Kapitel 37 - Rat(t)e mal, wer ich bin!
„Was machst du denn hier?", fragte Hermine mit einem Gesichtsausdruck, als hätte ich ihr erzählt, dass ich aus Langeweile die Bibliothek abgefackelt hätte.
„Eigentlich wollte ich euch retten, aber das könnt ihr wohl selber ganz gut", antwortete ich und kratzte mich am Kopf. Ich wusste auch nicht so recht, was jetzt passieren sollte und was ich überhaupt bezwecken wollte. Offenbar kamen sie bestens alleine mit meinem Onkel klar, wie es dessen langsam anschwellendes Auge und das Blut auf seinem Gesicht bewiesen.
Misstrauisch kniff Ron die Augen zusammen. „Wer sagt denn, dass du nicht mit ihm unter einer Decke steckst und seine Rückversicherung bist? Und uns gleich alle hintergehst?"
Harry und Hermine schien diese Idee einzuleuchten und sie blickten mich abwartend an. Es versetzte mir einen Stich, dass sie mir schon wieder misstrauten. Schon wieder alles vergaßen, was ich für sie getan hatte.
„Ich sage es euch. Ich als diejenige, die euch letztes und vorletztes Jahr schon geholfen hat. Ich als eure Freundin."
Das schien sie etwas zu besänftigen. Trotzdem packte Harry meinen Onkel am Kragen und schüttelte ihn etwas. „Kennst du sie?"
„Eleonora?", hakte mein Onkel nach und seine Stimme klang trotz der Rauheit beinahe zärtlich. „Leider kann ich das nicht von mir behaupten."
Harry ließ ihn wieder los und wandte sich wieder zu mir. „Wie kommst du an meinen Umhang?"
„Ihr hattet ihn draußen vor der Peitschenden Weide vergessen", erklärte ich und wagte einen kurzen Blick zu Sirius. Schon die ganze Zeit hatte sein Blick auf mir geruht, aber ich konnte seinen grauen Augen kaum standhalten. Zu sehr erinnerten sie mich an meine eigenen und die meines Vaters. Es gab keine Bilder von meinem Vater, auf denen er älter als zwanzig war, weil er dieses Alter schlicht nicht erreicht hatte. Daher wunderte ich mich, ob er wohl auch so aussehen würde. Ob die gleiche Faszination in seinem Blick läge.
Aber so heruntergekommen würde er wohl nicht aussehen. Jetzt, da ich ihm so nahe war, konnte ich die verfilzten Haare noch besser sehen. Ebenso wie die Knochen, die überall herauszuragen schienen und nur von wächserner Haut verdeckt wurden. Er hatte seine besten Zeiten schon lange hinter sich und könnte ohne Probleme als Leiche durchgehen.
Mein Mitleid für ihn wuchs, immerhin hatte er über ein Jahrzehnt ohne Zuwendung, ordentliches Essen und Beschäftigung in Askaban gesessen. Dem Ort, bei dem Hagrid schon allein vom Gedanken ein Ausdruck des Horrors im Gesicht hatte. Und er war nur wenige Zeit dort gewesen.
„Wollt ihr ihn an die Dementoren übergeben?", fragte ich und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme leicht zitterte. So schlimm seine Taten auch sein mochten, dieses Schicksal verdiente niemand.
„Ich weiß es nicht", sagte Harry und warf meinem Onkel einen Blick zu, aus dem gleichermaßen Verachtung und Mitleid sprach. „Er verdient es, bestraft zu werden."
Doch noch bevor ich antworten konnte und versuchen, ihn umzustimmen, hörten wir Schritte auf der Treppe. Sie waren schnell, es wusste jemand offenbar genau, wo er hinmusste. Das musste Severus sein. Ich ging ihm entgegen, damit er nicht gleich die Kontrolle verlieren würde, wenn er Sirius sah. Doch zu meiner Überraschung stürmte da nicht mein Pate die Treppe hoch, sondern ein anderer Lehrer. Professor Lupin.
