Kapitel 27 - Wir werden alle sterben!
Nach dem eigenartigen Treffen mit Blaise brachte ich das Tagebuch noch doch noch zu einem Lehrer. Ich entschied mich für Lupin, weil es einerseits in sein Fachgebiet fiel und ich ihn andererseits nicht ganz gerecht behandelt hatte. Genau das, was ich ihm vorgeworfen hatte, nämlich mich zu verurteilen, ohne mich zu kennen, hatte ich auch bei ihm getan. Das war jetzt eine Art Vertrauensbeweis, ein Friedensangebot.
Er reagierte allerdings nicht auf mein Klopfen und seine Bürotür war fest verschlossen. Da änderte auch das „Alohomora" nichts, das ich spaßeshalber probierte. Allerdings hätte es nun wirklich nicht für ihn und seine Qualitäten als Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste gesprochen, wenn man so einfach einbrechen konnte. Da ich nicht reinkam, verwendete ich das Pergament und kritzelte eine Nachricht darauf. So etwas wie, dass ich das Tagebuch gefunden hatte – spezifischer wurde ich nicht – und mir nicht sicher war, worum es sich genau handelte. Ob es gefährlich war.
Es wäre doch recht praktisch, wenn er es für mich entschlüsselte. Wobei ich mir die Weihnachtsferien eigentlich auch gut damit hätte vertreiben können. Schließlich hatte ich absolut nichts vor und meine Freunde fuhren weitestgehend heim. Hermine, Harry und Ron blieben aber hier.
Mit ihnen verbrachte ich dann auch die meiste Zeit, sobald ich Eva, Dean, Seamus und Neville verabschiedet hatte. Dann kam jedoch endlich der Weihnachtsmorgen. Ich wurde von lautem Geraschel geweckt. Hermine packte bereits ihre Geschenke aus, während Krummbein im Halsband aus Lametta mit einem zerknüllten Geschenkpapierfetzen spielte.
„Entschuldigung", begrüßte mich Hermine zerknirscht. „Hoffentlich habe ich dich nicht aufgeweckt."
Ich winkte ab und streckte mich. „An Weihnachten kann man doch gar nicht früh genug wach sein. Außerdem kann ein Morgen gar nicht schlecht sein, wenn es Geschenke gibt."
Fahrig angelte ich mir ein kleines Päckchen. Es war überraschend dünn, vielleicht enthielt es sogar nur eine Karte. Doch es war nicht nur eine etwas krakelig beschriebene Grußbotschaft darin, sondern auch ein Spiegel. Das in Verbindung mit dem pinken Geschenkpapier bedeutete wohl, dass es von Lavender war. Ich stellte den Spiegel etwas seufzend auf meinen Nachttisch. Dabei konnte ich besonders morgens eigentlich gut darauf verzichten, mich im Spiegel zu sehen. Den Mund zu einem herzhaften Gähnen aufgerissen und mit verwuschelten Locken starrte mein Spiegelbild mich an.
Es war aber vielleicht doch gar nicht so gut, auch die restlichen Präsente im Halbschlaf auszupacken. So erinnerte ich mich nämlich an kaum etwas davon. Wobei ich mich schwach zu erinnern glaubte, ein Buch mit selbstgezeichneten Nifflerbildern von Dean bekommen zu haben.
Irgendwann stand ich jedenfalls unten im Gemeinschaftsraum und trug einen neuen, dunkelgrünen Weasley-Pullover mit aufgesticktem weißem E. Er erinnerte mich etwas an die Hausfarben von Slytherin. Vermutlich hatte Molly sich durch die letztjährigen Ereignisse etwas inspirieren lassen.
Ich wollte mich aber nicht beschweren. Sondern eigentlich nur zum Frühstück. Hermine ging die Jungs wecken, als ein lauter Schrei aus deren Schlafsaal kam. Nun war ich wach. Kurz darauf stürmten Harry und Ron die Treppe nach unten. Harry schwang einen Besen hin und her.
