3. Der Empfang
Der Abend näherte sich und es klopfte an Ellys Zimmertür und sie bat die Person, die davor stand, herein.
„Hallo Ms. Harrison", begrüßte die zierliche Frau, die etwa einen Kopf kleiner als Elly war, sie. Ihre blonden Haare waren zu einer auffälligen Kurzhaarfrisur zurückgeschnitten und beim Make-Up hatte sie leuchtende Farben gewählt. Bei sich hatte sie einen großen Rollkoffer. „Ich bin Trixie Miller und stehe ihnen heute bei Ihrem Styling zur Seite", stellte sich die Fremde vor.
Elly hatte sich noch nie von einem fremden Menschen frisieren lassen. Geld für einen Friseurbesuch war nie da gewesen, weswegen in ihren ersten Lebensjahren ihre Mutter ihre Haare geschnitten hatte. Später hatte Mellany ihr immer dabei geholfen.
Sie räusperte sich leise und fragte dann: „Also gut, Mrs. Miller, was muss ich tun?"
„Erstmal entspannen Sie sich ein wenig. Ich beiße nicht", lachte die Stylistin. „Und dann sehen wir uns mal das Kleid an, das Sie heute Abend tragen werden." Sie ging direkt in das Schlafzimmer, wo Elly das Kleid an einem Haken am Kleiderschrank aufgehängt hatte, damit bloß keine Falten hineingerieten.
„Sehr schön!", rief Trixie begeistert. „Da hat Mrs. Dumond Sie gut beraten. Ich habe schon eine Idee, wie wir das noch unterstreichen können. Setzen Sie sich schon mal vor dem Frisiertisch hin."
Elly setzte sich vorsichtig auf den Hocker und beobachtete, wie die Stylistin ihren Koffer öffnete und darin ein mobiler Salon zum Vorschein kam.
Sie öffnete Ellys Zopf und ließ die Haare einmal locker fallen, bevor sie sie sorgfältig bürstete und dann mit Hilfe von einigen Haarnadeln zu einer Hochsteckfrisur formte, bei der an den Seiten jeweils ein Strähnchen locker herunterfallen durfte.
Danach schminkte sie Ellys Gesicht mit einem dunklen Rot für die Lippen und einem Hauch Lila an den Augen. Für die Wimperntusche wählte sie ein klassisches Schwarz und die Augenbrauen brachte sie ein wenig in Form.
Am Ende der Prozedur half, die Stylistin Elly das Kleid anzuziehen, ohne dass ihr Werk dabei verschmierte.
Bei einem Blick in den großen Spiegel am Kleiderschrank kam Elly sich nun endgültig fremd vor. Wie viele Mädchen hatte sie schon einmal davon geträumt, eines Tages wie eine Prinzessin auszusehen. Doch sie hatte bisher nie wirklich die Gelegenheit gehabt, sich auch nur annähernd so herzurichten. Sogar den Abschlussball an der High School hatte sie sausen gelassen und hatte damals als Grund vorgeschoben, dass ihr die Begleitung gefehlt hatte.
„Sie sehen gut aus", lobte Trixie Elly. „Und sind Sie bereit für den Empfang?"
„Da bin ich mir nicht so sicher. Was erwartet mich dort?"
„Das wird schon. Sie werden auf andere junge Menschen treffen und können sich ein wenig mit ihnen unterhalten. Der Saal ist schön hergerichtet, es gibt ein Buffet und es gibt Musik, zu der man tanzen darf. Es wird ein sehr netter Abend werden", versicherte Trixie ihr.
„Und der Hausherr?"
„Er wird das Gespräch zu den meisten von Ihnen suchen."
„Aber was erwartet er von mir?"
„Nichts. Lassen Sie alles einfach auf sich zukommen." Die Stylistin begann damit ihre Sachen zusammen zu packen.
„Danke für Ihre Hilfe", sagte Elly leise, als Trixie schließlich durch die Tür ging.
Sie drehte sich noch einmal um und lächelte. „Dafür bin ich doch da. Ich freue mich auf das nächste Mal." Mit diesen Worten schritt sie hinaus in den Gang und nickte noch kurz Mr. Winterbottom zu, der gerade um die Ecke kam.
Mr. Winterbottom begleitete sie in den großen Ballsaal, der sich in einem Seitenflügel des Anwesens befand.
In dem großen Raum waren bereits einige andere Gäste eingetroffen, die in kleinen Trauben zusammenstanden. In der hinteren Ecke hatte ein Salonorchester seinen Platz und sorgte für den musikalischen Rahmen. An der kurzen Wand gegenüber war ein prunkvolles Büffet aufgebaut. Die Speisen darauf sahen für Elly viel zu edel aus, um sie zu essen. In der Mitte des üppigen Tisches thronte ein aus Eis geformter Vogel, der seine Schwingen weit ausbreitete. Das Büffet stand neben einer geschwungenen Treppe, die hoch zu einer Galerie führte. Auf der Galerie gab es eine Tür, die links und rechts von einem Spiegel flankiert war.
Vielleicht führt diese Tür zu einem Gang, der dem Hausherren vorbehalten ist, überlegte Elly, bevor sie durch ein Lachen aus ihren Gedanken gerissen wurde.