Wie immer in schäbigem Umhang und mit bedenklich bleichem Gesicht kam er auf mich zu und seine Augen weiteten sich leicht bei meinem Anblick. Doch er hielt sich nicht lange mit mir auf und ging zielsicher an mir vorbei zu den anderen.
„Professor", sagte Hermine erleichtert, als ich hinter Lupin wieder in den Raum trat. „Wir haben Sirius Black gestellt! Wir müssen ihn den Dementoren übergeben!"
Wirklich überrascht schien der Verteidigungslehrer nicht über seinen alten Mitschüler zu sein, der in dieser vergammelten Hütte auf dem Boden lag und von Harry in Schach gehalten wurde.
„Sirius", begrüßte er ihn und konnte nicht verhindern, dass ein leichtes Lächeln seine Lippen umspielte. Er drückte Harry sanft beiseite und beugte sich zum Gesuchten hinunter. Doch dann tat er etwas, womit niemand so recht gerechnet hatte. Er half ihm auf und umarmte ihn, wie einen lang vermissten Bruder.
Hermine fiel die Kinnlade nach unten. „Aber Professor? Ich hätte es wissen müssen! Ich hätte es allen sagen sollen!"
„Ihnen was sagen sollen?", hakte ich nach und konnte noch immer nicht glauben, dass mein Misstrauen Lupin gegenüber begründet war. Gerade, als ich es abgelegt hatte.
„Er ist ein Werwolf!", kreischte Hermine und deutete anklagend auf unseren Lehrer. Dieser erstarrte und ließ Sirius los.
„Seit wann weißt du davon?"
„Schon lange!", schrie Hermine und lachte hysterisch. „Schon seit uns Professor Snape einen Aufsatz über Werwölfe hat schreiben lassen! Aber ich habe es niemandem verraten, weil ich an ihre Unschuld geglaubt habe!"
„Du bist wirklich die schlauste Hexe deines Alters", gratulierte ihr Lupin und lächelte wehmütig. Mein Onkel legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Na offenbar nicht, sonst hätte ich es allen gesagt!"
„Oh, sie wussten es aber schon. Zumindest die Lehrer."
„Dumbledore hat einen Werwolf eingestellt?", fragte Harry ungläubig. Er hatte von den hier Anwesenden wohl das beste Verhältnis zum Schulleiter, weshalb es wahrscheinlich noch schwerer fiel zu glauben, dass er die Schüler einer solchen Gefahr aussetzte.
Lupin versuchte die Situation wohl zu deeskalieren, indem er sich Rons verletztes Bein ansehen wollte. Doch der rückte unter Schmerzen von ihm weg. „Weg Werwolf!"
Die Augenbrauen meines Onkels zogen sich zusammen. Bedrohlich beugte er sich in Rons Richtung und spie ihm entgegen: „Er kann doch nichts dafür!"
„Sie fangen am besten erstmal mit Ihrer eigenen Verteidigung an", sagte Harry mit zorniger Miene. „Sie haben immer noch nicht erklärt, warum wir Sie nicht umbringen sollten!"
Lupins Blick glitt zu seinem alten Schulfreund zurück. „Ihr habt getauscht? Und mich nicht eingeweiht?" In seiner Miene spiegelten sich Erleichterung und verletzte Gefühle.
Mein Pate nickte. „Er war die ganze Zeit hier." Mit weit ausgestrecktem Arm deutete er zu Ron auf dem Bett, dessen ohnehin schon grünliches Gesicht noch bleicher wurde.
„Ich?", quietschte er. „Wollen Sie mich jetzt etwa umbringen?"
Das verstand ich jetzt allerdings auch nicht. Allgemein verstand ich in diesem Moment überhaupt sehr wenig und fühlte mich wie in Gesprächen mit den Malfoys. Die mir immer nur zu gerne unter die Nase gerieben hatten, wie jung und unwissend ich war. Wie viel mehr sie über die Welt wussten und ich ihnen daher einfach nur folgen sollte.
