In der Stadt der tausend Reisenden
CW: PTSD
Den Baumwicht hatten Ferris und Deren hinter ein paar dichten Büschen unter viel Laub versteckt, sodass er auf den ersten Blick nicht zu sehen sein würde. Liam hatte gemeint, dass es keinen Sinn hätte, den Körper zu verscharren, wenn das Blut immer noch in großen Lachen auf den Blättern und dem Moos glitzerte. Und obwohl ich ihm dabei Recht geben musste, war mir nicht ganz wohl bei dem Gedanken irgendjemand könnte der Spur aus Leichen, die wir hinter uns zurück ließen, folgen, wie ein hungriges Tier einer Spur aus Brotkrumen.
Dicht neben mir stand er nun da und verschaffte sich einen Überblick über die Situation, nur wenige Zentimeter und unsere Hände hätten sich gestreift. Ich blickte abschätzend zu ihm auf. Ich war immer noch nicht ganz fertig mit ihm wegen der Sache mit dem Baumwicht. Wenn er auch nur einen einzigen dummen Kommentar dazu ablassen würde, würde ich ihm eigenhändig seine schöne Visage zerkratzen. Doch er lächelte mich einfach nur zögerlich an, als würde er mit seinen babyblauen Hundeaugen mein hitziges Gemüt besänftigen wollen. Am liebsten hätte ich ihn von mir gestoßen und so viel Abstand, wie nur möglich zwischen uns beide gebracht. Was erlaubte er sich, mich einfach so anzulächeln. Sollte das als Entschuldigung ausreichen? Ein dämliches Lächeln? Meine Gedanken brodelten, doch mein Körper antwortete ohne mein Zutun auf sein Lächeln und meine Mundwinkel bogen sich nach oben. Mein Herz begann schneller zu schlagen und ich hoffte innig, dass er es mit seinen spitzen Deaohren nicht hören konnte. Ich konnte unendlich wütend auf ihn sein, aber gleichzeitig zog er mich wie ein Magnet zu sich und lies meine Gefühle in einem Sekundenbruchteil von Zorn in Zuneigung umschwenken. Verwirrt, wie er das fertig brachte rieb ich mir mit einer Hand die Denkfalten aus der Stirn.
„Ab jetzt müssen wir alle aufpassen, dass wir nicht auffliegen.", meinte Liam mit einer ernsten Stimme, die keine Widerrede duldete. „Keiner darf wissen, dass wir Dea sind."
„Kein Wort über Coille, keines über Eloen und verratet niemandem eure richtigen Namen. Namen haben Macht, und wenn sie in die Hände der falschen Personen geraten dient das sicher zu keinem Vorteil für euch."
Die Zwillinge nickten artig wie zwei kleine Kinder in der Schule und auch ich war kurz davor mit dem Kopf mit zu wippen.
„Keiner darf wissen wohin wir gehen oder weshalb. Kauft nur das Nötigste und brecht keine Gespräche vom Zaun, mit niemandem!", schärfte er ihnen ein. Bei alle dem, was wir nicht tun durften, war es wahrscheinlich einfacher den Mund gleich ganz zu halten und Liam das Reden zu überlassen.
„Wenn wir in der Stadt sind teilen wir uns am besten auf, damit wir schneller alles Wichtige beisammen haben.", fuhr er fort.
„Ich werde mit Eloen nach guter Kleidung und ein paar passenden Waffen suchen. Ihr kümmert euch um Proviant und die restliche Ausrüstung. Alles was ihr auf dem Markt an Informationen über Ryan und seine Pläne aufschnappt könnte über unser aller Leben entscheiden, also hört zu."
Ich fühlte mich auf einmal wieder nach Phríosan zurück versetzt, als Cán, der buckelige alte Hexer, seinen Untergebenen Anweisungen zu gebrüllt hatte. Befehle, die unter allen Umständen zu befolgen waren, es sei den, man wollte sein Leben riskieren, wenn man sich weigerte. Während Liam mit den Zwillingen weiter besprach, was sie alles an Proviant kaufen sollten und ihnen einige Säckchen gefüllt mit Gold gab, die er aus seinem riesigen Mantel zauberte, presste ich meine Lippen aufeinander. Ich taumelte ein zwei Schritte nach hinten und mein Sichtfeld wurde unscharf, als sich Tränen in meinen Augen sammelten. Ich konnte das Brüllen des Anführers förmlich hören, den Schweiß der Soldaten und den Rauch der Fackeln riechen. Ich sah vor meinem inneren Auge, wie kleine Kinder in sich zusammen brachen und wie Cán geschwächte Sklaven auspeitschte, bis sie in ihrer eigenen Blutlache zu ertrinken schienen. Es war, als wäre ich dort. Immer noch gefangen in den Mauern des Arbeitslagers, verdammt dort zu schuften und irgendwann daran zu zerbrechen. Solange bis mein Bruder kam, um mich zu töten. Töten. Töten. Töten.
