Kapitel 22 - Lupins Lebenstipps
Die Ereignisse des Quidditchspiels zogen tatsächlich einige Folgen nach sich. Wenn auch nicht die, die ich angenommen hatte. Harry und ich hatten beide darauf gedrängt, möglichst früh wieder von der Krankenstation entlassen zu werden. Und schließlich hatte Madam Pomfrey zugestimmt. Wahrscheinlich waren wir ihre anstrengendsten Patienten, mit unseren ständigen Nachfragen und Versuchen, uns wegzuschleichen.
Severus hatte wohl wirklich etwas bewirken können mit seinen Beschwerden über den neuerlichen Grenzübertritt der Dementoren. Nach der nächsten Verteidigungsstunde, die leider wieder Lupin abhielt und nicht mein Pate, rief Ersterer mich zu sich.
Im gleichen Atemzug nannte er allerdings auch Harry, woraufhin wir einen verwunderten Blick wechselten. Mein Mitschüler war deutlich besser mit dem Verteidigungslehrer bekannt. Deshalb ergab es eigentlich auch wenig Sinn, den Schüler her zu zitieren, den er am besten kannte und die Schülerin, die ihn am wenigsten kannte und ihn bei ihrem letzten persönlichen Gespräch mit Vorwürfen überhäuft hatte. Meine Meinung über ihn hatte sich nicht wirklich verändert.
„Was ist denn, Professor?", wollte Harry wissen, während ich genervt guckte.
„Ich habe von dem Vorfall beim Quidditchspiel gehört", erklärte Lupin und lehnte sich gegen die Tischkante. „Und wenn ich gehört sage, dann meine ich, dass Professor Snape mir regelrecht aufgelauert hat und mir damit in den Ohren gelegen hat. Er sorgt sich offenbar sehr um Ihre Sicherheit."
Harry schnaubte. Von diesen Sorgen merkte man im Zaubertränkeunterricht aber so gar nichts. Aber vermutlich bezog sich sein Kummer auf mich.
„Sie beide scheinen stärker betroffen zu sein, als alle anderen Schüler", fuhr der Verteidigungslehrer fort.
„Woran liegt das?", wollte Harry wissen. Das interessierte mich allerdings auch. Andererseits sah ich keinen Grund, mehr mit Lupin zu sprechen, als unbedingt nötig. Er würde ja doch falsche Schlüsse ziehen und meinen Onkel in mir sehen.
Unser Lehrer ließ den Blick aus dem Fenster schweifen. „Bei Miss Black spielt sicherlich die enge Verwandtschaft zum Gesuchten eine Rolle." Tada, Meinung mal wieder bestätigt! Er hielt meine Verwandtschaft für ausschlaggebend und erwähnte sie. Dabei sollte man doch erwarten, dass die Wachen Askabans genug differenzieren können. Das sollte wohl also nicht der wahre Grund für die auf mich zuschwebenden Dementoren sein. „Aber wie auch bei Ihnen, Harry, gibt es höchstwahrscheinlich genug schreckliche Erlebnisse und Erinnerungen, von denen der Dementor zehren kann."
„Danke für den Hinweis auf mein miserables Leben", sagte ich ironisch und wandte mich schon zum Gehen.
„Warte, Nora!", rief Lupin und sprang hastig vom Tisch auf.
Auf dem Absatz drehte ich mich um und musterte ihn misstrauisch. In seiner Stimme hatte so viel Verletzlichkeit gelegen. „Für Sie weiterhin Miss Black oder Eleonora." Trotz meiner scharfen Worte stellte ich meine Tasche wieder ab.
„Können Sie uns beibringen, wie wir uns gegen die Dementoren wehren können?", wollte Harry mit hoffnungsvollem Blick wissen. Das schien ihn viel mehr zu interessieren als der Beinahe-Streit zwischen dem Lehrer und mir.
Lupin blickte kurz zu mir und richtete den Blick seiner grünen Augen wieder auf meinen Mitschüler. „Das kann ich tatsächlich. Zumindest versuche ich es, aber versprechen kann ich natürlich nichts."
Freudestrahlend drehte sich Harry zu mir und stockte angesichts meiner zusammengezogenen Augenbrauen. „Freust du dich etwa nicht, ihnen etwas entgegensetzen zu können?"
„Doch, natürlich." So natürlich fühlte es sich aber nicht an. Stattdessen war ich innerlich zerrissen zwischen meiner Abneigung Lupin gegenüber und seinen Vorurteilen und meinem Wunsch, mich gegen die Dementoren wehren zu können. Denn solange mein Onkel nicht gefunden wurde und die Wachen Askabans weiterhin hier nach ihm suchten, konnte es jederzeit wieder zu weiteren „Verwechselungen" kommen. Und vielleicht endeten die nicht mehr so glimpflich für mich.
„Wann können wir anfangen?", wollte ich nur wissen und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Etwa nach Weihnachten. Vorher habe ich leider noch keine Zeit."
Sollte er sich nicht – keine Ahnung, vielleicht eine blöde Idee – aber Zeit nehmen, damit zwei seiner Schüler nicht mehr weiter unnötigen Gefahren ausgesetzt wurden? Ich schluckte aber meinen zynischen Kommentar hinunter und dachte an das Gefühl der Freiheit, dass ich wieder haben würde, wenn Severus erst keine Gefahren für mich mehr in Black oder den Dementoren sah. Wie sehr ich Ausflüge nach Hogsmeade genießen würde.
Glücklich wegen des konkreteren Zeitpunkts verabschiedete sich Harry und verließ das Klassenzimmer. Vermutlich, um alles gleich haarklein Ron und Hermine zu erzählen. Eigentlich wollte ich es ihm gleichtun, aber Lupin rief mich noch einmal zurück.