Dennoch hatte ich ein kribbeliges Bauchgefühl. Es würde gleich etwas passieren, das war mir wegen der erhitzten Gemüter glasklar. Und ich wusste nicht, auf wessen Seite ich mich schlagen sollte. Mein Onkel erschien mir nicht vertrauenswürdig, besonders wegen seiner wirren Erklärungen. Die mehr Verwirrung schufen, als vertrieben. Trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass ich mich ihm verbunden fühlte. Die Ähnlichkeiten zu meinem Vater sah. Konnte ich wirklich zulassen, dass meine Freunde ihn den Dementoren übergaben, obwohl sie kaum mehr über alles wussten als ich? Unentschlossen drehte ich meinen Zauberstab in meinen Händen.
„Lass es uns jetzt tun!", forderte Sirius und näherte sich trotz seiner Verletzungen rasch dem Bett.
Sofort richteten Harry und Hermine ihre Zauberstäbe auf ihn. „Nur über unsere Leichen."
Lupin blickte von einer Seite zur anderen und entschied, dass er handeln musste. „Expelliarmus!" Zwei Zauberstäbe flogen in seine Hand und er fing sie geschickt auf. Vielleicht war es ein Versehen, vielleicht glaubte er, dass ich meinen Onkel nicht angreifen würde. Jedenfalls hatte ich meinen Stab noch und verbarg ihn fest umklammert hinter meinem Rücken. Mit dem Überraschungsmoment auf meiner Seite, konnte ich die beiden Erwachsenen vielleicht überwältigen. Sollten sie denn wirklich Mordabsichten hegen.
„Sie haben die ganze Zeit unter einer Decke gesteckt", stellte Hermine fassungslos fest. „Sie haben einen Massenmörder ins Schloss gelassen. In Harrys und Rons Schlafsaal!"
Und auch in unseren. Ich war froh, ihr das verschwiegen zu haben. Sonst hätte sie womöglich bereits kurzen Prozess mit meinem Onkel gemacht.
Lupin schüttelte den Kopf und es schien ihm wichtig zu sein, das richtig zu stellen. „Ich habe ihn seit Jahren eben erst zum ersten Mal wiedergesehen. Und ich habe ebenso an seine Schuld geglaubt wie jeder andere. Aber offenbar waren die leisen Zweifel berechtigt."
Sirius nickte mit gewichtiger Miene. „Stimmt. Denn er war es!" Wieder fuhr seine Hand in Rons Richtung. Der Rothaarige quiekte erschrocken auf und versuchte trotz kaputtem Bein von ihm wegzukommen. Doch mit einem geschickten Sprung aufs Bett griff sich mein Onkel nicht Ron, sondern einen sich windenden, grauen Fellbüschel.
Triumphierend hielt er ihn in die Luft. „Das, Harry, das ist der eigentliche Mörder deiner Eltern!"
Harrys gesamte Mimik drückte Skepsis aus. Und auch ich verstand es nicht. Andererseits könnte ich dank des vergessenen Zauberstabs jederzeit eingreifen, wenn sich die beiden Erwachsenen auf uns stürzen würden. Und noch hatte man uns zwar viele Erklärungen versprochen, aber keine geliefert. Daher beschloss ich, erstmal abzuwarten. Obwohl Krätzes Quieken ohrenbetäubend war und ich es kaum mit ansehen konnte.
„Professor", versuchte er an Lupins Verstand zu appellieren. „Dieser Mann ist verrückt. Rons Ratte kann meine Eltern gar nicht getötet haben. Wie können Sie ihm nur glauben?"
Lupin lächelte eines seiner berühmten, beruhigenden Lächeln, allerdings etwas angestrengter als sonst. „Lass ihn erklären, Harry. Ich konnte es am Anfang selbst kaum glauben."
„Weil es absoluter Irrsinn ist!", mischte sich nun auch Ron ein. Sein sorgenvoller Blick glitt zwischen seiner Ratte und Lupin hin und her. „Krätze ist eine Ratte! Meine Ratte, die auch schon Percy gehört hat und ewig bei meiner Familie lebt."