Habe ich gerade einen Besen gesagt? Nein, es war nicht nur irgendein Besen, sondern ein Feuerblitz, wie mir Ron etwa alle halbe Minute freudestrahlend erklärte. Hermine kam erst jetzt deutlich weniger euphorisch die Treppe hinunter. Eigentlich blickte sie sogar ziemlich ernst, von weihnachtlicher Stimmung war bei ihr nichts mehr zu spüren.
„Denkt ihr nicht, dass es eigenartig ist, dass Harry gerade jetzt einen neuen Besen bekommt? Ganz ohne Karte oder Hinweis?", fragte sie uns und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ron bedachte sie nur mit einem Gesichtsausdruck, als habe sie soeben erklärt, den Dunklen Lord heiraten zu wollen. Kurz: als wäre sie völlig übergeschnappt. Auch Harry konnte ihre Sorgen nicht recht nachvollziehen. Deshalb sah sie nun mich erwartungsvoll an.
Da musste ich ihr einfach zustimmen. „Das ist wirklich nicht ganz normal."
„Normal?", wiederholte Ron. „Normal ist der Feuerblitz in keiner Hinsicht! Er verdient es auch nicht, mit diesem Wort im gleichen Satz genannt zu werden."
Harry setzte immer noch mehr aufs Beschwichtigen. „Bestimmt haben Dumbledore oder McGonagall den Besen geschickt. Von wem sollte er schon groß sein?"
„Denkst du wirklich, dass der Schulleiter einem Schüler solche teuren Geschenke macht?", hakte Hermine mit feurigem Blick nach. „Wenn das rauskommt, wollen das doch alle haben!"
„Eben", sagte Ron. „Deshalb hat er ja auch keine Karte geschrieben, damit es nicht rauskommt und sich niemand beschwert."
Hermine öffnete den Mund, sagte dann aber doch nichts. Man konnte ihr allerdings ansehen, dass es weiterhin in ihr ratterte und sie es nicht einfach auf sich sitzen lassen konnte. Schließlich schnappte sie sich mich und ging mit mir zum Frühstück.
Auch mir war nicht ganz wohl bei dem Gedanken daran, wer Harry den Besen wohl geschenkt hatte. Aber ich hielt mich bei Streitigkeiten meistens lieber raus. Und bei dem hier hatte ich das starke Gefühl, dass es ein handfester Streit werden würde.
Die Stimmung war auch immer noch angespannt, als wir zum Mittagessen in die Große Halle gingen. Alle vier Haustische waren an die Wände geschoben worden, um Platz für einen einzigen Tisch zu machen. Daran hatten bereits die Professoren Dumbledore, McGonagall, Sprout und Flitwick Platz genommen, ebenso wie Filch, der trotz seines relativ festlichen Gewandes irgendwie fehlplatziert wirkte.
Mein Pate war nicht da, er war die Ferien über nicht in Hogwarts. Wobei ich mir auch nicht ganz sicher war, was er stattdessen machte. Dafür waren noch drei andere Schüler da: zwei Erstklässler mit glänzenden, aufgerissenen Augen und ein Fünftklässler aus Slytherin. Er machte ein Gesicht, als ob er lieber rohe Schnecken gegessen hätte, als Weihnachten zu feiern.
„Frohe Weihnacht", wünschte uns Dumbledore, während wir hereinkamen und den reich gedeckten Tisch bewunderten. „Setzt euch ruhig, setzt euch."
Das taten wir dann auch. Harry und Ron setzten sich allerdings auf die zwei freien Plätze neben Sprout und Flitwick, sodass Hermine und ich uns zwischen den Slytherin und die Fünftklässler quetschten. Sofort rötete sich das Gesicht des Jungen neben mir noch mehr und er wandte sich an seinen Mitschüler und tuschelte mit ihm. Das sich so etwas nicht gehörte, wusste er entweder nicht oder es war ihm vor lauter Aufregung entfallen. Bei den Malfoys hätte Lucius mir eine saftige Strafe dafür aufgebrummt.
Bevor ich mich weiter darüber aufregen konnte, öffnete sich das Portal zur Eingangshalle erneut. Für einen Sekundenbruchteil hatte ich die irrationale Angst, es wäre Sirius Black. Stattdessen war es aber nur Trelawney, die förmlich hereingeschwebt kam.
