Kapitel 13 - Seidenschnabel und Schattenschwinge
Eva erhob sich von ihrem Platz in Verwandlung und winkte mich zu sich nach vorne. „Wieso guckt ihr denn alle, als ob ihr bald zur Schlachtbank geführt würdet?"
Damit lag sie näher an der Wahrheit, als sie geglaubt hatte. Eindringlich flüsternd berichtete ich ihr im Schnelldurchlauf von den Ereignissen der Wahrsagestunde. Als reinblütige Hexe wusste Eva von den Sagen und Befürchtungen, die sich um den Grimm rankten. Auch sie konnte es kaum fassen, dass Harry das Todesomen in seinen Teeblättern gehabt hat.
McGonagall begann die Stunde, indem sie sich in eine Katze verwandelte und wieder zurück. Beifall heischend blickte sie sich in der Klasse um. Bleiche, erschrockene Schülergesichter starrten zurück.
„Na Sie müssen nicht gleich von Ihren Plätzen springen, aber etwas mehr Begeisterung hätte ich schon erwartet", sagte sie und guckte uns über den Rand ihrer Brille an. „Sie hocken ja geradezu da, wie ein trostloser Trupp Tauben!"
Neville erzählte ihr schließlich von den Ereignissen der vorherigen Stunde. Die Verwandlungslehrerin seufzte nur.
„Sybille beginnt ihren Unterricht gerne dramatisch. Ich habe selten einen Jahrgang gehabt, in dem sie nicht mindestens einem Schüler einen baldigen, schmerzhaften Tod vorhergesagt hat."
Triumphierend sah Hermine zu Harry und Ron, aber auch zu Lavender und Parvati, die sie vorhin so verurteilend gemustert hatten. Ich witterte bereits einen lauten Streit heute Abend im Schlafsaal.
„Mit ist bisher noch kein einziger Tod der betreffenden Schüler zu Ohren gekommen, deshalb werde ich Ihnen heute dennoch Hausaufgaben aufgeben. Sollte jemand in der Zwischenzeit versterben, lasse ich das natürlich als Ausrede zählen."
Eigentlich hatte ich nach der Stunde noch einmal zur Lehrerin gewollt, um sie nach ihren Andeutungen wegen meiner Eltern letztes Jahr zu fragen. Leider klingelte es aber bereits und sie rauschte aus dem Klassenzimmer, ohne dass ich sie hatte ausquetschen können.
Das nächste Unterrichtsfach war Pflege magischer Geschöpfe bei Hagrid. Es fand unten in der Nähe seiner Hütte statt, weshalb wir alle die Stufen hinunter auf Schlossgelände liefen. Schon auf dem Weg hinunter erkannten wir die grünen Umhänge der Slytherins. Ich stöhnte, als ich zu allem Überfluss auch noch Dracos blonden Haarschopf ausmachte. Blaise hingegen war nicht unter ihnen.
Hagrid begrüßte uns alle begeistert. „Willkomm zu meiner erstn Stunde. Ich hab mir gleich mal was Besonderes einfalln lassn. Hoffe, es gefällt euch."
„Was genau denn?", fragte Ron mit besorgter Stimme. Der Wildhüter war für seine Liebe für Tierwesen bekannt, die es nicht immer so gut mit ihm meinten, wie er mit ihnen. Im letzten Jahr waren Harry und Ron fast verspeist worden von Aragog, einem seiner Zöglinge. Die toten Frettchen, die um seinen Hals baumelten, wirkten nicht gerade vertrauenserweckend.
„Is ne Überraschung." Hagrid grinste. „Bücher braucht ihr erstmal übrigens nich, ihr könnt se erstmal hier lassn."
„Wir könnten sie ja ohnehin nicht benutzen", giftete Draco. Diesmal hörte der Wildhüter ihn aber.
„Natürlich könnt ihr das. Ihr müsst sie nur über den Rücken streicheln." Verzweifelt blickte er sich in der Klasse um und sah, dass wir alle sie mit den unterschiedlichsten Utensilien zugebunden hatten. Besorgt sah er zu Harry, der ihm beruhigend zunickte. „Dachte es wär passend."
„Ebenso passend wie der fette Koloss in ein Tutu", zischelte mein Cousin. Eva musste mich zurückhalten, damit ich ihn nicht schlagen konnte.
