Kapitel 26
Schock. Einfach nur Schock steht uns allen ins Gesicht geschrieben. Das kann einfach nicht sein. Marlene wird doch keine bleibenden Schäden davontragen, oder? Nein. Das kann einfach nicht sein. Es geht nicht. Es ist unmöglich. Und deswegen rede ich mir das auch ein. Marlene wird, wenn sie sich wieder erholt hat, genauso sein, wie sie davor war. Ganz sicher.
Ich stehe kurz vor den Tränen. Zum Glück war ich generell schon immer etwas abgehärtet und dazu hat mich Maria in den letzten Monaten noch mehr abgehärtet, also bleibt es auch nur bei kurz vor den Tränen. Ich kann sie zurückhalten, worüber ich sehr froh bin, denn ich hasse es, vor anderen zu weinen. Generell hasse ich es, zu weinen.
Nur leider sind die anderen Mädchen (abgesehen von Maria) nicht so abgehärtet. Lily, Alice und Amelia kommen die Tränen. Es sind stille Tränen. Man sieht zwar Maria an, dass sie, genauso wie ich, kurz vor den Tränen steht, doch sie bemüht sich ebenfalls, diese zurückzuhalten.
Wir stehen also da und gucken nur auf Marlenes bewegungslosen Körper und trauern. Was mich aber verblüfft ist, dass James zu Lily läuft und sie versucht zu trösten. Und natürlich ist das nicht das komische, sondern, dass Lily es auch noch zulässt. Wir sollten echt mal mit ihr ein ernstes
Wort reden, denn das ist nicht mehr normal.
Maria beginnt, Alice zu trösten, also gehe ich auf Amelia zu und nehme sie in den Arm. Es ist alles still. Das Schluchzten der anderen und eine tickende Uhr im Hintergrund sind die einzigen Geräusche.
***
Weil wir nicht den kompletten Tag im Krankenflügel verweilen wollen, ich mich unbedingt Duschen möchte (und ich denke mal, dabei bin ich nicht die einzige) und wir alle auch langsam hungrig werden, verlassen wir den Raum nach einiger Zeit. Wir trennen uns und machen uns dann jeder auf den Weg in seinen Gemeinschaftsraum.
Amelia ist so lieb und gibt mir den Vortritt zur Dusche. Zum Glück ist der Schlafsaal leer, die anderen sind höchst wahrscheinlich beim Frühstück. Es ist ein unglaublich erfrischendes Gefühl, das warme Wasser auf meiner Haut zu spüren. Endlich geht der ganze Dreck ab und ich fühle mich wieder sauber. Nach dem Duschen ziehe ich mir frische Klamotten an und Schminke mich.
Ein paar Minuten später machen Amelia und ich uns dann auch schon wieder auf den Weg zum Frühstück. Mein Magen knurrt schon die ganze Zeit, ich habe es nur vorhin vor Aufregung vergessen. Und so, denke ich mal, müsste es auch bei den anderen sein. Abgesehen von Maria sind schon alle andren am Gryffindortisch anwesend. Wie schafft sie das nur? Sie ist alleine gegangen, also musste sie auf niemanden warten und trotzdem braucht sie länger? Das ist schon etwas merkwürdig. Eindeutig.
Ich schaffe es nicht einmal, mich zu entscheiden, was ich essen möchte, da kommt schon jemand auf mich zugestürmt und umarmt mich. Es ist Irina. Und ehrlich gesagt wundert es mich nicht, dass sie mir so wenig Zeit gelassen hat, denn sie weiß wahrscheinlich nicht einmal die komplette Geschichte. Oder hat ihr sie Dumbledore vielleicht erzählt? Könnte schon möglich sein.
,,Man, ich hab mir so Sorgen gemacht", beklagt sie sich und löst sich aus der Umarmung. ,,Wie oft willst du denn noch entführt werden? Ist das irgendsoeine Krankheit, die du hast, von der ich nichts weiß?"
,,Also den Humor hat sie eindeutig von dir geerbt", meint Sirius, der grinsend neben mir sitzt. Ich verdrehe die Augen.
,,Meinst du das im positivem Sinne, oder im negativen?", fragt darauf Irina mutig. Irgendwie zu mutig. So kenne ich sie garnicht. Eher schüchtern. Vor allem zu älteren. Anscheinend hat Hogwarts sie mehr verändert, als ich dachte. Und zwar im positiven Sinne.
,,Natürlich im positiven Sinne. Was denkst du denn auch", antwortet ihr Sirius. Er sagt es zwar sarkastisch, man merkt aber an seinem Tonfall trotzdem, dass er es wirklich im positiven Sinne meint. Falls man das so sagen kann. Ist vielleicht ein bisschen unlogisch.
