Kapitel 35 - Das goldene Trio auf Abwegen
Die aus dem stickigen Turmzimmer wieder hinabsteigenden Schüler waren sehr unkooperativ, was ihre Erlebnisse bei der Prüfung anging. Offenbar hatte Trelawney ihnen etwas Schlechtes prophezeit, wenn sie die Aufgabenstellung verrieten.
„Black Eleonora", rief die rauchige Stimme jenseits der Luke und ich kletterte die Leiter hinauf. Die insektenartige Lehrerin hockte hinter einem der wackeligen Tischchen, auf dem eine Kristallkugel stand. Ich atmete auf, weil ich mich so nicht auf Bedeutungen und Symbolik stützen musste. Denn die wusste ich nicht. Wozu musste man auch wissen, dass ein Kreis in den Teeblättern für Liebe stand?
Ich befolgte Deans Rat und fantasierte irgendetwas zusammen und bezog dabei den Grimm und Harry ein. Sie hörte doch so gerne von beidem und ihre Feder kratzte auch unablässig über das Pergament, solange ich darüber redete. In meiner Erzählung schlich sich der Grimm an Harry heran und sprang hinterrücks auf ihn zu.
Trelawney nickte aufgeregt. „Sehr gut, meine Liebe. Erlauben Sie Ihrem Dritten Auge, sich noch weiter zu öffnen."
„Das steht natürlich für den Tod, der Harry unerwartet ereilt, obwohl Sie ihn ja schon von Anfang an immer wieder gewarnt haben. Jedenfalls springt der Grimm in der Kristallkugel auf Harry und wirft ihn um. Und Ron ist natürlich auch betroffen, schließlich hat er sich lange genug in der Gesellschaft des Todgeweihten aufgehalten, sodass Harrys Verdammnis teilweise auf ihn übergeht. Deshalb fällt das Todesomen auch ihn an. Apropos Tod, da ist auch noch Rons tote Ratte, die ihn vielleicht aus der Nachwelt empfangen will oder warnen. Deshalb heult in der Ferne auch ein Wolf oder Grimm, als Zeichen dafür, dass das Totenreich nicht weit entfernt auf uns alle wartet."
Ich suchte im Gesicht der Lehrerin nach einem Zeichen der Bestätigung. Aber seit ich Krätze erwähnt hatte, schwebte ihr Federkiel unbewegt über dem Pergament.
„Eine Ratte sagen Sie, Liebes?", erkundigte sie sich und klang enttäuscht.
Deshalb beeilte ich mich, den Kopf zu schütteln. „Sagte ich Ratte? Ich meinte natürlich Maulwurf, denn Harry geht einen Pakt mit dem Tod ein und verrät ihn."
„Ich denke, es reicht." Die Wahrsagelehrerin klang nicht so rauchig wie sonst. Ich bemerkte selbst, dass ich auf einem verlorenen Posten stand. Dennoch wollte ich die Note nicht riskieren und redete deshalb weiter, in der Hoffnung, doch noch etwas zu sagen, was ihr gefiel.
„Warten Sie, ich habe alles missinterpretiert und mich zu sehr auf meine irdischen Augen verlassen. Jetzt, da ich darüber nachdenke, steht der Maulwurf doch für den Massenmörder Sirius Black, der seine Freunde verraten hat. Und nun auf Rache für die Jahre in Askaban sinnt. Ich sehe Blut! Viel Blut! Es spritzt nur so aus Harry heraus. Er stirbt langsam und qualvoll, während der Grimm ihm dabei zusieht."
Sie hob die Augenbrauen hinter ihrem Brillengestell hervor. Ihre geweiteten Augen wirkten durch die zusätzliche Vergrößerung der Brille, als würden sie gleich herauskullern. „Vielen Dank, Miss Black. Es reicht für heute. Schicken Sie doch bitte den Nächsten hoch." Sie vergaß ganz, geheimnisvoll zu klingen.
Ein Ball der Enttäuschung bildete sich in meiner Magengrube. In den anderen Fächern hatte alles so gut geklappt und hier hatte ich es derart versaut. Vermutlich hatte sie jetzt auch gemerkt, dass meine Prophezeiungen nichts als kreative Lügen waren.
Alles in allem war ich aber doch ganz zufrieden mit dem Verlauf der Prüfungen. Besonders stolz war ich allerdings auf meinen halbwegs geglückten Patronus in Anwesenheit eines Fast-Dementors. Solange diese Euphorie anhielt, sollte ich es vielleicht gleich nutzen und es nochmal versuchen. So kam es, dass ich mich erneut mit meinem Paten zum Üben in einem leeren Klassenzimmer traf.
„So sehr ich es auch bedauere, dir nicht augenblicklich zur Verfügung stehen zu können, muss ich leider noch etwas erledigen. Schließlich hast du deinen Wunsch nach einer Übungsstunde heute auch reichlich kurzfristig angekündigt. Deshalb muss ich dich bitten, hier auf mich zu warten."
