Ein neuer alter Bogen
„Ok", er wandte sich ganz plötzlich von mir ab, als wäre ihm erst jetzt aufgefallen, dass er mich die ganze Zeit über angestarrt hatte.
Unsere Suche nach Schuhen schien danach hoffnungslos. Kein Paar passte mir wirklich, entweder sie waren zu groß oder viel zu klein. Erst nach einer halben Ewigkeit – das Licht der Petroleumlampe war bereits ganz dünn und zittrig geworden - fanden wir endlich eines. Die Stiefel waren hoch, schwarz und passten mir wie angegossen. Als ich aufstand merkte ich, wie die Sohlen sich meiner Fußform anpassten und mir einen sicheren Stand gaben. Als ich an mir herunter blickte erkannte ich mich selbst kaum wieder. Verschwunden waren die weißen Leinenkleider, die ich jahrelang in Phríosan getragen hatte und auch das zartgrüne Nachthemd war endlich nicht mehr das einzige, was meinen Körper bedeckte. Statt dessen trug ich robuste Kleidung, in der ich mich frei bewegen konnte. In der ich mich verteidigen konnte, wenn ich musste. Kleidung in der ich kämpfen konnte.
Die Schuhe gingen mir bis kurz unter das Knie und waren an den Außenseiten mit einem leicht golden schimmernden Faden verziert, der dem aus meiner Bluse sehr ähnelte. Mit Hand hatte sich jemand die Mühe gemacht auf beide Schuhe jeweils einen feuerspeienden Drachen zu nähen, der von seinen eigenen Flammen umrankt wurde. Mir schien fast, als würde der Drache sich wirklich bewegen, so pur war die Magie, die sich durch die Fäden zog.
„Die sind perfekt!", ich konnte nicht anders, meine Stimme war vor Freude ganz hell. Begeistert wirbelte ich einmal im Kreis herum und kam schließlich etwas wackelig direkt vor Liam wieder zum stehen.
„Oh, entschuldige.", betreten wich ich einen Schritt zurück. Ich verstand nicht einmal warum. Es war wie ein Instinkt, der mir riet niemandem zu vertrauen. Es war die Angst wieder verraten zu werden.
Liam schien meinen Gedankenwechsel mitbekommen zu haben, auch wenn er vielleicht nicht verstand was mich bedrückte. „Komm, wir brauchen noch Waffen für dich, dann sind wir fertig.", er zog mich am Arm hinter sich her, zu dem Zwerg der immer noch über ein alt wirkendes Buch gebeugt am Schreibtisch saß.
Als wir uns ihm näherten Blickte er jedoch schlagartig auf. Mir schien es fast, als hätte er die ganze Zeit gelauscht und uns heimlich beobachtet. Keiner der wirklich in ein Buch versunken war hätte davon aufblicken können und sofort „Was für eine Waffe braucht das Weibsbild denn?" fragen können.
„Ein Schwert, zwei Dolche und einen Bogen.", ich stutzte. So viele Waffen? Wie sollte ich in der kurzen Zeit lernen, damit umzugehen? „Wird gemacht. Kommt schon, folgt mir."
Der Zwerg führte uns zu der Wand, an der die Waffen hingen, ich fragte mich, weshalb er uns dorthin führte, immerhin konnte Liam mich doch sicherlich genauso gut beraten. Doch als wir näher traten fielen mir die kleinen Schlösser auf, mit denen die Schwerter, Streitäxte, Bögen und Dolche an der Wand befestigt waren.
Eigentlich hätte ich mir das auch denken können. Welcher Inhaber eines Waffengeschäftes lies diese tödlichen Geräte schon offen herum liegen. Am Ende wurde man nur mit seinen eigenen Waffen ermordet. Ein kalter Schauer lief mir bei diesem Gedanken den Rücken hinunter.
Als ich das Klicken eines Schlosses hörte blickte ich wieder zu dem Zwerg, wobei mein Blick sofort skeptisch zu der Waffe flog, die er losgemacht hatte. Es war ein gebogenes Schwert. Im Vergleich zu dem, das Liam an der Hüfte trug war es klein und unscheinbar, doch für mich war es groß. Groß und tödlich.
Als der Zwerg es mir entgegen hielt nahm ich es, darauf gefasst, von dem schweren Gewicht nach unten gezogen zu werden. Doch die Klinge war erstaunlich leicht. Ich betrachtete sie näher. Das Eisen schien nicht silbern sondern leuchtete im Licht der Fackeln in einem strahlenden Gold. Am Griff, der von der golden Klinge nahtlos in schwarzen Stein überzugehen schien konnte ich kleine Zeichen und Muster eingraviert sehen. Ob sie wohl irgendwann einmal eine bestimmte Bedeutung gehabt hatten?
„Gib mal her, ich will mir das Schwert genauer ansehen.", meinte Liam und nahm mir die Waffe aus den Händen. Er begutachtete sie skeptisch, fuhr die feinen Linien der Gravur nach und schwang es in einem sicheren Abstand zu dem Zwerg und mir schnell durch die Luft.
Es sah fantastisch aus, wie die goldene Klinge die Luft zu zerschneiden und einen leuchtenden Schweif zu hinterlassen schien. Mir blieb der Mund offen stehen. „Es ist wunderschön!", brachte ich heraus.
„Natürlich ist es das, was denkst du den, Kind? Dass ich wertlosen Schrott verkaufe? Also ich muss schon sehr bitten!", empört blickte der Zwerg zu mir auf. Bevor ich irgendetwas dummes darauf erwidern konnte ging Liam dazwischen. „Wir nehmen es! Habt ihr auch zwei dazu passende Dolche?"