,,Na dann ist ja gut", gibt Irina mit der gleichen Ironie in ihrer Stimme zurück.
,,Sag mal, hast du eigentlich mit Dumbledore geredet oder so?", frage ich sie, weil mich das gerade etwas mehr interessiert, als das dumme Gerede zwischen meinem Freund und meiner kleinen Schwester.
,,Klar. Hat mir alles erzählt", meint Irina und beißt in ihr Croissant. Anscheinend hat sie sich dafür entschieden, hier zu Essen.
,,Na dann ist ja gut. Wie geht's dir so jetzt?"
,,Wie soll es mir denn gehen? Natürlich gut. Ich wurde zufällig nicht entführt. Ich denke mal, das sollte ich eher dich fragen, oder?" Also generell wurde Irina viel frecher und offener.
,,Klar geht's mir gut. Da gibt's ein paar mehr Pechvögel. Ich meine aber, dass du jetzt weißt, auch du weißt schon. Dass Voldemort dein Onkel ist und du mit Salazar Slytherin verwand bist und so. Wie geht's dir jetzt, als du das weißt?"
,,Soll ich mich jetzt mehr zu Schlangen hingezogen oder böser fühlen oder was? Ich kann mich doch jetzt, nur weil ich das weiß, nicht anders fühlen. Das wär ja bescheuert! Oder glaubst du, dass ich jetzt, nur weil ich das weiß, zur dunklen Seite oder so wechsle?"
,,Der war gut", meint darauf Sirius und klatscht mit Irina ein.
,,Da versucht man ein Mal in seinem Leben fürsorglich so zu sein und gleich stellen sich alle gegen einen. Wozu bin ich überhaupt die ältere, wenn ich so oder so nur ausgelacht werde?", beschwere ich mich darauf, in einem leicht belustigtem Ton.
,,Ach El, das Leben ist nunmal nicht gerecht. Allerdings finde ich auch, dass ich die ältere sein sollte. Das ist schon die dritte Lebensweisheit, die ich heute von mir gebe."
,,Ich bin klüger, also bin ich die ältere", kontere ich etwas unbedacht.
,,Ach, wer ist denn von uns beiden in Rawenclaw? Du oder ich?"
,,Das ist nicht fair! Du kannst du die Intelligenz nicht am Haus messen!"
,,Sagt wer?"
,,Ich!"
,,Okay Mädels es reicht, wir wissen alle, das ich die klügste von allen bin, also braucht ihr euch da gar nicht zu streiten", mischt sich jetzt Maria ein, die anscheinend gerade gekommen ist, wir sie aber, wegen unseres 'Streites' nicht bemerkt haben.
Empört schreien Irina und ich auf und meinen gleichzeitig: ,,Nie im Leben!" Irina hängt noch ein: ,,Du bist in Hufflepuff", an.
,,Jetzt hör endlich auf, zu denken, dass Rawenclaw das beste Haus wäre", beschwere ich mich in belustigtem Ton. Es fühlt sich so an, also ob wir das erste Mal nach unendlich langer Zeit mal wieder richtig Lachen. Gut, ich glaube bei mir ist das auch so. Kurz bevor ich entführt wurde hatte ich schließlich eine gewisse 'Depri-Phase'.
,,Man kann nichts gegen die Wahrheit tun", verteidigt sich jetzt Irina. Wenn sie so redet, merkt man erst richtig, dass wir Schwerstern sind. Früher hat man das nämlich nur ein bisschen an unserem Aussehen bemerkt. Jetzt verhalten wir uns aber auch ähnlich.
,,Nur, dass das nunmal nicht die Wahrheit ist. Hufflepuff ist das beste Haus."
,,Ich glaube die einzigen, die nicht der festen Überzeugung sind, dass deren Haus das beste ist, sind die, die in Slytherin sind, das aber nicht sein wollen, wegen den Vorurteilen", flüstere ich und drehe mich in die andere Richtung.
,,Wir können nichts dafür, dass du in so einem scheiß Haus bist", meint darauf Irina schulternzuckend.
,,In welchem Haus wärest du denn, wenn du wählen könntest?", fragt mich jetzt Sirius, der anscheinend doch unserem Gespräch gefolgt ist.
,,Mhm, keine Ahnung, da hab ich noch nie drüber nachgedacht. Ich denke mal in Hufflepuff oder Gryffindor. Aber ich glaube mal, dass Hufflepuff nicht so zu mir passen würde, aber dort sind fast immer alle total gut drauf und so. Aber Gryffindor ist auch cool..."