Er warf mir einen eindringlichen Blick aus dunklen Augen zu, bis ich nickte. Dann griff er sich die dampfende Tasse, die er zwischendurch aufs Pult gestellt hatte und rauschte davon.
Ich wusste nicht, was er damit vorhatte und ob ich das überhaupt wissen wollte. In der Zwischenzeit konnte ich dafür hier schon einmal üben. Vermutlich hatte er absichtlich nicht sein Büro oder seine Gemächer benutzt, damit ich nichts Wertvolles zerstören konnte. In meinem ersten Jahr durchaus eine berechtigte Sorge, mittlerweile beherrschte ich meinen Zauberstab und meine Fähigkeiten aber doch ausreichend, um keine Katastrophen mehr zu verursachen.
„Expecto Patronum!" Wieder ein silberner Schleier, vielleicht der Stärkste bisher. Allerdings immer noch nicht mit Harrys zu vergleichen. Das musste doch noch besser gehen! Einen gestaltlichen Patronus erwartete ich zum aktuellen Zeitpunkt doch noch gar nicht, aber mehr als das Bisschen, das noch nicht einmal dem Licht meines Zauberstabs Konkurrenz machte. Ein einfacher Lumos-Zauber sah beeindruckender aus als das.
Mein Blick streifte die langsam aufgehenden Sterne über dem Schlossgelände. Der vor wenigen Minuten noch so malerisch rote Himmel war schwarz geworden und die Dunkelheit senkte sich auf Hogwarts herab. Ich wünschte, mein Patronus wäre endlich auch so hell und strahlend wie einer der Sterne. Oder besser wie der Vollmond, den es heute noch geben sollte. Im Moment ließ er sich aber noch nicht blicken, vielleicht verdeckten ihn auch einige Wolken.
Immer noch auf der Suche nach der silbernen Scheibe am Himmelszelt, lenkte mich plötzlich ein ganz anderes Licht ab. Ein deutlich näheres Leuchten funkelte auf den Schlossgründen auf und bewegte sich hektisch hin und her.
Ich kniff die Augen zusammen in der Hoffnung, mehr entdecken zu können. Das Licht erhellte mindestens zwei Gestalten, die vor der Peitschenden Weide standen. Ein eigenartiger Treffpunkt. Offenbar sah der Baum das ähnlich, denn immer wieder schlug er mit seinen Ästen nach den Personen und versuchte sie zu verletzen. Doch immer wieder sprangen sie beiseite, wobei sie ihre liebe Müh damit hatten.
Wer bei Merlins grüngepunkteter Unterhose traf sich nachts bei der Peitschenden Weide und machte sich einen Spaß daraus, ihren Zweigen auszuweichen? Natürlich hatte ich eine Theorie, doch hätte ich sie nicht für wahr gehalten. Dann erkannte ich allerdings die unverkennbaren buschigen Haare der kleineren Gestalt und auch die hagere Gestalt des anderen kam mir sehr bekannt vor. Doch wo war der Dritte im Bunde? Der Große, dessen rote Haare man wohl auch in diesen schummerigen Lichtverhältnissen hätte leuchten sehen?
Er fehlte ganz klar. Obwohl ich in einem Klassenzimmer im sicheren Schloss stand, schlug mein Herz mir bis zum Hals. Harry, Ron und Hermine hatten ganz klar wieder etwas angestellt. Und so, wie ich ihr Gehopse deutete, steckten sie ganz tief in Schwierigkeiten. Versanken geradezu darin. Brauchten jemanden, der sie wieder befreite und ihnen ein rettendes Seil zuwarf. Selbstlos, wie ich war, beschloss ich, dass ich diese Person sein wollte.
Hatte ich die letzten beiden Jahre noch mit mir gerungen, ob ich mich einmischen sollte, brannte ich jetzt förmlich darauf. Vielleicht hatten sich einige Dinge geändert und ich hatte mich geändert, aber ich wollte nur noch raus und mich mit ihnen in das Abenteuer stürzen. Worum auch immer es diesmal gehen sollte. Mit Basilisken quatschen? Klar, warum nicht! Prügeleien mit dem Dunklen Lord anfangen? Na logo! Die Peitschende Weide verkloppen? Natürlich, irgendjemand musste es ihr ja mal heimzahlen! Vielleicht war es auch eine extrem merkwürdige Racheaktion für Harrys Nimbus, den der Baum immerhin früher im Schuljahr zu Kleinholz verarbeitet hatte.
Schon jetzt rauschte das Adrenalin durch meine Adern. Gegen den dadurch aufkommenden Tatendrang kam ich gar nicht an. Ich schnappte mir etwas Pergament aus einer der Schubladen des Lehrerpults und kritzelte für meinen Paten einige Zeilen darauf. Kurz glitten meine Gedanken zu Blaise, der bestimmt froh darüber war, dass er nicht hier war. Sonst hätte ich ihn vielleicht wieder als Posteule missbraucht. Wobei man die gewöhnlich nicht zur Regungslosigkeit verdammte.