Das Lachen gehörte zu einem hellblonden Mann, der in etwa in Ellys Alter war. Seine Haare waren kurzgeschnitten und passend zu seinem dunkelblauen Anzug adrett frisiert. Der Mann stand bei ein paar anderen jungen Menschen und dominierte mit einem breiten Lächeln das Gespräch.
Elly drehte sich zu ihnen und hörte zu, um zu erfahren, worum es in dem Gespräch ging. Der Blonde war sich sehr sicher, dass er aufgrund seines Standes zum Kreis der Auserwählten gehören würde. Sein Vater war jemand mit viel Einfluss und hat es sich leisten können, seinen Sprössling auf eine Elite-Universität zu schicken. Der junge Mann fragte seine Zuhörer, wo sie studieren und auch sie nannten nacheinander sehr namhafte Institutionen. Schließlich sah er Elly an.
„Und du? Wo studierst du?"
Alle drehten sich interessiert zu Elly um und zeigten damit deutlich, dass sie tatsächlich die Angesprochene war.
Einmal mehr fühlte sie sich fehl am Platz, schließlich konnte sie keine großartige Bildung oder einflussreiche Eltern aufweisen. Sie hätte zwar auf ein College gehen können, da sie ein Stipendium bekommen hatte, aber dann verlor ihre Mutter beinahe ihr Haus und Elly musste sich darum kümmern, zu Hause alles in Ordnung zu bringen. So war ihre Chance verstrichen. Und jetzt sahen diese Fremden sie an und warteten auf eine tolle Geschichte.
Sie räusperte sich und sagte leise: „Ich studiere nicht."
„Habe ich mich da etwa verhört?", lachte der Blonde.
„Nein, es ist so", bestätigte sie und hoffte, dass damit das Thema erledigt war.
„Glaubst du denn, du kannst mit uns mithalten?", bohrte er weiter nach.
„Kevin, es wird einen Grund geben, warum sie hier ist. Niemand ist ohne Einladung gekommen, oder?", mischte sich eines der Mädchen in der Runde ein und sah Elly an.
Elly straffte ihre Schultern ein wenig und antwortete: „Ja, ich habe eine Einladung."
„Und auch Kevin weiß nicht genau, was uns nach dieser Einladung erwartet. Ich bin übrigens Patricia oder einfach Pat."
„Ich bin Elly. Und ich glaube Kevin weiß einfach nur, was er von dem Ganzen hier erwartet. Hoffentlich wird er nicht enttäuscht."
Kevins Lächeln verschwand, als Pat herzlich lachte und auch die anderen kicherten.
„Das heißt, ihr wisst auch nicht genau, was hier passiert?", fasste Elly noch einmal zusammen.
„Manche von uns haben wohl Verwandte, die mit der Organisation hier schon einmal zu tun hatten", erklärte Pat. „Aber sie waren nicht sehr gesprächig. Wir wissen nur, dass der große Mr. Gatsby die Leute nacheinander zu sich ins Büro bringen lässt, um mit ihnen zu reden. Siehst du da hinten? Da holt Mr. Winterbottom gerade einen ab." Sie deutete auf das andere Ende des Saals, wo Elly den alten Butler erspähte, der einen der Gäste ansprach. Der Gast folgte ihm über die Treppe nach oben.
„Es ist aber noch keiner auf diesen Empfang zurückgekehrt", erzählte Pat weiter mit einem verschwörerischen Unterton.
„Das hier ist also nur das Wartezimmer und wir bleiben hier, bis es wirklich interessant wird", folgerte Elly.
Pat nickte nur und nahm einen Schluck von ihrem Drink.
Jetzt fragte Elly sich, was mit den weggeführten Leuten passierte. Kommen die Auserwählten in einen tolleren Ballsaal, während die anderen entsorgt werden? Oder wird jeder einfach nur wieder nach Hause geschickt? Müssen sie am Ende die Heimreise selber regeln? Und warum lässt der Hausherr sich nicht einfach selbst blicken?
Elly versuchte, ihre Nervosität zu überspielen, indem sie weiterhin den Gesprächen der anderen lauschte und dabei versuchte, möglichst interessiert zu wirken. Tatsächlich drehte sich ihr Gedankenkarussell die ganze Zeit über munter weiter.
Mit einem leisen Grummeln erinnerte ihr Magen sie daran, dass sie nichts mehr gegessen hatte, seit sie zu Mr. Winterbottom ins Auto gestiegen war und diese verrückte Reise begonnen hatte. Also probierte sie sich vorsichtig durch die Häppchen auf dem Buffet.
Sie überlegte gerade, ob sie das mit Kaviar belegte Ei probieren sollte und ob es ihr überhaupt zustand, so etwas zu essen, als jemand sie vorsichtig an der Schulter antippte.
Sie drehte sich um und sah in das Gesicht von Mr. Winterbottom.
„Ms. Harrison – der Hausherr bittet Sie in sein Büro. Und ich nehme an, dass er Ihnen ein bisschen mehr zu dem Ereignis hier sagen wird. Kommen Sie bitte mit."
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