Der riesige Mann setzte sich in Bewegung und führte uns so dicht an den Verbotenen Wald, wie es wohl die wenigsten Schüler jemals gewesen waren. Dementsprechend ängstlich starrten sie in die dunklen Schatten zwischen den Bäumen. Jederzeit konnte ein Werwolf oder noch viel schlimmere Kreaturen daraus hervorspringen.
Doch unser neuer Lehrer führte uns zielsicher zu einem eingezäunten Areal. „Tadaa!", rief er und breitete die Arme aus.
„Jetzt ist er endgültig übergeschnappt", sagte Draco zu Crabbe und Goyle. „Hätten sie nur letztes Jahr auf meinen Vater gehört, müssten wir uns so etwas gar nicht bieten lassen."
„Halt die Klappe, Draco", sagte ich zu ihm. Er öffnete den Mund, bemerkte dann aber Eva, Dean, Seamus und Neville neben mir und schloss ihn wieder. Dieser kleine Feigling.
Mit einem einzigen Schritt war der Wildhüter mittlerweile über die etwa brusthohe Absperrung gestiegen und wanderte nun auf der Wiese rum. Er nahm eines der Frettchen und schwang es über seinem Kopf hin und her. Hoch kreischend näherten sich einige Tiere. Sie waren in etwa so groß wie Pferde und hatten auch ihren Hinterkörper. Doch ihr Rumpf und die Vorderbeine waren die von Adlern.
Furchtsam trat die Klasse einige Schritte zurück. Ich blieb stehen, da ich die dicken Lederkrausen um ihre Hälse bemerkte und die dicken Eisenketten, an denen sie zusätzlich gesichert waren. Die Enden waren im Boden verankert, sodass jedem Wesen nur ein bestimmter Bewegungsradius blieb.
„Wer möchte den Anfang machen?", fragte Hagrid und schritt lächelnd zwischen den Tieren hindurch. Gierig streckten sie sich nach den Frettchen.
Ron schubste Harry nach vorne, sodass es wirkte, als habe er sich freiwillig gemeldet.
„Schöne Sache, Harry", freute sich der Lehrer. „Schöne Sache."
Harry kletterte notgedrungen über den Zaun und warf Ron einen wütenden Blick zu. Langsam näherte er sich Hagrid und dessen tierischen Freunden, hielt aber noch Sicherheitsabstand.
„Harry wird euch alln mal zeign, wie man sich nem Hippogreifn nähert. Also Harry, du musst ihm die ganze Zeit in die Augn schaun, alles andre wertn sie als unhöflich. Dann verbeugst du dich, aber musst ihm immer noch in die Augn guckn. Wenn der Hippogreif sich auch verbeugt hat, kannst du ihn streicheln. Aber immer schön in die Augn sehn. Das is wichtich, verstandn?"
Hektisch nickte Harry und starrte wie gebannt auf das sturmgraue Exemplar vor sich. „Was mache ich, wenn er sich nicht verbeugt?"
„Ähm, tja ... lassn wir es einfach nich so weit kommn, oder?", stellte Hagrid die Gegenfrage und wirkte nicht unbedingt so, als hätte er sich zuvor Gedanken darüber gemacht. „Er heißt übrigens Seidenschnabel."
Keineswegs beruhigt näherte sich Harry dem stolzen Tier, das ihn starr aus gelb-goldenen Augen musterte. Er verbeugte sich langsam und hielt den Kopf immer in Richtung des Wesens. Eine gefühlte Ewigkeit musterte es Harry nur. Vor lauter Anspannung krallte Hermine sich in Rons Arm fest. Überrascht blickte er drauf und sie ließ ihn schnell wieder los.
Endlich verbeugte sich der Hippogreif. Hagrid klatschte und wir Gryffindors stiegen mit ein. Behutsam führte Harry seine Hand über das Gefieder des Tiers. Der Wildhüter hatte aber andere Pläne: er packte ihn um die Hüfte und setzte ihn kurzerhand auf den Rücken von Seidenschnabel und löste die Halskrause.
Befreit rannte er mit dem sich verzweifelnd festklammernden Passagier los und erhob sich in die Luft. Auf der Suche nach Halt schlang Harry die Arme um den Hals des Tieres, während er immer kleiner wurde. Nach einem kurzen Flug, in dessen Verlauf unser Mitschüler immer grüner im Gesicht wurde, landete der Hippogreif wieder und setzte ihn wohlbehalten am Boden ab. Harry stolperte etwas. Versuchte, sein Gleichgewicht wiederzufinden.