,,Nimm Hufflepuff!", flüstert mir Maria unauffällig zu.
,,Was habt ihr eigentlich alle für Störungen? Rawenclaw ist und bleibt das beste Haus!"
,,Ach sei doch still!", motzen Maria, Sirius und ich Irina gleichzeitig an. Danach beginnen alle, laut zu lachen. Es ist schön, endlich wieder so viel zu Lachen. Und vor allem ist es schön, zu sehen, dass sich Irina dank Hogwarts ins bessere verändert hat.
***
Am Ende des Tages gehen wir alle nochmal Marlene besuchen. Als wir ankommen, bemerken wir, dass sie immer noch schläft. Wir treten aber trotzdem ein, um mit Madam Pomfrey zu reden. Wir würden gerne wissen, wie es ihr geht.
,,Seit bitte still", flüstert Sie uns zu. ,,Sie war vor einer Stunde wach und hat auch nach euch gefragt, ich denke aber, dass sie noch zu schwach für Besucher ist. Ich kann euch allerdings beruhigen. Es geht ihr besser, als ich dachte. So weit ich weiß, habe ich noch keine bleibenden Schäden bemerkt. Vielleicht ein paar Narben, aber ich denke nicht, dass das ein so schlimmes Problem sein wird.
Von der Gehirnerschütterung hat sie sich auch schon fast erholt. Sie war noch etwas verwirrt, aber ich denke, dass wenn sie das nächste mal aufwacht, das alles weg sein wird. Der Armbruch ist auch verheilt. Das etwas größere Problem sind allerdings die Rippen. Ich denke, ich werde sie deswegen mindestens eine Woche, vielleicht sogar zwei hier behalten müssen. Wenn sie sich aber erholt hat, dürft ihr sie dann auch öfter besuchen. Aber für die ersten Tage nicht so oft. Ich denke, es wäre auch gut, wenn ihr jetzt geht."
Eigentlich sind das alles ziemlich gute Nachrichten. Zu hören, dass es Marlene gut geht, ist eine Befreiung. Man sieht auch jetzt in den Blicken der anderen, dass sie eindeutig erleichtert sind. Mich natürlich eingeschlossen.
Als wir gerade die Flügeltür schließen möchte, höre ich die Stimme, die ich mir am wenigsten erhofft hätte. ,,Ich habe von eurer Heldentat gehört. Wie geht's denn so, nach diesem spannenden Abenteuer?"
,,Klappe, Goldstein", giftet ihn Maria sofort an. Wieso ist er immer zur falschen Zeit am falschen Ort? Wie konnte ich nur mit dem zusammen sein? Es ist eine Frage, die man nicht beantworten kann.
,,Oh, denkst du, du kannst mich beleidigen. Da vergisst du eins, Holmes. Ich ziehe am längeren Strang."
,,Welcher längere Strang?", lacht Sirius ihn aus. ,,Du bist komplett alleine hier. Und komm mir jetzt nicht mit deinem scheiß Vertrauensschülerding. Lily und Remus sind auch Vertrauensschüler. Außerdem sind wir stärker, hübscher und beliebter, also was willst du uns, als so eine mickrige Person sagen? Du kannst uns nichts sagen."
,,Wage es noch einmal, mich zu beleidigen, oder..." Jetzt muss ich in unterbrechen.
,,Oder was? Sirius könnte dich mit links im Kampf besiegen. Er ist viel stärker. Ich glaube mal sogar, dass ich stärker bin, als du. Du bist ein Schwächling! Ich frage es mich echt, wie ich es ein paar Minuten in deiner Anwesenheit geschafft habe, zu überleben! Gut wenn ich ehrlich bin, musste ich einmal wegen deiner Hässlichkeit kotzen, aber ich denke mal, das muss jeder, wenn er dich sieht. Also verzieh dich jetzt endlich und lass uns in Frieden. Du kannst nichts!"
,,Pass auf, Kolesnikow, wie du mit mir redest. Ich kann euch allen Strafarbeiten geben. Aber die habt ihr ja schon, wie ich gehört habe. Heute werde ich euch noch gehen lassen, aber das nächste Mal, ja glaubt mir, da kriegt ihr alles zurück." Und dann dreht er sich um, stolziert davon.
James ruft ihm aber noch ein: ,,Das hast du das letzte Mal auch gesagt. Hat gut geklappt", hinterher.
,,Welches letze Mal?", frage ich verwundert.
,,Nicht so wichtig."
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