Dann schnappte ich mir das Küchenmesser und fing an Karotten und Kartoffeln zu schneiden. Das geschnittene Gemüse warf ich in den Topf, den ich auf die Steinplatte gestellt hatte und fügte Wasser und Gewürze hinzu. Bald schon fing meine Suppe an zu köcheln. Um mich selbst zu belohnen warf ich noch ein paar Pilze in die Suppe. Ich liebte Pilze.
„Das riecht aber lecker.", sagte Mea, die gerade die Küche betrat.
„Danke. Deckst du eben den Tisch?"
„Wo ist denn das Besteck?"
„Untere Schublade, links."
Es klackerte und das Besteck wurde fein säuberlich auf den Tisch gelegt.
„Und die Teller?"
„Daneben."
„Danke."
Gleichzeitig mit dem gedeckten Tisch sagte mir mein Gefühl als Hexe, dass die fertig war. Ich hob den Topf von der Platte und stellte ihn auf den Tisch. Dann holte ich tief Luft und pustete das Feuer mit einem magischen Atemzug aus.
Mea starrte auf meine Hexerei und ich musste grinsen. Nicht einmal Ava, die letzte Nymphe die ich gerettet hatte, hatte so viel Faszination für Hexerei gehabt.
„Du kannst auch zaubern.", sagte ich, als wir beide am Tisch saßen. Kerano hatte sich seinen Teller genommen und sich nach draußen verkrochen.
„Ich weiß.", sagte Mea, sah aber nicht wirklich glücklich aus. „Meine Herren haben mir befohlen, dass ich die Pflanzen wachsen lasse und am Leben halte. Nur für Zurschaustellung." Mea sah unglücklich durch das Fenster der Küche.
„Das ist aber nicht alles.", verriet ich. „Eure Magie ist sehr vielfältig, genauso wie die der Hexen. Du könntest zum Beispiel eine Waldnymphe sein, dann hättest du auch Macht über die Lebewesen im Wald. Also tierisch, meine ich. Oder eine Blattnymphe, diese haben eine Affinität zu Wasser. Zusammen mit einer Wolkennymphe kann sie es regnen lassen. Ich habe mal zwei Wettermacher getroffen. Sehr nett, aber ziemlich regenverliebt.", erzählte ich.
Mea hörte mir still zu.
„Dan gibt es noch die ursprünglichen Erdnymphen, das sind die mächtigsten. Mit zwei anderen Erdnymphen kann eine Erdnymphe ein Erdbeben auslösen. Unsere Königin ist zum Beispiel eine Erdnymphe."
„Gibt es Matschnymphen?", fragte Mea schüchtern. Ich runzelte die Stirn. „Wie kommst du denn auf so etwas?"
„Der Sohn meines Herrn hat mich oft so genannt."
„Der Sohn deines ehemaligen Herrn ist ein Dummkopf.", entgegnete ich. „Es gibt ebenso wenig Matschnymphen wie sprechende Vulkane."
„Oh." Mea blickte ein wenig eingeschüchtert zu Boden. Ich verdrehte die Augen. „Komm, ich zeige dir, wie du es herausfinden kannst."
Nach dem Essen führte ich Mea nach draußen und bat sie, sich vor einer Pflanze aufzustellen.
„Die verschiedenen Magieströme haben verschiedene Farben. Erdmagie ist braun, Blattmagie hellgrün.", erklärte ich. „Jetzt lass mal diesen Farn wachsen."
Mea schloss die Augen und streckte die Hände aus. Dunkelgrüne, fast braune Funken tanzten um ihre Finger und den Farn, als sie ihn wachsen ließ.
„Gut gemacht.", sagte ich, als die Pflanze das doppelte an Größe hinzugewonnen hatte. Mea schlug die Augen auf. „Und? Was bin ich?"
„Deine Funken sind grün-braun, das heißt, du bist eine Wurzelnymphe.", klärte ich sie auf. „Wurzelnymphen sind nahe Verwandte der Erdnymphen, und ebenfalls mächtig. Wenn sie geschult worden sind.", fügte ich hinzu. „Außerdem sind Wurzelnymphen selten."
Nachdenklich blickte Mea auf ihre Hände. „Ich habe bisher nur Pflanzen wachsen lassen. Was kann ich noch?"
Ich führte sie zu einem Baum. „Du kannst mit den alten Lebewesen des Waldes kommunizieren. Du bist langlebig und kannst dir sehr viel merken. Im hohen Alter werden Wurzelnymphen oft als Weise Frauen und Männer verehrt und besucht." Ich drückte Meas Hände gegen den Stamm. „Versuch mal mit ihm zu sprechen."
„Das geht?", fragte Mea unsicher. Ich nickte zustimmend.
Die junge Wurzelnymphe schloss wieder die Augen. Ihre Hände fuhren ohne ein Muster über den Stamm und ein leises Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
Ich nickte zufrieden. Kommunikation ist das erste, was Wurzelnymphen lernen, es hilft bei vielen Dingen. Ich fand diese Art der Nymphen faszinierend und hatte viel über sie gelesen, was Mea jetzt zugutekam.
Mea öffnete flatternd ihre Lider. „Ich habe nur ab und zu etwas verstanden, aber der Baum ist sehr nett. Ich glaube, er heißt Kiln."
„Praktisch, praktisch. Üb das ein bisschen, dann geht es leichter. Ich bin im Wald, wenn du Fragen hast, geh zu Kerano."
„Mach ich." Mea schloss wieder die Augen. Ich entfernte mich leise, um ihre Konzentration nicht zu stören und ging ein wenig in den Wald hinein, weg von der Lichtung, auf der mein Haus stand. Mit der einen Hand drückte ich die Zweige beiseite, mit der anderen suchte ich nach Phoenixfedern. Ich hatte gestern einen hier vorbeifliegen sehen und die Federn dieser brennenden Vögel sind gut für mächtige Magie. Sie schenken der Hexe Kraft, die diese gut nutzen kann.
Ich drehte mich leicht nach links und bemerkte das orangene Flimmern sofort. „Wusste ich's doch!" Vorsichtig barg ich die magische Feder in dem Moos, das ich vorsichtshalber mitgenommen hatte und ging zur Hütte zurück. Nun hatte ich genug Kraft, Mea und mich morgen vor die Hauptstadt zu transportieren.
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