Meine Beine klappten unter mir zusammen und unsanft landete ich im Laub der Bäume. Die anderen verstummten alle gleichzeitig und Deren, der mir am nächsten stand kniete sich sofort zu mir runter.
„Alles in Ordnung? Brauchst du etwas zu trinken?", drang seine besorgte Stimme, wie durch eine Wand aus Nebel zu mir durch. Er stützte mich am Rücken und richtete mich wieder auf, sodass ich aufrecht sitzen konnte.
Mit zittrigen Händen wischte ich mir die Tränenspuren vom Gesicht und blickt zu den anderen auf. „Alles okay.", versuchte ich sie mit meiner noch nicht ganz sicheren Stimme zu beruhigen. Fahrig tastete ich mit meinen Händen an Derens Arm entlang und klammerte mich an den Stoff seines dicken Ledermantels. Es ist nicht real. Ich bin nicht mehr in Phríosan. Ich werde Ryan nicht in die Hände fallen.
Ich zog mich an ihm hoch. Als ich wieder in der senkrechten stand wollte er mich noch etwas stützen, um sicher zu gehen, dass ich nicht wieder zusammenklappte, wurde jedoch schnell durch Liams warme starke Hände abgelöst.
„Gebt ihr Wasser zu trinken!", befahl er, während ich versuchte meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen. Ich war in Sicherheit. Liam hatte mich aus Phríosan befreit, er würde mich beschützen, er hatte es mir versprochen. Ich brauchte keine Angst vor meinem Bruder zu haben. Für ein paar Minuten gestattete ich mir, Liams Nähe zuzulassen.
„Es tut mir leid.", meinte ich entschuldigend, nachdem ich zwei große Schlucke Wasser aus meinem Trinkbeutel genommen hatte. Krampfhaft klammerte ich mich an den Lederbeutel, der jetzt nur noch zur Hälfte mit Wasser gefüllt war, um meine zitternden Hände zu verbergen.
Liam sah mich mit einem nachdenklichen Blick von der Seite an, als er mich langsam wieder los lies. Fast zögerlich, als ob seine Hände mich weiter berühren wollten. Er blickte mich an und ich hatte das Gefühl, dass er darüber nachdachte, was mich derart in Schock versetzt hatte. Entschuldigend lächelte ich ihn an, um ihm klar zu machen, dass ich seine Frage nicht beantworten konnte.
„Können wir dann jetzt weiter", fragte Deren mit einem entschuldigenden Blick, er wollte es wohl nicht riskieren so kurz vor dem Betreten der Stadt doch noch von einer Wache entdeckt zu werden. „Ja, lasst uns lieber aufbrechen. Es war bestimmt nur der Hunger. Von dem Ei und den paar Beeren wird man ja nicht satt und das ist jetzt auch schon wieder einen Tag her.". Keiner von ihnen sprach mich auf meine Tränen an, die immer noch feucht auf meinem Gesicht glänzten, wofür ich ihnen sehr dankbar war. Liam lies von mir ab und ich straffte meine Schultern und gab die Wasserflasche wieder an Ferris zurück.
Gemeinsam stellten sich Deren und Liam seitlich an der Mauer auf und begannen an dem losen Sandstein zu ziehen. Ganz gegen meine Erwartung schien er sich leicht bewegen zu lassen und es dauerte nicht lange, bis sie ihn herausgezogen hatten und so ein großes dunkles Loch freigaben.
„Ferris, geh du zuerst, falls auf der anderen Seite der Mauer doch ein unangenehmer Gastgeber auf uns wartet.", befahl Liam dem Zwilling und schwenkte mit dem Kopf auf das Loch. Ferris nickte und zog sein Schwert aus der Scheide, dann zwängte er sich auf allen vieren durch das Loch hindurch und verschwand auf der anderen Seite. Es dauerte nicht lange und sein Kopf erschien wieder aus der Schwärze. „Alles sauber, ihr könnt kommen, hier ist niemand."
Ich raffte meine von Dornen und spitzen Ästen zerkratzen Röcke und kroch selbst in das Loch hinein. Kaum, dass ich mich in das Mauerloch hineingezwängt hatte fühlte es sich auf einmal so viel kleiner an, als es von außen gewirkt hatte. Der Sandstein kratze mir die Knie wund und auch den Rücken, wenn ich versehentlich gegen die Decke stieß. Aber bevor mir diese klaustrophobische Enge wirklich Angst bereiten konnte viel ich bereits auf der anderen Seite der Mauer auf den Boden und wirbelte eine Staubwolke auf. Hustend rappelte ich mich auf und sah mich in dem düsteren Raum um. Er war klein und leer und wurde lediglich durch das sanfte Licht erhellt, dass sich seinen Weg durch die Vorhänge eines kleinen Fensters hindurch bahnte. Ferris stand davor und spitzelte aus einem Loch in dem Vorhang hinaus auf die Stadt oder die Straße die da vor ihm liegen musste.