„Aber natürlich. Ich habe alles! Aber das kostet entsprechend.", der Zwerg schien sich langsam Sorgen zu machen, dass Liam das alles nicht mehr würde bezahlen können. Ich wollte gar nicht erst wissen, welches Vermögen er gerade im Begriff war für mich auszugeben.
Während die beiden Männer sich die Dolche genauer ansahen ging ich schon einmal etwas weiter, zu der Stelle, wo die Bögen hingen.
Wie magisch wurde ich von den gleichzeitig majestätischen und eleganten Waffen angezogen. Die fein gearbeiteten Holzbögen und die straff gespannten Sehnen. In allen Größen und mit allen möglichen Verzierungen.
Doch mein Blick wurde alleine von einem einzigen Bogen angezogen. Er hing relativ am Rand der Reihe, zur Hälfte im Schatten. Doch ein Strahlen schien von ihm auszugehen, das ich nicht einfach übersehen konnte.
Vorsichtig streifte ich mit einer Hand über das glatte dunkelbraune Holz. Der Bogen war schlicht, aber ordentlich gearbeitet. Keine Edelsteine oder Gravierungen schienen darauf hinzuweisen, dass diese Waffe viel wert war.
Ich drehte mich zu den anderen um. „Ich möchte diesen Bogen.", die beiden blickten erst zu mir und dann auf die Waffe auf die ich zeigte. Der Zwerg brach in schallendes Gelächter aus. „Das soll wohl ein Witz sein?", fragte er, während sein Gesicht vor Erheiterung rot anlief.
„Nein, ich meine es ernst. Was soll denn an diesem Bogen nicht gut sein?", fragte ich. Der Zwerg richtete sich wieder gerade auf, nachdem er seinen Lachanfall überwunden hatte.
„Das, mein Liebe, ist keine Waffe aus meinem Sortiment. Sie ist ja nicht einmal angekettet, das Ding ist nichts wert. Meinetwegen kannst du es umsonst haben.", überrascht Blickte ich zu dem Bogen und tatsächlich, der Zwerg hatte recht, die Waffe war nicht an die Wand angeschlossen sondern hing nur lose über einem großen Nagel. Ich nahm die Waffe vom Hacken.
Der Bogen war etwa halb so groß wie ich und lag gut in meiner Hand. „Warum solltest du ihn mir schenken?", fragte ich skeptisch. Nach dem, was ich bisher von dieser neuen Welt wusste, war nichts um sonst.
Der Zwerg schien begriffen zu haben, dass er nun um eine Erklärung nicht mehr herumkommen würde „Sagen wir es einfach einmal so. Vor kurzem hatte ich einen herumwandernden alten Volltrottel zu Gast und er wollte ebenfalls bei meinen wertvollen Stücken sehen, ob er etwas finden würde, das er gebrauchen könnte. Leider habe ich ihn dabei erwischt, wie er einen Gifttrank stehlen wollte und nachdem Raub und Diebstahl mit dem Tode bestraft werden muss...", er lies den Satz unvollendet. Doch ich konnte mir sehr gut ausmalen, was für ein Schicksal den alten Mann ereilt hatte.
„Auf jeden Fall", vollendete der Zwerg die Erläuterung „habe ich den Bogen kurzzeitig hier oben deponiert, um ihn von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Und das einzige Gesetzt, an das auch ich mich als geschäftsführender Dieb halte ist, dass man das Eigentum von durch eigene Hand Ermordeten nicht weiterverkauft. Es ist ein Böses Omen."
Damit hatte ich nicht gerechnet. Ein Schauer lief mir über den Rücken, bei dem Gedanken, was der Zwerg wohl mit dem Leichnam gemacht hatte. Am liebsten hätte ich ihn sogleich zurück an die Wand gehängt und nie wieder angesehen.
„Nimm den Bogen, ich kann damit nichts mehr anfangen, dann bin ich das elende Stück endlich los.", unterbrach der Zwerg mich und ich hielt in meiner Bewegung inne – bereits dabei den Bogen wieder zurück zu legen.
Ich blickte fragend zu Liam nach hinten, der sich bis jetzt zurück gehalten hatte. Ich hob eine Augenbraue, er nickte. Ahnte er die verborgenen Kräfte in dem Holz? Sah er auch das Strahlen, das von ihm auszugehen schien? Ich zog mir den Bogen über die Schulter und nahm den dazugehörenden Köcher, der noch voll mit Pfeilen war.
Der Zwerg blickte skeptisch über den Rand seiner Brille und nuschelte irgendwelche Zahlen leise vor sich hin, während Liam in den Taschen seines Mantels nach den Säcken voller Geld wühlte. Der Preis, den er dann schlussendlich nannte war unverschämt hoch und ich wollte schon widersprechen, doch Liam stimmte zu und zog ganze drei Goldsäcke aus dem inneren seines Mantels, die er dem Zwerg mit Schwung auf den Tisch knallte. „Hier hast du dein Gold, wir sind hier fertig."
Ich band mir das Schwert an die Hüfte, steckte einen der Dolche in meinen rechten Stiefel und den anderen befestigte ich in einer geheimen Tasche an der Rückseite meines Mantels. Ich wollte gerade die Kapuze aufsetzten, als der Zwerg mich auf einmal total verändert ansah.
Erst verstand ich nicht weshalb. Vielleicht, weil ich so furchteinflößend wirkte? Mit all den neuen Waffen die meinen Körper schmückten? Aber als auch Liam zu mir blickte, um zu sehen, worauf der Zwerg so unverblümt starrte lief es mir eiskalt über den Rücken. Mit einem Schlag wusste ich genau, was der Zwerg gesehen hatte: Meine verräterisch lilanen Augen, die nur mein Bruder und ich hatten. Der Zwerg hatte mich erkannt.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro