Kapitel 2 - Einen Besuch in London hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt
Wie ich es mir bereits gedacht hatte, hatte Eva an der Tür gelauscht. Als der Vertreter des Zaubereiministeriums die Tür aufriss, konnte sie gerade noch rechtzeitig beiseite springen. Sonst hätte er ihr nicht nur mit der Tür die Nase zermatscht, sondern sie anschließend auch noch über den Haufen gerannt.
Sobald der Fremde weg war, stürmte sie ins Wohnzimmer und umarmte mich fest. Sie versprach mir, dass sie alles tun würde, damit ich bei ihnen bleiben konnte.
Das tat sie auch tatsächlich. Statt weiterhin Quidditch zu spielen und unsere Zeit am See zu verbringen, brüteten wir über Gesetzestexten und Regelungen. Es war ein Glück, dass Jeremiah sie für seine Aufnahmeprüfung beim Ministerium gebraucht hat. Sonst hätten wir extra nach London gemusst, um sie bei Flourish & Blotts zu besorgen.
Und nach London müsste ich wegen der Verhandlung um meinen Vormund schon noch früh genug. Ich schrieb Severus Briefe, in denen ich meine Situation schilderte. Anders als ich erwartet hatte, war er aber keineswegs überrascht. Er hatte wohl schon länger mit einer solchen Reaktion von Lucius gerechnet, der wohl nur den richtigen Moment abgepasst hat. Jedenfalls sicherte er mir seine Hilfe zu.
Als ich wieder einmal bis spät nach Sonnenuntergang über den Büchern hing und mich nach dem einfacheren Schulstoff sehnte, kam Suzanne herein. Sie trug zwei Tassen heiße Schokolade und stellte eine vor mir ab.
„Das beruhigt die Nerven", erklärte sie und sah mich mitleidsvoll an. „Es tut mir wirklich leid, dass du das alles durchmachen musst. Dabei sollten die Ferien doch zur Erholung da sein. Und man sollte auch wirklich denken, dass das Ministerium Sommerpause oder so etwas hat."
Ich fühlte mich von ihren Worten getröstet und nippte vorsichtig am heißen Kakao. „Ehrlich gesagt: ich weiß nicht, ob ich es zulassen kann, dass ihr meine Vormünder werdet. Ihr habt doch schon so viel für mich getan."
Sie unterbrach mich mit einem energischen Kopfschütteln. „Nora, wir sehen dich doch nicht als Arbeit oder Verpflichtung an! Nein, wir würden gerne das Sorgerecht für dich übernehmen, weil wir dich mögen. Und gekocht werden muss sowieso. Eine Portion mehr oder weniger macht da keinen Unterschied."
Ich hatte nicht nur das Essen gemeint und wollte schon protestieren.
„Wenn dich das Ministerium tatsächlich ins Heim bringen würde, dann würde ich aber einen saftigen Artikel im Tagespropheten darüber schreiben!", verkündete sie und lächelte aufmunternd. „Sie müssen also Severus Snape oder uns zum Vormund machen. Es gibt gar keine andere Möglichkeit."
Die andere Möglichkeit schwirrte mir aber dennoch im Kopf herum. Besonders in der Nacht vor der Verhandlung hielt sich mich noch lange wach. Es fühlte sich an, als hätte ich nur einmal geblinzelt, als Suzanne uns wecken kam.
Ich stand länger als üblich vor meinem Schrankkoffer und überlegte, was ich wohl anziehen sollte. Normalerweise schlüpfte ich einfach in das, was gerade da war und achtete vielleicht noch darauf, ob es zusammen und zum Wetter passte.
Eva nahm mir die Entscheidung schließlich ab und warf mir eine leichte, dunkelblaue Bluse und eine schwarze Hose zu. Das warme Wetter war leider verflogen. Vor den Fenster des behaglich warmen Esszimmers peitschte der Wind Regentropfen vorbei, während wir ohne großen Appetit frühstückten. Hoffentlich war das Unwetter kein Zeichen.
Wir würden ins Zaubereiministerium apparieren. Wir, das hieß Suzanne und ich. Philip, Annabell und Eva blieben zuhause. Darüber hatte Eva sich schon die ganze Zeit beschwert, aber in der offiziellen Vorladung war von der Möglichkeit, seine beste Freundin mitzunehmen, nicht die Rede.
Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich zu Dean fliehen könnte, wenn ich nun wirklich nicht bei den McNamaras oder Severus bleiben durfte.
Im Garten streckte Suzanne mir ihre Hand hin, während Eva uns missmutig aber besorgt durch das Wohnzimmerfenster beobachtete. Ein letztes Mal atmete ich tief durch und ergriff ihren Arm. Der Boden wurde unter meinen Füßen weggerissen.
Nach endlosem Umhergeschleudere stand ich endlich wieder auf fester Materie. Stark schwankend bemühte ich mich um mein Gleichgewicht, während Suzanne neben mir sich schon umsah.
Wir standen (auch wenn das bei mir etwas beschönigend klang) in einer riesigen Halle, so hoch, dass man die Decke nicht einmal mehr gesehen hat. Ein goldener Brunnen mit den Statuen verschiedener Spezies plätscherte, wobei das Geräusch unter all den anderen etwas unterging.
Hier wurde definitiv gearbeitet. Viele Menschen strömten durch die Halle und bewegten sich wie Flussläufe in unterschiedlichen Richtungen aneinander vorbei. Doch nicht nur am Boden war Bewegung. Die Luft war erfüllt von Papierfliegern, die in Schwärmen durch die Halle flogen oder auch alleine unterwegs waren. Sie übermittelten Nachrichten zwischen den einzelnen Abteilungen, ohne aber den Dreck von Eulen zu machen.