„Das ist aber eine Überraschung, Sybill", sagte Dumbledore und erhob sich.
„Ich habe in meine Kristallkugel geblickt", verkündete sich und bemühte sich, noch nebulöser zu klingen als sonst. „Und zu meiner großen Überraschung sah ich mich selbst von meinem Turm hinabsteigen und mich Ihrem kleinen Fest anschließen. Daher bitte ich Sie auch, meine Verspätung zu entschuldigen, die Zukunft ist zu sprunghaft für genaue Zeitangaben."
Obwohl sie das bei keinem anderen Lehrer jemals gewagt hätte, beugte Hermine sich leicht zu mir und zischelte: „Ist klar. Warum hat sie dann Lavender ein genaues Datum gesagt? Diese Frau ist dermaßen lächerlich."
Dumbledore zauberte ihr noch einen Stuhl und ein zusätzliches Gedeck. Doch sie setzte sich nicht. Stattdessen glitten ihre riesigen Insektenaugen am Tisch entlang. Sie stieß einen schrillen Schrei aus. Hermine und McGonagall verdrehten nur die Augen.
„Aber was ist denn, Sybill?", erkundigte sich Dumbledore und behielt erstaunlicherweise seine Ruhe bei.
„Dreizehn!", rief sie tränenerstickt. „Ich kann mich nicht setzen, Direktor, denn sonst wären es dreizehn!"
Der Schulleiter betrachtete sie nur über den Rand seiner Brille und schien kein Problem damit zu haben.
„Sie wissen doch, was man darüber sagt. Wenn dreizehn zu Tisch beisammensitzen, wird der Erste, der ihn verlässt, einen grausamen Tod sterben!" Mit zitternder Hand griff sie sich an ihr in mehrere Stofflagen gehülltes Herz.
„Dieses Risiko werden wir eingehen müssen", befand McGonagall mit kalter Stimme. „Schließlich haben Sie in Ihrer Kristallkugel gesehen, wie Sie mit uns essen. Außerdem wird der Truthahn kalt."
Zögerlich nahm die Wahrsagelehrerin nun doch Platz. Allerdings schloss sie die Augen und verschränkte die Hände krampfhaft ineinander, als wolle sie noch irgendwelche Schicksalsgötter um Beistand bitten.
Der Rest von uns ignorierte sie weitestgehend, wir waren ja bereits an ihre Allüren gewöhnt. Ich schaufelte mir meinen Teller voll. Sie war auch erstaunlich ruhig und fragte nur einmal, wo sich Professor Lupin denn befinden würde. Aber nachdem McGonagall ihr erklärte, dass er krank war und sie das doch sicherlich gewusst hatte, blickte sie nur pikiert und bejahte. Vermutlich wollte sie mit dem darauffolgenden Schweigen den Schein ihrer Allwissenheit bewahren.
Nachdem ich voll und satt war und überdies mit einer umfassenden Sammlung an Geschenken aus Knallbonbons ausgestattet, erhob ich mich und schüttelte leicht meinen Fuß, der unangenehm kribbelte. Harry und Ron sammelten ebenfalls ihre Präsente zusammen, deshalb ging ich zu ihnen hinüber. Vielleicht könnte ich nach dem Essen nämlich mal Harrys neugewonnen Feuerblitz testen. So merkwürdig ich es auch fand, dass keine Karte dabei gewesen war, meines Wissens nach war der Besen mit besonderem Fluchschutz versehen. Und selbst wenn er doch verzaubert war, für die kurze Zeit in der Luft würde mir wohl auch nichts passieren.
Hermine starrte mich mit zusammengekniffenen Lippen an, weil ich bei den Jungs stand und nicht bei ihr. Um ihren Blick nicht länger ertragen zu müssen, schnappte ich mir Krätze vom Tisch, der soeben begonnen hatte, Harrys neugewonnenen Spitzhut anzuknabbern. Die Ratte erstarrte in meinem Griff. Ich konnte es ihr nicht verübeln, sie hatte in den letzten Monaten derart abgenommen, dass jede Berührung ohne seine schützende Speckschicht wohl noch deutlicher zu spüren war.