„Ich verstehe, wenn du sauer auf mich bist", fing er an. Klang schon mal vielversprechend. „Mein Verhalten muss auf dich so gewirkt haben, als würde ich dich dauernd mit deinem Onkel vergleichen. Das tue ich aber nicht."
„Nicht?", echote ich und hob die Augenbraue.
„Na ja, ich bemühe mich, es nicht zu tun", korrigierte er sich. „Allerdings vergleiche ich dich auch nicht mit dem heutigen Massenmörder", er erschauderte bei dem Wort, „sondern mit dem Jungen, den ich damals in Hogwarts kennengelernt habe."
„Sie kannten meinen Onkel?", fragte ich ehrlich verblüfft und vergaß für einen Moment, dass ich eigentlich ziemlich wütend auf ihn war.
Er nickte. „Zu Schulzeiten zählte er zu meinen besten Freunden. Und es ist wirklich schwer, ihn nicht in dir zu sehen, dafür seid ihr euch zu ähnlich. Derselbe Sturschädel, das gleiche Temperament, sogar euer Zynismus unterscheidet sich kaum voneinander."
Ich schwieg. Wusste nicht, was ich sagen sollte. Die ganze Zeit über hatte ich ihn für einen zutiefst vorurteilsbeladenen Menschen gehalten. Und nun stellte sich heraus, dass das nur die halbe Wahrheit war.
Aus dieser Unsicherheit heraus stellte ich die vielleicht blödeste Frage in diesem Moment. „Haben Sie damals schon gemerkt, was für ein Mensch er war?"
Er wich meinem Blick aus und schüttelte den Kopf. „So etwas hätte ich nie für möglich gehalten. Ich wäre ohne zu zögern für ihn gestorben."
„Aber denken Sie nicht, dass er es vielleicht auf Sie abgesehen haben könnte?", hakte ich nach und musste feststellen, dass ich fast schon klang wie Severus. Der sah auch in jedem, zu dem Sirius irgendeine Bindung hatte, eine Person, für die es bald eine Beerdigung auszurichten galt.
Sein Blick schweifte in die Ferne. „Vielleicht. Aber was sollte ich schon dagegen tun? Er würde mich überall finden, egal, wo ich mich verstecke." Lautes Seufzen. „Aber du bist ja Regulus Tochter, nicht wahr?"
Ich nickte und fragte mich, was jetzt kommen würde. Wenn mein Pate sich schon derart über Sirius und dessen Allüren in seiner Jugend beschwert hat, dann war Lupin als sein Freund bestimmt nicht besser gewesen. Es stand jedenfalls nicht zu vermuten, dass er meinen Vater wirklich gekannt hatte.
„Mein Beileid."
„Ich kannte ihn ja gar nicht." Das hätte ich aber sehr, sehr gerne. Deshalb klammerte ich mich an jede Chance, mehr über ihn und meine Mutter herauszufinden. Sogar bei Lupin, den ich vor Minuten noch nicht ausstehen hatte können, überlegte ich jetzt, ob er mir vielleicht Hinweise liefern könnte.
„Kannten Sie meinen Vater?", fragte ich deshalb und bemühte mich, nicht allzu viel Hoffnung aufkeimen zu lassen.
Er schüttelte den Kopf. „Regulus war für mich nicht viel mehr als Sirius kleiner Bruder, der ganz den Erwartungen seiner Eltern entsprach. Fleißig, ruhig, pflichtbewusst. So, wie Sirius eben nicht war."
„Und meine Mutter?"
Sein Blick huschte zu mir. „Vielleicht. Wer war sie denn?"
Ich wurde rot. „Das weiß ich nicht. Vielleicht Lauren und dann ein Nachname, der auch ein Männername ist."
Irritiert hob er die Augenbraue, als könnte er sich nicht vorstellen, wie jemand so wenig über die Frau wissen konnte, die einen geboren hatte. „Da muss ich leider passen. Hast du es schon mal im Archiv versucht? Dort lassen sie zwar eigentlich keine Schüler rein, aber vielleicht würden sie für dich eine Ausnahme machen."
Meine Wangen nahmen wieder die Farbe von Erdbeermarmelade an. Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass ich dort bereits in meinem ersten Schuljahr mit Fred und Georges Hilfe eingebrochen war. „Danke, dort ... war ich schon. Erfolglos."
Wobei – damals hatte ich den Namen Lauren noch nicht gewusst. Vielleicht sollte ich es tatsächlich nochmal probieren.
„Was ist eigentlich ihre persönliche Theorie, wie Sirius ins Schloss gekommen ist?", wollte ich wissen. Einerseits aus Interesse, andererseits, weil ich nun ehrlicherweise ihn als Komplizen im Verdacht hatte. Lupin machte zwar nicht den Anschein, als würde er ihm noch nahestehen. Eine riesige Wolke aus Müdigkeit umgab ihn, der wohl auch mit hundert Jahren Schlaf nicht beizukommen war. Fast, als würde das Leben selbst ihn auslaugen und jeder Gedanke an seinen ehemaligen Freund es noch verschlimmern.
Er beäugte mich mit erstaunlich scharfem Blick. „Ganz der Lehrer habe ich natürlich mehrere. Aber seien Sie sich versichert, dass ich Vorkehrungen treffe, die seine Möglichkeiten erheblich einschränken."
Ich wusste nicht ganz, was er damit meinte. Vermutlich einfach, dass er die Geheimgänge, von denen er wusste, versiegelte und mögliche Löcher in der magischen Abwehr schloss. Oder auch etwas völlig Anderes.
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