Im Klassenzimmer war sonst leider nichts Nützliches mehr. Es sei denn, ich käme mit Pergament und Füllfedern gegen das diesjährige Übel an. So beließ ich es also bei meinem Zauberstab.
Auf dem Weg nach draußen begegnete ich niemandem. Bis ich um die Ecke bog und mich plötzlich Auge in Auge mit Peeves sah. Der Poltergeist kicherte boshaft, als er mich erkannte.
„Soso, die kleine Black also mal wieder. Treibt sich nachts in der Schule herum. Wenn das ihr werter Pate wüsste ... aber was soll sie auch tun? Schließlich kommt sie ganz nach dem Onkel."
„Wer sagt dir denn, dass ich nicht die ausdrückliche Erlaubnis habe, hier herumzulaufen?", hakte ich nach und versuchte mich an einen bestimmten Zauberspruch zu erinnern.
„Mein gesunder Geistesverstand! Hach, der war gut! Verstehst du? Wegen Geisteszustand und Menschenverstand?" Er lachte sich halb tot über seinen nur halb lustigen Witz. Dann wurde seine Miene mit einem Mal wieder ernst und seine Augen begannen boshaft zu glitzern. „Wollen wir es drauf anlegen? Ich kann gerne jederzeit anfangen nach Hilfe zu schreien. Die kleine Black schmuggelt ihren Onkel ins Schloss!"
Dass er mich als klein bezeichnete, war mehr als lachhaft, schließlich überragte ich ihn um einige Köpfe. Mir fiel aber der Spruch wieder ein und mit einem Zauberstabschlenker wandte ich ihn auch direkt an: „Waddiwasi!"
Ein Knopf meiner Strickjacke löste sich und schoss mit Schwung in sein Nasenloch. Prustend versuchte er ihn wieder herauszubekommen. Lächelnd besah ich mir noch kurz mein Werk, doch dann fiel mir wieder ein, warum ich hier war. Schließlich war ich auf Rettungsmission!
Mit einem Knopf weniger an der Schuluniform verließ ich das Schloss. Draußen umgab mich sofort die Dunkelheit. Doch den Weg zur Peitschenden Weide kannte ich. Zudem leuchtete dort immer noch Harrys Zauberstab.
Doch als ich nach einigem Rennen und mit stechender Lunge dort ankam, war das Licht verschwunden. Sogar die Weide war ruhig, nur der Wind ließ ihre Blätter etwas rascheln. Sie schlug noch nicht einmal nach mir aus, obwohl ich mittlerweile in ihrem Aktionsradius sein müsste.
Ich fragte mich schon, ob ich es mir vielleicht nur eingebildet hatte. Nach einiger Betrachtung entdeckte ich doch noch etwas, was auf die vorangegangenen Geschehnisse hindeutete. Etwas glitzerte leicht im Gras. Nicht besonders auffällig, aber wenn man danach suchte, bemerkte man es schon.
Vorsichtig griff ich danach und erkannte Harrys Tarnumhang. Vielleicht hatte Ron sich vorhin unter dem versteckt gehalten, aber zurücklassen würden sie ihn sicher nicht. Nun, jetzt hatte ich definitiv die Gewissheit, dass die drei hier vorbeigekommen waren. Um weniger leicht vom Schloss aus entdeckt zu werden, schlüpfte ich schnell in den Umhang und stülpte auch noch die Kapuze über. Jetzt sah man mich so schnell nicht mehr.
Aber wohin waren sie nur gegangen? Das Licht hatte sich nicht von hier wegbewegt, ich hatte nur kurz auf den Weg geblickt und es war verschwunden. Hier war nur die Peitschende Weide, alles andere befand sich noch etwas weiter weg.
Mir kam ein merkwürdiger Gedanke: wenn sie bei der Peitschenden Weide verschwunden waren, dann gab es hier vielleicht einen Geheimgang. Nach der Direktverbindung von Slytheringemeinschaftsraum und Kammer des Schreckens hätte ich vielleicht früher darauf kommen sollen. Es würde mich zumindest nicht mehr wundern.
Ich erhellte nun meinerseits meinen Zauberstab und leuchtete den Baum Stück für Stück ab. Noch immer rührte er sich nicht. Hier musste definitiv ein Zauber angewandt worden sein.
Zwischen den Wurzeln schien das Licht geschluckt zu werden. Gebückt trat ich näher und spähte in das klaffende Loch zwischen den Wurzeln. Es war gut genug versteckt, sodass man es nur bei näherer Betrachtung entdeckte. Das Holz über mir knarrte und ich beeilte mich, in den Gang hineinzurutschen. Die Füße zuerst, glitt ich hinein.
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