„Etwa zwölf Jahre?", hakte Sirius nach. „Ziemlich lang für eine gewöhnliche Ratte."
„Ich habe sie eben gut gepflegt", stammelte Ron.
Mein Onkel hob eine seiner dunklen Augenbrauen. „Nun, wenn du dir so sicher bist, wird es ihr auch nicht wehtun."
Mit diesen Worten pikte er Rons Zauberstab in den Bauch der Ratte, die zappelte und kratzte, wie noch nie zuvor. Er warf einen Blick zu Lupin und nickte ihm zu, worauf der Lehrer neben ihn trat und ebenfalls den Zauberstab auf das Fellbündel richtete. Aus ihren beiden Zauberstäben schossen weißblaue Blitze, die den kleinen grauen Körper völlig umschlossen. Für einen Moment schwebte er in der Luft, dann fiel er zu Boden. Als würden einige Jahre in Sekunden verstreichen, wuchs die Gestalt in die Höhe. Bis das Wachstum mit einem hellen Lichtstrahl stoppte.
Ich hatte die Augen fest zugekniffen, um nicht geblendet zu werden und wagte nun wieder einen Blick. Anstelle der Ratte stand dort nun ein kleiner Mann in gebeugter Pose, die Hände nahe am Gesicht zusammengeführt. Auch in Menschengestalt erinnerte er mich fatal an eine Ratte. Die spitze Nase und die wässrigen Augen in Kombination mit dem nahezu kahlen, von farblosen Haaren überzogenen Kopf ... typisch Nagetier.
„Hallo Peter", begrüßte ihn Lupin, seiner Stimmlage war kaum anzumerken, dass sich das langjährige Haustier eines seiner Schüler als sein totgeglaubter Schulfreund Peter Pettigrew entpuppt hatte. Aber vielleicht war er als Werwolf und Freund von Sirius Black auch schon an einige Kuriositäten gewöhnt. „Lange nicht gesehen."
Die hellen Augen des kleinen Mannes, den ich bereits um einige Handbreit überragte, huschten im Raum umher und klebten auffällig oft auf der Tür. „Remus, mein alter Freund!"
Sirius trat vor. In seinen grauen Augen lag ein gefährliches Glitzern. „Und was ist mit mir? Hast du mich vermisst?"
Auf dem teigigen Gesicht Pettigrews breitete sich ein Ausdruck der Furcht aus. „Sirius!" Wieder der Blick zur Tür. Sicherheitshalber stellte ich mich davor. „Remus, er hat versucht mich umzubringen!"
„War es nicht vielmehr andersherum?", mischte sich wieder Sirius ein und schlich sich raubkatzenartig näher an Peter, der noch weiter in sich zusammensank.
„Stimmt", pflichtete Lupin ihm bei. „Dafür, dass Sirius es auf dich abgesehen hatte, wirkst du erstaunlich fidel."
Peter Pettigrew knetete eifrig seine Hände. Hinter seiner fahlen Stirn schien es mächtig zu rattern. „Ich-ich konnte fliehen ... aber für Lily und James ... nun, es war zu spät."
Von unbändiger Wut getrieben packte mein Onkel ihm am Kragen und fuchtelte mit seinem Zeigefinger vor seinem Gesicht herum. „Wage es ja nicht, ihre Namen in der Gegenwart ihres einzigen Kindes und meiner Wenigkeit auszusprechen! Ich wurde bereits für den Mord an dir verurteilt, da kann ich es ebenso gut jetzt nachholen!"
Quiekend wand sich der untersetzte Mann in seinem Griff, ebenso wie die Ratte noch vor wenigen Minuten. Schließlich war es Lupin, der ihn erlöste, sanft legte er Sirius seine Hand auf die Schulter. Mein Onkel blickte auf Remus Hand und ließ Pettigrew los, als hätte er sich verbrannt. „Es reicht erstmal, Sirius. Du bist nicht alleine, diesmal tun wir es gemeinsam."
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