Ein Schrei hallte durch den Raum. Wieder hatte ihn Trelawney ausgestoßen. „Miss Black, Sie ... Sie ...", stammelte sie und rang um Fassung. „Sie sind aufgestanden."
Ich wollte erst unbekümmert mit den Schultern zucken und „Ja, und?" sagen, dann fielen mir aber ihre Worte von vorhin wieder ein. Dass der Erste, der aufstand, sterben würde. Jetzt hatte ich doch einen Kloß im Hals.
„Nun machen Sie dem armen Mädchen aber keine Angst", mahnte McGonagall und warf mir einen aufmunternden Blick zu. „Solange kein Verrückter axtschwingend vor der Tür lauert, stirbt hier niemand."
Ron stand nun ebenfalls auf, ebenso wie Harry. „Selbst wenn, dann wären wir auch mit dabei und würden es nicht zulassen", verkündete der Rotschopf und legte mir brüderlich einen Arm über die Schulter. Außerdem nahm er mir seine Ratte ab, die immer noch schlaff in meinen Händen gebaumelt hatte.
Zu dritt verließen wir die Große Halle. Und wurden nicht von einem Axtmörder niedergemeuchelt, auch wenn ich meine Schritte in der Eingangshalle sicherheitshalber leicht beschleunigte.
Wir kamen unbeschadet am Portrait von Sir Cadogan an, der uns alle jeweils nicht weniger als ein Dutzend Male zum Duell aufforderte, bevor er uns schließlich doch hineinließ. Harry ging schnell nach oben um seinen Besen zu holen. Ron begleitete ihn, schließlich konnte der es den Verrückten mit Axt ja doch geben. Wahrscheinlicher fand ich es jedoch, dass er jede Chance nutzen wollte, den Feuerblitz zu bestaunen.
Das sollte mich nicht stören, in der Zwischenzeit streichelte ich eben Krummbeins flauschiges Fell. Der Kater hegte mal wieder Mordabsichten gegenüber Krätze. Keine Sekunde lang ließen die orangenen Lampenaugen das Nagetier unbeobachtet.
Noch bevor die Jungs mit dem Fluggerät zurückwaren, schwang die Portraitluke auf. Überrascht drehte ich mich zu meiner Hauslehrerin um. Für ihr Alter kletterte sie überraschend geschmeidig durch die Öffnung. Hinter ihr kam ein mir sehr bekannter Wuschelkopf zum Vorschein. Die Schuld stand Hermine ins Gesicht geschrieben – besonders als sie Harry und Ron mitsamt Besen die Treppe hinunterpoltern sah.
„Mr Potter, Mr Weasley, da sind Sie ja." McGonagall blickte sie über den Rand ihrer Brille an. „Ich bin enttäuscht von Ihnen! Sie erhalten einen womöglich schwarzmagisch verzauberten Gegenstand ohne jeglichen Hinweis auf seine Herkunft als Geschenk und erachten es nicht für nötig, mir Bescheid zu geben?" Die Jungs hatten den Anstand, betreten zu Boden zu blicken. Ich kraulte weiter Krummbein und verfolgte die Standpauke, froh, nicht betroffen zu sein. Doch dann wandte sie die Lehrerin auch mir zu. „Und sie auch nicht, Miss Black? So sehr ich mittlerweile von Ihrem Bedürfnis nach Abenteuer weiß, sie hätten wenigstens einmal an die Gefahren denken sollen!"
Auch ich wich ihrem Blick aus. McGonagall zu enttäuschen war das Letzte, was ich wollte. Allerdings konnte ich es trotzdem nicht lassen, mich in fremde, aber abenteuerversprechende Angelegenheiten zu mischen.
„Hiermit ist der Feuerblitz konfisziert", verkündete McGonagall und streckte die Hand aus. Wiederstrebend reichte Harry ihn ihr. Hermines Gesicht war ein Bad der Gefühle. Freude über die von ihr abgewandte mögliche Gefahr und Schuld, weil sie ihre besten Freunde verpetzt hatte. Zusammen mit Rons zusammengekniffenen Augenbrauen würden das sicherlich noch fantastische Ferien werden.
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