Da es eine wahrhaftige Verhandlung sein würde und somit auch in den Gerichtssälen stattfand, zog mich Suzanne am Ärmel zu den goldenen Gitteraufzügen.
Gemeinsam mit einer alten, schnarchnasigen Hexe und einem jungen, nervösen Zauberer warteten wir auf das nächste freie Exemplar. Mit einem Rattern tauchte schließlich ein Aufzug im Schacht vor uns auf und öffnete seine Türen mit einem Pling. Eine Frauenstimme verkündete, dass wir uns auf der Ebene der Eingangshalle befanden.
Einige Zauberer und Hexen drängten uns entgegen und vorbei. Gemeinsam mit den anderen Wartenden traten Suzanne und ich hinein. An der Decke baumelten Haltegriffe, die sie mir dringend zu benutzen empfahl. Sobald der Aufzug losruckelte, wusste ich warum.
Als die alte Hexe schließlich in der Abteilung für Magisches Transportwesen ausgestiegen war und der junge Mann in die Gänge der Magischen Strafverfolgung verschwunden war, schoss der Aufzug endlich in die Tiefe, wieder auf unser Ziel zu.
Unten führte mich Suzanne mit ihrer Hand auf meinem Rücken vorwärts. Wir hielten vor einer unscheinbaren, schwarzlackierten Tür. Aufmunternd nickte Evas Mutter mir zu und ich klopfte an.
Eine knarrende Stimme, die aus der Tür selbst zu kommen schien, verlangte: „Weisen Sie sich aus und halten Sie Ihren Zauberstab zur Identifikation in den Schacht neben der Tür."
Ich stellte mich als „Eleonora Black" vor und tat wie geheißen und auch Suzanne folgte der Aufforderung. Bei der Identifikation meines Zauberstabs war ich schon vorsichtiger. Vielleicht würde das Gerät den Doppelkern als Bedrohung sehen und einen Alarm auslösen. Mit einem unwohlen Gefühl im Magen hielt ich meinen Stab in den Schacht, wo er von einer Metallkonstruktion übernommen wurde.
Wie silberne Hände drehten sie den Stab einmal um seine Achse und tasteten ihn einmal von oben bis unten ab. Das Ergebnis war wohl zufriedenstellend, denn er wurde mir tonlos zurückgegeben. Wieder tat meine Begleitung und vielleicht zukünftiger Vormund es mir nach.
Die Tür schwang auf und enthüllte einen Raum, der kleiner war, als ich erwartet hatte. Zwar waren die Gänge hier unten eng und dunkel, aber ich hatte nach der Dimension der Eingangshallte mindestens mit einem Raum von der Größe des Gemeinschaftsraums der Gryffindors gerechnet.
Stattdessen empfing uns ein Raum, der Platz für einen großen, voluminösen Schreibtisch für etwa drei Personen hatte und zusätzlich einige Sitzreihen. Viel mehr passte aber nicht mehr hinein. Ich hatte es mir spektakulärer vorgestellt. Andererseits interessierte sich wohl niemand wirklich für Verhandlungen über das Sorgerecht für fast dreizehnjährige Hexen.
Außer Suzanne und mir war bisher nur eine zarte, kleine Hexe in der Mitte des Schreibtischs anwesend und ein jüngerer Zauberer neben ihr. Bei unserem Eintreffen blickten beide auf.
„Hervorragend!", rief die Hexe und klatschte freudig in die Hände. „Da Miss Black ja nun hier ist, können wir eigentlich schon anfangen."
Ihr Sitznachbar runzelte die faltenfreie Stirn, beugte sich zu ihr hinüber und flüsterte etwas. Es entbrannte eine wilde, gezischelte Diskussion. Fast hätte ich es schon für Parsel gehalten. Suzanne und ich tauschten einen verwirrten Blick. Wir hatten nicht erwartet, dass es doch recht unkoordiniert ablaufen würde.
Am Ende ihres Disputs erhob sich der Zauberer und wies auf die vorderste Bank. „Entschuldigen Sie Ms Dougall", bat er und verdrehte betont die Augen. „Ich habe den Verdacht, dass sie es eigentlich nur auf die Übertragung eines Häkelwettbewerbs abgesehen hat, der später im Muggelfernsehen laufen soll."
Ich versuchte ein Gesicht zu machen, als wäre mir nun alles klar. Leider war das Gegenteil der Fall. War ich etwa schon wieder an einen derart seltsamen Mitarbeiter des Ministeriums geraten?
„Wann können wir denn anfangen?", wollte Suzanne wissen. Ich war froh um ihre Unterstützung, sonst hätte ich nicht gewusst, was ich tun sollte. Oder was vielleicht sogar von mir erwartet wurde. Aber als Autorin für den Tagespropheten hatte sie wohl schon einige Verhandlungen in diesen Räumlichkeiten mitbekommen und wusste, wie es ablief. Oder was bei Merlin ein Häkelwettbewerb war.
Der Mitarbeiter blickte auf sein Handgelenk, während die Hexe sich in die Unterlagen vertiefte. „In etwa zehn Minuten beginnt der Ausschuss offiziell. Da Sie ja aber schon anwesend sind, könnten wir es auch etwas vorverlegen. Unser drittes Ausschussmitglied ist leider kurzfristig an Drachenpocken erkrankt."
Eine schlimme Krankheit. Dracos Großvater war daran gestorben, mittlerweile gab es aber gute Überlebenschancen. Trotzdem wünschte ich dem unbekannten Mitarbeiter in Gedanken eine gute Genesung.
Fragend sah Evas Mutter mich an. „Willst du es jetzt oder erst in zehn Minuten beginnen?"
Ich seufzte. „Ich hätte es gerne möglichst schnell hinter mir. Beginnen wir."
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