„Willkommen in Baihle, einer Stadt der Herumtreiber und Feilscher. Was du hier findest ist die gesamte Skrupellosigkeit von hunderten von Wandernden und Straßenhändlern.", flüsterte er, während er seinen Blick nicht von seinem Wachposten am Fenster löste.
Hinter mir hörte ich, wie erst Deren und schließlich Liam durch die Mauer hindurch zu uns stießen und sich das Loch hinter uns wieder schloss, als wäre es nie dort gewesen. Als ich mich umsah standen sie bereits nebeneinander uns klopften sich den Staub von der Kleidung. Liam räusperte sich einmal, um unsere Aufmerksamkeit zu bekommen.
„Wenn uns eine Wache fragt, was wir in der Stadt suchen, dann sagt, dass wir auf dem Weg sind, die Großmutter eines verstorbenen Kameraden zu besuchen. Ihr Name ist Leis Chardro."
Der Name kam mir bekannt vor. Ferris hatte mir einmal von ihr erzählt. Sie war eine junge hübsche Gestaltwandlerin, die weder Familie noch Freunde hatte und ihr Leben alleine den Bewohnern von Coille geopfert hatte, um ihnen zu helfen, wo sie konnte. Ferris hatte mir erzählt, dass sie einer Glaubensgemeinschaft angehörte, die fest davon überzeugt war, dass Dämonen Boten des Teufels waren und die Dea ihr Gegenpol. Auf die Erde gesandte Engel hatte er uns genannt. Ich fand die Vorstellung irgendwie schön auch wenn sie ein wenig selbst verherrlichend war. Auf die Erde gesandte Engel. Es hörte sich nach Frieden und Gerechtigkeit an. Doch andererseits war es auch befremdlich. Wie konnte ein Dea wie Ryan mit Engeln verglichen werden? Wie konnte Leis sich erklären, dass manche Dea böse waren und einige Dämonen gezähmt werden konnten? Gab es in ihrer Religion auch Fehler? Glaubte sie daran, dass der Göttin Ava Irrtümer unterlaufen konnten, oder wie erklärte sie sich das Grauen auf dieser Welt?
Bei diesen Gedanken fuhr mir ein kleiner Stich durchs Herz. Früher hatte auch ich die Göttin Ava verehrt und geliebt. Sie war die Leben Bringende, die Hoffnung Spendende gewesen. Auch wenn das Volk von Eldora noch so verschieden war, glaubten wir alle an die selbe Schöpferin von Leben und Tod. Ich hatte als kleines Mädchen gewusst, dass sie mich nie allein lassen würde, dass sie immer bei mir sein und mich behüten würde. Meine Mutter hatte mir Geschichten von der Göttin erzählt, wie diese den ersten Dea aus den Sternen gegriffen und auf die Erde hinab geschickt hatte. Wie sie Baumwichte aus den Eichen, Golls aus dem Moor, Hexen aus der Glut des Feuers und Gestaltwandler aus der Luft geformt hatte.
Während all den Jahren in Phríosan hatte ich gebetet und gebangt und niemand war gekommen und hatte mich gerettet. Irgendwann hatte ich die Göttin aufgegeben, meinen Glauben in eine der vielen Ecken meines Herzens gesperrt, wo er mir nichts anhaben konnte. Mit der Zeit wurde ich erwachsen, auch wenn ich es nicht wollte und der Glaube wurde zu einem Märchen und schließlich nur noch zu einem Hirngespinst.
„Gut, dann last uns gehen.", zerrte Liam mich wieder aus meinen Gedanken hervor. „Wenn mich meine Orientierung nicht all zu sehr täuscht müsste Leis' Haus ganz in der Nähe von hier liegen. Lasst uns erst dort hin gehen und ihr einen kleinen Besuch abstatten. Vielleicht haben sich die Geschehnisse aus Coille bereits herumgesprochen, aber wenn nicht müssen wir es ihr noch berichten, bevor wir weiter ziehen. Sie soll die Möglichkeit haben, mit uns zu kommen, wenn sie das möchte. Sie hat so viel für uns alle getan, das ist das mindeste, was wir ihr anbieten können.", die Zwillinge nickten.
„Wie sieht die Lage aus?", fragte Deren und Ferris warf einen letzten Blick aus dem Fenster. „Niemand da, wir können hinausgehen, beeilt euch aber, jede Sekunde kann jemand um die Ecke kommen und uns aus dem Haus treten sehen."
Leise und hektisch zogen wir alle unsere Kleidung und Waffen zurecht, sodass man die Schwerter und Pfeile und Bögen nicht sofort sehen konnte. Dann öffnete Liam die quietschende Tür und wir traten hinaus nach Baihle.
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