„Toll gemacht, Harry", gratulierte Hagrid ihn und klopfte ihm auf die Schulter. Harry sank ein Stück in den sumpfigen Grund der Koppel ein. „Jetzt seid ihr anderen dran."
Jeweils zu zweit oder dritt scharten wir uns um einen Hippogreifen. Eva zog mich zu einem Wesen, das weiter hinten angepflockt war und im Sonnenlicht in einem schönen Schwarz-Braun glänzte.
Unser Lehrer verriet uns, dass sie Schattenschwinge hieß und ging dann zu den anderen Gruppen, um sie zu unterstützen. Das war auch dringend nötig. Der Hippogreif von Dean, Seamus und Neville jagte letzteren soeben ein Stück über die Wiese. Er hatte erschreckt die Augen geschlossen, sobald sich das Tier bewegt hatte.
Eva machte den Anfang. Problemlos verbeugte Schattenschwinge sich vor ihr und ließ sich streicheln.
„Ihr Gefieder ist ganz weich", berichtete Eva mir entzückt.
Nun war ich an der Reihe. Starr blickte ich in die hellgoldenen Augen und bemühte mich, nicht zu blinzeln. Sie ruckte mit ihrem Kopf und betrachtete mich eingehend. Dann deutete ein leichtes Kopfsenken eine Verbeugung an. Ich gesellte mich zu Eva und streichelte Schattenschwinge ausgiebig.
Genießerisch streckte sie sich, als ich einen empfindlichen Punkt hinter ihrem gefiederten Ohr erwischte. Besonders der Übergang von Federn zu Fell war interessant und fühlte sich beim Darüberstreichen lustig an. Einzelne Federn wuchsen auch noch an Stellen, an denen eigentlich nur Fell sein sollte.
Weder Eva noch ich wollten es riskieren zu fliegen, weshalb wir lieber die Annäherungsversuche der anderen betrachteten. Zu meinem Bedauern stand Draco schon unbeschadet neben Seidenschnabel und streichelte sein Gefieder. Harry stand bei Hermine und Ron, die sich um ein rotbraunes Wesen bemühten.
Auch Neville hatte das Vertrauen seines Tieres gewinnen können und stand neben Seamus. Gemeinsam kraulten sie das weiße Fell. Soeben hatte auch Dean die Probe überstanden und gesellte sich zu ihnen. Mein Freund grinste mir quer über die Wiese zu.
„Wenn ihr erstmal ihr Vertrauen habt, müsst ihr nur drauf achtn, nix Beleidigendes zu sagn. Sind stolze Tiere, diese Hippogreifn", rief Hagrid.
„Wer ist denn schon so doof und sagt etwas Schlechtes über diese wunderschönen, stolzen Tiere?", wollte Eva wissen. Geschmeichelt drückte Schattenschwinge ihren Schnabel gegen Evas Schulter.
Einige Minuten später bekam meine Freundin ihre Antwort. Draco war so doof. Von einer Sekunde auf die nächste schwang die Stimmung bei seiner Gruppe völlig um. Eben noch schmiegte sich Seidenschnabel an ihn, dann hieb er ihm kreischend über seinen Arm.
Draco schrie auf. Er kippte nach hinten um und machte weiter Krach. Der verschreckte die anderen Mitglieder der Herde. Nervös tänzelte unser Hippogreif neben uns und wollte seinem Artgenossen zur Hilfe eilen. Mit vereinten Kräften konnten Eva und ich sie zurückhalten.
Geschockt stand Hagrid einige Meter neben meinem Cousin und wusste nicht, was er tun sollte.
„Du musst ihn in den Krankenflügel bringen!", wies ihn Hermine an.
„'Türlich. Krankenflügel", murmelte Hagrid und hob seinen Schüler vom Boden auf. Der wimmerte mittlerweile nur noch und hielt sich seinen Arm. Soweit ich sehen konnte, war aber nur seine Kleidung leicht rot vom Blut. Wenn es eine tatsächliche Fleischwunde wäre, dann hätte es viel stärker geblutet. Und wir hätten womöglich noch Bekanntschaft mit dem Werwolf geschlossen.
„Ihr anderen geht zurück ins Schloss. Der Unterricht is beendet."
„Das kann man wohl sagen", stellte Eva neben mir fest. „Hoffentlich feuern sie ihn nicht."
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